Antiarrhythmika, eine recht heterogene Gruppe von Arzneimitteln, werden nach Vaughan Williams anhand ihrer Wirkungsmechanismen in vier Klassen eingeteilt. Doch wie hilfreich ist diese Einteilung für eine Vorhersage der gefürchteten proarrhythmischen Nebenwirkungen? Neue Erkenntnisse, die auf einer Veranstaltung der Knoll AG Ludwigshafen Ende Mai in Freiburg präsentiert wurden, stellen zumindest die gebräuchliche Subklassifizierung der Klasse I-Antiarrhythmika (Natriumantagonisten) in Frage. Diese Einteilung erfolgte aufgrund von In-Vitro-Versuchen an Herzmuskelfasern, woraus sich unscharfe Unterteilungskriterien ergaben. Besonders zwischen den Subklassen IA und I C gehen die Effekte fließend ineinander über.

Prof. Dr. H. Antoni und Dr. J. Weirich vom Physiologischen Institut der Universität Freiburg gelang es nun, einen Zusammenhang zwischen Wirkungsmechanismus und prospektiven Nebenwirkungen zu finden. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Bindung von zwölf Substanzen der Klasse I am Natriumkanal. Diese Natriumkanäle durchlaufen bei der Erregung verschiedene Zustände und werden durch die Bindung eines Klasse-I-Antiarrhythmikums in einen nicht-leitenden Zustand versetzt. In Abhängigkeit von der Frequenz kommt es zu einer periodischen Bindung und Ablösung.

Die Sättigungs-Charakteristik dieser Reaktion führt zur Unterteilung der Klasse-I-Antiarrhythmika in drei distinkte Gruppen:

  • Gruppe I (Lidocain, Mexiletin und Tocainid) zeigt schnelle Blockierung und Deblockierung der Natriumkanäle sowie eine späte Sättigung;
  • Gruppe II (Encainid, Flecainid, Lorcainid, Chinidin und Procainamid), ebenfalls mit später Sättigung, aber mit langsamer Blockierung und Deblockierung;
  • Gruppe III (Disopyramid, Ethmocin, Nicainoprol, Prajmalin und Propafenon) mit noch relativ schneller Blockierung bei langsamer Deblockierung. Diese Gruppe zeigt eine frühe Sättigung.

Antoni betonte, Ziel der Arbeit sei nicht eine neue Klassifizierung gewesen, doch entspreche die neue Einteilung besser praktischen Belangen. Wichtig für die Praxis ist vor allem, wie sich eine rasche Frequenzerhöhung nach Gabe einer therapeutischen Dosis dieser Substanzen auswirkt.

Die Gefahr einer zu starken Hemmung bei länger andauerndem Frequenzanstieg (zum Beispiel Belastungstachykardie) ist diesen Überlegungen zufolge nämlich nur bei Substanzen der Gruppe II gegeben. Die langsam einsetzende Blockierungszunahme führt zu einer Sättigung erst nach etwa 20 Herzschlägen. Substanzen der Gruppe I erreichen diesen Zustand aufgrund ihrer schnellen Reaktionskinetik schon nach ein bis zwei Herzschlägen. Wirkstoffe der Gruppe drei zeigen bereits am unteren Ende der physiologisch relevanten Stimulationsfrequenz von ein bis drei Hertz eine ausreichende Blockade.

Legt man die Annahme zugrunde, dass eine 33-prozentige Blockade der Natriumkanäle zur vollständigen Unterdrückung von eng gekoppelten Extrasystolen ausreicht, so erfordert dies eine vergleichsweise höhere Dosierung der Gruppe-II-Substanzen. Bei erhöhter Belastung (Tachykardie) führt die Sättigungs-Charakteristik dieser Gruppe dann zu einer stärkeren Hemmung, die arrhythmogen wirken könne, so Weirich. Im Gegensatz zu Gruppe II seien Substanzen der Gruppen I und III durch ein Langzeit-EKG problemlos einzustellen, erklärte Dr. G. Schmidt von der Medizinischen Klinik der TU München.

Interessanterweise gelang es Dr. R. Myerburg und Mitarbeitern von der Kardiologischen Abteilung der Universität Miami an einem kleinen Patientenkollektiv, den proarrhythmetischen Effekt von Flecainid und Encainid (Gruppe II) durch ß-adrenerge Blockade mittels Propanolol zu unterdrücken. Diese Beobachtung legt einen möglichen autonomen Mechanismus für proarrhythmetische Effekte mancher Substanzen der (Vaughan Williams) Klasse IC nahe.

