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Hirnforscher lauschen dem Dalai Lama

Ausgerechnet in der Hauptstadt jenes Landes, in dem religiöse und naturwissenschaftliche Weltanschauungen mit zunehmender Härte aufeinander prallen, ist es dem Dalai Lama gelungen, eine Brücke zwischen den verfeindeten Lagern zu schlagen. An die 800 Hirnforscher hatten in einer Petition gegen den Auftritt „seiner Heiligkeit“ auf dem Jahrestreffen der US-Neurowissenschaftler in Washington protestiert, doch annähernd 14000 waren gekommen, um die Botschaft des Friedensnobelpreisträgers und spirituellen Führers des tibetanischen Volkes zu hören.

„Ich bin ein neugieriger Mensch, und wenn ich nicht Mönch geworden wäre, dann wahrscheinlich Ingenieur“, sagte der 70-jährige, der kürzlich ein Buch über die Gemeinsamkeiten von Wissenschaft und Spiritualität veröffentlicht hat („Die Welt in einem einzigen Atom“). Die östlichen Philosophien mit ihren Meditationspraktiken und die moderne Medizin hätten  zwar völlig unterschiedliche Wurzeln, in ihrem Streben nach der Linderung menschlichen Leidens aber eine gemeinsame Philosophie.

Buddhisten untersuchen ebenso wie Wissenschafter die Realität, erklärte der Mann in der roten Robe, der sich selbst einen „einfachen Mönch“ nennt, obwohl er in der westlichen Welt längst zur Ikone geworden ist und in der tibetanischen Tradition als 14. Wiedergeburt eines Buddha des Mitgefühls verehrt wird.

Respekt vor der Arbeit der Hirnforscher: Der Dalai Lama in Washington

Respekt vor der Arbeit der Hirnforscher: Der Dalai Lama in Washington (Copyright 2005 Michael Simm)

Vor der Besetzung Tibets durch die Chinesen und seiner Flucht aus der Heimat habe er von seinem Palast in Lhasa mit einem Teleskop erst das Treiben in der Stadt beobachtet, dann die Sterne und den Mond. „Ich habe Schatten auf dem Mond gesehen und mich gewundert, denn laut unseren Buddhistischen Schriften strahlt der Mond von sich aus“, erzählte der Dalai Lama. Die Lehre sei also falsch gewesen und er habe dies auch seinem Meister gesagt. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit Kosmologie, Teilchenphysik und der Hirnforschung, wobei er einige der führenden Wissenschaftler als Tutoren hatte, darunter den deutschen Physiker Carl von Weizsäcker und den gebürtigen Österreicher Karl Popper

Er habe tiefen Respekt vor der Arbeit der Hirnforscher, erklärte der Dalai Lama seien Zuhörern. „Wenn wir die menschliche Psyche besser verstehen, finden wir vielleicht auch einen Weg, negative Gedanken und Gefühle zu überwinden“, so die Hoffnung des „Gegenwärtigen“. Es gebe hier viele Gelegenheiten für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen, sagte der Dalai Lama, der durchgesetzt hat, daß die buddhistischen Mönche am Sitz der tibetanischen Exilregierung im indischen Dharamsala naturwissenschaftlichen Unterricht nehmen müssen.

Falls eine Pille oder Elektroden im Gehirn Verständnis und Mitgefühl fördern würden, hätte er dagegen nichts einzuwenden, so der 70-jährige. Auch Tierversuche könnten notwendig sein, wenn sie insgesamt das Leiden vermindern würden.

Trotz aller Freundlichkeiten fand der Dalai Lama auch mahnende Worte für die Wissenschaft: „Ganz offensichtlich kann unsere Moral nicht Schritt halten mit dem Tempo, mit dem wir neues Wissen und neue Macht erschließen.“ Falsch sei die Ansicht, daß die Gesellschaft Wissenschaft und Technik einfach nur fördern solle und die Wahl, was man mit den Ergebnissen macht, dann dem Einzelnen überlassen. Er wolle keine Verschmelzung von religöser Ethik mit wissenschaftlichen Fragestellungen, stellte der Dalai Lama klar. Vielmehr forderte er eine von der Religion unabhängige Ethik, die sich an Schlüsselprinzipien wie Mitgefühl, Toleranz, Verständnis für Andere und dem verantwortlichen Umgang mit Wissen und Macht orientiert. „Dies sind Prinzipien, welche die Barrieren zwischen Gläubigen und Ungläubigen sowie zwischen den Religionen überragen“.

Das Ende der Rede wurde mit anhaltendem Applaus bedacht. Lediglich eine Frau wurde mit einem Protest-Plakat vor dem Konferenzzentrum gesichtet und einige Handvoll Forscher hatten den Vortrag des Dalai Lama vorzeitig verlassen, um ihren Unmut zu bekunden.

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Wieder Furcht und Zittern lernen

Im Rahmen einer VHS-Vortragsreihe war am Montagabend Professor Günter Altner, Vorstandssprecher des Freiburger Öko-Instituts im Kulturhaus zu Gast. Das Thema des gelernten Biologen und Theologen: Die Gentechnologie als Herausforderung für die christliche Weltanschauung.

