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Saurier aus dem Genlabor

Die Dinosaurier kommen! Wer glaubt, daß die Aufregung um Tyrannosaurus rex und Konsorten nach einer Flut von Büchern und Bausätzen, von Gummitieren und Sonderausstellungen, allmählich ihren Höhepunkt überschritten habe, der wird wohl am 2. September eines Besseren belehrt. Das Datum markiert die Premiere des Spielberg-Films „Jurassic Park“ in deutschen Kinos. Vieles spricht dafür, daß der Reißer um die gentechnische „Wiederbelebung“ der vor 65 Millionen Jahren ausgestorbenen Dinosaurier zum größten Kassenschlager aller Zeiten wird.

Jurassic Park ist aber mehr als nur ein technisch brillant gemachter Horrorfilm. Die Science-Fiction-Story verarbeitet vielmehr topaktuelle wissenschaftliche Entwicklungen, deren mögliche Konsequenzen dann allerdings in den grellsten Farben ausgemalt werden: Mit gentechnischen Methoden gelingt es, so die Geschichte, an das Erbmaterial verschiedener Dinosaurier heranzukommen. Statt wie herkömmliche Paläontologen nach versteinerten Knochen zu graben, kam man nämlich bei der Firma InGen auf die Idee, in Bernstein – dem fossilen Harz vorgeschichtlicher Bäume – nach eingeschlossenen Insekten zu untersuchen. Die Hoffnung, dabei vereinzelt Tiere zu erwischen, die kurz nach einer Blutmahlzeit bei einem Dinosaurier konserviert wurden, bewahrheitet sich. Im Insektendarm finden sich unverdaute Blutzellen der ausgestorbenen Echsen und im Kern dieser Blutzellen mehr oder weniger gut konservierte Bruchstücke des gesuchten Erbmaterials – der Dinosaurier-DNA.

Hirngespinste sind das keineswegs: Erst im Juni berichteten Wissenschaftler in der britischen Fachzeitschrift Nature von einer spektakulären Entdeckung. Raúl J. Cano und seinen Kollegen war es an der Polytechnischen Universität San Luis Obispo in Kalifornien gelungen, einzelne Gene aus einem Rüsselkäfer zu isolieren, der vor 120 Millionen Jahren in Bernstein eingeschlossen worden war. Damals – in der Kreidezeit – hatten die Kontinente sich gerade erst voneinander gelöst, die Dinosaurier erreichten ihre größte Artenvielfalt.

Allerdings suchten und fanden die amerikanischen Forscher in ihrem Bernstein nur Erbsubstanz des Käfers, die sie dann zu Vergleichen mit noch lebenden Verwandten des Insektes benutzten. Cano betont, daß Saurier-Gene bisher noch niemals gefunden wurden. Und David Grimaldi, der am New Yorker Museum für Naturkunde über die weltweit größte Sammlung von in Bernstein eingeschlossenen Insekten wacht, ist ebenfalls skeptisch. Obwohl schon etwa 10000 im fossilen Harz konservierte Krabbeltiere untersucht wurden, fand sich bisher noch keine Spur von Saurierblut. „Wenn man allerdings genug Material untersucht, wird man irgendwann einmal fündig werden“, glaubt der Paläontologe.

Das Wettrennen um die ersten Saurier-Gene ist jedenfalls schon in vollem Gange. Mit von der Partie ist auch George Poinar von der kalifornischen Berkeley-Universität, der schon 1982 den Vorschlag gemacht hatte, im Bernstein nach Saurier-DNA zu suchen. Doch zwischen dem Aufspüren vereinzelter Gene und der Rekonstruktion eines kompletten Tieres liegen Welten: Cano und seine Mitarbeiter untersuchten zwei Fragmente, die aus insgesamt 550 Bausteinen zusammengesetzt waren. Im Vergleich dazu ist das komplette Erbmaterial eines Reptils etwa sechs Millionen Mal so lang.

Russel Higuchi, ein Angestellter der kalifornischen Gentechnik-Firma Cetus, der sich jahrelang mit der Analyse von Mammut-DNA beschäftigte, fand einen anschaulich Vergleich für die Schwierigkeiten beim Lösen derartiger „Mammut-Puzzles“: Es wäre, als ob man eine große Enzyklopädie finden würden, geschrieben in einer kaum verständlichen Sprache und zerrissen in viele Fetzen, sagte er gegenüber der Zeitschrift Science. Die Aufgabe der Forscher bestünde darin, die Teile zusammenzusetzten, ohne die Hände zu benutzen.

Im Film ist dagegen alles vergleichsweise einfach: Mit Hilfe leistungsfähiger Computer und begabter Gentechnologen werden die Bruchstücke der reichlich vorhandenen Saurier-DNA zusammengefügt, verbleibende Lücken kurzerhand mit der Erbsubstanz von Fröschen gestopft. Zwar werden auch heute schon kurze Gene im Labor künstlich hergestellt und anschließend verknüpft. Die Obergrenze für derartige Experimente liegt allerdings derzeit bei etwa 5000 Basenpaaren, was allenfalls für die einfachsten Viren ausreicht.

