Die asiatische Schweiz, so wird Singapur, der Stadtstaat an der Südspitze der malaysischen Halbinsel, oft genannt. Und in der Tat ging manch einem Asienliebhaber das Streben nach Sauberkeit und Modernisierung in der Vergangenheit zu weit. Ganze Straßenzüge fielen den Abrissbirnen und Spitzhacken der Städteplaner zum Opfer. und mussten – wie im geschäftigen Chinatown – oft eintönig-farblosen Mietskasernen weichen.

Bugis Street, „der berüchtigte Ess- und Anbändelplatz“, wie sich die Touristenbehörde verschämt ausdrückt, wurde von der ultramodernen U-Bahn des Inselstaates verdrängt. Die Liste der Sünden ließe sich fortsetzen.

Chinatown Singapur

Der Lack ist ab: Straßenzug in Chinatown vor der Renovierung (eigenes Bild)

Doch alle, die schon befürchtet hatten, dass Singapurs Charme bald gänzlich von Luxushotels und gigantischen Einkaufszentren ruiniert sei, dürfen aufatmen: Eine Milliarde Mark werden von staatlicher Seite investiert, um die Einzigartigkeit von Chinatown, Little India und Arab Street zu neuem Leben zu erwecken. Dazu soll dann noch ein doppelt so hoher Betrag von privaten Investoren kommen.

„Komm zurück, Bugis Street – alles ist vergessen“ heißt das dann in den Mitteilungen des Tourist Promotion Board. Christopher Carlisle hat, als Angehöriger des britischen Militärs, die wilden Zeiten selbst noch erlebt. Heute berät er die Behörden, sorgt dafür, dass die Terrakottaziegel auf den Dächern, die Pilaster aus flaschengrüner Keramik, die Falttüren und venezianischen Fenster den Originalen gleichen. Bauschutt von benachbarten Häusern birgt noch manches Teil, das hilft, den neuen Gebäuden die Ausstrahlung ihrer Vorläufer zu übertragen.

Die Straßenhändler, die mit ihren transportablen Essständen chinesische, malaysische und indische Gaumenfreuden anboten, werden ebenso wieder eingeladen wie die Künstler jeglicher Couleur, für deren frühmorgendliche Darbietungen auch gleich eine neue Bühne bereitgestellt wird.

Den deutlichsten Beweis für den Willen der Regierung, die alte Atmosphäre neu entstehen zu lassen, hat der Besucher in Tanjong Pagar vor Augen. In diesem Viertel Chinatowns findet er, bedrängt von Hochhauskomplexen, einige der besten Beispiele für die einheimische Vorkriegsarchitektur, leider oft in einem sehr desolaten Zustand: Putz bröckelt von den Fassaden, quadratmeterweise fehlen auf den Dächern die Ziegel. Fensterläden hängen, notdürftig fixiert, in den Öffnungen der Gebäude.

Das soll sich jetzt ändern: unter der Leitung einer eigens für den Zweck gegründeten Behörde wandeln die Ruinen sich zu schmucken Geschäfts- und Wohnhäusern, zu Büros und Restaurants. Mit Strohhüten vor der sengenden Hitze geschützt, leisten die Männer und Frauen auf den Baustellen ganze Arbeit. Oft bleiben nur die Fassaden stehen; neue Decken werden eingezogen, moderne Installationen montiert, auch Gehwege neu angelegt, um die erhofften Besucherströme von dem regen Verkehr abzuschirmen.

Schon sind die ersten Häuser fertiggestellt und warten auf den Einzug der chinesischen Handwerker, die hier neben Idolen für die Tempel der Stadt auch Masken und Puppen, Löwen- und Drachenköpfe schnitzen werden.

Aber erst, wenn außer den Touristen auch die Singvögel in ihren Bambuskäfigen, die Naturheiler mit ihrem Arsenal an geheimnisvollen Pulvern und Extrakten und die Stinkfrüchte (Durians), das Lieblingsobst der Chinesen, wieder eingekehrt sind, wird man wissen, ob das Projekt der Regierung Erfolg gehabt hat.

Bei den Restaurierungsarbeiten darf natürlich das Kolonialhotel Raffles nicht fehlen. Mehr als 100 Millionen Mark wird es kosten, dem Kronjuwel unter Singapurs Attraktionen einen face-lift zu verpassen. Die Zimmer des Hotels, das schon für den Schriftsteller Sommerset Maugham „für all das Märchenhafte des exotischen Ostens“ stand, sollen in 104 Suiten, eingerichtet im Stile der Kolonialzeit, umgewandelt werden. Teakholzböden, vier Meter hohe Decken und die traditionellen Deckenventilatoren sollen den Besucher in die zwanziger Jahre zurückversetzen. Auch Erweiterungen, wie ein dreigeschossiger Ballsaal, sind geplant, denen Hunderte von Möbelstücken aus der Gründerzeit des Hauses ebenso wie Tafelsilber und chinesisches Porzellan zu neuen Ehren kommen werden.

Mitte 1991 wird es dann so weit sein, dass Hotelgäste und Touristen wieder ihren Gin Sling im erweiterten, palmenbestandenen Hotelgarten genießen können.

(erschienen in der WELT am 8. September 1989)