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Beeinflussen Darmbakterien die Hirnleistung?

San Diego. Kleinkinder, die in ihrem Darm einen bestimmten Mix aus Bakterien tragen, sind Altersgenossen in ihren geistigen Fähigkeiten überlegen. Außerdem gibt es offenbar einen Zusammenhang zwischen der Darmflora und der Hirnentwicklung bis zum zweiten Lebensjahr, berichten Alex Carlson von der University of North Carolina in Chapel Hill und seine Kollegen auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (SfN).

Unklar ist allerdings, ob die Bakterien die Hirnentwicklung direkt beeinflussen, oder ob sie lediglich eine Folge von Lebensumständen sind, die sich günstig auf die geistige Entwicklung auswirken. Auch Carlson lässt dies zunächst offen: „Unsere Forschung weist darauf hin, dass die Zusammensetzung der Mikroben im Darm die Entwicklung des menschlichen Gehirns beeinflussen könnte“, sagte er. Ziel der Arbeit sei es gewesen, den Zusammenhang zwischen der sich entwickelnden Darmflora und der kognitiven Entwicklung von Kleinkindern besser zu verstehen. Dies hielt den Neurobiologie-Studenten aber nicht davon ab zu spekulieren: „Letztlich könnte die gezielte Veränderung der Darm-Hirn-Achse neue Möglichkeiten für die Behandlung und Vermeidung von Hirnentwicklungsstörungen eröffnen.“

Durchgeführt wurde die Arbeit mit 89 Kleinkindern im Alter von einem Jahr, deren Darmbewohner mithilfe von DNA-Analysen aus Stuhlproben bestimmt wurden. Anhand der Häufigkeit bestimmter Bakterien in den Stuhlproben und der Verwandschaft dieser Bakterien untereinander teilten die Wissenschaftler die Kinder in drei Gruppen ein. Insbesondere die Gattungen Faecalibacterium, Bacteroides  und Clostridiales waren zwischen diesen drei Gruppen ungleich verteilt.

Anhand der „Mullen Skala für frühes Lernen“ vermaßen Carlson und dessen Kollegen dann die Wahrnehmungsfähigkeit, die Sprachentwicklung und die motorischen Fähigkeiten der Kinder im Alter von zwei Jahren. „Die Kinder in der Gruppe mit vielen Bakterien der Gattung Bacteroides hatten gegenüber den anderen beiden Gruppen bessere geistige Leistungen“, so Carlson.

Überraschend für die Wissenschaftler war auch, dass Kinder mit einer besonders vielfältigen Darmflora schlechter abschnitten als diejenigen, mit weniger unterschiedlichen Mikroben im Darm. „Eigentlich hatten wir vorhergesagt, dass die Kinder mit vielfältiger Darmflora bessere Leistungen bringen würden, denn andere Studien haben gezeigt, dass dies sich positiv auf die Gesundheit auswirkt – etwa auf die Entwicklung von Asthma und Diabetes. „Unsere Arbeit unterstreicht die Tatsache, dass ein optimales Mikrobiom bezüglich der Kognition und der Psyche anders aussehen könnte, als wenn man nach anderen körperlichen Merkmalen fragt.“, so Carlson.

Die Ergebnisse hätten „wichtige Implikationen“ für Interventionen die auf die Darmflora zielen, wie beispielsweise die Gabe von Probiotika. Bei Kleinkindern hätte man damit womöglich mehr Erfolg, weil dort die Darmflora leichter zu verändern wäre. Direkter ginge dies, wenn man die Moleküle identifieren könnte, welche die mikrobiellen Effkte auf das Gehirn vermitteln. Sein Labor arbeite gegenwärtig an diesem Projekt, so Carlson, denn „diese Moleküle könnten neue Therapeutika für komplexe psychiatrische Erkrankungen darstellen, oder Ziele sein für die Medikamente der Zukunft.“

Bei all dem geht Carlson als Sprecher seines Teams wie selbstverständlich davon aus, dass es tatsächlich die Präsenz bestimmter Bakterienarten ist, die sich günstig auf die frühkindliche Hirnentwicklung auswirkt. Eine alternative Erklärung wäre, dass Eltern, die sich intensiver mit ihren Kindern beschäftigen, diese auch anders ernähren, wodurch sich natürlich auch die Darmflora anders entwickelt. Ihre bessere geistige Entwicklung würden diese Kinder dann allerdings nicht der Babykost verdanken oder den von Geburt an vorhandenen Bakterien, sondern ganz klassisch der elterlichen Zuneigung.

Drüsenersatz aus Stammzellen gezüchtet

Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres ist es einer Gruppe japanischer Forscher am Riken Zentrum für Entwicklungsbiologie in Kobe gelungen, aus embryonalen Stammzellen der Maus komplexes Ersatzgewebe für das Gehirn zu züchten: Nachdem das Team um den Direktor der Abteilung Neurogenese, Yoshiki Sasai, bereits im April in die Schlagzeilen geraten war, weil man eine Vorstufe der Netzhaut des Auges (Retina) geschaffen hatte, berichten die Forscher nun in der Fachzeitschrift Nature, wie sie durch die geschickte Manipulation der Kulturbedingungen die Entstehung eines Hypophysenvorderlappens gesteuert haben. Beim Menschen wie auch bei Mäusen bildet dieser Teil der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) Hormone, die das Wachstum und die Schwangerschaft steuern, sowie bestimmte euphorisierende und schmerzstillende Substanzen, die Endorphine.