Ca. 70 Zuhörer jeglichen Alters zeugten von dem Interesse der Öffentlichkeit an dem recht komplexen Thema, das jedoch, wie Prof. Altner schnell klarmachte, jeden angeht. Die Gentechnologie habe die Absicht, durch mehr oder weniger gezielten Eingriff ins Erbgut der verschiedensten Organismen diesen zu neuen Leistungen zu verhelfen, wozu auch die Produktion neuer Stoffe gehöre.

Zu Eingang seines Vortrages bemühte sich Altner, dem Publikum die Grundlagen der neuen Technologie nahe zu bringen, indem er in groben Zügen eine Vorstellung vermittelte, wie man sich denn diese Erbanlagen vorzustellen habe.

 

Auch für die Übersetzung des genetischen Codes, der Erbsprache also, in Eiweißstrukturen, die letztlich die Merkmale und die Entwicklung alles Lebendigen bestimmen, fand Altner einen recht anschaulichen Vergleich.

Damit war dann der Boden bereitet für eine Schilderung der vielfältigen Nutzungsziele, die gegenwärtig auf diesem Gebiet verfolgt werden. Dabei wurde immer wieder klar, welch zweischneidiges Schwert der Menschheit mit dieser Technologie in die Hand gegeben ist: Einerseits werden Mikroorganismen heute schon dazu benutzt, Insulin für Zuckerkranke zu produzieren – billiger und reiner als dies mit der bisherigen Methode der Gewinnung aus den Drüsen von Schlachttieren zu machen ist -, andererseits haben aber auch militärische Kreise die Gentechnologie entdeckt und damit die Möglichkeit, biologische Waffen noch bösartiger zu machen, als sie dies ohnehin schon sind.

In der Pflanzenzucht ließe sich erhöhte Fruchtbarkeit bei Kulturpflanzen ebenso erreichen wie größere Widerstandsfähigkeit gegen extreme Umweltbedingungen und verminderter Bedarf an Düngemitteln. Während diese Projekte, die für Entwicklungsländer von Wert sein könnten, noch in der Entwicklung sind, sind herbizidresistente Kulturpflanzen schon produktionsreif.

Der Einsatz dieser Pflanzen würde zu einem erhöhten Einsatz an Pflanzengiften führen. Dies, so Altner, müsse als fragwürdig bezeichnet werden und könne ökologisch nicht verantwortet werden.

 

Schließlich die Anwendung am Menschen: Die Möglichkeit der pränatalen Diagnose, also der Vorhersage von Erbschäden bei Embryonen berge die Gefahr in sich, dass in Zukunft schon bei geringen Abweichungen von der Norm eine Abtreibung eingeleitet werde. Die sich bereits abzeichnende Möglichkeit der Gentherapie d.h. der Reparatur von Erbdefekten am menschlichen Keim erfordert Experimente am Embryo. Altner unterstrich in Anbetracht dieser Entwicklungen die Bedeutung einer informierten Öffentlichkeit.

Letztendlich sei es der gesunde Menschenverstand der Bürger, der darüber zu entscheiden habe, inwieweit man das Potential, das in dieser Technik stecke nutzen wolle bzw. wo man Grenzen zu ziehen habe. Angesichts des Wettlaufs der Industrienationen trotz einer Fülle von ungeklärten Fragen erinnerte Altner an den Ausspruch des Philosophen Hans Jonas, dem in diesem Jahr der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde: „Wir müssen wieder Furcht und Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu vor dem Heiligen“. Der Mensch müsse mehr Ehrfurcht vor dem Leben zeigen und die Zusammenhänge der Natur als etwas wertvolles begreifen. Altner erklärte, er halte eine Denkpause für nötig.

Die Risikoforschung sei noch nicht weit genug fortgeschritten. Die Förderung der Gentechnologie durch öffentliche Mittel solle eingestellt werden. An gesetzliche Maßnahmen wurde ein Verbot der Freisetzung genetisch veränderter Organismen ebenso gefordert wie ein totales Verbot biologischer Waffen auf internationaler Ebene. Der Schutz des menschlichen Keimes müsse gesetzlich verankert werden.

Dies bedeute jedoch kein totales Nein gegenüber der Gentechnologie angesichts der Heilungschancen, die mit bestimmten Gebieten verbunden seien.

In der sich anschließenden Diskussion wurde immer wieder die Frage laut, wie man auf die gegenwärtige Entwicklung Einfluss nehmen könne. Auch wurde Skepsis laut gegenüber einseitigen Maßnahmen in der Bundesrepublik. Wie Tschernobyl gezeigt habe, seien auch die schärfsten Sicherheitsmaßnahmen angesichts grenzüberschreitender Umweltkatastrophen nutzlos.

Demgegenüber brachte Altner seine Überzeugung zum Ausdruck, dass durch eine breitangelegte Diskussion in der Öffentlichkeit durchaus genug Druck auf die Parlamente ausgeübt werden könne, um verantwortliche Politiker zum Handeln zu bewegen. Auch habe man die ethische Verpflichtung, moralisch nicht vertretbare Entwicklungen zu verhindern, wobei der Blick auf den Nachbarn erst an zweiter Stelle stehen dürfe.

Anhaltender Beifall am Ende der Veranstaltung zeugte davon, dass Prof. Altners Appell an das Verantwortungsgefühl und den gesunden Menschenverstand an diesem Abend auf offene Ohren gestoßen war.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung, 6. November 1987)