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Hirnstruktur spiegelt politische Einstellung

Einen Zusammenhang zwischen der politischen Einstellung und der Ausprägung bestimmter Hirnstrukturen haben mehrere Forscher aus London gefunden. Wie sie in der online-Ausgabe der Zeitschrift Current Biology berichten, war bei Studenten, die sich als freiheitlich (engl. „liberal“) bezeichneten der vordere Bereich des so genannten Gyrus cinguli vergrößert. Konservative hatte dagegen einen größeren Mandelkern (Amygdala).

Für seine Forschung hatte Geraint Rees vom University College London mit seinem Kollegen Ryota Kanai 90 Studenten zunächst einen Fragebogen ausfüllen lassen, in dem sie ihre politische Orientierung notierten, und dann die Hirne der freiwilligen Versuchspersonen mit Hilfe der funktionellen Kernspintomografie vermessen. Das Ergebnis deckt sich einerseits mit den bekannten Aufgaben der auffälligen Hirnregionen und andererseits mit früheren psychologischen Untersuchungen. Demnach sind Menschen mit eher liberalen Einstellungen besser in der Lage, widersprüchliche Informationen zu verarbeiten, was eine Funktion des Gyrus cinguli ist. Konservative können dagegen Bedrohungen leichter erkennen – und die werden im Mandelkern registriert und bewertet.

„Man wusste bereits, dass bestimmte psychologische Merkmale Rückschlüsse auf die politische Orientierung erlauben“, erklärte Kanai. „Unsere Studie hat nun einen Zusammenhang zwischen diesen Persönlichkeitsmerkmalen und bestimmten Hirnstrukturen nachgewiesen.“ Offen ist laut Kanai noch die Frage, ob die politische Einstellung die Größe der identifizierten Hirnregionen beeinflusst, oder ob umgekehrt erst die mehr oder weniger starke Ausprägung von Gyrus cinguli und Mandelkern der Entwicklung liberaler oder konservativer Denkweisen voraus geht. Natürlich sei die schematische Unterteilung der Politik in Links und Rechts eine grobe Vereinfachung, räumt Kanai ein. „Prinzipiell lässt sich diese Methode aber auch nutzen, um Zusammenhänge zwischen Hirnstrukturen und anderen Denkweisen aufzudecken.“ Vielleicht könnten die Unterschiede im Denkorgan ja auch erklären, warum manche Menschen sich überhaupt nicht für Politik interessieren, oder warum der eine lieber einen Apple-Computer kauft und der andere lieber einen PC.

Den Anstoß zur Forschungsarbeit von Rees und Kanai hatte der britische Schauspieler Colin Firth gegeben, der zusammen mit dem Wissenschaftskorrespondenten der BBC, Tom Feilden in einer Radiosendung Ende 2010 nach Unterschieden in der Hirnstruktur zwischen Politikern unterschiedlicher Parteien gefragt hatte und dazu den Konservativen Abgeordneten Alan Duncan und den Labour-Abgeordneten Stephen Pound gewinnen konnte. Der Ex-Liberale Firth hatte damals als Grund für seinen Wissensdurst der Zeitung Daily Mail verraten: „Ich wollte einfach nur herausfinden, was nicht stimmt mit der Biologie bei Leuten, die andere Ansichten haben als ich.“

Gene? Neurone? Licht? … uuund Action!

Im schwarzen, aber lässigen Anzug und mit dem Charisma eines großen Entertainers betritt Sebastian Seung die Bühne. Eindringlich beschwört der Professor des Massachusetts Institute of Technology  (MIT) seine Zuhörer, während im Hintergrund jene vier Buchstaben auf der Leinwand flackern, die längst zum Symbol des Genzeitalters geworden sind: A, T, C und G. Auf der Leinwand scheint die Abfolge dieser Buchstaben endlos und zufällig zugleich, doch jedes Kind lernt heute in der Schule, dass dieser Code Erbinformationen darstellt – Bauanleitungen für Biomoleküle, Regeln für Wachstum und Entwicklung, und immer wieder auch Schwachstellen und „Druckfehler“, die uns anfällig machen für Krankheiten aller Art.

Aber Seung ist kein Genetiker. Und er glaubt auch nicht daran, das Schicksal des Menschen liege in seinen Genen, wie das der Nobelpreisträger James Watson einstmals im Überschwang formuliert hat, bald nachdem er zusammen mit Francis Crick die Struktur und Funktionsweise des Erbmoleküls DNS erkannt hatte.

„Ich bin nicht meine Gene“, lässt Seung stattdessen sein Publikum skandieren. Und nochmal, aber lauter: „Ich bin nicht meine Gene“. Dem Laborleiter an der Abteilung Brain and Cognitive Sciences des MIT und Chef von bald 20 hochtalentierten Wissenschaftlern der verschiedensten Disziplinen macht es offenbar großen Spaß, seine Zuhörer auf der TED-Konferenz im kalifornischen Long Beach zu verblüffen. In jeweils nur 18 Minuten sollen „die faszinierendsten Denker und Macher der Welt“ hier ihre Ideen präsentieren und „den besten Vortrag ihres Lebens“ halten – so lautet die Spielregel der gemeinnützigen Organisation. Seungs Idee lautet: „Ich bin mein Konnektom“. Und um zu erklären, was dies bedeutet, ist er hierhergekommen.

So wie die Summe aller Gene eines Lebewesens dessen Genom darstellt, entspricht das Konnektom der Summe aller Verbindungen zwischen dessen Nervenzellen. Sie definieren, davon ist Seung fest überzeugt, die menschliche Persönlichkeit mit all ihren Eigenheiten, Stärken wie Schwächen. Ich bin mein Konnektom, also definiert mein Konnektom mein „Ich“.