 

Hormon-bildende Zellen (rot gefärbt) inmitten von Drüsengewebe, das aus embryonalen Stammzellen gezüchtet wurde. (Foto: Yoshiki Sasai, RIKEN)

Dass die Kunstgebilde aus dem Labor sich möglicherweise als Ersatzdrüse eignen, konnten die Wissenschaftler im Mausversuch beweisen: Sie verpflanzten das neu gezüchtete Gewebe in die Niere von Tieren, denen man zuvor die Hypophyse entfernt hatte. Während Mäuse ohne Hypophyse nur etwa zwei Monate überleben, rettete der Eingriff die Nager und brachte deren Hormonspiegel wieder auf fast normale Werte zurück.

 

Die japanischen Forscher gehören zu den Pionieren der Stammzellforschung, von der Optimisten sich die Zucht von Ersatzgeweben und ganzen Organen für kranke Menschen erhoffen. Dafür müssen sich jedoch viele unterschiedliche Zelltypen räumlich exakt anordnen und miteinander wechselwirken, was bisher nur mit vergleichsweise einfachen Geweben wie Knorpel gelungen ist, und mit Gefäßzellen, die man auf künstlichen Luftröhren angesiedelt hat. Im Gegensatz dazu ist das menschliche Gehirn die komplexeste Struktur im bekannten Universum. Die Entwicklung dieses Organs verstehen die Neurowissenschaftler trotz enormer Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten bisher nur in groben Zügen.

 

Mit der von Sasai und seinen Kollegen entwickelten Technik SFEBq (für engl. serum-free floating culture of embryoid body-like aggregates with quick re-aggregation) gelang es aber immerhin, ausgehend von embryonalen Stammzellen zunächst in Lösung schwebende Zellhäufchen zu schaffen. Stimuliert man diese Häufchen durch die Zugabe bestimmter Signalmoleküle zum jeweils richtigen Zeitpunkt, so können daraus komplexere Gewebe entstehen. Das Verdienst der Japaner ist es, solch ein „molekulares Kochrezept“ gefunden zu haben, mit dem aus embryonalen Stammzellen eine Vorstufe des Hypophysenvorderlappens heranwuchs. Im Inneren dieser sogenannten Rathke-Tasche – benannt nach dem deutschen Anatomen Martin Rathke – konnten die Hirnforscher anschließend mithilfe weiterer Wachstumsfaktoren vier verschiedene Zelltypen sprießen lassen, die jeweils unterschiedliche Hormone bildeten.

 

Dass diese Gebilde das Leben von Labormäusen retten konnten, denen man die eigene Hypophyse entfernt hatte, zeigt das Potential der Technik, freute sich Sasai: „Noch behandeln wir Hypophysendefekte, indem wir die fehlenden Hormone ersetzen. Dabei die richtige Dosis zu finden ist aber angesichts der schwankenden Konzentrationen im Körper nicht gerade einfach. Ich hoffe, dass unsere Ergebnisse zu weiteren Fortschritten der regenerativen Medizin auf diesem Gebiet führen werden.“

 

Hirnstruktur spiegelt politische Einstellung

Einen Zusammenhang zwischen der politischen Einstellung und der Ausprägung bestimmter Hirnstrukturen haben mehrere Forscher aus London gefunden. Wie sie in der online-Ausgabe der Zeitschrift Current Biology berichten, war bei Studenten, die sich als freiheitlich (engl. „liberal“) bezeichneten der vordere Bereich des so genannten Gyrus cinguli vergrößert. Konservative hatte dagegen einen größeren Mandelkern (Amygdala).

Für seine Forschung hatte Geraint Rees vom University College London mit seinem Kollegen Ryota Kanai 90 Studenten zunächst einen Fragebogen ausfüllen lassen, in dem sie ihre politische Orientierung notierten, und dann die Hirne der freiwilligen Versuchspersonen mit Hilfe der funktionellen Kernspintomografie vermessen. Das Ergebnis deckt sich einerseits mit den bekannten Aufgaben der auffälligen Hirnregionen und andererseits mit früheren psychologischen Untersuchungen. Demnach sind Menschen mit eher liberalen Einstellungen besser in der Lage, widersprüchliche Informationen zu verarbeiten, was eine Funktion des Gyrus cinguli ist. Konservative können dagegen Bedrohungen leichter erkennen – und die werden im Mandelkern registriert und bewertet.

„Man wusste bereits, dass bestimmte psychologische Merkmale Rückschlüsse auf die politische Orientierung erlauben“, erklärte Kanai. „Unsere Studie hat nun einen Zusammenhang zwischen diesen Persönlichkeitsmerkmalen und bestimmten Hirnstrukturen nachgewiesen.“ Offen ist laut Kanai noch die Frage, ob die politische Einstellung die Größe der identifizierten Hirnregionen beeinflusst, oder ob umgekehrt erst die mehr oder weniger starke Ausprägung von Gyrus cinguli und Mandelkern der Entwicklung liberaler oder konservativer Denkweisen voraus geht. Natürlich sei die schematische Unterteilung der Politik in Links und Rechts eine grobe Vereinfachung, räumt Kanai ein. „Prinzipiell lässt sich diese Methode aber auch nutzen, um Zusammenhänge zwischen Hirnstrukturen und anderen Denkweisen aufzudecken.“ Vielleicht könnten die Unterschiede im Denkorgan ja auch erklären, warum manche Menschen sich überhaupt nicht für Politik interessieren, oder warum der eine lieber einen Apple-Computer kauft und der andere lieber einen PC.

