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Singapur pflegt seine Vergangenheit

Auch in Singapur hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass prall gefüllte Einkaufszentren, Luxushotels und steil aufragende Bürogebäude wenig zum Charme einer Stadt beitragen. Deutliches Zeichen für frisch gewonnene Einsichten ist ein milliardenschwerer Feldzug, mit dem die ethnischen Bezirke des Stadtstaates zu neuem Leben erweckt werden sollen.

Zusammen mit dem privaten Sektor fließen etwa drei Milliarden Mark in die Erhaltung und Renovierung so beliebter Viertel wie Chinatown, Little India, Arab Street und Kampong Glam. Gerade westliche Touristen lassen sich gerne von der Exotik dieser Bezirke verzaubern. Dort in den faszinierenden alten Ladenhäusern nach einheimischen Erzeugnissen zu stöbern vermittelt mehr vom Zauber Asiens, als jede noch so prunkvoll gestaltete Hotellobby.

Die Skyline von Singapur im Jahr 1989 – Gerade noch rechtzeitig hat man begonnen, das Erbe zu bewahren und viele historische Gebäude vor dem Abriss gerettet (© Michael Simm)

Denn die alten Viertel haben sich ihre Eigenheiten bewahrt. In Chinatown etwa wird das Straßenbild geprägt von Händlern, deren Läden mit Haushaltswaren, tropischen Früchten und exotischen Gewürzen überladen sind. Stinkfrüchte (Durians) locken mit ihrem Aroma die Einheimischen – und stoßen die Fremden ab.

Körbe voller getrockneter Pilze, Meeresgetier und anderer Köstlichkeiten lassen die heimische Küche ärmlich und phantasielos erscheinen. Von den Balustraden der zweigeschossigen Häuser hängen Bambuskäfige, in denen Singvögel zwitschern. Kalligraphen verzieren rotes Glückspapier mit Goldbuchstaben oder schreiben Briefe für alte Leute. Auch Apotheken fehlen nicht, in denen Freunden der Naturheilkunde zu jedem denkbaren Wehwehchen der entsprechende Pflanzenextrakt geboten wird, oder auch ein Pülverchen aus den Weichteilen von allerlei Getier.

Diese Idylle wäre in den letzten Jahren beinahe zerstört worden. Das Ministerium für nationale Entwicklung begann bereits in den frühen sechziger Jahren mit einer Stadterneuerung, bei der die Beseitigung der Elendsviertel und die Umgestaltung des Stadtkerns im Mittelpunkt standen. Mittlerweile reihen sich in der City Bürogebäude, Einkaufszentren und Hotels aneinander. Ganze Straßenzüge des alten Chinatown mussten eintönig-farblosen Mietskasernen weichen. Doch damit nicht genug: Auch der Singapur River wurde 1983 „aufgeräumt“, seiner Boote, Frachter und Dschunken beraubt.

Dann begann man umzudenken. Unter der Leitung des Amtes für städtische Erneuerung (URA) richtete sich das Augenmerk zunehmend auf die Erhaltung des historischen Viertels Singapurs. Eine „qualitativ hochwertige Lebens- und Arbeitsumgebung“ wollte man im Stadtkern schaffen. Gleichzeitig war sich die Behörde aber über die Anziehungskraft auf die Touristen klargeworden, die von den alten Bezirken ausgeht. Schließlich erhofft man sich, noch in diesem Jahr eine Besucherzahl von fünf Millionen zu überschreiten.

Im Dezember 1986 wurde dann der „Conservation Master Plan“ angekündigt. Insgesamt sind darin über 100 Hektar des alten Singapurs erfasst, denen ein bedeutender historischer und architektonischer Wert zugeschrieben wird. Damit die Renovierungsarbeiten nicht nur auf den öffentlichen Grundstücken durchgeführt werden, wurden Richtlinien erlassen, die auch die private Beteiligung an dem Projekt regeln.

