Die umstrittene Misteltherapie zur Behandlung von Krebsleiden soll jetzt erstmalig in Deutschland in einer multizentrischen Studie auf ihre klinische Relevanz hin überprüft werden. Im Gegensatz zu früheren Untersuchungen ist diese wissenschaftliche Untersuchung Placebo-kontrolliert und teilweise auch doppelblind angelegt.

Etwa 300 bis 400 Patienten mit Tumoren im Rachen- und Mundbereich nehmen an der Untersuchung teil, die an den Universitätskliniken Regensburg, München und Heidelberg stattfindet. Ziel ist es, die Auswirkungen einer adjuvanten Gabe des immunaktiven Agens Mistellektin 1 (ML-1) auf die Überlebensrate bei HNO-Karzinomen zu erfassen.

Dr. Josef Beuth, geschäftsführender Oberarzt am Institut für medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität Köln, berichtete auf einer Veranstaltung des Bonner Tumorzentrums über seine bisherigen Erfahrungen zur immunstimulierenden Wirkung des Glykoproteins. Dabei machte Beuth klar, daß er die Misteltherapie keineswegs als Ersatz für etablierte Behandlungsmethoden ansieht. „Ein Tumor, der operiert werden kann, sollte operiert werden. Für eine Anzahl relativ seltener Tumoren ist die Anwendung von Strahlen- und Chemotherapie jedoch sehr fraglich. Eine Lebensverlängerung ist kaum statistisch signifikant, die Verschlechterung der Lebensqualität dagegen ganz erheblich.“

Für viele Patienten sei die Gabe von ML-1 daher als adjuvante Tumortherapie mit nur geringen Nebenwirkungen zu empfehlen. Dies gelte allerdings nur für Präparate, bei denen die Konzentration von ML-1 standardisiert wurde. Je nach Erntezeit, Ort und Wirtspflanze kann der ML-1-Gehalt von Misteln nämlich erheblichen Schwankungen unterworfen sein. Für die Therapie von Tumorpatienten wurde von Beuth und seinen Mitarbeitern als optimale Konzentration von einem Nanogramm ML-1 pro Kilogramm Körpergewicht ermittelt. In diesem Bereich sei die Stimulation des Immunsystems am größten. Die Gefahr von nicht-standardisierten Präparaten sieht Beuth in der immunsuppressiven Wirkung des Mistellektins bei Konzentrationen von über 10 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht.

Gegenwärtig befindet sich nur ein Präparat mit definiertem Gehalt an Mistellektin 1 auf dem Markt (Eurixor). Es wird zur Palliativtherapie bei malignen Tumoren eingesetzt und von den Krankenkassen bezahlt. Gesicherte Daten zur kurativen Wirkung von ML-1 liegen bisher für den Menschen aber nicht vor.

Im Tierversuch konnte bei Mäusen durch wöchentlich zwei- bis viermalige subkutane Injektion ein Gewichtszuwachs der Milz um rund 60 Prozent erreicht werden. In der Kölner Universitätsklinik gelang es, ebenfalls im Tierversuch, mit Mistellektin die Zahl der Lungen- und Lebermetastasen von bereits etablierten Tumoren auf ein Drittel beziehungsweise auf ein Fünftel im Vergleich zu unbehandelten Mäusen zu reduzieren. „Dies zeigt, daß man eine gute immunstimulierende Wirkung erreichen kann“, so Beuth.

An gesunden Probanden konnte Beuth zeigen, daß ML-1 die Produktion der „guten“ -Zytokine IL-1 alpha, IL-2, TNF-alpha und IFN-gamma, nicht dagegen die „problematischen“ Wachstumsfaktoren IL-6 und GM-CSF anregt.

In einer anderen klinischen Studie, die allerdings nur an einer kleinen Anzahl von Patienten ohne Placebo-Kontrolle stattfand, konnte eine statistisch signifikante Steigerung der Zahl an NK-Zellen, CD25-Zellen und Leu4/DR-Zellen nachgewiesen werden, die mehrere Wochen nach Beendigung der Therapie noch anhielt. Ein Test von fünf Tumorzellinien ergab hingegen keine Hinweise auf proliferative Effekte des ML-1 bei diesen Zellen.

Die vielversprechenden Laborergebnisse sollen jetzt auf ihre klinische Relevanz hin überprüft werden. Seit 18 Monaten läuft an der Universitätsklinik Köln eine Studie an mittlerweile 250 Patienten, vorwiegend mit Mammakarzinom. Ausgewertet wird hierbei in erster Linie der Immunstatus der Patienten. Im Gegensatz dazu soll bei der jetzt angelaufenen multizentrischen Mistellektin 1-Studie im süddeutschen Raum jedoch die Erfassung der klinischen Parameter im Vordergrund stehen. Beuth rechnet allerdings mit einer drei- bis fünfjährigen Wartefrist, bis erste Ergebnisse vorliegen werden.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 18. Januar 1993)

Was wurde daraus? Die Studie an der Uni Köln unter Leitung von Beuth wurde 1995 publiziert und berichtet, dass sich bei den 20 Patienten vermehrt „Anti-Tumorzellen“ gebildet hätten und das Immunsystem stimuliert worden sei. Ob die Patientinnen deshalb länger gelebt haben, ist aber unklar. Wesentlich ausssagekräftiger ist die erwähnte Studie zu Tumoren im Rachen- und Mundbereich, bei der insgesamt 477 Patienten behandelt wurden. Veröffentlicht wurde das Ergebnis erst im Jahr 2001. Leider haben Patienten mit Mistelextrakt nicht länger überlebt als ohne, und es gab auch keine deutlichen Veränderungen bei den Immunreaktionen oder in der Lebensqualität.