Den Anstoß zur Forschungsarbeit von Rees und Kanai hatte der britische Schauspieler Colin Firth gegeben, der zusammen mit dem Wissenschaftskorrespondenten der BBC, Tom Feilden in einer Radiosendung Ende 2010 nach Unterschieden in der Hirnstruktur zwischen Politikern unterschiedlicher Parteien gefragt hatte und dazu den Konservativen Abgeordneten Alan Duncan und den Labour-Abgeordneten Stephen Pound gewinnen konnte. Der Ex-Liberale Firth hatte damals als Grund für seinen Wissensdurst der Zeitung Daily Mail verraten: „Ich wollte einfach nur herausfinden, was nicht stimmt mit der Biologie bei Leuten, die andere Ansichten haben als ich.“

Früh übt sich, wer ein guter Vater wird

Wie gut Männer für ihre Kinder sorgen, hängt auch davon ab, ob sie selbst als Babies von ihrem Vater umsorgt wurden. Diese Vermutung haben Hirnforscher nun mit Tierversuchen an der Kalifornischen Maus (Peromyscus californicus) erhärtet, einer der wenigen Säugetierarten, bei denen die Väter unter natürlichen Umständen Brutpflege betreiben.

„Unsere Beobachtungen legen nahe, dass die väterliche Pflege während der Entwicklungsphase den Umfang und die Qualität des väterlichen Verhaltens später im Leben beeinflusst“, erläuterte die Doktorandin Erin Gleason von der Psychologischen Abteilung der Universität Wisconsin auf der Jahrestagung der Society for Neuroscience in Chicago. Mit ihren Kolleginnen hatte Gleason das Verhalten von zwei Gruppen von Mäusevätern und deren Nachkommen untersucht. In der einen Gruppe waren die erwachsenen Männchen kastriert worden und hatten deshalb weniger Testosteron im Körper. Diese Männchen verbrachten weniger Zeit in engem Kontakt mit ihren Jungen und pflegten diese auch weniger gut als eine Vergleichsgruppe normaler, nicht kastrierter Männchen.

Als die Jungen aufgewachsen waren, durften sie sich mit Weibchen paaren und die Forscher zeichneten dann mit Videokameras auf, wie die Söhne kastrierter und nicht-kastrierter Väter nun ihrerseits mit dem eigenen Nachwuchs umgingen. Die Auswertung der Videoaufnahmen ergab, dass die künstliche Verringerung des Geschlechtshormons Testosteron auch für die Enkel spürbare Folgen hatte. Die Söhne der kastrierten Väter verbrachten nämlich eindeutig weniger Zeit mit ihren Jungen und sie ließen den Nachwuchs annähernd doppelt so lange allein, wie die Väter der Vergleichsgruppe. Außerdem konnte Gleason beobachten, dass die in ihrer Kindheit vernachlässigten Mäuse ihre Jungen zwar vier Mal so oft aufsammelten – allerdings gelang es diesen Vätern meistens nicht, ihre Jungen auch zurück ins Nest zu bringen.

Für Gleason ist die Studie ein klarer Hinweis, dass Gene alleine das unterschiedliche Verhalten bei der Brutpflege nicht erklären können. „Vielmehr wird das väterliche Verhalten bereits während der frühen Kindheit geprägt“, so Gleason – „und wahrscheinlich ist dies bei Menschen genau so.“

Quelle:

  • Gleason AD, Marler CA. Epigenetic Transmission of Paternal Behavior in the Monogamous and Biparental California Mouse, Peromyscus Californicus. Abstract 100.9. des 2009 Neuroscience Meeting Planner. Chicago, IL: Society for Neuroscience, 2009. Online.

 

 

Hirnveränderungen bei Stotterern sichtbar gemacht

Nervenbahnen, die Signale zwischen dem Hör- und Sprachzentrum der linken Hirnhälfte übertragen, sind bei Stotterern offenbar unterbrochen, berichteten Mitarbeiter der nationalen Gesundheitsinstitute der USA (NIH) auf dem weltweit größten Treffen von Hirnforschern in Chicago.

In der rechten Hirnhälfte fließen die Daten bei Stotterern zwar leichter als bei Menschen ohne Sprachprobleme, fand Soo-Eun Chang mit ihren Kollegen heraus. Dies nützt den Stotterern aber wenig, da Worte und Sprache in aller Regel von der linken Seite des Denkorgans viel leichter geformt werden, als von der rechten. Untersucht und miteinander verglichen wurden 21 gesunde Erwachsene, die bereits von Kind an gestottert hatten, und 21 weitere gesunde Freiwillige ohne Sprachprobleme.

Dass das Gehirn von Stotterern „seitenverkehrt“ angelegt sei, hatte man bereits vor 80 Jahren postuliert. Auch hatten frühere Studien immer wieder Unterschiede im Energieverbrauch zwischen den beiden Hirnhälften bei Stotterern gegenüber flüssigen Sprechern gezeigt. Erst in den vergangenen Jahren ist es den Neurowissenschaftlern jedoch gelungen, den Datenfluss zwischen verschiedenen Hirnregionen entlang der Nervenbahnen sichtbar zu machen.

“Unsere Studie ist die erste, bei der die beim Stottern gestörten Verbindungen derart detailliert erfasst wurden“, erklärte Chang, die nach ihrer Doktorarbeit als Professorin an die Universität von Michigan gewechselt ist. Die Koordinationsstörung zwischen sprachverarbeitenden und spracherzeugenden Regionen der linken Hirnhälfte zeigten die Stotterer sogar dann, wenn sie schwiegen. Für Chang ist das ein klarer Hinweis darauf, dass der gestörte Datenfluss nicht etwa eine Folge des Stotterns ist, sondern dass die „schlechte Leitung“ die Ursache der Sprachstörung sein könnte.

Quelle:

  • Chang S, Horwitz B, Ludlow CL. Inter- and intra-hemispheric functional connectivity differs during speech and non-speech production in stuttering speakers. Abstract 82.2 des 2009 Neuroscience Meeting Planner. Chicago, IL: Society for Neuroscience, 2009. Online.