Im Mittelpunkt der Bemühungen stehen Gebäude aus der Jahrhundertwende ebenso wie viele neoklassizistische Bauwerke aus Singapurs Kolonialzeit. Besonders die chinesischen Ladenhäuser mit ihren ebenerdigen Geschäften und den darüber liegenden Wohnungen sollen mit neuem Leben erfüllt werden. Der manchmal als „Palladio-Chinesisch“ bezeichnete Stil, in dem die wohlhabenden Chinesen ihr Zuhause gestalteten, prägte lange Zeit den Charakter der Stadt. Typisch für diese Bauweise war eine Mixtur aus ornamentgeschmückten Pilastern, Falttüren und venezianischen Fenstern. Die Fassaden waren meist in delikaten Pastelltönen gehalten, die Dächer mit Terrakottaziegeln bedeckt: Später zerfielen die Häuser allmählich, viele wurden von Baggerzahn und Abbruchbirne beiseite geräumt, was übrigblieb, war noch vor kurzem in einem bedauernswerten Zustand.

Doch mittlerweile sind die Renovierungsarbeiten in vollem Gang, erste Ergebnisse sind vorzuweisen. In Tanjong Pagar, einem Teil Chinatowns, beziehen chinesische Händler die ersten schmucken Geschäfts- und Bürohäuser. Neue Restaurants werden eröffnet, wo vor Jahresfrist noch Ruinen standen. Weitere sanierungsbedürftige Gebäude werden an Privatleute verkauft, die den Umbau dann in die eigenen Hände nehmen. Auch die Bugis Street soll wiederauferstehen, allerdings als Nachbau in der benachbarten Victoria Street. Dort, wo sich bis 1985 noch das Nachtleben Singapurs abspielte, steht jetzt nämlich ein Bahnhof der städtischen Metro.

Wie Catherine Quah, stellvertretende Direktorin der Tourismusbehörde, erklärte, waren die Gebäude nicht an die Kanalisation angeschlossen. Es wäre demnach zu teuer gekommen, Bugis Street an Ort und Stelle zu bewahren. Ob auch die „neue“ Bugis Street, die man liebevoll mit vielen Originalteilen rekonstruiert, die Nachteulen der Stadt anlocken kann, wird die Zukunft zeigen müssen. Ein dem Original nachempfundenes Freiluftrestaurant und eine Bühne für Gaukler, Akrobaten und Straßenkünstler beweisen jedenfalls, dass sich die nostalgischen Anwandlungen der URA nicht nur auf historische Monumente beschränken.

Ein solches Monument ist sicherlich das alte Viertel aus der Kolonialzeit. Dort hatte der im viktorianischen Stil gebaute Empress Place mehr als 100 Jahrelang als Gerichts- und Verwaltungssitz gedient. Mit 25 Millionen Mark wurde das Gebäude, das schon leichte Ermüdungserscheinungen gezeigt hatte, wieder herausgeputzt. Seit dem Abschluss der Renovierungsarbeiten im April des vergangenen Jahres werden auf 8000 Quadratmeter Fläche wechselnde Ausstellungen geboten. Damit ist der Empress Place eines der größten Museen in ganz Asien.

Natürlich darf bei all diesem Aufwand auch das Raffles Hotel nicht fehlen. Die „Grand Old Lady“ des Ostens erfährt eine Verjüngungskur die weit über 100 Millionen Mark kosten wird. Derzeit werden alle Zimmer des berühmten Kolonialhotels in Suiten umgebaut, jeweils ausgestattet mit Teakholzböden, traditionellen Deckenventilatoren und all dem Glanz der zwanziger Jahre. Richard Helfer, der Direktor der Hotelgesellschaft, hat eigens eine weltweite Suche nach dem Erbe des Raffles initiiert, um den Architekten und Restauratoren eine möglichst genaue Vorstellung von der vergangenen Pracht zu verschaffen. So dienen nicht nur die Erinnerungen des Schriftstellers Sommerset Maugham sondern auch ein in Austin, Texas, aufgetauchtes Notizbuch aus dem Jahr 1906 der liebevollen Pflege der Nostalgie. Ab Sommer nächsten Jahres können sich dann alte und neue Bewunderer des Raffles vom Erfolg der Arbeiten überzeugen.

(in gekürzter Form erschienen am 14. Februar 1990 im WELT-Report Singapur als Nebenprodukt einer Recherche zum Thema Zahntourismus)

Die sauberste U-Bahn der Welt

Obwohl Singapur nicht einmal drei Millionen Einwohner hat, braucht die Metro des Stadtstaates den Vergleich mit den weltbesten Verkehrssystemen nicht zu scheuen: Mit fast 70 Kilometern ist das Streckennetz des „Mass Rapid Transit“ (MRT) erheblich länger als die gesamte Insel. Während der Stoßzeiten rollen die blitzsauberen Züge im Vierminutentakt, transportieren täglich bald 300 000 Menschen durch dunkle Tunnels oder über hochstelzige Viadukte.

