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Wenn Frauen trinken…

Dass Frauen weniger Alkohol vertragen als Männer, schien vielen eine Binsenwahrheit zu sein, die mit dem geringeren Körpergewicht der trinkenden Damen erklärt wurde. Doch auch bei gleichem Körpergewicht werden Frauen schneller beschwipst, der Rausch hält zudem länger an. Ein italienisch-amerikanisches Forscherteam scheint jetzt den kleinen Unterschied herausgefunden zu haben, mit dem diese Beobachtungen erklärt werden können.

Wein wirkt bei Frauen meist stärker als bei Männern. (Foto Copyright 2017, Michael Simm)

Frauen haben nämlich viel geringere Konzentrationen eines alkoholabbauenden Eiweißstoffes in ihren Mägen als Männer. Das Eiweiß mit dem Namen Alkoholdehydrogenase (ADH) wird von den Magenwänden produziert und übt eine schützende Funktion aus, indem es etwa ein Fünftel des Alkohols beseitigt, bevor dieser in die Blutbahn eintritt.

Bei einer Studie an 43 Frauen und Männern zeigte sich nun, dass Frauen wesentlich weniger ADH produzieren und daher fast ein Drittel mehr Alkohol in die Blutbahn aufnehmen als Männer. Rechnet man das geringere Körpergewicht der Damen hinzu, so kommt man zu dem Ergebnis, dass ein Glas Wein dort den gleichen Effekt auslöst wie zwei Gläser Rebensaft bei einem Mann.

Die Forscher machten aber noch eine zweite verblüffende Entdeckung: Während männliche Alkoholiker immer noch halb so viel ADH produzieren wie ihre gesunden Geschlechtsgenossen, fehlt das schützende Eiweiß bei alkoholabhängigen Frauen fast völlig. „Für diese Frauen macht es keinen Unterschied, ob sie den Alkohol trinken oder direkt in die Venen spritzen“, kommentierte Dr. Charles Lieber von der Mount Sinai School of Medicine in New York diesen Befund.

(erschienen in der WELT am 3. Februar 1990, aktualisiert am 27. Februar 2017)

Originalartikel:

Frezza M, di Padova C, Pozzato G, Terpin M, Baraona E, Lieber CS. High blood alcohol levels in women. The role of decreased gastric alcohol dehydrogenase activity and first-pass metabolism. N Engl J Med. 1990 Jan 11;322(2):95-9

„Cosmic Space“ und „Ecstacy“ – Bunte Pillen, die töten können

Auch die Rauschgiftmafia bereitet sich auf den europäischen Binnenmarkt von 1993 vor. Die Dealer sind beim Kampf um Marktanteile nicht zimperlich. Neue synthetische Drogen und Mixturen sind aufgetaucht, die wie Heroin und Kokain mit brutalen Methoden verbreitet werden. Obwohl 1988 mehr Rauschgift beschlagnahmt wurde als je zuvor, steigt die Zahl der Todesopfer weiter an. Über neue Trends am Drogenmarkt berichteten jetzt Experten aus verschiedenen Fachgebieten auf einer Pressekonferenz in Frankfurt.

Noch nie wurde in der Bundesrepublik so viel Rauschgift beschlagnahmt wie im letzten Jahr. Über 1000 Kilogramm der „harten“ Drogen (vor allem Kokain und Heroin) stellten die Behörden sicher, dazu mehr als elf Tonnen Cannabis. Trotz dieser Erfolge der Fahnder ist der Marktpreis gerade für die besonders gefährlichen Suchtstoffe Kokain und Heroin gegenüber 1987 um fast die Hälfte gesunken – ein klares Zeichen dafür, dass den Süchtigen mehr „Stoff“ zur Verfügung steht als je zuvor.