Schon in den 1960er Jahren hatte der Nobelpreisträger Eric Kandel bei Versuchen mit der Meeresschnecke Aplysia gezeigt, dass Erfahrungen und Lernvorgänge die Stärke der Verbindungen zwischen Nervenzellen verändern. 50 Jahre später sind die meisten Wissenschaftler davon überzeugt, dass auch unsere Erfahrungen sich in so genannten neuronalen Schaltkreisen niederschlagen – in der Zahl und Art der beteiligten Nervenzellen und in der Stärke der Verbindungen zwischen diesen Zellen. Hunderte von Labors versuchen inzwischen unter Einsatz der modernsten Techniken  eine Brücke zu schlagen zwischen den Vorgängen in diesen Schaltkreisen und Phänomenen wie Wahrnehmung, Erkenntnis und Verhalten. Das Thema ist heiß, wie auch die 103. Titisee-Konferenz des Boehringer Ingelheim Fonds, Stiftung für medizinische Grundlagenforschung beweist. Mehr als 50 Experten aus den führenden Laboren der Welt hatten dabei im März 2011 vier Tage lang die neuesten Erkentnisse ausgetauscht.

Das letzte erfolgreiche wissenschaftliche Großprojekt war die Entzifferung des menschlichen Genoms mit seinen drei Milliarden „Genbuchstaben“ und 30000 Genen. Zehn Jahre hat es gedauert und drei Milliarden Dollar gekostet für einen ersten Entwurf, dessen Vollendung der frühere US-Präsident Bill Clinton mit einer Sondersendung aus dem Weißen Haus zelebrierte. Gleichwohl verblasst das Humangenomprojekt ebenso wie die Mondlandung gegenüber den Herausforderungen, denen Seung mit seinen Kollegen gegenüber steht: 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) enthält unser  Denkorgan, und jede dieser Zellen kann bis zu 10000 Kontakte zu ihren Nachbarzellen aufnehmen. Dass „unsere Gehirne aussehen wie Spagetti“, wie Seung seinen Zuhörern in Long Beach mit dem Bild eines großen Tellers voller Pasta veranschaulicht, macht die Sache nicht leichter. Das menschliche Gehirn ist die komplexeste Struktur im bekannten Universum.

Noch vor 50 Jahren erschien es den meisten Forschern geradezu frivol, auch nur die Aktivierung einiger kleiner Nervenschaltkreise im Detail verfolgen zu wollen oder gar – Gipfel der Anmaßung – eine Verbindung herzustellen zwischen den Erregungszuständen dieser Schaltkreise und komplexen Verhaltensweisen wie Nahrungsaufnahme, Partnersuche und dem Unterhalt sozialer Beziehungen.

Tatsächlich ist es bereits gelungen, sämtliche Verbindungen sämtlicher Nervenzellen zu kartieren – allerdings „nur“ bei einem winzigen Modellorganismus, dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Wie das Telefonnetz eines Dorfes sieht dessen Konnektom aus, mit immerhin 7000 Verbindungen zwischen den exakt 302 Nervenzellen des kleinen Wurms. Ungezählte Doktoranden, die den durchsichtigen, nur einen Millimeter kleinen Organismus durch ihre Mikroskope betrachteten, wurden während der  1970er und 1980er Jahre über dieser Arbeit zu Brillenträgen. Dann stieß man nicht nur an die Grenzen es menschlich Zumutbaren, sondern auch des technisch Möglichen.

An der Grenze des technisch Möglichen steht auch Seung, doch hat er diese Grenzen zusammen mit Jeff Lichtmann und Kenneth J. Hayworth vom Harvard Center for Brain Science bereits mehrmals verschoben. So konnten die Wissenschaftler mit einer mehreren Millionen Dollar teuren, von Hayworth entwickelten Schnittmaschine die Gehirne von Mäusen nicht nur in buchstäblich hauchdünne Scheiben von drei Nanometer Tiefe zerlegen. Sie nutzen vielmehr auch ein weitgehend automatisiertes Verfahren, um aus den seriellen Dünnschnitten im Computer wieder dreidimensionale Würfelchen zusammen zu setzen. Unverzichtbarer Teil der Ausrüstung sind dabei spezielle Elektronenmikroskope, die am Heidelberger Max-Planck-Institut für Biomedizinische Forschung von Winfried Denk und Heinz Horstmann entwickelt wurden. Sie erlauben es, jene Nervenschaltkreise darzustellen, die durch miteinander verbundene Neuronen charakterisiert sind. Schließlich hilft bei dieser Herkules-Aufgabe auch noch eine von Seungs Studenten Viren Jain und Srini Turaga entwickelte Software, die auf dem Prinzip der künstlichen Intelligenz basiert und die anhand der Vorgaben der Forscher dazulernen kann, bis sie viele Aufgaben ohne fremdes Zutun alleine erledigt.

Trotz dieser Erleichterungen liegen aber noch etliche Größenordnungen zwischen Seungs digitalisierten Miniwürfeln aus eng gepackten Nervenzellen mit ihren derzeit gerade einmal sechs Mikrometer Kantenlänge und einem vollständigen Gehirn – und sei es nur das einer Fliege.

Am Institut für Molekulare Pathologie in Wien rückt Barry Dickson der Schwarzbäuchigen Taufliege – besser bekannt unter ihrem lateinischen Namen Drosophila melanogaster – daher mit einem ganz anderen Bündel von Methoden auf den Leib. Dickson verwaltet die weltweit größte Sammlung von Drosophila-Mutanten. Es sind Tausende von Stämmen, bei denen jeweils ein einziges Gen mit molekularbiologischen Tricks ausgeschaltet oder verändert wurde. „Wir wollen verstehen, wie die Informationsverarbeitung in definierten neuralen Schaltkreisen zu komplexen Verhaltensmustern führt“, erklärt Dickson das Ziel seiner 30-köpfigen Arbeitsgruppe. Besonders interessiert sich der Australier dabei für das Paarungsverhalten der Fliege. Also für Sex.

Wie bei anderen Verhaltensweisen auch erhält das Gehirn dabei Signale aus der Innen- und Außenwelt durch eine Vielzahl von Sensoren. Signale, die sowohl untereinander als auch mit früheren Erfahrungen in Einklang gebracht werden müssen. Wenn das Fliegenmännchen also die Dame seiner Wahl umtanzt und mithilfe seiner vibrierenden Flügel ein „Liebeslied“ vorträgt, wenn sie sich ziert und er sich müht, und wenn dieses Spiel schlussendlich zur Vermählung führt, dann – so glaubt nicht nur Dickson – sind dabei zumindest auf der Ebene der Gene und der Zellen die gleichen Mechanismen und Prinzipien zugange, wie bei anderen Vertretern des Tierreiches. Bis hin zum Menschen.