Kein Platz für Schmutzfinken: Rauchen und Essen wird in Singapurs Metro richtig teuer.

Dabei spiegeln sich die Eigenheiten dieser Stadt an den Wänden der Haltestationen: schnell, zuverlässig, sicher und sauber, vor allem sauber geht es hier zu. Rauchen, essen, trinken – alles wird mit einer saftigen Geldstrafe von rund 500 Mark geahndet. Nicht zu übersehen sind die Hinweistafeln, die auf Englisch, Chinesisch, Malaiisch und Tamil davor warnen, auch nur einen Papierschnitzel fallen zu lassen.

Graffiti? – Undenkbar. Nicht einmal gebrauchte Fahrkarten sind auf dem Boden zu sehen. Die Erklärung liegt auf der Hand: Die kleinen, mit einem Magnetcode versehenen Plastikkärtchen werden bei Verlassen der Stationen elektronisch auf ihre Gültigkeit überprüft und verschwinden dann im Bauch der automatischen Wächter. Wenig später tauchen sie in den Ticketautomaten wieder auf, wo die Fahrscheine beim Kauf neu kodiert werden.

Selbst chronisch Orientierungslosen dürfte es in Singapur schwer fallen, den falschen Zug zu besteigen. Zwei sich kreuzende Strecken führen in alle vier Himmelsrichtungen: Blau nach Westen, Grün nach Osten, Gelb nach Norden, Rot nach Süden; so einfach kann Metrofahren sein. Mit 50 Pfennig ist man dabei; auch Strecken über 30 Kilometer Länge kosten wenig mehr als eine Mark. In diesem Preis enthalten ist ein Luxus, den der Besucher nicht ohne weiteres erwartet hätte: Eine Klimaanlage bietet in Haltestationen und Zügen Schutz vor der schwülheißen Witterung der Tropeninsel.

Um unnötige Energieverluste zu vermeiden, sind die Bahnsteige von den Gleisanlagen durch Schiebetüren getrennt. Fährt ein Zug auf einer Haltestation ein, öffnen sich diese Schiebetüren synchron mit denen der weiß-roten Züge. Dann bleiben den Passagieren noch knapp 30 Sekunden, bevor sich die Türen schließen und die Züge wieder mit bis zu 80 Stundenkilometern davonbrausen.

Die aufwendige Konstruktion ist weltweit einmalig und hilft die Energiekosten um die Hälfte zu senken. Ein derart vorbildliches System hat natürlich seinen Preis: Etwa fünf Milliarden Mark wurden investiert, um die Stadt vor dem Verkehrsinfarkt zu retten. Nur noch wenige Stationen fehlen, bis auch der letzte Bauabschnitt in Betrieb gehen kann – genau nach Plan, versteht sich.

(erschienen im WELT-Report Singapur am 14. Februar 1990 als Nebenprodukt einer Recherche-Reise zum Thema Zahntourismus)

Singapur – Facelift für Chinatown

Die asiatische Schweiz, so wird Singapur, der Stadtstaat an der Südspitze der malaysischen Halbinsel, oft genannt. Und in der Tat ging manch einem Asienliebhaber das Streben nach Sauberkeit und Modernisierung in der Vergangenheit zu weit. Ganze Straßenzüge fielen den Abrissbirnen und Spitzhacken der Städteplaner zum Opfer. und mussten – wie im geschäftigen Chinatown – oft eintönig-farblosen Mietskasernen weichen.

Bugis Street, „der berüchtigte Ess- und Anbändelplatz“, wie sich die Touristenbehörde verschämt ausdrückt, wurde von der ultramodernen U-Bahn des Inselstaates verdrängt. Die Liste der Sünden ließe sich fortsetzen.

Chinatown Singapur

Der Lack ist ab: Straßenzug in Chinatown vor der Renovierung (eigenes Bild)

Doch alle, die schon befürchtet hatten, dass Singapurs Charme bald gänzlich von Luxushotels und gigantischen Einkaufszentren ruiniert sei, dürfen aufatmen: Eine Milliarde Mark werden von staatlicher Seite investiert, um die Einzigartigkeit von Chinatown, Little India und Arab Street zu neuem Leben zu erwecken. Dazu soll dann noch ein doppelt so hoher Betrag von privaten Investoren kommen.

