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Politiker misstrauen Gentests

Die Genomanalyse ermöglicht die Früherkennung von Krankheiten. Doch je weiter die menschlichen Gene entschlüsselt werden, desto größer ist auch die Möglichkeit, das neue Wissen zu mißbrauchen. Das ergab eine Studie im Auftrag des Büros der Technikfolgenabschätzung des Bundestages (TAB). Für Forschungspolitiker entsteht daraus die Forderung nach gesetzlichen Regelungen für die Nutzung der Genomanalyse.

Die immer schneller voranschreitende Entschlüsselung des menschlichen Erbmaterials wird nach Meinung der Experten eine ganze Reihe ethischer und rechtlicher Probleme mit sich bringen. Für den Einzelnen werde diese Entwicklung von größerem Einfluß sein als beispielsweise die Entdeckung der Kernspaltung, mußmaßte Professor Karl-Hans Laermann vor der Bonner Wissenschaftspressekonferenz. „Eine freiwillige Selbstbeschränkung reicht deshalb nicht aus – wir streben eine bundesweite Regelung an“, sagte der forschungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Schon heute besteht die Möglichkeit, über 700 verschiedene Krankheiten durch einen Gentest festzustellen. Zum Teil handelt es sich dabei um Krankheiten mit tödlichem Ausgang, für die es noch keinerlei Therapie gibt.

In der TAB-Studie wird nicht nur der Trend erkennbar, die Möglichkeiten der vorgeburtlichen Diagnose immer mehr auszuschöpfen. Es zeichnet sich auch ab, daß unerwünschte Merkmale immer häufiger mit „krank“ gleichgesetzt werden. Edelgard Bulmahn, stellvertretende forschungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, verwies in diesem Zusammenhang auf eine Befragung von Schwangeren, die ergab, daß eine genetische Veranlagung des Embryos zur Fettleibigkeit für 18 % aller Frauen ein Grund zur Abtreibung wäre.

Um derartige Mißbräuche auszuschließen, forderte Frau Bulmahn, pränatale Genomanalysen nur in Ausnahmen zuzulassen, etwa dann, wenn es sich um schwerwiegende Krankheiten handelt, deren Erkennung eine Behandlung vor der Geburt ermöglicht. Ebenfalls erlaubt wäre ein Gentest zur Früherkennung schwerwiegender Krankheiten, die im Kindes-oder Jugendalter auftreten und nicht therapierbar sind. Ein entsprechender Indikationskatalog sollte von der ärztlichen Standesvertretung unter Beteiligung von Patienten-Selbsthilfegruppen erstellt werden, meinte die SPD-Abgeordnete.

Enge Grenzen müssen nach dem Willen aller Beteiligten auch bei den Versicherungsgesellschaften gezogen werden, die ein besonders großes Interesse daran haben, ihr Risiko durch den Ausschluß krankheitsgefährdeter Menschen zu minimieren, was in den USA schon heute der Fall ist. „Die exakte Kenntnis des individuellen Risikos ist mit dem Versicherungsgedanken der Solidargemeinschaft unvereinbar“, erklärte dazu Karl-Hans Laermann. Deshalb dürften genetische Analysen in diesem Zusammenhang nicht gefordert werden. Ob man sich mit diesen Vorstellungen auf EG-Ebene durchsetzen kann, wurde jedoch allgemein bezweifelt.

Am Arbeitsplatz soll eine Analyse des Erbguts nur dann möglich sein, wenn dadurch Risiken für den Arbeitnehmer vermieden werden. Beispiel: Für den Bäckerlehrling wäre es gesundheitsschädigend, wenn er seine Mehlstauballergie nicht rechtzeitig erkennt. Dem Arbeitgeber darf dagegen nach den Vorstellungen der Forschungspolitiker kein Anspruch auf die genetischen Daten seiner Angestellten gewährt werden.

Ergänzt werden soll der Schutz der persönlichen genetischen Daten durch das „Recht auf Wissen“. Demnach wird es dem Einzelnen prinzipiell erlaubt sein, einen Gentest in Anspruch zu nehmen, allerdings nur nach vorheriger Beratung durch einen Fachmann. Fraglich bleibt dann bloß, was ein gesunder junger Mensch macht, wenn er durch einen Test erfährt, daß er mit 40 an einer unheilbaren Krankheit leiden wird. Das ist die Kehrseite des Wissens.

(erschienen in den VDI-Nachrichten am 24. September 1993)

Kommentar: Gentechnik-Verhinderungsgesetz

Das Gentechnikgesetz, das am 1. Juli 1990 in Kraft trat, hat sich nicht bewährt. Nicht, daß irgendein Vorfall bekannt geworden wäre, bei dem wegen laxer Sicherheitsvorkehrungen Menschen zu Schaden gekommen wären. Auf Beispiele dafür, wie genetisch veränderte Organismen tiefgreifende Veränderungen unserer „natürlichen“ Umwelt bewirken können, wartet man ebenfalls seit fast zwanzig Jahren gespannt, aber vergeblich.

Nur gut, daß die greifbaren Resultate dieser Art von angewandter Wissenschaft trotz aller Unkenrufe auch in Deutschland auf Rezept erhältlich sind. Humaninsulin für Diabetiker, Erythropoietin für Dialysepatienten, Interleukin und Interferon für Krebspatienten, TPA für Bluterkranke sind beispielhaft für eine lange Reihe von Wirkstoffen aus gentechnischer Produktion, die zehntausende Menschenleben gerettet und Leid gelindert haben.

