In meinem ersten Beitrag für „Bild der Wissenschaft“ hatte ich jede Menge Platz, um ein ziemlich komplexes Thema ausführlich darzustellen. Hintergrund war die steigende UV-Belastung infolge des Ozonloches und die Frage: „Wie reagieren eigentlich Pflanzen auf die veränderten Bedingungen?“. Die kurze Antwort: Unter starker Sonnenbestrahlung wachsen viele Pflanzen nicht nur schlechter, auch ihre Bestandteile verändern sich. Teilweise extrem: Grüne Bohnen werden unversehens zum Verhütungsmittel.

Die Pflanzenwelt wird überleben, auch wenn die Hälfte des schützenden Ozons über unseren Köpfen verschwinden sollte, da ist sich Prof. Eckard Wellmann vom Biologischen Institut II der Universität Freiburg sicher. Allerdings – ob wir die Pflanzen dann noch essen können, bezweifelt er.

Solche Bedenken hat auch Prof. Manfred Tevini am zweiten Botanischen Institut der Universität Karlsruhe. Beide Wissenschaftler beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit den Auswirkungen verstärkter ultravioletter Strahlung auf Pflanzen. Die größte Rolle spielt dabei das sogenannte kurzwellige UV-Licht – jener Anteil des Sonnenlichts, der Eiweiße und Erbsubstanz aller Lebewesen massiv schädigen könnte, wenn nicht der Ozonschild in zehn bis vierzig Kilometer Höhe davor schützen würde.

Wegen der fortschreitenden Verdünnung der Ozonschicht wird aber der Bruchteil dieser Strahlung, der den Erdboden erreicht, ständig größer. UV-B, mit einer Wellenlänge zwischen 280 und 320 Nanometern, auch als „biologisch aktive“ UV-Strahlung bezeichnet, steht daher im Mittelpunkt der Umwelt-Forschung.

Ob die Schutzmechanismen von Tieren und Pflanzen, die sich im Laufe von etwa drei Milliarden Jahren an die zum Erdboden gelangende Reststrahlung angepaßt haben, auch in Zukunft noch wirken werden, scheint zweifelhaft. Gleichzeitig ist aber noch so wenig über die Bandbreite natürlicher UV-Toleranz bekannt, daß die meisten Wissenschaftler nur hinter vorgehaltener Hand darüber spekulieren, wieviel Prozent Ozonschwund verkraftet werden kann, bevor ganze Ökosysteme zusammenbrechen.

Schon die Messung der auf dem Erdboden ankommenden UV-B-Strahlung mache große Schwierigkeiten. Auf der Tagung „UV-B Monitoring Workshop“ die im März 1992 in Washington stattfand, mußten die versammelten Experten einräumen, daß befriedigende Meßwerte bislang fehlten. „Es gibt die nötigen Meßgeräte nicht, und die Auswirkung von Wolken ist bis heute in keinem Modell berücksichtigt“, formuliert Wellmann das Problem.

Auch exakte Labor-Experimente sind nicht möglich. Das natürliche UV-Licht der Sonne ist – trotz Speziallampen und Filter – noch immer nicht genau simulierbar: Die UV-Strahlung, die uns erreicht, ist das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen Sonnenlicht und Atmosphäre mit ihren verschiedenen Schichten und läßt sich daher nicht exakt nachahmen.

Erschwert wird die Vorhersage auch dadurch, daß nicht alle Pflanzen auf vermehrte UV-Bestrahlung gleich reagieren: Wellmann hat bei seinen Experimenten „riesige Unterschiede in der Empfindlichkeit“ festgestellt.

Von etwa 200 Arten, die Wellmann, Tevini und andere untersucht haben, erwiesen sich etwa 130, darunter Erdbeeren, als UV-B-empfindlich: Sie blieben im Wachstum deutlich hinter unbestrahlten Artgenossen zurück.

Jede dritte Art aber kommt auch mit einer Reduktion der Ozonschicht um vierzig Prozent noch gut zurecht. „Wie hoch die Toleranz der Pflanzen entwickelt ist, sieht man allein schon daran, daß manche in Deutschland heimische Gewächse auch am Äquator gut gedeihen“, sagt Wellmann. Und tropische Gewächse müssen seit jeher mit einer UV-B-Strahlung fertig werden, die fünfmal so stark ist wie in gemäßigten Breiten.

