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Streit um Genfood

Von „Genfraß“ und „Frankenfood“ reden die einen, „bessere, gesündere und billigere Lebensmittel“ versprechen die anderen: Nahrung, die zumindest teilweise mit Hilfe gentechnischer Methoden produziert wird, erregt in jedem Fall das Gemüt des deutschen Verbrauchers. Der will, wie Umfragen belegen, lieber naturbelassene Kost. Trotzdem werden die Verpackungen vorerst keinen Hinweis auf die Art der Herstellung tragen, obwohl dank EG-weiter „Harmonisierung“ immer mehr „neuartige Nahrung“ in einheimischen Supermärkten Einzug hält.

Schon heute findet die Gen-Nahrung ihren Weg in deutsche Mägen, still und heimlich, zu Hause und im Urlaub. Besonders Amerika-Reisende haben mit ziemlicher Sicherheit schon einen Vorgeschmack auf künftige Entwicklungen bekommen – freilich, ohne etwas davon zu bemerken. So gilt es als sicher, daß die Gentechniker bei der Herstellung des Süßstoffes Aspartam („Nutrasweet“) ihre Hände im Spiel haben.

Zudem wird fast die Hälfte aller Hartkäsesorten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit Chymosin aus dem Genlabor hergestellt. Das Eiweiß, welches die Reifung des Käses auch in Dänemark, Großbritannien, Portugal und der Schweiz beschleunigen darf, stammt aus Bakterien, denen Forscher ein Rindergen ins Erbgut eingebaut haben. Traditionell wird Chymosin zur Käseherstellung aus dem Labmagen von Kälbern gewonnen, die Substanz ist jedoch identisch mit dem gentechnisch hergestellten Chymosin aus Bakterien.

Während nun Kälberlabferment zu über 90 Prozent aus Verunreinigungen besteht, die letztlich im Käse enden, sind bakterielle Chymosinpräparate vergleichsweise sauber: Sie entfalten zu fast 90 Prozent das gewünschte Eiweiß, dazu einige harmlose Salze aus dem Reinigungsprozeß und einen sehr kleinen Anteil fremder Eiweiße aus den, das Chymosin produzierenden, Mikroorganismen.

Das strenge deutsche Gentechnikgesetz kommt in diesem· Fall nicht zum Tragen, weil es keine speziellen Regelungen für Lebensmittel enthält: Der Gen-Käse enthält zwar einen Stoff – eben das Chymosin -, der aus dem Genlabor stammt, nicht aber lebensfähige genmanipulierte Mikroorganismen.

Wer allerdings in Deutschland gentechnisch hergestellte Hefen und Bakterien zur Produktion von Bier, Brot und Joghurt nutzen will, braucht eine Erlaubnis zum „„Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen“. Während derartige Genehmigungen in Deutschland äußerst zögerlich erteilt werden, sind britische Bäcker und Braumeister bereits am Werk: Für die Bierherstellung wurden Hefen entwickelt, die Light-Biere direkt produzieren, die Reifezeit des Gerstensaftes verkürzen und das Verstopfen der Filteranlagen durch den Abbau pflanzlicher Riesenmoleküle verhindern.

Hin und wieder scheinen die Manager der Lebensmittelindustrie jedoch die Rechnung ohne den Verbraucher zu machen: So entwickelte die kalifornische Firma Calgene eine Tomate, die unter dem Namen „Flavr savr“ (Geschmacksretter) Furore machte. Die Reifung des Nachtschattengewächses ist um längere Zeit verzögert worden, weil die Calgene-Forscher eines von etwa 100000 Tomatengenen gezielt abgeschaltet haben.

Das unter natürlichen Umständen für den Abbau der Tomaten-Zellwände verantwortliche Enzym wird durch diesen Trick nur noch in winzigen Mengen gebildet, die biologische Uhr der Pflanze nach der Reifung praktisch angehalten. Die „Gentomaten“ werden – im Gegensatz zu ihren Artgenossen aus herkömmlicher Zucht – als rote, reife Früchte gepflückt. Den Händlern werden dadurch längere Lagerzeiten ermöglicht.