„Es geht um komplexe Entscheidungen die von komplexen Gehirnen getroffen werden“, erklärt Dickson. An Fliegen jedoch kann man, anders als beim Menschen, eine Vielzahl genetischer Werkzeuge einsetzen, um die beteiligten Neuronen zu identifizieren und zu manipulieren. Molekulargenetik und Elektrophysiologie treffen sich hier mit ausgefeilten Computeranalysen und der Optogenetik, die Lichtstrahlen benutzt um neurale Schaltkreise zu aktivieren und zu vermessen.

Die komplexen Wechselwirkungen zwischen Erbanlagen und Nervenzellen hat Dicksons Team besonders intensiv an dem Gen fruitless untersucht. Obwohl bei Männchen und Weibchen die gleichen Erbinformationen vorliegen, erstellt die Maschinerie der Zellen daraus unterschiedliche Blaupausen. Zwingt man Männchen, weibliche Transkripte von fruitless zu erstellen, so verhalten die Tiere sich eher wie Weibchen. Auch die spiegelbildliche genetische Manipulation haben Dicksons Mitarbeiter schon vorgenommen – und den Fliegenweibchen dadurch das Paarungsverhalten des anderen Geschlechts aufgezwungen.

Getrieben wird das unterschiedliche Verhalten von Männlein und Weiblein offenbar von 2000 Nervenzellen, in denen fruitless abgelesen wird und deren „Schaltplan“ mittlerweile vollständig und dreidimensional kartiert wurde. Die fruitless-Neuronen indes unterscheiden sich in etwa 100 verschiedene Typen. Eine der nächsten Aufgaben, die Dickson mit seinem Team in Angriff nehmen will, ist deshalb die gezielte Manipulation einzelner Subpopulationen in dem Schaltkreis. Ziel ist es herauszufinden, welchen Anteil am Paarungsverhalten die unterschiedlichen Neuronen haben, welche biochemischen und elektrischen Signale hier verarbeitet werden und ob sich dabei Unterschiede zwischen Fliegenweibchen und –Männchen dingfest machen lassen. Schon haben die Wissenschaftler elf anatomische Dimorphismen im fruitless-Schaltplan gefunden: Subtypen von Nervenzellen, die entweder ausschließlich oder gehäuft bei Männchen vorkommen oder deren Verzweigungen bei Männchen und Weibchen unterschiedlich aussehen.

Die anfängliche Verarbeitung von Umweltreizen und die Steuerung der Bewegungen sind bei den Drosophila-Geschlechtern offenbar sehr ähnlich organisiert. Dank der neuen Techniken aber konnte Dicksons Team womöglich zeigen, warum Männchen und Weibchen sich dennoch unterschiedlich verhalten: Die entscheidende Rolle spielen dabei offenbar dimorphische neurale Schaltkreis im Gehirn, die einkommende Signale mit den Befehlen zur Bewegungssteuerung verbinden. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern in diesen Schaltkreisen erklärt vermutlich, warum Männchen und Weibchen unterschiedliche Dinge tun, wenn sie die gleichen Signale empfangen.

Maximal 150 000 Nervenzellen birgt das Fliegenhirn, immerhin 700 000 Mal so viele das unsrige. Die Zahl der Verbindungen im menschlichen Denkorgan wird sogar auf eine Billion geschätzt. Ist es da nicht fahrlässig, von Fliegen auf Menschen zu schließen?“ Ich weiß, dass Menschen komplizierter sind als Fliegen“, antwortet Dickson diplomatisch. „Aber einige Gesetzmäßigkeiten in der Funktion der Nervenzellen haben wir wahrscheinlich mit ihnen gemeinsam. Unser Ziel ist es, diese gemeinsamen Prinzipien zu enträtseln.“

Auch das Gedächtnis funktioniert bei Fruchtfliegen und Mäusen wohl nicht anders als bei Menschen. Viel Aufmerksamkeit erntete deshalb Michael Häusser vom Wolfson Institute for Biomedical Research des University College London, als er Beweise für eine lange gehegte Vermutung präsentierte:  Beim Lernen werden Gedächtnisinhalte in Form spezifischer Gruppen aktivierter Neurone kodiert, die zusammen ein Netzwerk bilden.

In seinem Experiment hatte Häusser Mäusen beigebracht, einem Ton mit einem darauf folgenden leichten Stromschlag in Verbindung zu bringen, sodass die Nager anschließend schon beim Erklingen des Geräuschs aus Angst regelrecht erstarrten. In die Gehirne der Tiere hatten die Forscher zuvor ein synthetisches Gen eingeschleust. Es wird nur in aktivierten Zellen eingeschaltet und bildet dann gleichzeitig ein lichtempfindliches Eiweiß sowie ein weiteres, grün leuchtendes Eiweiß als „Reporter“ für dieses Ereignis. Mit blauem Laserlicht, das die Forscher durch eine Glasfaser in die Hirnstruktur des Hippocampus lenkten, gelang es anschließend, jene Neurone zu aktivieren, die an der Gedächtnisbildung beteiligt waren. Auch ohne das Angst-auslösende Tonsignal erstarrten nun die Mäuse.

„Nur mit einem Lichtblitz ist es uns gelungen, das Gedächtnis der Tiere wieder zu aktivieren“, freut sich Häusser über die Leistungsfähigkeit der Optogenetik. Etwa zwei Millionen Neuronen liegen im Gyrus dentatus, jener Region des Hippocampus, die Häusser untersucht hat. Ungefähr 200 000 werden aktiviert, wenn die Mäuse Angst bekommen und lernen, dass dem Tonsignal ein Stromstoß folgt. Dennoch reichte es aus, weniger als 100 Neuronen und in manchen Experimenten sogar nur 20 mit dem Laser zu bestrahlen, um die gelernte Lektion abzurufen und die totale Erinnerung zu erreichen.