Buchbesprechung: Valentin Braitenberg erklärt die Welt

„In diesem Buch will ich versuchen, eine Weltanschauung – meine eigene – in ihrer Gesamtheit darzustellen“, verspricht Valentin Braitenberg im Vorwort seines neuen Werkes: „Das Bild der Welt im Kopf – Eine Naturgeschichte des Geistes„. In der Wikipedia wird Braitenberg als „Hirnforscher, Kybernetiker und Schriftsteller“ vorgestellt, außerdem als ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für Kybernetik in Tübingen. Weil diese Beschreibung zwar genau ist, aber doch verkürzt, und weil es ziemlich schwierig ist, diesem originellen Kopf gerecht zu werden, möchte ich lieber etwas weiter ausholen und zitiere dazu vom Einband des bereits genannten, 211 Seiten starken Bandes:

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

„Professor Dr. Dr. h. c. Valentin Braitenberg. In Bozen geboren – im selben Jahr wie die Quantenmechanik, die Königin von England und Fidel Castro. Italienisches humanistisches Gymnasium sowie Ausbildung als Geiger am Konservatorium in Bozen. Im letzten Kriegsjahr in Folge unbedachter Äußerungen Mitglied einer Strafkompanie, die mit dem Ausgraben unexplodierter Bomben in Innsbruck betraut wurde. Dann Bratschist im Tiroler Landesorchester in Innsbruck, Student der Physik, später der Medizin. Promotion und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Rom. Nach Forschungsjahren in Deutschland und in den USA Habilitation in Kybernetik und Informationstheorie… Autor von mehreren Sach- und Fachbüchern. Valentin Braitenberg lebt, mit einer New Yorkerin verheiratet, in Tübingen, Meran und Neapel.“

Zurück zum Vorwort, wo der sympathische Professor (ein Besuch in seinem Labor liegt nunmehr bald 20 Jahre zurück) erklärt, das Buch sei vor allen Dingen dem Wunsch entspungen, „das Gedankengebäude, in dem ich mich behaglich eingerichtet habe, auf seine Geschlossenheit zu überprüfen. Dahinter verbirgt sich keineswegs der Gedanke, dass meine Art, die Welt – und mich in ihr – zu sehen, etwa die bestmögliche oder gar die einzig mögliche sei. Eher schon verstehe ich sie als einen Köder, der mir Leute, die ähnlich denken, zuführen und vielleicht zu Freunden machen könnte. Doch sind mir die anderen, die gute Gründe haben, anders zu denken, genau so lieb.“ Und weiter stichelt Braitenberg: „In der sicheren Erwartung, dass mich die Philosophen nicht zitieren werden, zitiere ich sie auch nicht.“

Auf das Vorwort folgt noch ein Beipackzettel – eine kleine Gebrauchsanweisung, in der Braitenberg seinen Lesern empfiehlt, die Dosis von einem Kapitel pro Tag nicht zu überschreiten. Von der Lektüre nach den Mahlzeiten wird abgeraten. Kapitel 1 könne Widerwillen auslösen und solle dann übersprungen werde, in Kapitel 3 droht Schwindelgefühl, „besonders, wenn man sich nicht genug Zeit für Meditation nimmt“, andere Passagen könnten allergische Reaktionen hervorrufen oder Ermüdungserscheinungen, doch seien Unverträglichkeiten mit anderen Weltanschauungen bisher nicht beobachtet worden.

So weit, so gut. Wir sind gewarnt. Überfliegen noch schnell ein Vorwort des Hirnerklärers und -forschers Manfred Spitzer und stürzen uns hinein in das Lesevergnügen. Die Lust am Verstehen sei der Grund für seine Mühe gewesen, sagt Braitenberg und zieht uns wie versprochen mit erstaunlicher Leichtigkeit hinein in seine Welt. Erklärt ´mal eben, warum Mensch, Tier und Pflanze am Leben hängen und läßt durchblicken, dass diese Erklärung ihm fast schon hinreicht, um auch den Sinn des Lebens zu erklären – oder jedenfalls das, was uns alle antreibt. Im Abschnitt „Verstehen“ geht es um Wissenschaft und ihre Spielregeln, um Menschen, die geistige Kataloge erstellen und solche, die aus Sucht oder aus Faulheit nach Regeln suchen.

„Im Grunde bin ich aber in mein eigenes Denken verliebt“, entschuldigt sich Braitenberg verschmitzt und verweist wie zur Entschuldigung darauf, dass diese Lust am Verstehen, die ihn durchs Leben trägt, keine Sättigung kennt. Außerdem habe diese Lust anderen Lüsten vieles voraus: „Anders als beim Raffen von Geld und Macht oder beim Sammeln von Liebestrophäen nimmt das,was ich gewinne, wenn ich der Lust am Verstehen nachgehe, keinem Menschen etwas weg“. Es folgt eine umwerfende Utopie für die Satzung einer Republik mit zehn Regeln, darunter einer Schulpflicht bis ins Rentenalter. Am besten gefällt mir Paragraph zehn, wonach die Satzung der Republik vom Volk mit 6/7Mehrheit geändert werden kann. „Das Volk in diesem Sinne besteht aus allen Bürgern im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, die überdurchschnittliche schulische Leistungen nachweisen können. Ausgenommen sind Geisteskranke, Millionäre, Betreiber von Fernsehanstalten, Designer, Stars im Sport- oder Showgeschäft oder Berufspolitiker.“ Ist diese Utopie ernst gemeint oder nicht? Wie kam der Mann auf diese zehn Regeln?