Ernst-Ludwig Winnacker vom Genzentrum der Universität München zählt zu den wenigen, die bisher das Versprechen auf einen „Geschmack wie von der Staude“ überprüft haben. Ganz hervorragend habe sie geschmeckt, erinnert sich der Professor. Im Gegensatz zu den 40 deutschen Spitzenköchen, die kürzlich – ohne Geschmacksprobe – einen Appell gegen die EG-weite Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel veröffentlichten, vermag Winnacker weder eine Gesundheitsgefährdung noch einen Qualitätsverlust auszumachen.

Aber obwohl alle gesetzlichen Auflagen erfüllt und die Unbedenklichkeit des Verzehrs mehrfach amtlich attestiert wurde, droht die Markteinführung des feuerroten Geschmacksretters. zu scheitern: Die amerikanischen Verbraucher zeigten kein Interesse an den Früchten, und auch ein großer Lebensmittelhersteller wird seine Suppen weiterhin mit herkömmlichen Tomaten zubereiten, obwohl die Firma die Forschungsarbeiten ursprünglich mitfinanziert hatte.

Viel Zeit verbringt Winnacker damit, die Ängste der Deutschen vor der Gentechnik zu entkräften. Eine schleichende Vergiftung durch Gen-Nahrung, wie einige Kritiker sie bereits an die Wand malen, hält er für „Blödsinn“. „In den Mahlzeiten, die wir täglich zu uns nehmen, sind durchschnittlich sieben Gramm Erbsubstanz enthalten“, rechnet Winnacker vor – fremde Gene in Hülle und Fülle also. Im Mund oder spätestens im Magen haben die Gene von Rind und Radieschen, Schwein und Scholle, Krabbe und Kartoffel reichlich Zeit, sich planlos zu durchmischen, ohne daß dadurch eine besondere Gefahr hervorgerufen werde.

Etwas vorsichtiger fällt die Analyse von Klaus-Dieter Jany aus, der sich an der Karlsruher Bundesforschungsanstalt für Ernährung hauptberuflich dem Thema verschrieben hat. Der Professor hält den Einsatz der Gentechnik im Lebensmittelbereich für nicht mehr und nicht weniger riskant als die Anwendung herkömmlicher Verfahren.

Voraussetzung sei allerdings, daß die am Gentransfer beteiligten Organismen und Erbmoleküle ebenso genau bekannt seien wie die Ernährungsgewohnheiten der Verbraucher. Bei verantwortungsvollem Einsatz der Gentechnik sieht Jany die Chance, „erstmals gesundheitliche Risiken von Lebensmitteln zu vermindern und deren Nährwert zu erhöhen.“

Ganz anderer Meinung ist da Beatrix Tappeser vom Öko-Institut Freiburg. „Die Gentechnik sollte im Bereich der Lebensmittel nicht eingesetzt werden“, forderte die Biologin kürzlich in einer Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages. Als Grund für ihre Bedenken zitierte die Kritikerin die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA, die unter anderem allergische Reaktionen auf die neuen Lebensmittel für möglich hält.

Auch sei ungeklärt, inwieweit gentechnisch veränderte Organismen ihre neuen Eigenschaften auf die Darmbakterien des Menschen übertragen können und welche langfristigen Folgen sich daraus ergeben, sagte Frau Tappeser. „Wenn Politik und Wissenschaft sich nicht einigen können, muß zumindest eine Kennzeichnungspflicht her, damit der Verbraucher beim. Einkauf selbst entscheiden kann.“

Für eine Kennzeichnungspflicht plädierte nicht nur die Mehrzahl der bei der Anhörung anwesenden Experten. Auch die Bundesregierung vertritt diesen Standpunkt gegenüber der EG. Bis zum Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens allerdings wird gegessen, was – ungekennzeichnet – auf den Tisch kommt.

(erschienen in der Stuttgarter Zeitung vom 1. Oktober 1993)

Gentechnik für Lebensmittel: sicher oder nicht?

Schon vor 30 Jahren wurde über die Sicherheit gentechnisch veränderter Lebensmittel gestritten. Die Diskussion war wichtig, aber im Gegensatz zu Bio-Sprossen und Bibeleskäs ist bisher niemand an Genfood gestorben. Hier im Rückblick zwei Standpunkte, über die ich damals mit wenigen Tagen Abstand in der Ärzte-Zeitung berichtet habe:

Pro

Gentechnisch modifizierte Lebensmittel sind a priori nicht unsicherer als konventionell hergestellte. Dieser Meinung ist Professor Dr. Klaus Dieter Jany von der Karlsruher Bundesforschungsanstalt für Ernährung.