In Gedanken und vor Publikum spielt auch Sebastian Seung mit der „Totalen Erinnerung“. Allerdings denkt der Konnektomics-Pionier dabei an Menschen und nicht an Mäuse.  Und für sein Gedankenspiel nimmt er den Begriff „Totale Erinnerung“ wörtlich: Der ultimative Test für seine Theorie könnte der Versuch sein, die vollständigen Erinnerungen aus einem menschlichen Gehirn auszulesen. „Wir lachen über die Leute, die ihren toten Körper einfrieren lassen in der Hoffnung, die Medizin der Zukunft werde ihre Persönlichkeit zu neuem Leben erwecken. Aber wer weiß – vielleicht stehen diese Leute ja eines Tages an unseren Gräbern und lächeln über uns?“

Dieser Artikel ist erschienen in englischer Übersetzung in Futura, dem Magazin des Boehringer Ingelheim Fonds (Ausgabe 26, 1/2011).

Früh übt sich, wer ein guter Vater wird

Wie gut Männer für ihre Kinder sorgen, hängt auch davon ab, ob sie selbst als Babies von ihrem Vater umsorgt wurden. Diese Vermutung haben Hirnforscher nun mit Tierversuchen an der Kalifornischen Maus (Peromyscus californicus) erhärtet, einer der wenigen Säugetierarten, bei denen die Väter unter natürlichen Umständen Brutpflege betreiben.

„Unsere Beobachtungen legen nahe, dass die väterliche Pflege während der Entwicklungsphase den Umfang und die Qualität des väterlichen Verhaltens später im Leben beeinflusst“, erläuterte die Doktorandin Erin Gleason von der Psychologischen Abteilung der Universität Wisconsin auf der Jahrestagung der Society for Neuroscience in Chicago. Mit ihren Kolleginnen hatte Gleason das Verhalten von zwei Gruppen von Mäusevätern und deren Nachkommen untersucht. In der einen Gruppe waren die erwachsenen Männchen kastriert worden und hatten deshalb weniger Testosteron im Körper. Diese Männchen verbrachten weniger Zeit in engem Kontakt mit ihren Jungen und pflegten diese auch weniger gut als eine Vergleichsgruppe normaler, nicht kastrierter Männchen.

Als die Jungen aufgewachsen waren, durften sie sich mit Weibchen paaren und die Forscher zeichneten dann mit Videokameras auf, wie die Söhne kastrierter und nicht-kastrierter Väter nun ihrerseits mit dem eigenen Nachwuchs umgingen. Die Auswertung der Videoaufnahmen ergab, dass die künstliche Verringerung des Geschlechtshormons Testosteron auch für die Enkel spürbare Folgen hatte. Die Söhne der kastrierten Väter verbrachten nämlich eindeutig weniger Zeit mit ihren Jungen und sie ließen den Nachwuchs annähernd doppelt so lange allein, wie die Väter der Vergleichsgruppe. Außerdem konnte Gleason beobachten, dass die in ihrer Kindheit vernachlässigten Mäuse ihre Jungen zwar vier Mal so oft aufsammelten – allerdings gelang es diesen Vätern meistens nicht, ihre Jungen auch zurück ins Nest zu bringen.

Für Gleason ist die Studie ein klarer Hinweis, dass Gene alleine das unterschiedliche Verhalten bei der Brutpflege nicht erklären können. „Vielmehr wird das väterliche Verhalten bereits während der frühen Kindheit geprägt“, so Gleason – „und wahrscheinlich ist dies bei Menschen genau so.“

Quelle:

  • Gleason AD, Marler CA. Epigenetic Transmission of Paternal Behavior in the Monogamous and Biparental California Mouse, Peromyscus Californicus. Abstract 100.9. des 2009 Neuroscience Meeting Planner. Chicago, IL: Society for Neuroscience, 2009. Online.

 

 

Buchbesprechung: Valentin Braitenberg erklärt die Welt

„In diesem Buch will ich versuchen, eine Weltanschauung – meine eigene – in ihrer Gesamtheit darzustellen“, verspricht Valentin Braitenberg im Vorwort seines neuen Werkes: „Das Bild der Welt im Kopf – Eine Naturgeschichte des Geistes„. In der Wikipedia wird Braitenberg als „Hirnforscher, Kybernetiker und Schriftsteller“ vorgestellt, außerdem als ehemaliger Direktor am Max-Planck-Institut für Kybernetik in Tübingen. Weil diese Beschreibung zwar genau ist, aber doch verkürzt, und weil es ziemlich schwierig ist, diesem originellen Kopf gerecht zu werden, möchte ich lieber etwas weiter ausholen und zitiere dazu vom Einband des bereits genannten, 211 Seiten starken Bandes:

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

Lebt für die Lust am Verstehen: Professor Valentin Braitenberg (Foto: Schattauer Verlag)

„Professor Dr. Dr. h. c. Valentin Braitenberg. In Bozen geboren – im selben Jahr wie die Quantenmechanik, die Königin von England und Fidel Castro. Italienisches humanistisches Gymnasium sowie Ausbildung als Geiger am Konservatorium in Bozen. Im letzten Kriegsjahr in Folge unbedachter Äußerungen Mitglied einer Strafkompanie, die mit dem Ausgraben unexplodierter Bomben in Innsbruck betraut wurde. Dann Bratschist im Tiroler Landesorchester in Innsbruck, Student der Physik, später der Medizin. Promotion und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Rom. Nach Forschungsjahren in Deutschland und in den USA Habilitation in Kybernetik und Informationstheorie… Autor von mehreren Sach- und Fachbüchern. Valentin Braitenberg lebt, mit einer New Yorkerin verheiratet, in Tübingen, Meran und Neapel.“