Was aber passiert, wenn die Strahlung in unseren Breiten noch weiter zunimmt? Für Prof. Tevini stellt sich die Frage, ob die UV-Resistenz nicht schon jetzt am Umschlagen ist. Doch er hält die Auslese von UV-resistenten Sorten prinzipiell für möglich. Das ist allerdings aufwendig, kostet viel Geld – und das ist derzeit knapp. Tevini fordert daher ein mit Geldmitteln gut ausgerüstetes Schwerpunktprogramm, um die biologischen Konsequenzen vermehrter UV-B-Strahlung zu erforschen.

Möglicherweise wird man schon in wenigen Jahren gezwungen sein, südliche Sorten, die UV-toleranter sind als einheimische, auch im Norden zu pflanzen. Ein Problem ist, daß nicht nur die Arten, sondern auch die verschiedenen Sorten derselben Art auf UV-Strahlung verschieden reagieren. Außerdem sind die verschiedenen Entwicklungsstadien einer Pflanze mehr oder weniger empfindlich: Mal sind die Keimlinge besser geschützt, mal sind es die fruchttragenden Pflanzen.

Eine der wenigen detaillierten Studien hat Dr. Alan Teramura, Botaniker an der amerikanischen University of Maryland, an Sojabohnen vorgenommen. Von 23 Sorten erwiesen sich 7 als unempfindlich gegenüber erhöhter UV-Strahlung, 2 Sorten brachten sogar höhere Erträge. Mit niedrigerem Trockengewicht, reduziertem Wachstum und verringerter Blattfläche reagierten dagegen14 der 23 Sorten. Die Ernteverluste im Feld betrugen für diese UV-sensitiven Pflanzen bis zu einem Fünftel. Ausgerechnet die ertragreiche Sorte „Essex“, die derzeit von amerikanischen Farmern bevorzugt wird, erwies sich als besonders empfindlich. Die UV-toleranten Sojabohnen vom weniger ertragreichen Typ „Williams“ dagegen wurden in den letzten Jahren immer seltener angebaut.

Sorgen machen sich die Forscher aber weniger um die amerikanische oder europäische Landwirtschaft mit ihren gewaltigen Überschüssen. Für Tevini sind Hungerkatastrophen durch Ernteverluste in den Entwicklungsländern die größte Bedrohung. Vielleicht, so die Hoffnung einer Handvoll Optimisten, lassen sich wichtige Kulturpflanzen eines Tages aber auch mit Hilfe der Gentechnik derart manipulieren, daß die Hungerkatastrophe vermieden werden kann.

Das Interesse an den natürlichen Schutzmechanismen landlebender Pflanzen ist daher mehr als nur Grundlagenforschung. Etwa zwölf Millionen Mark hat das Bundesforschungsministerium seit 1978 bereitgestellt, um die Auswirkung von UV-B-Strahlung auf lebende Organismen zu ergründen – zu wenig, urteilt der Freiburger Biologe Wellmann. Ein geeignetes Schwerpunktprogramm, so schätzen die Experten, würde zehn bis zwanzig Millionen Mark im Jahr kosten.

Die bisherigen Ergebnisse bei Labor-, Treibhaus- und freiwachsenden Pflanzen: Landlebende Pflanzen wehren sich gegen vermehrte UV-Strahlung. Erst werden in der äußersten Zellschicht, der Epidermis, Schutzpigmente gebildet, die zur Gruppe der Flavonoide gehören. Von besonderer Bedeutung sind dabei die farblosen oder gelben Flavone, Pflanzenfarbstoffe, die ultraviolette Strahlung absorbieren und so die empfindlichen Zellbestandteile, einschließlich der Erbsubstanz in Zellkern und Chloroplasten schützen.

In der Natur beginnt die Farbstoffproduktion schon, ehe die Keimlinge den Boden durchstoßen. Wenige Lichtquanten, die in den Boden eindringen, reichen aus, die Flavonoid-Synthese zu starten. Ema dreißig Gene sind daran beteiligt. Auch die zugehörigen Eiweiße sind bekannt. Im Experiment läßt sich die Folge erhöhter UV-Strahlung gut beobachten. Keine halbe Stunde nach Beginn der Bestrahlung bezeugt die Anwesenheit von Boten-RNA die vermehrte Genaktivität. Wieder eine halbe Stunde später finden sich die ersten Eiweiße und nach insgesamt zwei Stunden läuft die Flavonoid-Synthese auf Hochtouren. Offensichtlich wird der gesamte Block von Flavonoid-bildenden Enzymen gleichzeitig angeworfen.