Zu Schade, dass an diesem Punkt, am Ende des ersten Kapitels, weitgehend Schluss ist mit lustig. Bitte Herr Braitenberg – lassen Sie uns (in ihrem nächsten Buch?) teilhaben an jenen Gedanken, die ihrer utopischen Republik zugrunde lagen. Denn von nun an ging es mit dem Lesevergnügen für mich leider bergab. Der scharfe Intellekt des Autors und seine Gabe, Zusammenhänge aufzuzeigen, blitzt zwar immer wieder auf und auch im zweiten Kapitel – dem Blick nach innen – komme ich nicht umhin, immer wieder zustimmend-anerkennend-überrascht-erfreut zu nicken, und meine Notizen an den Rand zu kritzeln.

Vielleicht liegt es an meinem Beruf als Wissenschaftsjournalist, vielleicht an meiner Spezialisierung auf die Hirnforschung, jedenfalls erschienen mir restlichen Kapitel weitaus weniger spannend und einleuchtend. Zwar sind auch die Meditationen über die physikalische Welt sowie über die Entstehung und Vermehrung von Lebewesen durchaus lesenswert und durchzogenen von originellen Gedanken und Erläuterungen. Spätestens wenn Braitenberg jedoch zu seinem eigentlichen Spezialgebiet kommt, dem Gehirn als Ebenbild der Welt, seinem Gebrauch und dem darin verankerten Sinn für Ästhetik, hätte ich mir etwas mehr Zurückhaltung bei der Erläuterung der Anatomie und Physiologie unseres Denkorgans gewünscht.  In seinem Beipackzettel hatte Braitenberg zwar fairerweise vor Emüdungserscheinungen bei diesen Kapiteln gewarnt. Dennoch erlaube ich mir zu sagen: Weniger wäre hier mehr gewesen.

Hier konnte Braitenberg, der wohl an die vierzig Jahre lang Hirnschnitte durch das Mikroskop angeschaut hat, sich weniger gut in den Leser hinein versetzen. Dem Buch schadet es jedenfalls, dass nach dem furiosen Auftakt peu a peu der Anteil an Erklärungsbedürftigem zu- und die Spannung dadurch abnimmt. Wer wie bei einem Kriminalroman auf den letzten Seiten eine Auflösung erwartet, die den Leser für seine Geduld belohnt, muss sich auf eine Enttäuschung einstellen. Wer sich von dieser  Aussicht nicht abschrecken läßt, wird jedoch auch jenseits des dritten Kapitels noch einigen Rosinen finden, die der Mühe wert sind. Mit dieser kleinen Einschränkung möchte ich mich dem Urteil Manfred Spitzers anschließen: Die cartesianischen Meditationen á la Braitenberg geraten jedem denkenden Menschen zu einem ganz privaten Vergnügen der besonderen Art.

Verkümmerter Nervenstrang bei Unmusikalischen

Falls Sie zu den Menschen gehören, die den richtigen Ton einfach nicht treffen und deren Gesänge andere erschaudern lassen, so hat die Wissenschaft für Sie zwar noch keine Abhilfe zu bieten, aber zumindest eine mögliche Erklärung parat: Bei unmusikalischen Menschen scheinen bestimmte Nervenfasern im Gehirn verkümmert zu sein, berichten Forscher in der Fachzeitschrift Journal of Neuroscience. Insbesondere ein Bündel namens Fasciculus arcuatus, über das Informationen zwischen wahrnehmungverarbeitenden und bewegungssteuernden Regionen des Denkorgans ausgetauscht werden, ist bei unmusikalischen Menschen dünner und es enthält auch weniger Nervenzellfortsätze als bei jenen knapp 90 Prozent der Bevölkerung, die einigermaßen passabel singen können.

Sprachregionen des Gehirns. Der Fasciculus arcuatus verbindet das grün gezeichnete Wernicke-Areal mit dem blau gezeichneten Broca-Areal. (GNU Free Documentation Licence. Autor: James.mcd.nz)

Sprachregionen des Gehirns. Der Fasciculus arcuatus verbindet das grün gezeichnete Wernicke-Areal mit dem blau gezeichneten Broca-Areal. (GNU Free Documentation Licence. Autor: James.mcd.nz)

Für ihre Untersuchung nutzten die Hirnforscher Dr. Psyche Loui, Dr. David Alsop und Professor Gottfried Schlaug vom Labor für Musik und Neuroimaging der Harvard Medical School eine Variante der Magnetresonanztomographie (MRT), mit der sie die Verbindungen zwischen dem rechten Schläfenlappen und dem Stirnhirn ausmessen konnten, ohne ihre 20 freiwilligen Versuchspersonen zu berühren oder mit Strahlung zu belasten. Auf die „Datenautobahn“ des Fasciculus arcuatus konzentrierten sich die Neurowissenschaftler, weil man bereits weiß, dass hierdurch die Wahrnehmung von Musik und Sprache mit der Steuerung des Stimmapparates verbunden ist.  Es ergab sich, dass das Nervenbündel bei den zehn unmusikalischen Probanden im Durchschnitt eindeutig dünner war und weniger Nervenfortsätze enthielt, als bei den zehn Freiwilligen, die anständig singen konnten. In der rechten Hirnhälfte war der obere Teil des Fasciculus arcuatus bei den unmusikalischen Freiwilligen mit der MRT sogar überhaupt nicht zu finden. Dies kann bedeuten, dass das Nervenbündel entweder vollständig fehlt oder so verkümmert ist, dass es sogar mit diesem fortschrittlichsten aller bildgebenden Verfahren nicht erkennbar ist.

„Diese Anomalie legt nahe, dass ein fehlendes musikalisches Gehör ein bislang unbemerktes neurologisches Syndrom darstellt, ähnlich anderen Sprech- und Sprachstörungen“, sagte Loui. Die gleiche Arbeitsgruppe hatte in früheren Untersuchungen bereits gezeigt, dass unmusikalische Menschen ihren eigenen Gesang nicht bewusst wahrnehmen.