Zurück zum Vorwort, wo der sympathische Professor (ein Besuch in seinem Labor liegt nunmehr bald 20 Jahre zurück) erklärt, das Buch sei vor allen Dingen dem Wunsch entspungen, „das Gedankengebäude, in dem ich mich behaglich eingerichtet habe, auf seine Geschlossenheit zu überprüfen. Dahinter verbirgt sich keineswegs der Gedanke, dass meine Art, die Welt – und mich in ihr – zu sehen, etwa die bestmögliche oder gar die einzig mögliche sei. Eher schon verstehe ich sie als einen Köder, der mir Leute, die ähnlich denken, zuführen und vielleicht zu Freunden machen könnte. Doch sind mir die anderen, die gute Gründe haben, anders zu denken, genau so lieb.“ Und weiter stichelt Braitenberg: „In der sicheren Erwartung, dass mich die Philosophen nicht zitieren werden, zitiere ich sie auch nicht.“

Auf das Vorwort folgt noch ein Beipackzettel – eine kleine Gebrauchsanweisung, in der Braitenberg seinen Lesern empfiehlt, die Dosis von einem Kapitel pro Tag nicht zu überschreiten. Von der Lektüre nach den Mahlzeiten wird abgeraten. Kapitel 1 könne Widerwillen auslösen und solle dann übersprungen werde, in Kapitel 3 droht Schwindelgefühl, „besonders, wenn man sich nicht genug Zeit für Meditation nimmt“, andere Passagen könnten allergische Reaktionen hervorrufen oder Ermüdungserscheinungen, doch seien Unverträglichkeiten mit anderen Weltanschauungen bisher nicht beobachtet worden.

So weit, so gut. Wir sind gewarnt. Überfliegen noch schnell ein Vorwort des Hirnerklärers und -forschers Manfred Spitzer und stürzen uns hinein in das Lesevergnügen. Die Lust am Verstehen sei der Grund für seine Mühe gewesen, sagt Braitenberg und zieht uns wie versprochen mit erstaunlicher Leichtigkeit hinein in seine Welt. Erklärt ´mal eben, warum Mensch, Tier und Pflanze am Leben hängen und läßt durchblicken, dass diese Erklärung ihm fast schon hinreicht, um auch den Sinn des Lebens zu erklären – oder jedenfalls das, was uns alle antreibt. Im Abschnitt „Verstehen“ geht es um Wissenschaft und ihre Spielregeln, um Menschen, die geistige Kataloge erstellen und solche, die aus Sucht oder aus Faulheit nach Regeln suchen.

„Im Grunde bin ich aber in mein eigenes Denken verliebt“, entschuldigt sich Braitenberg verschmitzt und verweist wie zur Entschuldigung darauf, dass diese Lust am Verstehen, die ihn durchs Leben trägt, keine Sättigung kennt. Außerdem habe diese Lust anderen Lüsten vieles voraus: „Anders als beim Raffen von Geld und Macht oder beim Sammeln von Liebestrophäen nimmt das,was ich gewinne, wenn ich der Lust am Verstehen nachgehe, keinem Menschen etwas weg“. Es folgt eine umwerfende Utopie für die Satzung einer Republik mit zehn Regeln, darunter einer Schulpflicht bis ins Rentenalter. Am besten gefällt mir Paragraph zehn, wonach die Satzung der Republik vom Volk mit 6/7Mehrheit geändert werden kann. „Das Volk in diesem Sinne besteht aus allen Bürgern im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, die überdurchschnittliche schulische Leistungen nachweisen können. Ausgenommen sind Geisteskranke, Millionäre, Betreiber von Fernsehanstalten, Designer, Stars im Sport- oder Showgeschäft oder Berufspolitiker.“ Ist diese Utopie ernst gemeint oder nicht? Wie kam der Mann auf diese zehn Regeln?

Zu Schade, dass an diesem Punkt, am Ende des ersten Kapitels, weitgehend Schluss ist mit lustig. Bitte Herr Braitenberg – lassen Sie uns (in ihrem nächsten Buch?) teilhaben an jenen Gedanken, die ihrer utopischen Republik zugrunde lagen. Denn von nun an ging es mit dem Lesevergnügen für mich leider bergab. Der scharfe Intellekt des Autors und seine Gabe, Zusammenhänge aufzuzeigen, blitzt zwar immer wieder auf und auch im zweiten Kapitel – dem Blick nach innen – komme ich nicht umhin, immer wieder zustimmend-anerkennend-überrascht-erfreut zu nicken, und meine Notizen an den Rand zu kritzeln.

Vielleicht liegt es an meinem Beruf als Wissenschaftsjournalist, vielleicht an meiner Spezialisierung auf die Hirnforschung, jedenfalls erschienen mir restlichen Kapitel weitaus weniger spannend und einleuchtend. Zwar sind auch die Meditationen über die physikalische Welt sowie über die Entstehung und Vermehrung von Lebewesen durchaus lesenswert und durchzogenen von originellen Gedanken und Erläuterungen. Spätestens wenn Braitenberg jedoch zu seinem eigentlichen Spezialgebiet kommt, dem Gehirn als Ebenbild der Welt, seinem Gebrauch und dem darin verankerten Sinn für Ästhetik, hätte ich mir etwas mehr Zurückhaltung bei der Erläuterung der Anatomie und Physiologie unseres Denkorgans gewünscht.  In seinem Beipackzettel hatte Braitenberg zwar fairerweise vor Emüdungserscheinungen bei diesen Kapiteln gewarnt. Dennoch erlaube ich mir zu sagen: Weniger wäre hier mehr gewesen.

Hier konnte Braitenberg, der wohl an die vierzig Jahre lang Hirnschnitte durch das Mikroskop angeschaut hat, sich weniger gut in den Leser hinein versetzen. Dem Buch schadet es jedenfalls, dass nach dem furiosen Auftakt peu a peu der Anteil an Erklärungsbedürftigem zu- und die Spannung dadurch abnimmt. Wer wie bei einem Kriminalroman auf den letzten Seiten eine Auflösung erwartet, die den Leser für seine Geduld belohnt, muss sich auf eine Enttäuschung einstellen. Wer sich von dieser  Aussicht nicht abschrecken läßt, wird jedoch auch jenseits des dritten Kapitels noch einigen Rosinen finden, die der Mühe wert sind. Mit dieser kleinen Einschränkung möchte ich mich dem Urteil Manfred Spitzers anschließen: Die cartesianischen Meditationen á la Braitenberg geraten jedem denkenden Menschen zu einem ganz privaten Vergnügen der besonderen Art.