„Komm zurück, Bugis Street – alles ist vergessen“ heißt das dann in den Mitteilungen des Tourist Promotion Board. Christopher Carlisle hat, als Angehöriger des britischen Militärs, die wilden Zeiten selbst noch erlebt. Heute berät er die Behörden, sorgt dafür, dass die Terrakottaziegel auf den Dächern, die Pilaster aus flaschengrüner Keramik, die Falttüren und venezianischen Fenster den Originalen gleichen. Bauschutt von benachbarten Häusern birgt noch manches Teil, das hilft, den neuen Gebäuden die Ausstrahlung ihrer Vorläufer zu übertragen.

Die Straßenhändler, die mit ihren transportablen Essständen chinesische, malaysische und indische Gaumenfreuden anboten, werden ebenso wieder eingeladen wie die Künstler jeglicher Couleur, für deren frühmorgendliche Darbietungen auch gleich eine neue Bühne bereitgestellt wird.

Den deutlichsten Beweis für den Willen der Regierung, die alte Atmosphäre neu entstehen zu lassen, hat der Besucher in Tanjong Pagar vor Augen. In diesem Viertel Chinatowns findet er, bedrängt von Hochhauskomplexen, einige der besten Beispiele für die einheimische Vorkriegsarchitektur, leider oft in einem sehr desolaten Zustand: Putz bröckelt von den Fassaden, quadratmeterweise fehlen auf den Dächern die Ziegel. Fensterläden hängen, notdürftig fixiert, in den Öffnungen der Gebäude.

Das soll sich jetzt ändern: unter der Leitung einer eigens für den Zweck gegründeten Behörde wandeln die Ruinen sich zu schmucken Geschäfts- und Wohnhäusern, zu Büros und Restaurants. Mit Strohhüten vor der sengenden Hitze geschützt, leisten die Männer und Frauen auf den Baustellen ganze Arbeit. Oft bleiben nur die Fassaden stehen; neue Decken werden eingezogen, moderne Installationen montiert, auch Gehwege neu angelegt, um die erhofften Besucherströme von dem regen Verkehr abzuschirmen.

Schon sind die ersten Häuser fertiggestellt und warten auf den Einzug der chinesischen Handwerker, die hier neben Idolen für die Tempel der Stadt auch Masken und Puppen, Löwen- und Drachenköpfe schnitzen werden.

Aber erst, wenn außer den Touristen auch die Singvögel in ihren Bambuskäfigen, die Naturheiler mit ihrem Arsenal an geheimnisvollen Pulvern und Extrakten und die Stinkfrüchte (Durians), das Lieblingsobst der Chinesen, wieder eingekehrt sind, wird man wissen, ob das Projekt der Regierung Erfolg gehabt hat.

Bei den Restaurierungsarbeiten darf natürlich das Kolonialhotel Raffles nicht fehlen. Mehr als 100 Millionen Mark wird es kosten, dem Kronjuwel unter Singapurs Attraktionen einen face-lift zu verpassen. Die Zimmer des Hotels, das schon für den Schriftsteller Sommerset Maugham „für all das Märchenhafte des exotischen Ostens“ stand, sollen in 104 Suiten, eingerichtet im Stile der Kolonialzeit, umgewandelt werden. Teakholzböden, vier Meter hohe Decken und die traditionellen Deckenventilatoren sollen den Besucher in die zwanziger Jahre zurückversetzen. Auch Erweiterungen, wie ein dreigeschossiger Ballsaal, sind geplant, denen Hunderte von Möbelstücken aus der Gründerzeit des Hauses ebenso wie Tafelsilber und chinesisches Porzellan zu neuen Ehren kommen werden.

Mitte 1991 wird es dann so weit sein, dass Hotelgäste und Touristen wieder ihren Gin Sling im erweiterten, palmenbestandenen Hotelgarten genießen können.