Schließlich kommt im Kino auch noch eine Variante der Reagenzglasbefruchtung ins Spiel: Die komplettierten DNA-Stränge werden in unbefruchtete Eizellen von Krokodilen eingesetzt, die Eier anschließend bis zum Schlüpfen der Baby-Saurier bebrütet. Auch hier gibt es durchaus Parallelen zu aktuellen Entwicklungen, etwa in der Landwirtschaft. Allerdings fügt man dort meist einzelne Gene zu einer befruchteten Eizelle hinzu, die in der Regel der gleichen Tierart entstammt wie das Spendergen.

Während zeitgenössische Züchter sich nach gelungenem Eingriff an „Hochleistungsrindern“ mit extremer Milchleistung oder an übergroßen Karpfen erfreuen, bringt der kleine Trupp brillanter Biologen, Computerexperten und Mathematiker in „Jurassic Park“ gleich fünfzehn verschiedene Saurierarten zur Welt. Michael Crichton, der Autor des Bestsellers, auf dem der Film basiert, darf zufrieden sein. Regisseur Steven Spielberg hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um die Leinwand mit ganzen Herden von friedlichen Hadrosauriern, gemeinen Velociraptoren, hörnerbewehrten Triceratops und unaussprechlichen Procompsognathiden zu bevölkern.

Der Beratung durch den anerkannten Saurierexperten Jack Horner – er ist im Film unschwer in der Figur des Allen Grant zu erkennen – ist es zu verdanken, daß auch die neuesten wissenschaftlichen Entdeckungen berücksichtigt wurden. So wie die Paläontologen selbst ihre Vorstellungen vom Leben und Sterben der Dinosaurier in jüngster Zeit korrigieren mußten, lernen auch die Kinobesucher dazu. Statt trägen und vor allem dummen Kolossen begegnen die Darsteller äußerst wendigen, lernfähigen und damit auch gefährlichen Tieren. Als die Sicherungssysteme in der als Vergnügungspark geplanten Anlage ihren Dienst versagen, ist die Katastrophe daher vorprogrammiert…

(erschienen in der Stuttgarter Zeitung am 28. August 1993)

Quellen und weitere Infos:

  1. Cano RJ, Poinar HN, Pieniazek NJ, Acra A, Poinar GO Jr. Amplification and sequencing of DNA from a 120-135-million-year-old weevil. Nature. 1993 Jun 10;363(6429):536-8.
  2. Jurassic Park – der Film und seine Fortsetzungen als DVD und Blue-Ray bei Amazon
  3. DinoPark, von Michael Crighton, verschiedene Ausgaben bei Amazon
  4. Dinosaurier, von David Norman. Einer der bekanntesten Dinosaurierexperten beschreibt nicht nur Entwicklung und Lebensweise der „schrecklichen Echsen“. Der Leser wird auch herangeführt an die aktuellen wissenschaftlichen Fragestellungen und bekommt einen Einblick in die mühsame Geschichte der Saurierforschung. Unter der Vielzahl von Büchern zu diesem Thema glänzt dieses durch die fundierte Darstellung und die einzigartigen Illustrationen.

Größter Saurier-Schädel gefunden

Den größten Dinosaurierschädel, der jemals gefunden wurde, hat der amerikanische Student Tom Evans im texanischen Big Bend National Park entdeckt. Der 80 Millionen Jahre alte, gehörnte Schädel eines Chasmosaurus ist fast 180 Zentimeter lang und vollständig erhalten. Der Chasmosaurus brachte vermutlich ein Gewicht von fünf Tonnen auf die Waage und erreichte eine Länge von zehn Metern. Bemerkenswerterweise bestand Evans Vorbildung nur aus einem elfwöchigen Kurs der Paläontologie an der Universität Chicago. Die Entdeckung des Saurierschädels gleich am ersten Tag einer Exkursion wurde von Evans Professor, Paul Sereno, als „Jahrhundertfund“ beschrieben. Sereno selbst hatte bereits vor drei Jahren in Argentinien den bisher ältesten Dinosaurier überhaupt ausgegraben, den 230 Millionen Jahre alten Herrerasaurus. (Aus „Science“, Band 252, S. 207).

(erschienen in „DIE WELT“ am 13. Juli 1991)

Was wurde daraus? Offenbar wurde der Fund nach genauerer Inspektion einer anderen Gattung zugeordnet und steht nun als Agujaceratops mariscalensis in den Lehrbüchern. Inzwischen wurden wohl größere Schädel gefunden, doch meine oberflächliche Recherche konnte keinen eindeutigen Rekordhalter ermitteln. Zwei Kandidaten sind ein Triceratops und der mit ihm verwandte Torosaurus.