Das war die Woche 33

Kennen Sie das? Diese langen Listen, die man sich zum Anfang der Woche macht – nur um Ende der Woche festzustellen, dass wieder einmal 18 Dinge dazwischen gekommen sind und die Liste deshalb eher länger als kürzer geworden ist. Dass so viele „wichtige“ Dinge wieder einmal liegen geblieben sind? „Dann mache ich es eben nächste Woche“ – sage ich mir – und erklimme damit die nächste Stufe der Selbsttäuschung.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Es ist die Rechtfertigung dafür, dass auf dieser Webseite längst nicht alles steht, was wichtig ist – nicht einmal das, was in den Bereichen Medizin & Pharma, Hirnforschung & Gentechnik binnen einer Woche passiert, kann ein Einzelner verarbeiten. Als Minimallösung – und damit Sie wenigstens eine Ahnung davon bekommen, was ich alles NICHT übersehen habe, führe ich hiermit die Wochenrückschau ein:

  • Die Kraft, die aus der Rübe kommt – Angeblich steigert Rote Beete die Ausdauer um 16 Prozent, so Forscher der Universität Exceter. Vorher war bereits bekannt, dass der Rübensaft den Blutdruck senken kann, aber für mich sind diese Behauptungen noch kein Grund, die Isogetränke beim Mountainbiken durch Gemüsesaft zu ersetzen.
  • Facebook-Nutzer sind öfter eifersüchtig – Mit dieser Meldung kommt die Fachzeitschrift CyberPsychology & Behaviour zum ersten mal in die Schlagzeilen. Befragt wurden verliebte Jugendliche und heraus kam, dass diese auf Facebook Informationen über den Partner finden, die sie mißtrauisch machen und dazu verführen, mehr Zeit online zu verbringen, um die Aktivitiäten des Partners zu verfolgen. Einige Studienteilnehmer beschrieben dieses Verhalten selbst als eine Sucht. Eine Stellungsnahme von Facebook habe ich nicht gefunden.
  • Forscher finden „Jucknerven“ – berichtet das Magazin Science. Fündig wurde Dr. Zhou-Feng Chen von der Washington-Universität im Bundesstaat Seattle, der bereits das „Juckgen“ GRPR entdeckt hat und über den ich in dem Artikel „Hirnforschung gegen Juckreiz“ berichte.
  • Erbgut-Entschlüsselung immer billiger – Stephen Quake, ein Professor an der kalifornischen Universität Stanford hat seine gesamten Erbanlagen (sein „Genom“) angeblich für weniger als 50000 Dollar ausgelesen und dafür nur zwei weitere Forscher gebraucht. Acht Jahre zuvor waren die ersten beiden Genome veröffentlicht worden, was jeweils mehrere hundert Millionen Dollar und die Mitarbeit von mehr als 250 Forschern erfordert hatte. Quake, der die selbst entwickelte SMS-Technik (für single molecule sequencing) vermarkten und die Entschlüsselung des eigenen Genoms für jedermann erschwinglich machen will, fand einen schönen Vergleich: „Eine Aufgabe, die so viel gekostet hat wie eine Boing 747 und ein Team, das die Hälfte dieses Flugzeuges gefüllt hätte, kostet nun so viel wie eine Luxuslimousine und die Leute dafür hätten auf dem Rücksitz Platz.“
  • Optimistische Frauen leben länger und haben seltener Herzkrankheiten – dies ergab die bislang größte Studie zum Thema mit fast 100000 Teilnehmerinnen, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Circulation“ der US-amerikansichen Herzgesellschaft. Auch anders herum wird ein Schuh daraus: „Die Mehrheit der Beweise legt nahe, dass ein hohes Maß an negativem Denken die Gesundheit gefährdet“, so Studienleiterin Hilary A. Tindle von der Universität von Pittsburgh. Für Krebserkrankungen gibt es dagegen keine eindeutigen Hinweise, dass eine optimistische Grundhaltung sich auf den Verlauf des Leidens auswirkt, ist einem Beitrag in der Septemberausgabe des Magazins Gehirn & Geist zu entnehmen. Dort erklärt der Psychoonkologe Volker Tschuschke vom Universitätsklinikum Köln, dass die Psyche zwar nachweislich auf das Immunsystem und dass es handfeste Beweise dafür gibt, dass dauernde Niedergeschlagenheit das Immunsystem schwächt. Allerdings, so Tschuschke konnten Studien bislang nicht eindeutig belegen, dass negative Emotionen und Pessimismus das Tumorwachstum förderten oder dass umgekehrt positives Denken die Heilungschance verbessert.
  • Hoffnungsschimmer für Gentherapie – das mit dem Hoffnungsschimmer darf man wörtlich nehmen, den viel mehr sehen die drei Patienten nicht, über die das New Enland Journal of Medicine berichtet, ein Jahr nachdem sie mithilfe der Gentherapie gegen eine sehr seltene Form erblicher Blindheit behandelt wurden, die Leber-Amaurose. Die drei Patienten waren blind und können noch immer keine Buchstaben lesen, jedoch „einen schwachen Lichtschein ausmachen“, wie die Ärzte von den Universitäten von Pennsylvania in Philadelphia und von Florida in Gainesville bekannt gaben. Eine Patienten hatte sogar bei einer Autofahrt erstmals die Uhr auf dem beleuchteten Armaturenbrett bemerkt.

Katze dressiert Frauchen

Katzenfreunde wissen, dass diese Haustiere kaum zu dressieren sind. Dass die Miezen statt dessen ihre Besitzer geschickt manipulieren, mag manch einer geahnt haben. Erst jetzt aber sind Wissenschaftler der Universität von Sussex im englischen Brighton den cleveren Vierbeinern durch die Auswertung von Tonaufnahmen auf die Schliche gekommen. Katzen lernen nämlich erstaunlich schnell, so zu miauen, dass Menschen diese Rufe als besonders dringlich empfinden, berichten die Psychologin Karen McComb und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift Current Biology.

