„Um den Übergang der Energie von der heißen Sonne zur kalten Erde auszunutzen, breiten die Pflanzen die unermesslichen Flächen ihrer Blätter aus und zwingen die Sonnenenergie in noch unerforschter Weise, chemische Synthesen auszuführen, von denen man in unseren Laboratorien noch keine Ahnung hat.“

So fasste der große Physikochemiker Ludwig Boltzman am Anfang dieses Jahrhunderts den Stand der Forschung auf dem Gebiet der Photosynthese zusammen. In den 84 Jahren, die seit dieser Feststellung vergangen sind, haben die Wissenschaftler jedoch einiges dazugelernt. Laserblitz und Infrarotstrahlung, Computersimulation und Röntgenbeugung sind das Handwerkszeug, mit dem die Experten in die Geheimnisse dieses Prozesses eindringen.

Vor rund drei Milliarden Jahren wurde die Photosynthese „erfunden“ und damit die Voraussetzung für die Entwicklung höheren Lebens auf unserem Planeten geschaffen. Unvorstellbare Energiemengen werden von photosynthetischen Bakterien, Algen und grünen Pflanzen in Form von Sonnenlicht aufgenommen.

Diese Energie wird benutzt, um jährlich mehr als zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff in organische Moleküle einzubauen. Der Sauerstoff der Luft, ohne den wir alle zugrunde gehen müssten, ist ein „Abfallprodukt“ dieser Reaktion. Die Nahrung, die wir zu uns nehmen, stammt letztlich ebenso aus dieser „wichtigsten Reaktion der Welt“ wie die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas.

Kein Wunder also, dass die Forschung sich für die Vorgänge interessiert, mit denen der Sonnenschein in nutzbare Energie überführt wird. Einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis dieser Reaktion lieferten deutsche Wissenschaftler, denen es gelang, die Struktur und Funktion des photosynthetischen Reaktionszentrums am Purpurbakterium Rhodopseudomonas aufzuklären.

Hartmut Michel, Johann Deisenhofer und Robert Huber erhielten im vorigen Jahr den Nobelpreis für Chemie, weil sie in dem ungeheuer komplexen Molekül die räumliche Anordnung einiger 10000 Atome zueinander mit dem Verfahren der Röntgenstrukturanalyse feststellen konnten.

Dass dieser Erfolg keinen Einzelfall darstellt, zeigt die deutsche Beteiligung an internationalen Fachkonferenzen. Bald jeder dritte Teilnehmer kommt dort mittlerweile aus der Bundesrepublik. Neben München und Berlin wird auch in Freiburg intensiv an den Mechanismen der Photosynthese geforscht.

Am Institut für Biophysik und Strahlenbiologie gilt das Hauptinteresse den sogenannten Primärreaktionen, bei denen die Lichtenergie dazu benutzt wird, um eine Trennung elektrischer Ladungen herbeizuführen. Wie bei einer Batterie können die einmal getrennten Ladungen später wieder in der Sekundärreaktion vereint werden. Die dabei freiwerdende gespeicherte Energie treibt dann die Stoffwechselvorgänge in den Zellen an.

Photosynthese - Wikipedia

Eine Reaktion, von der alles Leben auf der Erde abhängt: Die Photosynthese (Quelle: Lanzi via Wikimedia Commons)

Die Primärreaktion, die hier unter Leitung von Prof. Werner Mäntele untersucht wird, läuft mit kaum fassbarer Geschwindigkeit ab. Entsprechend groß ist auch der experimentelle Aufwand, den die Forscher betreiben müssen, um die einzelnen Schritte der Reaktion noch auflösen zu können. Laser geben Lichtblitze von einigen milliardstel Sekunden Dauer ab. Die Ereignisse, die damit in den Biomolekülen ausgelöst werden, können mit Hilfe der Infrarotspektroskopie exakt erfasst werden, obwohl sie in weniger als einer millionstel Sekunde ablaufen.

Die Präzisionsgeräte werden vom benachbarten Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik zugeliefert und dann in der hauseigenen Werkstatt an die speziellen Bedürfnisse der Biophysiker angepasst. Selbst die Computersoftware, die komplexe Messungen erst ermöglicht, wurde von der sechsköpfigen Arbeitsgruppe selbst entwickelt. Stolz präsentiert Prof. Mäntele eine Granitplatte, die auf mehrere Autoreifen gelagert ist. Das komplette System hat ihn drei Flaschen Wein gekostet und schützt die etwa 100000 Mark teuren Laser genauso zuverlässig vor unerwünschten Schwingungen, wie die kommerziellen Gegenstücke, die zum Stückpreis von 15 000 Mark zu haben sind.