In einer Untersuchung an isolierten Kaninchenherzen gingen Dr. S. Dhein vom Institut für Pharmakologie der Universität Köln und seine Mitarbeiter der Frage nach, ob einige Substanzen der Klasse IC das epikardiale Aktivierungsmuster unter Normalbedingungen beeinflussen können. Wichtigste Messparameter waren die Orte der ersten Erregung an der Herzoberfläche (Break-through points), das heißt die Vektoren des epikardialen Erregungsablaufes im Vergleich zur vorhergehenden Erregung. Für Flecainid, nicht aber für Propafenon und Lidocain wurde dabei eine heterogene Ausbreitung des epikardialen Erregungsablaufes beobachtet. Bei niedriger extrazellulärer Kaliumkonzentration und hoher therapeutischer Dosis wurde bei dieser Substanz auch das Auftreten von Arrhythmien beobachtet.

Die diversen Effekte vieler Antiarrhythmika und deren Auswirkungen auf die Behandlungsstrategie bildeten auch in Hamburg einen Diskussionsschwerpunkt, wo Ende Juni ein ebenfalls vom Pharmaunternehmen Knoll AG veranstalteter Workshop mit Prof. Ph. Coumel vom Pariser Hôpital Lariboisière stattfand.

Coumel machte klar, dass es derzeit kein Arzneimittel und keine Behandlungsform gibt, um alle Probleme zu lösen. Niemals dürfe man vergessen, dass Arrhythmien kein unabhängiger Faktor seien, sagte Coumel, und verwies auf eine besonders enge Wechselwirkung mit der Hämodynamik.

Beobachtungen an Patienten, die allesamt während der ambulanten Überwachung einem Sekundenherztod erlagen, führten zur Einteilung in zwei distinkte Gruppen: Eine starke Steigerung der Herzfrequenz vor dem Todeseintritt in der einen Gruppe wurde auf eine bestimmende adrenerge Stimulation zurückgeführt.

In der zweiten Gruppe schienen elektrophysiologische Phänomene verantwortlich zu sein, eine Beschleunigung des Herzschlages wurde nicht beobachtet. Anhand der Reaktionen auf eine medikamentöse Behandlung lassen sich nun Hinweise auf den zugrunde liegenden Mechanismus einer Arrhythmie gewinnen. Leider werde immer wieder der Fehler gemacht, diese wertvollen Informationen zu ignorieren. Elektrophysiologische Phänomene, so Coumel, ließen sich mit moderaten Dosen „reiner“ Antiarrhythmika problemlos beherrschen. Ist dagegen das autonome Nervensystem wichtigster Parameter einer Arrhythmie, werde diese Behandlungsstrategie erfolglos sein. Der Umkehrschluss gelte demnach für Beta- Rezeptoren-Blocker.

Kritisch werde eine Behandlung vor allem dann, wenn man gezwungen sei, eine anfänglich unbefriedigende Reaktion des Patienten durch Erhöhung der Dosis zu verbessern. In der klinischen Situation begegne man meist einer Mischung aus elektrophysiologischen Phänomenen und deren Modulation durch das autonome Nervensystem. Wegen der Unmöglichkeit, diese komplexe Situation exakt einzuschätzen, müsse man komplex wirksame Medikamente wie Amiodaron und Propafenon verabreichen.

(erweiterte Fassung meines Textes im Deutschen Ärzteblatt vom 27. August 1990, ergänzt am 19. März 2017)

Quelle: Workshops der Knoll AG in Freiburg am 23. Mai 1990 und Hamburg, Juni 1990.

Originalliteratur:

Was ist daraus geworden? Ein Wikipedia-Artikel fasst den Stand der Dinge schön zusammen. Verkürzt gesagt gilt die alte Einteilung demnach als problematisch, eine bessere hat man aber noch nicht gefunden. Und wenn Sie bei diesem Artikel nur Bahnhof verstanden haben, kann ich Sie trösten: Mir ging es bei den Workshops damals genau so, und ich musste tagelang nacharbeiten, um den Artikel erstellen zu können.