Ecstasy - Wikipedia

Beschlagnahmte Ecstasy-Pillen (Quelle: Wikipedia)

Über neue Trends beim Drogenkonsum unterrichteten Fachleute kürzlich auf einer Pressekonferenz am Frankfurter Flughafen. Während die Bereitschaft von Jugendlichen, illegale Drogen einzunehmen, leicht abnimmt, weisen alle Indikatoren zum Drogengebrauch bei gefährdeten Personen nach oben, wie Dr. Walter Kindermann von der Frankfurter Projektgruppe Rauschmittelfragen betonte. Traurige Bilanz für das erste Halbjahr 1989: Mit fast 500 Drogentoten steht zu erwarten, dass die bisherige Höchstzahl an Suchtopfern aus dem letzten Jahr (673 für ganz 1988) nochmals übertroffen wird.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sieht in dieser bedrohlichen Entwicklung die Auswirkungen des Angebotsdrucks der internationalen Rauschgifthändler-Organisationen auf den gesamten europäischen Markt. „Die Überschwemmung des europäischen Marktes infolge des Preisverfalls in den USA hat zu einer hohen Verfügbarkeit von Rauschgiften mit außerordentlichem Reinheitsgrad bei niedrigen Preisen geführt. Dadurch wurde nicht nur die hohe Todesrate bei den Abhängigen mitverursacht, sondern auch die Nachfrage gefährlich belebt.“

In der Frankfurter Drogenberatung beschäftigt man sich vorwiegend mit denjenigen Abhängigen, deren „Leit“-Droge Heroin ist. Der gleichzeitige Missbrauch verschiedener Psychopharmaka führt bei diesem Personenkreis zu „Mischintoxikationen“, die zu einer desolaten Verfassung der Süchtigen beitragen, erklärte Kindermann. Dazu kommen dann bei vielen Infektionen mit dem Immunschwäche-Virus (HIV), Beschaffungskriminalität und Obdachlosigkeit. Eine zu geringe Zahl an Therapieplätzen führt bei Ausstiegswilligen zu mehrmonatigen Wartezeiten. Auch fehlen ärztlich und psychosozial betreute Entzugsplätze speziell im Raum Frankfurt.

Durch den europaweiten Abbau der Grenzkontrollen wird die Situation sich weiter verschlimmern.  Den internationalen Drogensyndikaten öffnen sich neue Märkte. Schon jetzt versuchen die Dealer mit neuen Angeboten und Kombinationen verschiedener Drogen die kaufkräftigen Europäer in Abhängigkeit zu bringen. Über 1000 Drogenmillionäre sind nicht zimperlich, wenn es darum geht, sich einen Marktanteil zu sichern. Die Verbreitung der Rauschgifte ist dabei nicht nur raffinierter, sondern auch brutaler geworden.

Günter Speckmann, Zolloberamtsrat i. R. verfolgt die Hamburger Drogenszene schon seit über 20 Jahren. Er berichtete von den Praktiken der Dealer, die auch mit neuen synthetischen Drogen handeln. Diese tragen so exotische Namen wie „Ecstasy“, „Cadillac“ oder „Cosmic-space“. Schon eine einzige der bunten Pillen kann tödlich sein, da beim Zusammenmischen dieser „Designer-drugs“ oft Kombinationen mit fataler Wirkung entstehen.

Auch Cannabis-Zigaretten, die in Thailand fabrikmäßig hergestellt werden und äußerlich von  handelsüblichen Zigaretten kaum zu unterscheiden sind, sind auf dem Vormarsch. Aus Hongkong  kommen Wegwerffeuerzeuge, die im unteren Drittel mit einem starken Betäubungsmittel gefüllt sind. Diese Ware wird mit einer Spritze entnommen und ist als Ersatzstoff für Heroin sehr begehrt. Die synthetische Droge LSD („Speed“) wurde bis vor kurzem noch auf Löschpapier aufgetropft. Beim Kauen wird das LSD wieder aus dem Papier gelöst. Jetzt ist das Speed in Form von Gelatineplättchen auf dem Markt aufgetaucht, die auf der Zunge zergehen.

