Europäer führend bei der Kernfusion-Forschung

Seit fast 40 Jahren versuchen Physiker eine kontrollierte Kernfusion in Gang zu bringen. Ein Blick in den nächtlichen Sternenhimmel oder zur Sonne zeigt, welche gewaltigen Energien bei dieser Reaktion frei werden. Dort vereinigen sich unter ungeheurem Druck und bei Temperaturen von etwa 15 Millionen Grad Celsius jeweils vier Atomkerne des Wasserstoffs zu einem Kern des Elementes Helium.

Ein winzig kleiner Bruchteil der Masse des Wasserstoffs wird dabei in Energie umgewandelt. Vier Millionen Tonnen verschwinden so in jeder Sekunde. Dies reicht aus, um in 150 Millionen Kilometer Entfernung Wetter und Meeresströmungen auf der Erde zu beeinflussen. Ob Kohle, Gas oder Erdöl, Wind- oder Wasserkraft; alle unsere Energiereserven verdanken wir letztendlich diesem Prozess, der seit viereinhalb Milliarden Jahren vor sich geht und ohne den die Erde ein kalter, unbewohnter Planet geblieben wäre. Die Kräfte, die bei der Verschmelzung leichter Atomkerne frei werden, sind rund zehn Millionen Mal größer als die Energien chemischer Reaktionen.

Die Detonation der ersten Wasserstoffbombe – sie wurde von den Vereinigten Staaten 1951 auf dem Eniwetok- Atoll gezündet – demonstrierte deutlicher als alle Zahlenspiele die Kräfte, die im Inneren der Atome schlummern. Nachdem sich unlängst Angaben amerikanischer Wissenschaftler, sie hätten eine kontrollierte Kernfusion quasi im Reagenzglas bei Zimmertemperatur erreicht, als unhaltbar erwiesen haben, gingen die Physiker weltweit wieder zum Tagesgeschäft über.

Mit riesigen Magneten, mit Teilchenbeschleunigern und leistungsstarken Laserkanonen versuchen die Forscher auch weiterhin, einen Reaktor zu entwickeln, der Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnen soll. Obwohl es Physikern des Labors für Plasmaphysik im amerikanischen Princeton 1986 gelang, die unvorstellbare Temperatur von 200 Millionen Grad Celsius zu erzeugen, haben alle bisherigen Experimente mehr Energie verschlungen, als sie produzierten:

Das Problem besteht darin, dass die positiv geladenen Atomkerne sich zunächst gegenseitig abstoßen. Um dennoch eine Verschmelzung zu erreichen, müssen die Teilchen mit sehr hohen Geschwindigkeiten aufeinanderprallen. Erreicht wird die nötige Geschwindigkeit, indem die Gase erhitzt werden. In einem sehr starken, ringförmigen Magnetfeld wird dieses „Plasma“ eingeschlossen und so in der Schwebe gehalten.
Fusionsreaktoren, die nach diesem Prinzip aufgebaut sind, gleichen in der Form einem überdimensionalen Rettungsring und werden als „Tokamak“-Reaktoren bezeichnet.

Fortschritte auf dem Weg zur Kernfusion machten in den letzten Jahren vor allem die Europäer. Das weltweit größte Experiment zur Kernverschmelzung findet zur Zeit im englischen Culham bei Oxford statt. An Jet (Joint European Torus) sind alle europäischen Fusionslaboratorien beteiligt. Hier wird am größten Schritt des Projekts, der Zündung und dem Unterhalt des entstehenden thermonuklearen Feuers, gearbeitet.

Denn erst wenn eine Temperatur von über 400 Millionen Grad Celsius und eine Dichte von mindestens 100 Billionen Teilchen je Kubikzentimeter über mehrere Sekunden hinweg aufrecht erhalten werden können, entsteht eine Kettenreaktion, bei der sich Deuterium – eine „schwere“ Form des Wasserstoffs – zu Helium umwandelt. Da Deuterium als Bestandteil des Wassers praktisch unbegrenzt zur Verfügung steht, glauben Optimisten, dass die Energieversorgung der Menschheit gesichert wäre, wenn es gelänge, diese Reaktion vollständig zu beherrschen.

Bei Versuchen, die Lebensdauer und Reinheit des Wasserstoffplasmas zu verbessern, kommt dem Reaktorgefäß zentrale Bedeutung zu. Trotz des Magnetfeldes gerät das heiße Plasma nämlich in Kontakt mit den umgebenden Wänden. Dies kann dazu führen, dass unerwünschte Verunreinigungen von der Wand abgeschlagen werden und in das Plasma eindringen. Eine Beschädigung der Wand führt zu Wärmeverlusten, die Temperatur zur Zündung des Plasmas kann dann nicht mehr erreicht werden.

