60 Jahre nachdem der Getreidebestandteil Gluten als Verursacher der Zöliakie dingfest gemacht wurde, sind australische Wissenschaftler einer Therapie für die bislang unheilbare Autoimmunerkrankung einen Schritt näher gekommen. Professor Bob Anderson und seine Mitarbeiter am Walter und Eliza Hall-Institut für Medizinische Forschung in Melbourne haben in äußerst aufwändigen Versuchen heraus gefunden, welche Abschnitte des auch als „Klebereiweiß“ bezeichneten Glutens den Dünndarm schädigen können.

Bob Anderson will mit seiner Firma Nexpep eine Immuntherapie gegen die Zöliakie entwickeln (Foto: Czesia Markiewicz, Walter and Eliza Hall Institute)

Eine von Anderson geleitete Biotech-Firma namens Nexpep habe dieses Wissen bereits umgesetzt um eine experimentelle Immuntherapie zu entwickeln, die Patienten gegenüber Gluten „desensibilisieren“ soll, heißt es in einer Pressemitteilung. Eine klinische Studie der Phase I sei bereits im Juni abgeschlossen worden, die Ergebnisse würden „in den nächsten Monaten“ erwartet. Noch sind Menschen, die an Zöliakie leiden, dazu gezwungen, sich zeitlebens glutenfrei zu ernähren. Da die allergie-auslösenden Bestandteile von Gluten sowohl in Weizen, als auch in Roggen, Gerste und Hafer enthalten sind und diese wiederum in sehr vielen verarbeiteten Lebensmitteln und Fertigprodukten vorkommen, müssen Zöliakie-Patienten mit erheblichen Einschränken leben. Normales Brot ist für sie ebenso tabu wie Bier, Pasta oder Kekse. Glutenfreie Ersatzprodukte sind zwar mittlerweile nicht mehr nur in Reformhäusern, sondern auch in manchen Supermärkten erhältlich. Die Mehrkosten der Patienten, die in einer australischen Untersuchung umgerechnet etwa 900 Euro jährlich ausmachten, werden von den hiesigen gesetzlichen Krankenkassen aber nicht ersetzt.

Weltweit soll Schätzungen zufolge etwa jeder dreihunderste Mensch von der auch als „Sprue“ oder „glutenbedingte Enteropathie“ bekannten Krankheit betroffen sein. Schon bei Kleinkindern und Säuglingen kann sie zu geblähtem Bauch und häufigem heftigem Stuhlgang führen, sowie zu Übelkeit und Erbrechen, Gewichtsverlust und Entwicklungsstörungen. Bei Erwachsenen kann sich das Leiden auch mit zahlreichen anderen Symptomen bemerkbar machen, darunter Müdigkeit und schlechte Laune sowie Mangelzustände (z. B. Eisen, Folsäure, Vitamin K und D, Kalzium), die den Körper wiederum anfällig für Infektionen machen.

Seit vor 60 Jahren Gluten als Auslöser der Zöliakie entdeckt wurde, war es das höchste Ziel der Forschung, die giftigen Eiweißbestandteile im Gluten zu identifizieren, erklärte Anderson: „Und wir haben das getan.“ Wie die Forscher in der Fachzeitschrift Science Translational Medicine berichten, wurden im Laufe der neujährigen Untersuchung über 200 Zöliakie-Patienten in Australien und Großbritannien untersucht – das sind zehn mal mehr als in vorherigen Studien. Die Freiwilligen mussten dabei an drei aufeinander folgenden Tagen Weizenbrot, Gerstenbrei oder Roggenmuffins essen, um eine Immunantwort gegen Gluten auszulösen. Dann fischten die Forscher jene Immunzellen aus dem Blut der Patienten, die aggresiv auf Gluten reagierten und testeten Tausende von Bruchstücken des Klebereiweißes daraufhin, ob sie die Immunzellen zu reizen vermochten. So fanden die Wissenschaftler ein „toxisches Trio“: Drei Fragmente, die offensichtlich die Krankheit auslösen können.

Dieses toxische Trio ist auch die Grundlage für die neue Immuntherapie, welche Anderson nun mit seinen Kollegen entwickeln will. Den Patienten werden dabei zunächst winzige Mengen der Eiweißfragmente gespritzt und deren Dosierung wird allmählich erhöht, sodass sich die überschießende Immunreaktion abschwächt. Das Prinzip ist als Hyposensibilisierung bekannt ist und erzielt beispielsweise beim Heuschnupfen Erfolgsquoten von annähernd 50 Prozent. Sollte ähnliches auch bei einer Hyposensibilisierung mit dem toxischen Trio gelingen, wäre dies nicht nur für Zöliakie-Patienten eine gute Nachricht. Auch der an der Firma Nexpep beteiligte Anderson dürfte dann finanziell ausgesorgt haben. Die Zahl der Patienten wachse jedes Jahr um 20 Prozent, heißt es auf der Webseite des Unternehmens – und damit auch der Markt für einen Impfstoff.

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