Besonders gefährlich sind die „Mini-hits“ genannten Heroinportionen, die beim Haschisch-Kauf von Dealern kostenlos mit angeboten werden. Das Heroin wird dann beim Drehen eines Joints zugemischt – meist ohne dass die Betroffenen wissen, was sie da eigentlich rauchen. Einige wenige dieser „Super-joints“ führen bereits zur totalen Heroinabhängigkeit.

Erwartungen, dass die Angst, sich beim Fixen mit dem Aids-Virus zu infizieren, zu einem Absatzrückgang beim Heroin führen könnte, haben sich zerschlagen. Die einzige Konsequenz der Fixer: Heroin wird jetzt wieder vermehrt geraucht statt gespritzt. Dieses Verhalten findet seinen Niederschlag in dem hierzulande vergleichsweise niedrigen Prozentsatz an HIV-infizierten Süchtigen: Bei 13 bis 14 Prozent der Drogentoten konnte das Aids-Virus im Blut nachgewiesen werden. Dagegen sind mehr als die Hälfte der 200000 Fixer in New York City von dem Erreger befallen.

Die Aufmerksamkeit der Experten erstreckt sich aber nicht nur auf die illegale Drogenszene. Dies machte der Rechtsmediziner Professor Joachim Gerchow mit einem Hinweis auf den gesellschaftlich tolerierten Drogenkonsum klar. Das legale Suchtmittel Alkohol fordere alleine in Bundesrepublik etwa 30 000 Menschenleben jährlich. Kindermann sprach in diesem Zusammenhang sogar von einer „Drei-Klassen-Suchtgesellschaft“. Neben den illegalen Drogen, die im Brennpunkt des Medieninteresses stehen, warnte er vor der zunehmenden Medikamentenabhängigkeit („Sucht auf Rezept“) und der „billigen Sucht im Supermarkt“, die es auch Kindern leicht mache, an Alkohol oder Zigaretten heranzukommen.

(erschienen in der WELT am 14. Juli 1989)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Tatsächlich ging die Zahl der Drogentoten in 1989 auf mehr als 1000 steil nach oben. Im Jahr 2000 waren es dann sogar doppelt so viele (2030). Seitdem ist die Zahl der Todesopfer durch harte Drogen wieder gesunken – im letzten Berichtsjahr 2014 waren es 1032, wie diese Grafik zeigt.

Spielsucht: Die Groschengräber in der Daddelhalle

Im Odeon Spielcenter ist es 15 Minuten vor Schluss. Die Flipper und Videospiele sind verlassen, im spärlich beleuchteten Raum drängen sich zwei Dutzend Männer vor leuchtenden Kästen die einfache Melodien summen. Buntbemalte Rädchen drehen sich unaufhörlich, Karten zappeln hinter Glas, tausende von Lämpchen blinken im hektischen Rhythmus. Manchmal klimpern Münzen.

Nur wenige Frauen sind hier zu sehen. Sie haben ihre Freunde begleitet – widerwillig, wie man an ihren Gesichtern ablesen kann. Die Männer – Teenager zum Teil, andere schon im Rentenalter – spielen an Münzautomaten. Fast alle Geräte sind in Betrieb, manche Kunden spielen an zwei, drei oder vier Maschinen gleichzeitig. Cool sitzen sie vor „ihrem“ Kasten, scheinbar überlegt verfolgen sie die Digitalanzeigen: Anzahl der Spiele, Sonderspiele, Einsatz, Gewinn. Andere hämmern hektisch auf die verschiedenen Tasten: Start, Stopp und Risiko, immer wieder Risiko. „Das Gerät zahlt im Durchschnitt mindestens die gesetzlich vorgeschriebenen 60% der Einsätze aus“, so steht es auf jedem einzelnen Münzspielautomaten zu lesen. Ein schwacher Trost für die überwiegende Mehrzahl der Spieler, die auch heute keine „goldene Serie“ gehabt haben. „Raus jetzt, morgen ist auch noch ein Tag“ sagt der Aufseher und die bunten Kästen lassen ein letztes Mal „Game Over“ aufblinken.