(erschienen in der WELT am 8. September 1989)

Singapurs Bohrer fühlen deutschen Ärzten auf den Zahn

Bislang galt Singapur lediglich als Durchgangsstation für Fernreisende, als Tummelplatz für den guten und teuren Einkauf. Nun gibt es ein neues Angebot in dem südostasiatischen Stadtstaat: Billigpreise in Praxen und Dentallabors locken immer mehr ,,Medizintouristen“ an.

Die Praxis, in der sich Hans-Peter Schürmann am Ende noch seinen Zahnstein entfernen lässt, unterscheidet sich wenig von deutschen Behandlungszimmern. Mund auf – und schon ertönt das vertraute Schleifgeräusch eines schwäbischen Markenproduktes. Der größte Teil der Ausrüstung, die Dr. Henry Lee Thian Lin hier verwendet, stammt aus der Bundesrepublik. Ungewöhnlich ist aber der Ort der Behandlung: Singapur, der Stadtstaat im Herzen Südostasiens.

Wie viele seiner Kollegen ist Thian Lin guter Hoffnung, dass „Zahntouristen“ aus Deutschland die Dienste der hiesigen Dentisten bald häufiger in Anspruch nehmen werden. Nachdem bei Zahnbehandlungen in der Bundesrepublik seit Anfang des Jahres nur noch maximal 60 Prozent der anfallenden Kosten von der Krankenkasse bezahlt werden, erscheint manchem der Besuch bei ausländischen Zahnärzten als billigere Alternative. Oft sind die Lohn- und Nebenkosten im Vergleich zur Bundesrepublik so niedrig, dass bei größeren Eingriffen auch nach Abzug der Reisekosten noch gespart werden kann. In Kürze sollen daher die ersten Pauschalreisen nach Singapur angeboten werden, bei denen einer zahnmedizinischen Behandlung ein Urlaub in Tropenparadiesen folgen soll.

Singapur hat sich mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern zu einer modernen Metropole entwickelt. Die hohe durchschnittliche Lebenserwartung von 74 Jahren (75 Jahre in der Bundesrepublik) und die niedrige Kindersterblichkeit (etwa 0,9 gegenüber 0,8 Prozent hierzulande) sind Indikatoren für die Qualität des Gesundheitswesens Singapurs, das von vielen Reisenden vor allem als günstige Einkaufsgelegenheit bei einem Zwischenstopp angesehen wird.

Im Gesundheitsministerium gibt Dr. Lim Kheng Ann, Direktor der zahnmedizinischen Abteilung, Auskunft über seine Arbeit. Das Ministerium wacht über die Einhaltung der professionellen und ethischen Richtlinien unter den knapp 700 registrierten Zahnärzten Singapurs. Kheng Ann weist darauf hin, dass Singapur den ärmeren Nachbarn wie Malaysia und Indonesien Hilfestellung bei der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses gibt. Ziel dieser Förderung sei es, durch Wissenstransfer den Standard der gesundheitlichen Versorgung in Südostasien auf das Niveau Singapurs anzuheben. Auch der Welt-Dentalkongress, der hier im nächsten Jahr stattfinden wird, bezeugt, dass Singapur Anschluss an die westlichen Industrienationen gefunden hat.

Die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung ist ebenfalls ausgezeichnet, wie ein Besuch der National University of Singapore verdeutlicht. Auf dem grünbewachsenen Gelände, das große Ähnlichkeit mit einem amerikanischen Campus zeigt, erhalten die meisten der hiesigen Zahnärzte ihre Ausbildung. Die Szenen in den Behandlungsräumen erscheinen vertraut: Vom Kleinkind bis zum Greise gibt es auch in Asien nur wenige, die einen Besuch beim Zahnarzt als angenehm empfinden, Wer aber erwartet, hier seine Klischees über unhygienische Verhältnisse oder altertümliche Behandlungsmethoden bestätigt zu bekommen, erlebt eine angenehme Überraschung: Ob U-Bahn oder Zahnlabor – in Singapur herrscht fast schon sterile Sauberkeit.