Mäntele erläutert die Vorteile der Infrarotspektroskopie (lRS) gegenüber der Röntgenstrukturanalyse von Proteinkristallen, wie sie die letztjährigen Träger des Chemienobelpreises angewandt haben: Während die Auswertung von Beugungsmustern, die beim Beschießen der Kristalle mit Röntgenstrahlen entstehen, nur eine Momentaufnahme des photosynthetischen Reaktionszentrums vermittelt, kann die IRS den Weg der Ladungsträger durch das Molekül verfolgen.

Die ständige Weiterentwicklung und Verfeinerung der Technik, die hier schon seit 1982 angewandt wird, erlaubt es, auch noch die kleinsten Bewegungen in dem Riesenmolekül zu verfolgen. Die Änderung einer einzelnen Bindung – einer sogenannten Wasserstoffbrücke – nach der Aufnahme von Lichtenergie konnte so nachgewiesen werden.

In dem Reaktionszentrum dient ein umfangreiches Eiweißgerüst dazu, eine Anzahl von Farbstoffmolekülen (Pigmenten) so auszurichten, dass nach dem „Einfangen“ eines Lichtteilchens zwei Ladungen unterschiedlichen Vorzeichens entstehen. Der Trick der Natur besteht nun darin, das negativ geladene Teilchen so schnell vom Ort des Geschehens zu entfernen, dass die Wiedervereinigung mit der zurückbleibenden positiven Ladung unterbleibt.

Wie ein Schalter wirkt dabei eines der Pigmente und zwingt das Eiweißgerüst etwa 200Picosekunden lang“ (fünf milliardstel Sekunden also) in eine Form, die diesen Elektronentransport ermöglicht. Dann ist die „Hauptarbeit“ bei der Photosynthese geleistet.

Dies weiß man, weil es gelang, die Abstände einzelner Atome zueinander während dieses Vorganges zu beobachten. Das negative Teilchen ist anschließend jenseits einer zellulären „Trennwand“ gespeichert. Später wird es kontrolliert wieder mit einem positiven Teilchen vereinigt. Dabei wird etwa 50 Prozent der ursprünglichen Energie des Lichtteilchens als nutzbare Energie frei.

Mittlerweile weiß man, dass sich viele der Erkenntnisse, die man an einfachen Bakterien gewonnen hat, auch auf höherstehende Lebewesen übertragen lassen. Diese sind allerdings noch komplizierter und leistungsfähiger. So haben die grünen Pflanzen und die Algen gleich zwei Reaktionszentren, die sich gegenseitig ergänzen. Das Photosystem II ist dabei dem der Bakterien sehr ähnlich. Die Ladungstrennung verläuft in vergleichbaren Zeiträumen, und auch die beteiligten Moleküle zeigen nur geringfüge Unterschiede zu denen der Purpurbakterien.

Beim Photosystem I dagegen tappt man noch weitgehend im Dunkeln, hier sind noch nicht einmal alle Moleküle bekannt, die an der Umsetzung der Lichtenergie beteiligt sind. Röntgenfähige Kristalle, die Prof. Horst Tobias Witt von der TU Berlin hergestellt hat, könnten aber in naher Zukunft zu einem Durchbruch führen.

Mit seinen bisherigen Ergebnissen lassen sich aber noch keine einzelnen Atome lokalisieren. Strukturen, die vier Milliardstel Zentimeter (Ångström) auseinander liegen, kann Witt derzeit schon erkennen. Bei einer Auflösung unter drei Ångström wird es möglich, die Positionen einzelner Atome zu errechnen. Dann wäre das letzte große Geheimnis der Photosynthese gelüftet. Denkbar wäre es dann beispielsweise, neuartige Schaltelemente für die Mikroelektronik zu fertigen, aufgebaut nach dem Muster der photosynthetischen Pigmente. Diese würden es ermöglichen, noch kleinere und schnellere Computer zu konstruieren. Im Moment sind derartige Überlegungen, wie sie von amerikanischen Wissenschaftlern angestellt werden, allerdings noch Zukunftsmusik.

(erschienen in der WELT am 19. August 1989)