Nach Schätzungen von Experten sind mindestens zehn Prozent der Bevölkerung unmusikalisch, jedoch gilt diese „Anomalie“ bislang nicht als Krankheit. Und warum sollte sie auch? Leiden müssen schließlich nur diejenigen, die sich die Gesänge unmusikalischer Menschen anhören müssen!

Quelle:

  • Loui P, Alsop D, Schlaug G. Tone Deafness: A New Disconnection Syndrome? Journal of Neuroscience, August 19, 2009. 29(33):10215-10220

Die hemmungslose Gesellschaft

Vorbemerkung: Welche Art von Besuchern wird das Wörtchen „Sex“ wohl auf meine Webseite ziehen?, habe ich mich gefragt und möchte deshalb von vorne herein feststellen, dass der nachfolgende Beitrag  weder für geile Böcke bestimmt ist, noch für moralinsaure Moralapostel. Statt dessen geht es mir darum, auf eine – wie ich finde – ziemlich beunruhigende Entwicklung hinzuweisen, die oft als „sexuelle Verwahrlosung“ oder „Pornographisierung der Gesellschaft“ beschrieben wird, und auf die ich erstmals durch meine Kollegin Jutta Bissinger aufmerksam wurde. Jutta, soviel Werbung erlaube ich mir hier, ist nicht nur sozial engagiert, sondern kann auch richtig gut schreiben. [hier hatte ich auf ihren Text „Was frau beim Protest gegen Sexwerbung alles erleben kann“ verlinkt, der aber leider nicht mehr aktiv ist].

Lesen Sie weiter und staunen Sie über den „Wunsch nach dem perfekten Genital“. Das Stück stammt vom Nachrichtendienst „amPuls-online„, bei dem ich mich hiermit für die Genehmigung zur Wiedergabe bedanken möchte.

Besserer Sex durch Vaginal-Verjüngung?

Der Schönheitswahn ist im Genitalbereich angekommen. Bis zur Vergrößerung des G-Punktes ist alles dabei. Die Risiken solcher Eingriffe werden gerne übersehen.

Vergrößerung des G-Punktes, Verkleinerung der inneren Schamlippen, Wiederherstellung des Jungfernhäutchens – der Drang nach dem perfekten Körper betrifft schon lange nicht mehr nur gestraffte Augenlider und größere Brüste. Immer mehr Frauen unterziehen sich einer Genitaloperation aus rein kosmetischen Gründen. Bei solchen Operationen handelt es sich beispielsweise um die Verkleinerung der inneren und Vergrößerung der äußeren Schamlippen, Fettabsaugen am Schamhügel, Vaginalverengung oder aber um die Vergrößerung des G-Punktes durch Kollagen-, Hyaluronsäure- oder Eigenfettinjektionen in diesem Bereich.

An der Frauenklinik des Universitätsklinikums Freiburg werden solche Eingriffe allerdings nur dann vorgenommen, wenn dies medizinisch notwenig ist. So können deutlich vergrößerte „kleine“ Schamlippen beim Geschlechtsverkehr aber auch beim Sport als störend empfunden werden. „Kosmetische Eingriffe oder Operationen zur Steigerung des Lustempfindens im Genitalbereich führen wir nicht durch“, bekräftigt Professor Gerald Gitsch, Ärztlicher Direktor der Universitäts-Frauenklinik Freiburg.

Abgesehen davon, dass solche „Verschönerungen“ ethisch stark fragwürdig sind, kommen auch noch rein medizinische Bedenken hinzu: Bei all diesen kosmetischen Operationen am weiblichen Genitale fehlen Risikoeinschätzungen und Komplikationsraten. Wer also ernsthaft meint, durch eine Vaginal-Verjüngung seine Ehe retten zu können, sollte sich über die Risiken solcher Operationen bewusst sein.

„Zu den Komplikationen solcher Eingriffe zählen Wundheilungsstörungen und Entzündungen, Narbenbildungen, Sensibilitätsstörungen mit herabgesetzter sexueller Empfindlichkeit bis hin zu deutlichen Funktionsbeeinträchtigungen des Genitale“, warnt Professor Gitsch. „Durch die Narbenbildung kann es zu Schmerzen beim Gehen, Sitzen und beim Geschlechtsverkehr kommen.“ Daneben weist die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe darauf hin, dass es bislang keine wissenschaftlichen Daten gibt, die nachweisen, dass diese Eingriffe zu einer anhaltenden psychischen Verbesserung führen würden (Stellungsnahme im pdf-Format hier).

Experten sehen den Grund für die steigende Zahl von kosmetischen Genitaloperationen unter anderem in der Modeerscheinung der Intimrasur. Durch sie fallen unregelmäßige, zu kleine oder zu große Schamlippen mehr auf und werden von den Frauen oft als unästhetisch empfunden. Aber nicht immer steckt ein Modetrend hinter dem Wunsch einer Genitaloperation. „Gelegentlich können sich eine Depression oder Paarprobleme hinter dem Operationswunsch verbergen“, weiß Professor Gitsch. „Gerade in der Pubertät kann der Operationswunsch auch Ausdruck einer Körperbildstörung sein.“

Welcher Grund auch immer hinter dem Wunsch nach einer Genitaloperation steckt, Frau sollte dabei immer bedenken, dass die Folgen einer solchen Operation das Sexualleben und die Lebensqualität noch Jahre danach beeinflussen können – und zwar negativ.