Für Viele unwiderstehlich: Das Schnurren einer Katze (Foto: Fabian Bolliger)

Für Viele unwiderstehlich: Das Schnurren einer Katze (Foto: Fabian Bolliger)

Wenn sie Futter wollen, mischen die listigen Vierbeiner demnach gekonnt zwei Signale: Ein dringlicher Schrei wird eingebettet in angenehmes Schnurren – und das Ergebnis ist für die meisten Menschen kaum zu ignorieren.  „Dies ist eine sehr subtile Art, jemanden zum Handeln zu bewegen“, kommentierte McComb. „Solch ein bettelndes Schnurren finden Menschen wahrscheinlich eher akzeptabel als ein unverstelltes Miauen, wodurch die Katzen wahrscheinlich sofort aus dem Schlafzimmer geschmissen würden.“ Die Forscherin vermutet, dass diese Art der Katzensprache ein unterschwelliges Signal sendet, das eine angeborene Empfänglichkeit des Menschen für Geräusche ausnutzt, die mit der Ernährung des Nachwuchses zusammen hängen.

Zu der Untersuchung sei sie durch ihre eigene Katze inspiriert worden, von der sie jeden Morgen durch ein sehr beharrliches Schnurren geweckt werde, sagte McComb. Dann habe sie im Gespräch mit anderen Katzenbesitzern erfahren, dass deren Tiere den gleichen Trick beherrschen. Weil McComb am Center for Mammal Vocal Communication Research bereits seit vielen Jahren die Laut-Verständigung von Elephanten, Löwen und anderen Säugetieren untersucht, beschloss sie, auch dem Phänomen des unwiderstehlichen Katzenschnurrens auf den Grund zu gehen.

Durch eine Reihe von Tonbandaufnahmen, die in ihre Einzelteile zerlegt und anlaysiert wurden, konnten die Forscher das entscheidende Element isolieren. Ein ungewöhnliches, hochfrequentes Geräusch ähnlich einem Schrei oder Miauen vermittelt demnach die nötige Dringlichkeit, wird aber trotzdem von Menschen als angenehm empfunden (-> Tonaufnahmen). Als das Team die Aufnahmen manipulierte und ohne dieses spezifische Element neu abmischte, empfanden Testhörer den Katzenschrei als weitaus weniger dringend.

McComb glaubt, dass dieser spezielle Ruf zwar auch im normalen Schnurren der Tiere enthalten ist, „wir denken aber, dass Katzen lernen, dieses Element enorm zu übertreiben, wenn es sich als wirksam erweist, um Menschen zum Handeln zu bewegen“.

Quelle:

  • Charlton et al. The cry embedded within the purr. Current Biology 9 vom 14 Juli 2009.

Blau macht kreativ, Rot macht aufmerksam

An Theorien, Vermutungen und Behauptungen zur Wirkung unterschiedlicher Farben auf den Menschen gibt es keinen Mangel . Fragt man jedoch nach Beweisen, so geraten auch Experten leicht ins Wanken. Selbst das wohl angesehenste Nachschlagewerk, die Encyclopaedia Britannica, flüchtet sich ins Ungefähre, wenn sie zur Farbpsychologie erklärt, dieser wichtigste Aspekt der Farbe im täglichen Leben sei „wahrscheinlich am schlechtesten definiert und höchst variabel“, zudem kulturell und geschichtlich geprägt und überdies noch abhängig vom Alter, der Stimmung und der geistigen Gesundheit des Betrachters.

Prof. Juliet Zhu von der UBC Sauder School of Business

Prof. Juliet Zhu von der UBC Sauder School of Business

Licht ins Dunkel bringen nun zwei Fachleute für Marktforschung: Die Privatdozentin Rui (Juliet) Zhu und ihr Kollege Ravi Metha von der Sauder School of Business im kanadischen Vancouver konnten in einer ganzen Reihe von Experimenten zeigen, dass die Farbe Rot bei Denkaufgaben die Aufmerksamkeit erhöht und zu einem besonders sorgfältigen Arbeiten anregt. Die Farbe Blau dagegen veranlasste die freiwilligen Versuchspersonen, ihre Denkaufgaben entspannter anzugehen. Sie konzentrierten sich weniger auf die Details, bewiesen dafür aber größere Kreativität und mehr Überblick.

Ausgangspunkt der Experimente waren die bisher oft widersprüchlichen Ergebnisse anderer Wissenschaftler, die sich mit der Auswirkung von Farben auf die Denkleistung beschäftigt haben, schreiben Zhu und Mehta im ScienceExpress, der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Science. „Einige Versuche haben nahe gelegt, dass Blau oder Grün für die Denkleistung besser wäre als Rot; andere Versuche haben das Gegenteil gezeigt“, so die beiden Wissenschaftler.

Zhu und Mehta entwarfen daher sechs Versuchsreihen, bei denen die Freiwilligen meist am Computer vor einem blauen, roten oder neutralem Hintergrund unterschiedliche Aufgaben bewältigen mussten. So ging es unter anderem darum, Ideen für Kinderspielzeuge zu entwickeln, durch die Umstellung von Buchstaben aus einem Wort ein anderes Wort zu schaffen, oder sich möglichst viele Wörter von einer Liste zu merken.

Vor einem roten Hintergrund erinnerten die Versuchspersonen dabei eindeutig mehr Worte aus einer Liste mit 36 Einträgen. Präsentierte man den Probanden dagegen eine Liste von Worten mit ähnlicher Bedeutung, von denen aber nur eines auf der ursprünglichen Liste stand, so war die Fehlerquote vor einem blauen Hintergrund deutlich höher. Die Versuchsteilnehmer – so scheint es – ließen ihrem Geist hier eher freien Lauf und erzielten ein schlechteres Resultat, weil sie sich weniger auf die Details konzentriert hatten.

