Am Wochenende trat eine veränderte Vorschrift über den Jodgehalt von Speisesalz in Kraft. Die Erlaubnis, Jodsalz auch in industriell gefertigten Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsverpflegung einzusetzen, schafft die Grundlage, den Kropf nun auch in der Bundesrepublik wirkungsvoll zu bekämpfen.
Endlich sind Vorschläge des Arbeitskreises Jodmangel berücksichtigt worden: Die Änderung der Verordnung über jodiertes Speisesalz schafft jetzt die Voraussetzungen, den Anteil des lebenswichtigen Spurenstoffes Jod in der Nahrung zu erhöhen. Aufgrund dieser Maßnahme erwarten die Mediziner, dass der hohe Anteil an Jodmangelkrankheiten – Vergrößerung und Funktionsstörungen der Schilddrüse – langfristig zurückgedrängt werden kann.
Obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Aufnahme von täglich mindestens 150 Mikrogramm (millionstel Gramm) Jod empfiehlt, liegt die durchschnittliche Menge, die Erwachsene im Bundesgebiet zu sich nehmen nur bei etwa 70-80 Mikrogramm am Tag. Die Folge dieser Unterversorgung wird im europäischen Vergleich sichtbar: Die Bundesrepublik weißt unter ihren Nachbarländern die bei weitem höchste Kropfbildungsrate auf.
Sechs bis acht Millionen Menschen leiden hierzulande an dieser krankhaften Vergrößerung der Schilddrüse. 80000 Operation pro Jahr als direkte Folge des Jodmangels bilden im internationalen Vergleich die einsame Spitze, wie Professor Peter Scriba vom Arbeitskreis Jodmangel gestern in Bonn mitteilte. Die Kosten in Höhe von fast einer Milliarde Mark, die jährlich durch Diagnose und Behandlung der jodbedingten Mangelkrankheiten entstehen, wären allein durch die Beseitigung des Joddefizits in der Bevölkerung zu vermeiden.
Durch die neue „Verordnung über jodiertes Speisesalz“ des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) wird nun die Voraussetzung geschaffen, diesen Nährstoffmangel auf breiter Basis zu beheben. Der Einsatz von Jod bei der industriellen Herstellung von Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsverpflegung – zum Beispiel Kantinen, Bundeswehr, Altersheime – war bisher nicht erlaubt. Hierzulande hatte man die Verwendung von Jodsalz immer sehr restriktiv gehandhabt: War jodiertes Kochsalz im Nachbarland Schweiz die Regel, so wurde es in der Bundesrepublik nur in Ausnahmefallen benutzt.
Vor acht Jahren ermöglichte der Gesetzgeber dann Jodkonzentrationen von 20 Milligramm pro Kilogramm Kochsalz. Die freiwillige Verwendung des Speisesalzes mit Jodzusatz im privaten Haushalt brachte jedoch nicht den gewünschten Effekt.
Da die Verwendung von Jodsalz die betreffenden Lebensmittel automatisch unter die Diätverordnung fallen ließ, waren mit der industriellen Herstellung und der Verwendung in Großküchen besondere Auflagen verbunden. Das Jodsalz wurde deswegen bei der Produktion von Lebensmitteln und Fertiggerichten praktisch nicht verwendet. Der Anteil an gewerblich vorgefertigten Lebensmitteln und Fertiggerichten liegt aber bei etwa 80 Prozent der Gesamtnahrungsaufnahme – der Verbrauch an jodiertem Speisesalz im Privathaushalt ist dagegen nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“.
Der Arbeitskreis Jodmangel, der sich aus Medizinern, Ernährungswissenschaftlern und Lebensmittelchemikern zusammensetzt, erhofft sich nun einen Rückgang der Kropfhäufigkeit auf unter drei Prozent. Wie der Sprecher der Vereinigung, Professor Dieter Hötzel betonte, sei ein gesundheitliches Risiko durch die Jodsalzprophylaxe nicht zu erwarten, da mit den neuen Maßnahmen nur ein Mangel an einem Spurenelement ausgeglichen wird, das uns die Natur nicht in ausreichenden Mengen bereitstellt.
(erschienen in der WELT am 27. Juni 1989)
Was ist daraus geworden? Offenbar hat die neue Verordnung ihren Zweck erfüllt. Die Jodversorgung der deutschen Bevölkerung ist von damals durchschnittlich 70 – 80 Mikrogramm auf etwa 110 – 120 Mikrogramm im Jahr 2003 gestiegen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Damit liegt man nun im mittleren unteren Bereich der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geforderten Zufuhr. Auch der Arbeitskreis Jodmangel bestätigt, dass Deutschland kein Jodmangelgebiet mehr ist. Dennoch sei die Versorgung nicht optimal, auch weil viele Herzpatienten ermahnt werden, ihre Salzzufuhr zu drosseln. Das neue Motto des Arbeitskreises lautet deshalb: „Wenn Salz, dann Jodsalz“.