Einen Tag lang hatte Professor Richard Lindzen seine Zuhörer beschworen, einer überwältigenden Mehrheit der weltbesten Klimaforscher keinen Glauben zu schenken. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine vom Menschen verursachte globale Erwärmung, so das Credo des streitbaren Amerikaners. Jegliche Maßnahmen zum Klimaschutz seien überflüssig, ja gefährlich, weil sie Geld verschlingen würden, das anderswo besser investiert wäre.

Vor der Enquete-Kommission des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre, die Lindzen vergangene Woche nach Bonn eingeladen hatte, fand der angesehene Klimatologe zwar geduldige Zuhörer, überzeugen konnte er aber nicht. „Die Kommission beschäftigt sich seit über fünf Jahren mit diesem Thema. Die heutige Diskussion konnte an unserer Einschätzung zum menschgemachten Treibhauseffekt und seinen Folgen nichts ändern“, sagte der Vorsitzende Klaus Lippold, bevor man den Gast verabschiedete.

Am Zentrum für Meteorologie des Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA, war Lindzen zu dem Schluß gekommen, daß die Gleichungen in den komplexen Klimamodellen seiner Kollegen allzu viele Unbekannte aufwiesen, um daraus verläßliche Prognosen abzuleiten.

Umstritten ist vor allem die Rolle des Wasserdampfes im globalen Klimageschehen. Wasserdampf trägt weitaus mehr zum natürlichen Treibhauseffekt bei als alle anderen Spurengase zusammen. Die Aufmerksamkeit der Klimatologen galt aber bisher fast ausschließlich dem Kohlendioxid (CO2), das bei der Atmung und beim Verbrennen von Holz, Kohle, OI und Gas freigesetzt wird. Sein Anteil an den Gasen der irdischen Lufthülle hat seit Beginn der industriellen Revolution um ein Drittel zugenommen, wobei ein noch stärkerer Anstieg durch die Ozeane verhindert wurde. Sie dienen als Zwischenspeicher, die etwa die Hälfte des von Menschen seit 1800 erzeugten Kohlendioxids aufgenommen haben.

Physikalische Gesetzmäßigkeiten besagen, daß eine Verdoppelung des CO2-Gehaltes der Atmosphäre einen Anstieg der mittleren globalen Temperatur um 0,5 bis 1,2 Grad Celsius zur Folge hätten, wenn alle anderen Faktoren konstant blieben. Hier endet aber auch schon die Übereinstimmung zwischen Lindzen und den 250 von der UNO beauftragten Wissenschaftlern, die sich im „Zwischenstaatlichen Ausschuß zur Klimaänderung“ (Intergovernmental Panel and Climate Change, kurz IPCC) zusammengefunden haben.

Stärkere Temperaturerhöhungen – wie sie vom IPCC vorausgesagt werden – beruhen auf der Annahme, daß die einmal angestoßene Veränderung sich selbst verstärkt. Dieses Modell einer „positiven Rückkoppelung“ geht davon aus, daß eine verhältnismäßig geringe Erwärmung durch Kohlendioxid die Verdunstung aus den Weltmeeren erhöht und dadurch mehr Wasserdampf – das wichtigste Treibhausgas – in die Atmosphäre gelangt. Dieser sollte dann laut IPCC die Temperatur weiter erhöhen, so daß es bis zum Ende des 21. Jahrhunderts auf der Erde vier bis fünf Grad wärmer wäre als heute.

Lindzen bestreitet nun seit längerem energisch, daß die Erhöhung der Erdtemperatur zu einem Anstieg der Wasserdampf-Konzentration in der Atmosphäre führt. Aus seinen komplizierten Modellen zur Bildung tiefstehender Wolken und zum Transport von Feuchtigkeit und Wärme in diesen sogenannten Kumulonimbus-Türmen glaubt er vielmehr ableiten zu können, daß unter dem Strich weniger Wasserdampf in die Atmosphäre gelangt.

Nach den Vorstellungen Lindzens funktionieren diese Wolkengebilde wie ein Fahrstuhl, mit dem feuchte Luft- und damit Wasserdampf – vom Erdboden in höhere Schichten der Atmosphäre transportiert wird. Wegen des niedrigeren Drucks dehnt sich die Luft in größerer Höhe aus; sie wird kälter. Der überschüssige Wasserdampf kondensiert deshalb zu Wasser oder Eis und fällt größtenteils als Niederschlag auf die Erde zurück. Wenn nun die Erdoberfläche wärmer wird, sollte die Luft in den Wolken größere Höhen erreichen und dort weniger Wasserdampf abladen.

Vorzeichen vertauscht

Die gängigen Computermodelle würden daher mit vertauschten Vorzeichen rechnen und falsche Resultate liefern, bilanzierte Lindzen vor der Bonner Wissenschaftspressekonferenz. Dem widersprach Hartmut Graßl, Direktor des MaxPlanck-Instituts für Meterologie in Hamburg und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung: „Eine negative Rückkoppelung beim Wasserdampf ist Geschichte und wird daher zu Recht in den aktuellen Rechnungen nicht mehr berücksichtigt.“ Lindzens Modell treffe vielleicht für die Tropen zu, im globalen Maßstab gebe es dafür aber keine Belege.

Wasserdampf ist aber für Lindzen nicht der einzige umstrittene Punkt. Der amerikanische Wissenschaftler griff auch die Formulierung der IPCC-Wissenschaftler an, die bisher gewonnenen Meßdaten würden mit einer vom Menschen verursachten Erwärmung übereinstimmen. „Das ist lediglich eine Umschreibung für: „Wir wissen es nicht“, schimpfte der Amerikaner, der außerdem glaubt, ein wesentliches Motiv für die Warnungen seiner Kollegen ausgemacht zu haben: „In Zeiten knapper Haushaltsmittel haben sich Ankündigungen ökologischer Katastrophen als wirksame Grundlage für finanzielle Forderungen der Wissenschaft erwiesen.“ Allzu bereitwillig gehe die Öffentlichkeit heute davon aus, daß man handeln müsse, wenn man ein Risiko nicht mit Sicherheit ausschließen kann.

Mit derartigen Behauptungen stieß Lindzen bei seinen Gastgebern auf wenig Verständnis. „Wer früh beginnt, muß weniger tun und es tut weniger weh“, erläuterte Hartmut Graßl den deutschen Standpunkt. Stellvertretend für die überwältigende Mehrheit seiner Kollegen wies er auch die Behauptung zurück, die Prognosen moderner Computermodelle stimmten nicht mit den beobachteten Daten überein. Unter anderem sagten die Modelle einen Meeresspiegelanstieg und den Schwund von Gebirgsgletschern sowie Schneebedeckung voraus. Dies wurde ebenso bestätigt wie die mittlere Erwärmung am Erdboden, ein verstärkter Wasserkreislauf in den Tropen und erhöhte Winterniederschläge in gemäßigten Breiten.

(erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 1. Juli 1993)