Einen entscheidenden Beitrag zur Lösung dieses Problems brachte ein Experiment am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München. Bei der Versuchsanordnung mit dem Kürzel Asdex (Axialsymmetrisches Divertor-Experiment) gelang es, die gesamte äußere Randschicht des Plasmas auf magnetische Weise in separate Nebenkammern abzulenken. Die Plasmateilchen treffen daher erst abgekühlt und weit vom heißen Zentrum entfernt auf eine materielle Wand auf, wo sie abgepumpt werden können. So können auch störende Verunreinigungen – in einem brennenden Plasma auch die .Fusionsasche“ Helium – entfernt werden.

Gegenwärtig wird Jet nach dem Vorbild von Asdex umgerüstet; ein Nachfolgeexperiment namens Asdex Upgrade soll das Prinzip des Divertors jetzt auch unter Reaktorbedingungen untersuchen. Für diese Aufgabe genügt es, allein die äußeren zehn Zentimeter eines Reaktorplasmas zu reproduzieren. Das Untersuchungsobjekt, der Plasmaring, wird einen Radius von 1,70 Metern und ein Volumen von 13 Kubikmetern besitzen, Das einschließende Magnetfeld wird von 16 großen Magnetspulen erzeugt, die auf das ringförmige Plasmagefäß aufgefädelt sind. Insgesamt wird das neun Meter hohe Experiment ein Gewicht von 700 Tonnen haben.

Ein Team von 23 Ingenieuren und Physikern arbeitet seit 1981 an Planung und Entwurf. Die Investitionskosten von rund 200 Millionen Mark werden vom Max-Planck-Institut und der europäischen Forschungsbehörde Euratom getragen. Nach Fertigstellung der europaweit gefertigten Einzelkomponenten begann die Montage von Asdex Upgrade im Mai 1988. Die ersten Plasmadaten werden für Mitte 1990 erwartet. Erst danach fällt die Entscheidung über die weitere Zukunft der Fusionsforschung.

Zwei Möglichkeiten sind denkbar. Die Planungsgruppen für beide Projekte weilen derzeit in Garching zu Gast. Ein rein europäischer Fusionsreaktor wäre der Next European Torus (Net) als Nachfolgemodell zu Jet, der erstmals mit brennendem Plasma arbeiten soll. Großbritannien, Frankreich oder die Bundesrepublik kämen hierbei als Standort in Frage.

Model des Internationalen Fusionsreaktors ITER (Copyright ITER)

Model des Internationalen Fusionsreaktors ITER (Copyright ITER)

Denkbar ist aber auch eine weltweite Zusammenarbeit, an der außer den Europäern vor allem Japan, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten beteiligt wären. Der Internationale thermonukleare Experimental-Reaktor (Iter) ist dem Net im Design sehr ähnlich. Eine Fusionsanlage, die wirtschaftlich nutzbare Energie liefert, wird allerdings – wenn überhaupt – frühestens in der Mitte des nächsten Jahrhunderts die Arbeit aufnehmen können.

(erschienen in der WELT vom 28. Oktober 1989)

Was ist daraus geworden? Wir schreiben das Jahr 2015 und noch immer warten wir auf die kontrollierte Kernfusion als unerschöpfliche Energiequelle, die man uns versprochen hat. Während die Solarenergie mit einer vergleichsweise simplen Technik heute durchaus ihren Beitrag zur Energieversorgung leistet, gab es immer wieder Rückschläge und Verzögerungen beim ITER. Die internationale Zusammenarbeit funktioniert mal mehr, mal weniger gut. „Die USA waren von 1998 bis 2003 vorübergehend aus dem Projekt ausgestiegen, Kanada ist seit 2004 nicht mehr dabei“, weiß die Wikipedia. Die Kosten haben sich von 2,7 Milliarden Euro auf voraussichtlichen 6,6 Milliarden Euro mehr als verdoppelt, und wenn es noch teurer wird, werde man das durch Umschichtungen aus dem Agrar- und dem Forschungsetat decken, hat die EU angekündigt. Eine Versuch war´s wert. Jetzt aber denke ich, man sollte diesen Traum beerdigen, bevor noch mehr Steuergeld verbrannt wird.