Das Ausbildungsniveau an der Universität könne mit den besten deutschen Zahnkliniken konkurrieren, meint Professor Loh Hong Sai, Dekan der Fakultät für Zahnheilkunde. „Singapur bietet einen qualitativ hochwertigen Service zu sehr attraktiven Preisen.“ Etwa ein Drittel ihrer Positionen hält die Fakultät für ausländische Bewerber offen, um einen regen Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

Von der Möglichkeit, in Singapur zu famulieren, machen mehrere deutsche Studenten Gebrauch. Auch sie sind voll des Lobes über die angebotenen Leistungen. Die Universität sei besser ausgestattet als Europas größte Zahnklinik in Münster, sagt Elisabeth Weber, die dort im neunten Semester Zahnmedizin studiert. Ihre Kommilitonin Delia van den Bosch pflichtet ihr bei: Die Vorlesungen fänden in einem sehr kleinen Kreis von nur sechs bis zehn Personen statt und hätten – im Gegensatz zu den Lehrveranstaltungen in der Bundesrepublik – eher Tutoriumscharakter. Knapp 500 Mark zahlen die beiden für ihren achtwöchigen Gastaufenthalt an der Universität.

Die günstigen Rahmenbedingungen wollen sich Frank S. Gerold und Rainer C. Scherer zunutze machen. Die beiden Deutschen haben mit dem „Eurasia Dental Labor“ das größte und modernste Dentalzentrum Südostasiens gegründet. 26 Techniker mit durchschnittlich acht Jahren Berufserfahrung arbeiten hier unter der Leitung des Zahntechnikers Scherer. Konzentriert sitzen sie vor Kauwerkzeugen aller Art, arbeiten mit Pinsel, Spatel und anderem Feingerät, bis das Aufbiss dem strengen Auge Scherers genügt. Die Verständigung läuft in englischer Sprache ab, die hier als kleinster gemeinsamer Nenner von Chinesen, Malaysiern und Indem gleichermaßen beherrscht wird.

Geschäftsführer Gerold rechnet vor, wie die konkurrenzlosen Niedrigpreise zustande kommen, mit denen die Dentaltouristen nach Singapur gelockt werden sollen: Zahntechnikerstunden werden in Singapur mit etwa fünf Mark vergütet. Auch die Gehälter der mehr als 60 singapurischen Vertragszahnärzte, die mit dem Eurasia Dental Labor zusammenarbeiten, liegen erheblich unter denen ihrer deutschen Kollegen. Eine Kooperation mit örtlichen Partnern sichert dem Unternehmen den sogenannten „Pionier-Status“. Im Klartext bedeutet das eine dreijährige Steuerbefreiung.

Etwa 40 deutsche Patienten haben sich hier bereits einen Zahnersatz anfertigen lassen – zu Kosten, die etwa bei einem Drittel dessen liegen, was in der Bundesrepublik zu entrichten wäre. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass die deutschen Krankenkassen (mit Ausnahme der Beihilfe zum öffentlich-rechtlichen Dienst) für eine Behandlung in Nicht-EG-Staaten keinerlei Kosten übernehmen, so rechnet sich der weite Weg nach Südostasien (14 Stunden reine Flugzeit) doch bei größeren Eingriffen.

In Zusammenarbeit mit einem deutschen Reiseunternehmen wollen Gerold und Scherer das Geschäft weiter ausbauen. Der typische Zahntourist soll von September an mit einem kompletten Heil- und Kostenplan – ausgestellt von seinem einheimischen Zahnarzt – die Reise nach Singapur antreten. Im Gruppentarif sind Flug und zehntägiger Aufenthalt in einem Vier-Sterne-Hotel ab 2300 Mark zu haben.

Innerhalb dieses Zeitraums nehmen Vertragszahnärzte wie Dr. Lin einen Gebissabdruck und passen nach erfolgter Laborarbeit den Zahnersatz an. In der Zwischenzeit hat der Patient Gelegenheit, an Ausflugsfahrten teilzunehmen oder die pompösen Einkaufszentren der Millionenstadt zu besuchen. Falls gewünscht, können die Reisenden bei einem Anschlussaufenthalt die kulinarischen Köstlichkeiten Südostasiens mit neuem Biss erproben oder einen entspannenden Badeurlaub an tropischen Stränden verbringen.

Bedenken bezüglich der Nachsorge, wie sie vor allem vom Bundesverband der Deutschen Zahnärzte vorgebracht werden, sollen durch bisher 18 Vertragszahnärzte ausgeräumt werden, die für das Eurasia Dental Labor in der Bundesrepublik arbeiten. Hierbei anfallende Kosten werden von einer Versicherung abgedeckt – auch die ist im Reisepreis inbegriffen.

(erschienen in der WELT am 15. August 1989)