„Game Over“, das ist auch der Name eines Hilfsvereins für spielsüchtige Menschen in Mannheim. Zur Zeit hat die Gruppe ca. 25 Mitglieder, bis auf eine Ausnahme alle männlichen Geschlechts. Ein Münzspielautomat im Büro des Vereins macht stutzig, doch dies sei nur ein „Denkmal“ ohne Innenleben erklärt Dirk Naubereit, der hier mit einem weiteren Kollegen arbeitet. Dirk ist „nebenher“ Student, für seine Arbeit in der Selbsthilfegruppe bekommt er eine Aufwandsentschädigung von monatlich 300 Mark, Teil eines Zuschusses von 5000 Mark, die der Drogenverein Mannheim ebenso bereitstellt wie die Räumlichkeiten. Bereitwillig erzählt er von seiner Arbeit: In den letzten vier Wochen alleine habe er neun Erstgespräche mit süchtigen Spielern gehabt. „Wir bemerken, dass die Spieler immer jünger werden, ca. 50% sind schon einmal straffällig geworden.“ Diese Beschaffungskriminalität sei durchaus mit der von Drogenabhängigen zu vergleichen.

Die durchschnittlichen Spielschulden der Gruppenmitglieder liegen nach seinen Angaben zwischen 50000 und 70000 Mark, in einem Einzelfall wurde sogar ein Schuldenberg von 58000 Mark in nur neun Monaten aufgetürmt. Eine Motivationsgruppe soll den Willen stärken, dem Teufelskreis von Spielsucht, finanziellen und persönlichen Schwierigkeiten zu entrinnen. „Sich einzugestehen, dass man süchtig ist, abhängig ist, das ist der erste Schritt.“

Die Informationsgemeinschaft Münz-Spiel ist da ganz anderer Meinung: Von Sucht könne keine Rede sein bei der „vergleichsweise geringen Zahl von Menschen“ die mehr Geld ausgeben als sie sich leisten können. Diese Zahl wird von den Automatenbetreibern mit 20000 angegeben, andere Schätzungen gehen von mindestens 10-mal so vielen Fällen aus. Bei einem Gesamtumsatz von 1987 über 4 Milliarden Mark mit steigender Tendenz wehrt sich denn auch die Branche gegen „übereifrige Verbotsfanatiker“ und zaghaft erhobene Vorschläge zur Erhöhung der Vergnügungssteuer.

Bei „Game Over“ stößt man auf wenig Verständnis für diese Nöte. Einer Vergnügungssteuer von derzeit 60 Mark pro Gerät und Monat stehen die sechs-, bis achttausend Mark gegenüber, die im gleichen Zeitraum an einem günstigen Standort erzielt werden können.

Dirk erzählt, wie das früher war bei ihm: „Alle Freunde und Bekannte sind damals, als das Jugendzentrum geschlossen wurde, in die Spielhalle abgewandert.“ Wie so viele andere auch hatte er am Anfang gewonnen. Er wollte mehr, verbrachte bald acht bis vierzehn Stunden täglich vor den Spielautomaten. Irgendwann hat er doch noch die Kurve gekriegt. Dirk ist jetzt seit mehreren Jahren spielfrei. Seine Arbeit bei „Game Over“ hilft ihm, dass es auch so bleibt.

Andere sind nicht so glücklich: Ich bin wieder im Odeon Spielcenter. Multi-Multi, Formel 1, Roulette, Big Jack und die anderen Maschinen sind schon wieder bei der Arbeit. Unermüdlich schlucken sie die Groschen der Kundschaft. Es ist elf Uhr morgens, aber viele Gesichter kenne ich schon aus der Nacht zuvor. Den junge Mann, der das Sichtfenster zuhält, bevor er mit schnellen Bewegungen die Risiko-Taste drückt, zum Beispiel. Er träumt vom großen Geld – aber das machen die anderen.

Reportage als Teil einer (erfolglosen) Bewerbung bei der Henri-Nannen-Journalistenschule im Frühjahr 1989.