… soweit also der Beitrag aus „amPuls-online

Vielleicht fragen Sie sich jetzt aber, was denn der „Schönheitswahn im Genitalbereich“ mit sexueller Verwahrlosung zu tun hat, oder gar mit Pornographie? Nun, wenn Professor Gerald Gitsch, Ärztlicher Direktor der Universitäts-Frauenklinik Freiburg und quasi „Kronzeuge“ in dem obigen Artikel vermutet, dass die steigende Zahl von kosmetischen Genitaloperationen von der Modeerscheinung der Intimrasur herrühren könne und wenn er beobachtet hat, dass  „gerade in der Pubertät der Operationswunsch auch Ausdruck einer Körperbildstörung sein kann“, so ist damit die Frage nach den Ursachen nicht wirklich beantwortet. Nun läßt sich trefflich diskuttieren über das Frauenbild in unserer Gesellschaft (gerne auch über das Männerbild), über die Rolle der Medien oder der Erziehung, von „Vorbildern“ wie Bushido und tausend Dinge mehr. Nein, eine einfache Antwort weiß ich auch nicht und ich möchte mich auch nicht Aufschwingen zum Richter darüber, wieviel oder welche Art von Sex „normal“, „gesund“ oder auch nur „unbedenklich“ ist. Freuen würde ich mich allerdings, wenn ich Sie durch meine Hinweise zum Nachdenken anrege. Ihre Gedanken können Sie gerne in den Kommentaren hinterlassen; als weitere Diskussionsgrundlage empfehle ich Ihnen noch die folgenden beiden Artikel zum Thema „Sexuelle Verwahrlosung“:

Schizophrenie: Tausende von "Risikogenen"

In drei Studien mit zusammen mehr als 27000 Teilnehmern haben Wissenschafter etwa 30000 Erbgutvarianten gefunden, die bei Menschen mit Schizophrenie häufiger vorkommen als bei Gesunden. Ein ähnliches Gen-Muster fanden die Forscher bei manisch-depressiven Menschen. Experten wie Thomas Insel vom US-Nationalen Institut für Geistige Gesundheit deuten die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Entdeckungen auch als Hinweis darauf, dass beiden Erkrankungen möglicherweise ähnliche Störungen bei der Entwicklung des Gehirns voran gehen.

Von der Schizophrenie sind weltweit bis zu einem Prozent aller Erwachsenen betroffen; die Krankheit bricht meist im späten Jugendalter aus, wenn sich Symptome wie Wahnvorstellungen, Angstzustände und Depressionen bemerkbar machen. Die genauen Ursachen sind noch unklar. Allerdings weiß man, dass bis zu 90 Prozent aller Erkrankungen erblicher Natur sind. Die Suche nach „Risikogenen“ für die Schizophrenie wurde deshalb mit großem Aufwand betrieben, sie war aber bisher nur wenig erfolgreich. So fand man zwar im vorigen Jahr mehrere Erbgutvarianten, die bei Betroffenen häufiger vorkamen, als bei Gesunden. Allerdings waren diese Genvarianten längst nicht bei allen Schizophrenen zu finden, sie konnten demnach nur einen kleinen Teil aller Erkrankungen erklären.

Die Vielzahl der in den neuen Studien entdeckten Genvarianten dagegen soll „ein Drittel oder möglicherweise sehr viel mehr“ des Krankheitsrisikos erklären, meint einer der Arbeitsgruppenleiter, Shaun Purcell von der Universität Harvard. Übereinstimmend haben alle drei Forscherteams Hinweise darauf gefunden, dass eine besonders wichtige Gruppe von Genen auf dem Chromosom Nr. 6 zu finden ist, und zwar in der Nähe des sogenannten Haupthistokompatibilitäskomplex  (kurz MHC nach dem englishen Major Histocomptatibility Complex). Diese Gengruppe spielt eine wichtige Rolle bei der Erkennung und Abwehr körperfremder Substanzen und sie beeinflußt wie ein Hauptschalter zahlreiche weitere Erbfaktoren. Für eine Beteiligung des MHC am Schizophrenierisiko spricht auch die Beobachtung, dass Kinder häufiger erkranken, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine Infektion mit Grippeviren erleidet.  Weitere Erbfaktoren, die bei der Entstehung der Schizophrenie eine Rolle spielen könnten, sind der Untersuchung zufolge das Gen für Neurogranin auf Chromosom 11 und der Transkriptionsfaktor TCF4 auf Chromosom 18. Beide Gene sind in Stoffwechselwege eingebunden, die eine Rolle bei der Gehirnentwicklung, dem Gedächtnis und der Denkleistung spielen. Auch dies passt ins Bild, denn Störungen des Gedächtnisses und der Kognition sind, neben Wahn und Halluzination, die wesentlichen Krankheitszeichen der Schizophrenie.

An einer der drei Studien waren auch drei deutsche Arbeitsgruppen beteiligt, die sich bereits im Nationalen Genomforschungsnetz zusammengeschlossen hatten, um die genetischen Grundlagen der Schizophrenie aufzuklären: Arbeitsgruppen am Institut für Humangenetik der Universität Bonn (Arbeitsgruppenleitung: Professor Markus Nöthen und Privat-Dozent Sven Cichon), an der Psychiatrischen Universitätsklinik der LMU München (Arbeitsgruppenleitung: Professor Dan Rujescu) sowie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim (Abteilungsleitung: Professor Marcella Rietschel). Diese drei Zentren waren schon im vorigen Jahr an der Entdeckung neuer, seltener genetischer Variationen, die zur Schizophrenie beitragen maßgeblich beteiligt und – wie Rujescu sagt „ist es uns wiederum gelungen, weitere neue, häufig vorkommende genetische Risikofaktoren zu finden“.

„Endlich kommen wir dem Ziel näher, bestehende Hypothesen zur Schizophrenie mit molekulargenetischen Methoden wissenschaftlich belegen zu können“, beschreibt Nöthen das Besondere dieser weltweiten genetischen Studie. Unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung und Diagnose der Schizophrenie werden die neuen Erkenntnisse wohl nicht haben. Auf dem Weg zu einem besseren Verständnis dieser komplexen Krankheit bedeuten die drei neuen Studien indes einen bemerkenswerten Fortschritt.