Allein: In Deutschland hergestellt werden ganze drei Substanzen. Bei unserem kleinen Nachbarn Dänemark finden wir dagegen sieben große Produktionsstätten, in Japan sind es mehr als 130 und in den USA bald mehr als tausend. Das verwundert, denn abgesehen von rund tausend Laboratorien, in denen hierzulande mit gentechnischen Methoden gearbeitet wird, beherbergt Deutschland auch noch eine Anzahl von Pharma- und Chemieunternehmen, die sich durchaus mit den weltgrößten Konzernen messen können.

Bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung wurde jetzt im Bonner Bundeshaus Bilanz gezogen über die Erfahrungen mit dem Gentechnikgesetz (GTG). Wie der Ausschußvorsitzende, der SPD-Abgeordnete Wolf-Michael Catenhusen, berichtete, sind vom 30. Juli 1990 bis 31. Dezember 1991 insgesamt 510 Anmeldungen und Anträge auf Genehmigung gentechnischer Arbeiten eingereicht worden. 451 Verfahren wurden abgeschlossen, bisher kein einziger Antrag abgelehnt.

Doch die Zahlen täuschen über die Realität hinweg. Catenhusen wies darauf hin, daß es seit Einführung des Gesetzes keine Ereignisse oder Störfälle gegeben habe, die das Ziel des Gesetzes in Frage stellten, Mensch und Umwelt wirksam vor Risiken und Gefahren der Gentechnologie zu schützen. Er verschwieg allerdings, daß dies auch in den siebzehn Jahren der Fall war, die zwischen den ersten „gentechnischen“ Experimenten und der Einführung des GTG liegen.

In den USA ist für Experimente der Sicherheitsstufe 1 keine Dokumentation erforderlich, weil diese Arbeiten per Definition „kein Risiko“ enthalten. Diese Definition gilt auch in Deutschland. Doch auch für die 90 Prozent der Experimente, die hierzulande in diese Klasse fallen, und somit risikofrei sind, müssen jeweils rund hundert Seiten an Formularen ausgefüllt und in sechs- bis elffacher Ausführung an die Behörden geschickt werden. Eine Antwort trifft bestenfalls nach zwei Monaten ein. Manchmal müssen die entnervten Grundlagenforscher sich aber auch ein halbes Jährchen gedulden – in etwa die Dauer einer Diplomarbeit.

Damit nicht genug: Alle Experimente müssen lückenlos dokumentiert werden. Dazu gehört auch das Einfrieren von biologischen Materialien für mindestens zehn Jahre. Für Experimente der Sicherheitsstufe zwei, wie sie in jedem Anfängerseminar üblich sind, müßten Blutproben der Studenten gar über dreißig Jahre bei minus 80 Grad in Spezialkühlschränken mit Alarmanlagen gelagert werden. Die jährlichen Kosten, die ebenso wie die Papierkriege mit den Behörden aus den knappen Forschungsmitteln bestritten werden müssen, belaufen sich etwa für die Tiefkühlaktion im Genzentrum München auf 5000 Mark.

Der Steuerzahler aber darf aufatmen, denn der frustrierte Institutsdirektor Ernst-Ludwig Winnacker hat den Kurs mittlerweile abgesagt. „Das schlimmste ist, daß mir keiner sagen kann, wofür die Blutproben überhaupt gebraucht werden“, klagt Winnacker.

Der Vorgang ist längst kein kurioser Einzelfall mehr. Ob Winnacker und seine Kollegen sich damit trösten lassen, daß das Gentechnikgesetz „zu mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten“ geführt hat (so ein Ergebnis der Anhörung, zu der die Vertreter der Grundlagenforschung gar nicht erst eingeladen wurden), darf bezweifelt werden. Ebenso die Behauptung des Ausschußvorsitzenden, die deutsche Wissenschaft habe ihren hohen Leistungsstand gehalten.

Nur ausländische Forscher und Pharmaunternehmen können über eine Szene lachen, die sich kürzlich in Heidelberg abspielte: Dort saß Hermann Bujard, Direktor des angesehenen Zentrums für Molekulare Biologie (ZMBH) zusammen mit hundertfünfzig weiteren Laborchefs in einem dreitägigen Pflichtseminar zum Thema „Gentechnikgesetz und Sicherheit im Labor“.

Der vielbeschäftige Mann verfügt über dreißig Jahre Berufserfahrung. Als die Versammlung nach vierzig Minuten noch immer nicht über die Definition diverser Fachbegriffe hinausgelangt war, stürmte er aus dem Saal – und riskierte mit der spektakulären Aktion seine Arbeitserlaubnis als Projektleiter.

Die Gängelei durch ein nach seiner Ansicht überflüssiges Gesetz will der zornige Professor nicht länger hinnehmen: „Die Freiheit der Lehre ist eingeschränkt, der Generationenvertrag wird gebrochen, das ganze Gesetz ist im Ansatz falsch. Das schlimmste aber ist, daß die deutschen Wissenschaftler sich das alles gefallen lassen.“ Letztlich ist die Anwendung von gentechnischen Methoden – oder deren Verbot – nicht nur eine Frage von Freiheit für die Forscher oder Profiten für die Wirtschaft. Es geht hier auch um Menschenleben.

(erschienen auf der Meinungsseite in „DIE WELT“ am 14. Februar 1992)