Im Ernährungsbereich habe die Gewinnung von Hilfs- und Zusatzstoffen mit Hilfe der neuen Technologie das Experimentierstadium bereits hinter sich gelassen. Dasselbe gelte für den Einsatz intakter genmanipulierter Mikroben und Pflanzen. Lediglich bei der Züchtung transgener Tiere sei man noch in der Entwicklung, so der Ernährungsphysiologe auf dem 30. Wissenschaftlichen Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Bonn.

Bio- und Gentechnologie spiegelten die konsequente Fortentwicklung traditioneller Verfahren zum Wohle des Menschen wider. Auch bei der konventionellen Züchtung von Tieren, Pflanzen und Mikroben stehe der Wunsch im Vordergrund, den Organismen neue Eigenschaften zu verleihen. An die Stelle der willkürlichen und zufälligen Erbgutänderungen in der klassischen Zucht trete die gezielte Genverpflanzung. „Die potenziellen Risiken der Gentechnik im Ernährungsbereich sind daher nicht anders zu bewerten als die der konventionellen Zuchtmethoden; die veränderten Nukleinsäuren selbst stellen kein Risikopotential dar.“

Allerdings seien an die Molekularbiologen eine Reihe von Forderungen zu richten, fügte Jany einschränkend hinzu. Dazu gehörten die genaue Kenntnis des Spender- und des Empfängerorganismus sowie der

Übertragungsmethode und anderer biologischer Parameter. Der „Ehrenkodex“ gebiete, daß gentechnisch veränderte Organismen, wie sie etwa in Bier oder Joghurt zum Einsatz kommen· können, keine Antibiotikaresistenzgene mehr enthalten dürften. Hinsichtlich der neuen Produkte müßten schließlich auch die Gebrauchs-, Verbrauchs- und Verkehrsgewohnheiten der Konsumenten im Detail berücksichtigt werden, um zum Beispiel die Entstehung von Allergien zu verhindern.

Contra

Was für Arzneimittel üblich ist, fordert der Allergiker-und Asthmatikerbund (AAB) auch für Nahrungsmittel und Kosmetika: Eine Deklarationspflicht für alle Inhaltsstoffe, deren prozentualen Gehalt sowie zusätzlich die Angabe des Herkunftslandes. Die Realisierung des EG-Binnenmarktes habe dagegen eine weitere Verwässerung des ohnehin schon mangelhaften deutschen Lebensmittelrechtes erbracht, sagte der Vorsitzende der Organisation Professor Martin Schata auf dem 8. Deutschen Allergie- und Asthmatag.

Derzeit leiden etwa 14 Prozent der Bevölkerung an einer Nahrungsmittelallergie. Sie reagieren mit Magen-Darm-Störungen, Migräne, Gelenkschmerzen, Atemnot, Nesselfieber und anderen Symptomen auf den Genuß „ihrer“ Allergene, so Schata. Besonders gefährdet durch eine ungenügende Deklarationspflicht seien dabei diejenigen Allergiker, die bereits auf kleine Mengen Milchproteine oder Zusatzstoffe reagieren.

Schata kritisierte auch die EG-weite Absenkung des Qualitätsmaßstabes auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Es könne zum Beispiel nicht im Sinne der Betroffenen sein, daß Aromastoffe auf dem deutschen Markt zugelassen werden, nur weil sie bereits in anderen EG-Ländern gebraucht werden.

Gefahr droht nach Angaben des Verbands auch von einer veränderten Handhabung der Verkehrssprache. Produkte, die auf den deutschen Markt gelangen, müßten für den Käufer klar – also auch in deutscher Sprache – deklariert werden. „Mit großer Sorge betrachten wir den Einzug der Gentechnik in die Nahrungsmittelproduktion“, so Schata.

Zwar setze man große Hoffnung auf diese Methode, was die Herstellung von Arzneimitteln und die Entwicklung neuer Therapien angehe, in der Lebensmittelproduktion sei die Gentechnik jedoch „völlig überflüssig.“ Erste Untersuchungen in seinem Labor hätten gezeigt, daß gentechnologisch hergestellte Enzyme beim Einsatz in Nahrungsmitteln eine wesentlich erhöhte Allergenität aufwiesen gegenüber naturbelassener Nahrung.

(erschienen am 18. Mai und 29. April 1993 in der Ärzte-Zeitung)