Für die Praxis bedeutet dies, daß die Genmanipulation für die Flavonoid-Synthese viel zu kompliziert und wenig erfolgversprechend ist. Ein einziges Kontrollgen, dessen Aktivität die Bildung von Schutzpigmenten reguliert, wäre den Pflanzenzüchtern lieber gewesen. Durch züchterische Auswahl oder Gentransfer hätte man UV-sensitive Pflanzen dann eher schützend manipulieren können.

Tevini arbeitet zurzeit daran, das Bindeglied zwischen einfallenden UV-Strahlen und vermehrter Flavonoid-Synthese aufzuspüren. Woher „wissen“ die Pflanzen, daß Gefahr droht? Prof. Tevini hat eine vorläufige Antwort: In Roggenkeimlingen isolierte er eine Substanz – Zimtsäure -, die in zwei verschiedenen Spielarten auftritt. Als trans-Zimtsäure hemmt das Molekül mit Hilfe eines komplizierten Kontrollmechanismus die Synthese der Flavonoide. Bestrahlt man die trans-Zimtsäure jedoch mit ultraviolettem Licht, so verwandelt sich das Molekül in cis-Zimtsäure.

Der Clou: die cis-Zimtsäure hebt die Blockade der Flavonoid-Synthese wieder auf, möglicherweise werden sogar einige Gene aktiviert, die an der Bildung des pflanzlichen Schutzschildes mitwirken.

Ob das Prinzip, das Tevini am Roggen untersucht hat, auch bei anderen Pflanzen gilt, ist jedoch keineswegs sicher. Und selbst wenn sich die beobachtete Wechselwirkung zwischen Zimtsäure und UV-Strahlung als ein in der Pflanzenwelt weitverbreitetes Prinzip erweisen sollte, ist damit noch nicht viel gewonnen. Zum einen ist derzeit nicht klar, wo der Schutzmechanismus an seine Grenzen stößt, zum anderen muß das, was für die Pflanze gut ist, für den Menschen noch lange nicht gut sein.

Denn Flavonoide und andere Substanzen, die als Reaktion auf „Umweltstreß“ gebildet werden, können die Inhaltsstoffe einer Pflanze drastisch verändern. So weisen amerikanische Untersuchungen darauf hin, daß die halluzinogenen Wirkstoffe der Cannabis-Pflanze zunehmen und der Proteingehalt bei Sojabohnen drastisch reduziert wird.

Während Basilikum mehr ätherische Öle produziere, was von Vorteil wäre, könnte der Genuß von Bohnen bei erhöhter UV-Strahlung unerwünschte Folgen haben. Denn Bohnen bilden nach UV-Bestrahlung Cumestrol, eine Substanz, die in der Wirkung dem Schwangerschaftshormon Östrogen vergleichbar ist. Die Konzentration von Cumestrol kann so hoch werden, daß der menschliche Hormonhaushalt durcheinandergebracht wird – die Bohne könnte unversehens zum Verhütungsmittel werden.

Die Problematik läßt sich auf einen Nenner bringen: Unsere Ernährungsgewohnheiten haben sich in Jahrtausenden auf die Inhaltsstoffe unserer Kulturpflanzen eingestellt. Wie unser Körper mit den „Sonnen-manipulierten“ Pflanzen umgehen wird, weiß niemand genau zu sagen.

Neben der Bildung von Flavonoiden verfügen die Pflanzen allerdings noch über einen zweiten Schutzmechanismus, der für den Menschen ungefährlich ist. Das Enzym Photolyase kann geschädigte Erbsubstanz reparieren, ohne die Zusammensetzung der Pflanzen zu verändern: Die Photolyase löst Verbindungen zwischen den DNA-Bausteinen, den Thymidin-Dimeren, die als Folge der UV-Strahlung entstehen und für den Tod der getroffenen Zelle verantwortlich sind.

Voraussetzung ist auch hier, daß das solare Trommelfeuer nicht allzu stark wird. Ab einer gewissen Schwelle ist auch die Photolyase nutzlos. Allerdings wären Pflanzen, die größere Mengen Photolyase produzieren, vor vermehrter UV-Strahlung besser geschützt. Bevor die Pflanzengenetiker das verantwortliche Gen verändern können, muß es allerdings erst einmal gefunden werden. Anders als bei den Genen für die Flavonoid-Synthese tappt man hier derzeit noch im Dunkeln.

Die Chancen, daß Züchter und Molekularbiologen noch rechtzeitig Mittel und Wege finden, um die Folgen des Ozonschwundes für die Pflanzenwelt in Grenzen zu halten, sind daher äußerst gering.

(erschienen in „Bild der Wissenschaft“, Februar 1993)

Literatur: