Für viele ist es ein beängstigender Gedanke: „Stell Dir vor, Du machst einen Aids-Test und wartest auf das Ergebnis … “ Über 20 Millionen Mal haben Deutsche bisher den Mut zu diesem Schritt aufgebracht, fast zehntausend von ihnen mußten – zumindest kurzfristig – mit der Diagnose „HIV-Infiziert“ leben.

Die Arbeit einer australischen Forschergruppe hat nun bestätigt, daß die berüchtigten Bluttests in manchen Fällen falsche Ergebnisse liefern. „Wir glauben, daß ein positiver Antikörpertest keinen unwiderleglichen Beweis für eine Infektion mit dem Immunschwächevirus darstellt“, faßte die Biophysikerin Eleni Papadopoulos-Eleopoulos vom Royal Perth Hospital die Studie zusammen, in der etliche der weltweit gebräuchlichen Verfahren unter die Lupe genommen wurden.

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen, zuständig für die Beurteilung der Testmethoden und Impfstoffe bei gefährlichen, ansteckenden Krankheiten, sieht allerdings keine Veranlassung, die in Deutschland zugelassenen Reagenzien vom Markt zu nehmen.

Die Erkenntnisse, welche die australischen Wissenschaftler etwa über die Zuverlässigkeit russischer Testverfahren gewonnen haben, sind nämlich nach Überzeugung von PEI-Präsident Reinhard Kurth nicht auf hiesige Verhältnisse zu übertragen. In der ehemaligen Sowjetunion hatte man noch vor zwei Jahren 30.000 Menschen ausgemacht, deren Immunsystem anscheinend auf die Gegenwart von Aids-Viren mit der Produktion von Antikörpern reagiert hatte. Eine genaue Analyse ergab allerdings, daß nicht einmal jeder Vierhundertste, den man als „HIV-positiv“ eingestuft hatte, auch tatsächlich infiziert war. „Wir haben uns die hausgebastelten Tests der Russen privat besorgt und näher angeschaut. Sie erreichen keinesfalls die Qualität der bei uns zugelassenen Produkte“, versicherte Kurth.

Den Moskauer Kollegen bleibt allerdings keine Wahl. Wie in vielen Teilen der Welt ist man auch in Rußland aus Geldmangel gezwungen, Testsysteme der „ersten Generation“ zu benutzen. Dabei wird in Kauf genommen, daß viele „falsch-Positive“ registriert werden. Denn je empfindlicher ein Test ist, umso geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß ein „falsch-negatives“ Ergebnis ermittelt wird. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn eine verseuchte Blutkonserve nicht erkannt wird. Die Gesundheitspolitiker sind sich weitgehend über die Prioritäten einig: Trotz der psychologischen Belastung für den Einzelnen sind „falsch-Positive“ weniger schlimm als „falsch-Negative“.

Die Empfindlichkeit und Genauigkeit der in Deutschland zugelassenen Testsysteme liegt inzwischen nach Angaben von Kurth bei 99,8 Prozent. Selbst ein milliardstel Gramm an Viruseiweiß läßt sich mit dem ELISA-Test noch erfassen. Allerdings werden nicht die Eiweiße direkt gemessen. Stattdessen muß aus einer Farbreaktion abgelesen werden, ob das Immunsystem des Patienten Antikörper gebildet hat, welche an eines oder mehrere Viruseiweiße binden können.

Unter 10.000 Menschen, die noch nie mit dem Aids-Virus in Kontakt gekommen sind, müssen also immer noch etwa 20 damit rechnen, als „falsch-positiv“ eingestuft zu werden, weil sie Antikörper besitzen, die „fremdgehen“. Möglicherweise hatten diese Personen irgendwann in ihrem Leben Kontakt mit Krankheitserregern, die in ihrer Oberflächenstruktur Teilen des Aidsvirus ähnlich sind.

Da hierzulande etwa jeder zehntausendste Einwohner tatsächlich infiziert ist und auch diese Personen mit 99,8-prozentiger Sicherheit erkannt werden, käme man auf ein groteskes Mißverhältnis von 20 „falsch-Positiven“ gegenüber einem „echt-Positiven“. Deshalb wird in aller Regel vor Bekanntgabe des Resultats ein aufwendiger Bestätigungstest vorgenommen, der sogenannte Western-Blot. Er macht die Größe der vereinheitlichten Viruseiweiße sichtbar; durch Vergleich mit einem Standard läßt sich ein Fehlurteil praktisch ausschließen.

Dennoch können Verwechslungen von Blutproben und andere Mißgeschicke vorkommen. „Ein theoretisches Restrisiko ist nicht ganz auszuschließen“, räumt Kurth ein, auch wenn er den Herstellern von Testsubstanzen bescheinigt, sich außerordentliche Mühe gegeben zu haben. Letztlich liegt dies auch in deren eigenem Interesse, wie Rudolf Koberstein von der Firma Boehringer Mannheim zugibt. „Man kann es sich nicht leisten, einen HIV-Positiven zu übersehen“.

Daß Vertrauen allein nicht ausreicht, beweist jedoch ein Vorfall, der Ende Juli in Frankreich für Schlagzeilen sorgte. Dort wurden neun verschiedene Testsysteme auf Geheiß der Gesundheitsbehörden vom Markt genommen. Drei der Kandidaten hatten vom Paul-Ehrlich-Institut keine Zulassung erhalten, drei weitere waren bereits im Dezember letzten Jahres vom Markt genommen worden, weil sie auf einer „zwischenzeitlich überholten Technologie basierten und ihre Empfindlichkeit nicht mehr akzeptabel war“. Die übrigen drei Verfahren sind in Deutschland erhältlich. Nach Auskunft von Reinhard Kurth entsprechen sie den hiesigen Qualitätsvorschriften.

(erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 19. August 1993)

Quellen:

Papadopulos-Eleopulos E, Turner VF, Papadimitriou JM. Is a positive western blot proof of HIV infection? Biotechnology (N Y). 1993 Jun;11(6):696-707. doi: 10.1038/nbt0693-696