In einem anderen Wortspiel ging es darum, aus Hinweisen wie „Regal“ und „lesen“ ein bestimmtes Zielwort (hier: „Buch“) zu finden. Diesen Test benuzten Psychologen gerne, um Kreativität zu messen und hier erwies sich ein blauer Hintergrund eindeutig als der bessere. Besonders aufschlussreich war ein Experiment, bei dem die Versuchsteilnehmer aus 20 Bauteilen Kinderspielzeuge basteln sollten, deren Wert anschließend von unabhängigen Gutachtern beurteilt wurde. Hatte man den Probanden die Bauteile zuvor in roter Farbe präsentiert, so schufen diese nach Meinung der Gutachter eher praktisches Spielzeug, waren die Bauteile dagegen blau, so schufen die Versuchsteilnehmer zwar nicht mehr Spielzeuge, doch waren diese laut Urteil der Jury origineller und kreativer, als jene, die aus roten Vorlagen zustande kamen.

„Mit unseren Ergebnissen können wir die bisherigen Widersprüche auflösen“, behaupten Zhu und Mehta. Die Farben Rot und Blau bringen uns demnach in unterschiedliche Grundstimmungen und wirken sich deshalb bei verschiedenen Aufgaben unterschiedlich aus. Der Zusammenhang zwischen diesen Grundstimmungen (Motivationen) und den Farben beruhe auf Erfahrung und Lernvorgängen, erklären die Marktforscher:

Rot werde mit Gefahr und Fehlern in Verbindung gebracht, weil beispielsweise Fehler in Hausarbeiten mit roter Farbe markiert werden, weil die gleiche Farbe auch für Warnhinweise gebraucht wird oder weil Verkehrsschilder, die Autofahrer alarmieren sollen wie „STOP“ oder „Vorfahrt gewähren“ ebenfalls häufig in Rot gehalten sind. Die Farbe Blau dagegen werde von den meisten Menschen mit dem Wasser oder dem Himmel in Verbindung gebracht und löse daher Gefühle von Offenheit, Frieden und Ruhe aus. In solch einer Stimmung sei man eher bereit, neue Strategien zu erproben.

Die gegensätzlichen Stimmungen könnten sich entweder als Vorteil oder als Nachteil erweisen, je nachdem welche Fähigkeiten zu Lösung einer Aufgabe gerade gebraucht werden, argumentieren Zhu und Mehta. Rot führe demnach eher zu einer Denkweise, die das Vermeiden von Fehlern begünstigt und bringt deshalb bessere Ergebnisse bei Aufgaben, bei denen es auf die Details aufkommt. Wer sich Namen, Zahlen und andere Fakten merken oder andere vor Gefahren warnen will, sollte sich deshalb mit einem Rotstift bewaffnen.

„Wenn für die Aufgabe jedoch Kreativität und Fantasie gebraucht werden, wäre blau die nützlichere Farbe“, raten Zhu und Mehta. Allerdings habe man die Versuche an einer nordamerikanischen Universität durchgeführt und es sei ihnen durchaus bewusst, dass die gleiche Farbe in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Assoziationen haben könne. Deshalb müssten die Experimente auch anderswo wiederholt werden, bevor man die Ergebnisse verallgemeinern könne.

Quelle:

Hintergrund Farbpsychologie:

 

Goethes Farbenkreis zur Idealisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens

Goethes "Farbenkreis zur Idealisierung des menschlichen Geistes- und Seelenlebens"

„Die Erfahrung lehrt uns, dass die einzelnen Farben besondere Gemütsstimmungen geben“ dozierte bereits Johann Wolfgang von Goethe. Seine 1810 erschienene Schrift „Zur Farbenlehre“ betrachtete der Dichterfürst selbst als sein wichtigstes Werk und scheute sich nicht, dem englischen Universalgenie Isaac Newton zu unterstellen: „Alle aufgestellten Experimente sind falsch oder falsch angewendet.“ Zwar irrte Goethe in vielen Punkten, doch gilt sein Werk gleichwohl als einer der Grundsteine der modernen Farbpsychologie.

Den meisten Menschen vertraut ist die Wahrnehmung, dass Rot, Orange, Gelb und Braun als „warm“ empfunden werden, Blau, Grün und Grau dagegen als „kalt“. Warme Farbtöne sollen Aufregung, Freude, Erregung, aber auch Aggressionen hervor rufen; Blau und Grün werden mit Sicherheit, Ruhe und Frieden in Verbindung gebracht; Braun, Grau und Schwarz schließlich mit Trauer und Melancholie.

In anderen Kulturkreisen ist die Bedeutung der Farben jedoch manchmal anders belegt. Während bei uns in Schwarz getrauert wird, steht dafür in Indien die Farbe Weiß. Viele Psychologen glauben, aus dem Farbgebrauch eines Menschen und dessen Reaktion auf verschiedene Farben Informationen über dessen Seelenleben gewinnen zu können.

Besonders populär ist ein Persönlichkeitstest, den der Schweizer Psychologe Max Lüscher entwickelt hat. Seine Bücher wurden in 29 Sprachen übersetzt und noch heute ist Lüscher als Berater für Firmen und für die Werbung tätig. Seine Mitwirkung bei der Gestaltung der Trikots für die Schweizer Fussballnationalmannschaft zeigte allerdings keinen besonderen Erfolg – bekanntlich kam das Team bei der letzten Europameisterschaft im eigenen Land nicht über die erste Runde hinaus.

Weiter noch als Lüscher gehen manche Psychologen, die behaupten, mittels einer Farbtherapie (auch Colortherapie oder Chromotherapie genannt) ließen sich Ängste, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände oder Rheuma lindern oder gar heilen. Dagegen warnt die AOK vor dem Versuch, ernsthafte Krankheiten mit solch einer Farbtherapie zu behandeln. „Wenn dadurch eine fachgerechte medizinische Therapie unterbleibt, können gravierende Folgen entstehen“, heißt es auf der Webseite der größten deutschen Krankenkasse, die außerdem betont, dass die Kosten solch einer Therapie nicht erstattet werden.