Quellen (mit Entschuldigung an die Experten für fehlende Links, da noch nicht in Pubmed gelistet)

  • Jianxin S, et al. Common variants on chromosome 6p22.1 are associated with schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Stefansson H, et al. Common variants conferring risk of schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Purcell SM, et al. Common polygenic variation contributes to risk of schizophrenia and bipolar disorder. July 1, 2009, Nature
  • Pressemitteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit via idw

Tipp:

Schizophrenie: Tausende von „Risikogenen“

In drei Studien mit zusammen mehr als 27000 Teilnehmern haben Wissenschafter etwa 30000 Erbgutvarianten gefunden, die bei Menschen mit Schizophrenie häufiger vorkommen als bei Gesunden. Ein ähnliches Gen-Muster fanden die Forscher bei manisch-depressiven Menschen. Experten wie Thomas Insel vom US-Nationalen Institut für Geistige Gesundheit deuten die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichten Entdeckungen auch als Hinweis darauf, dass beiden Erkrankungen möglicherweise ähnliche Störungen bei der Entwicklung des Gehirns voran gehen.

Von der Schizophrenie sind weltweit bis zu einem Prozent aller Erwachsenen betroffen; die Krankheit bricht meist im späten Jugendalter aus, wenn sich Symptome wie Wahnvorstellungen, Angstzustände und Depressionen bemerkbar machen. Die genauen Ursachen sind noch unklar. Allerdings weiß man, dass bis zu 90 Prozent aller Erkrankungen erblicher Natur sind. Die Suche nach „Risikogenen“ für die Schizophrenie wurde deshalb mit großem Aufwand betrieben, sie war aber bisher nur wenig erfolgreich. So fand man zwar im vorigen Jahr mehrere Erbgutvarianten, die bei Betroffenen häufiger vorkamen, als bei Gesunden. Allerdings waren diese Genvarianten längst nicht bei allen Schizophrenen zu finden, sie konnten demnach nur einen kleinen Teil aller Erkrankungen erklären.

Die Vielzahl der in den neuen Studien entdeckten Genvarianten dagegen soll „ein Drittel oder möglicherweise sehr viel mehr“ des Krankheitsrisikos erklären, meint einer der Arbeitsgruppenleiter, Shaun Purcell von der Universität Harvard. Übereinstimmend haben alle drei Forscherteams Hinweise darauf gefunden, dass eine besonders wichtige Gruppe von Genen auf dem Chromosom Nr. 6 zu finden ist, und zwar in der Nähe des sogenannten Haupthistokompatibilitäskomplex  (kurz MHC nach dem englishen Major Histocomptatibility Complex). Diese Gengruppe spielt eine wichtige Rolle bei der Erkennung und Abwehr körperfremder Substanzen und sie beeinflußt wie ein Hauptschalter zahlreiche weitere Erbfaktoren. Für eine Beteiligung des MHC am Schizophrenierisiko spricht auch die Beobachtung, dass Kinder häufiger erkranken, wenn die Mutter während der Schwangerschaft eine Infektion mit Grippeviren erleidet.  Weitere Erbfaktoren, die bei der Entstehung der Schizophrenie eine Rolle spielen könnten, sind der Untersuchung zufolge das Gen für Neurogranin auf Chromosom 11 und der Transkriptionsfaktor TCF4 auf Chromosom 18. Beide Gene sind in Stoffwechselwege eingebunden, die eine Rolle bei der Gehirnentwicklung, dem Gedächtnis und der Denkleistung spielen. Auch dies passt ins Bild, denn Störungen des Gedächtnisses und der Kognition sind, neben Wahn und Halluzination, die wesentlichen Krankheitszeichen der Schizophrenie.

An einer der drei Studien waren auch drei deutsche Arbeitsgruppen beteiligt, die sich bereits im Nationalen Genomforschungsnetz zusammengeschlossen hatten, um die genetischen Grundlagen der Schizophrenie aufzuklären: Arbeitsgruppen am Institut für Humangenetik der Universität Bonn (Arbeitsgruppenleitung: Professor Markus Nöthen und Privat-Dozent Sven Cichon), an der Psychiatrischen Universitätsklinik der LMU München (Arbeitsgruppenleitung: Professor Dan Rujescu) sowie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim (Abteilungsleitung: Professor Marcella Rietschel). Diese drei Zentren waren schon im vorigen Jahr an der Entdeckung neuer, seltener genetischer Variationen, die zur Schizophrenie beitragen maßgeblich beteiligt und – wie Rujescu sagt „ist es uns wiederum gelungen, weitere neue, häufig vorkommende genetische Risikofaktoren zu finden“.

„Endlich kommen wir dem Ziel näher, bestehende Hypothesen zur Schizophrenie mit molekulargenetischen Methoden wissenschaftlich belegen zu können“, beschreibt Nöthen das Besondere dieser weltweiten genetischen Studie. Unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung und Diagnose der Schizophrenie werden die neuen Erkenntnisse wohl nicht haben. Auf dem Weg zu einem besseren Verständnis dieser komplexen Krankheit bedeuten die drei neuen Studien indes einen bemerkenswerten Fortschritt.

Quellen (mit Entschuldigung an die Experten für fehlende Links, da noch nicht in Pubmed gelistet)

  • Jianxin S, et al. Common variants on chromosome 6p22.1 are associated with schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Stefansson H, et al. Common variants conferring risk of schizophrenia. July 1, 2009, Nature
  • Purcell SM, et al. Common polygenic variation contributes to risk of schizophrenia and bipolar disorder. July 1, 2009, Nature
  • Pressemitteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit via idw

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