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Reiche Frauen leben am längsten

Über Ungleichheit wird zu Recht viel diskutiert. Beim wertvollsten Gut – unserer Lebenserwartung – gibt es mindestens zwei Dinge, die entscheidend sind.

Reich zu sein ist das Eine. Eine Frau zu sein das Andere. Und am besten ist die Kombination aus beidem: Wie jetzt eine Studie ergab, leben die reichsten Norwegerinnen im Durchschnitt fast 16 Jahre länger als die ärmsten Norweger.

Hintergrund der Studie war eigentlich die Frage, ob soziale Ungleichheit in einem Land das Leben verkürzt. Dafür verglich man Norwegen, wo das reichste Prozent der Einwohner acht Prozent des Gesamteinkommens bezieht, mit den USA, wo die entsprechende Gruppe 20 Prozent des Gesamteinkommens auf sich vereinigt.

Jonas Minet Kinge vom Norwegischen Institut für öffentliche Gesundheit und seine Kollegen nutzten dafür die Informationen zum Haushaltseinkommen pro Person, zur Lebenserwartung und zur Todesursache aus vier miteinander vernetzten norwegischen Datenbanken. Um Verzerrungen durch Kinder zu vermeiden, die auf Kosten ihrer Eltern leben, beschränkten sie die Analyse auf Personen ab 40 Jahren.

Am längsten lebten demnach mit 86,4 Jahren jene Frauen, die zu dem einen Prozent der Top-Verdiener zählten. Frauen mit maximal 10 Prozent des Durchschnittseinkommens lebten dagegen im Schnitt 8,4 Jahre weniger, also 78 Jahre. Damit konnten sie sich aber immer noch deutlich länger des Daseins freuen als Männer in der gleichen Einkommensgruppe. Die hatten nämlich im Durchschnitt nur 70,6 Jahre zu erwarten – also 7,4 Jahre weniger als die „armen“ Frauen; 13,8 Jahre weniger als die reichen Männer und 15,8 Jahre weniger als die reichen Frauen.

Soziale Ungleichheit alleine reicht nicht aus, um die frappierenden Unterschiede zu erklären. So hatten Norweger mit geringem und mittlerem Einkommen zwar eine höhere Lebenserwartung als US-Amerikaner im gleichen Einkommensbereich. Betrachtet man jedoch die Gesamtbevölkerung, so waren die Unterschiede im Verhältnis zum Einkommen in beiden Ländern ähnlich stark ausgeprägt. Diese, in beiden Ländern ähnlich große „Schere“ spricht gegen die Annahme, dass ein staatliches Gesundheitswesen (wie in Norwegen) per se gerechter sein muss. Auch die soziale Ungleichheit der beiden Gesellschaften taugt nicht für eine Erklärung. Die lässt sich nämlich mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten messen – und da müsste Norwegen auf Platz 4 eigentlich viel besser abschneiden als die USA auf Platz 31.

Kinge JM et al.: Association of Household Income With Life Expectancy and Cause-Specific Mortality in Norway, 2005-2015. JAMA. 2019 May 13.

Überbewertete Krebskiller?

Sie gelten als einer der größten Fortschritte im Kampf gegen den Krebs, und ihre Entdecker Tasuku Honjo und James P. Allison erhielten auch prompt den Nobelpreis für Medizin des Jahres 2018: Immuncheckpoint-Inhibitoren sind eine neue Klasse von Medikamenten, welche die eingebauten Bremsen des Immunsystems zu lösen vermögen. Vor allem beim „schwarzen Hautkrebs“ (Melanom) und bei der häufigsten Form von Lungenkrebs, dem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) wurden damit in einigen Studien die Ergebnisse der bisher angebotenen Chemotherapien übertroffen.

In den Fachzeitschriften gibt es eine wahre Flut von Berichten zu Präparaten wie Ipilimumab (Yervoy), Nivolumab (Opdivo) und Pembrolizumab (Keytruda), die bei einer wachsenden Zahl von Krebsarten erprobt werden. Bei aller Euphorie wird jedoch oft übersehen, dass die vermeintlichen Wundermittel längst nicht für alle Krebspatienten in Frage kommen. In den USA sind es, einer neuen Untersuchung zufolge, derzeit „nur“ 40 Prozent – also weniger als die Hälfte.

Unter diesen 40 Prozent wiederum profitiert längst nicht jeder von den neuen Arzneien. Wie der Hämatologe Vinay Prasad vom Knight Cancer Institute der Oregon Health & Science University in Portland mit seiner Kollegin Alyson Haslam errechnet hat, liegt die Ansprechrate vielmehr bei 13 % – und das entspricht nur etwa einem unter sieben Patienten. Dabei ist die Ansprechrate auch nicht mit einer Heilung gleichzusetzen. Gemeint ist vielmehr, dass die Tumoren zumindest vorübergehend um mehr als die Hälfte schrumpfen. Das verschafft den Patienten Zeit, und einige, die zuvor verstorben wären, verdanken den Immuncheckpoint-Inhibitoren wohl tatsächlich ihr Leben.

Die gute Nachricht ist, dass der Anteil der Patienten, die für eine Therapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren in Frage kommen, sich ständig erhöht hat. Er lag im Jahr 2011 erst bei 1,5% und nun bei 43,6 %. Auch für die Ansprechrate ist die Tendenz positiv – sie lag noch im Jahr 2015 erst bei 5,9 %. Zu den oben genannten Ipilimumab, Nivolumab und Pembrolizumab, sind bis 2018 drei weitere Präparate hinzu gekommen, nämlich Atezolizumab, Avelumab und Durvalumab. Und behandelt werden dürfen mittlerweile nicht mehr nur das Melanom und der Lungenkrebs, sondern auch das Hepatozelluläre Karzinom, Nierenzellkarzinom, Blasenkarzinom, Hodgkin-Lymphom, Plattenepithelkarzinom von Kopf und Hals, Merkelzell-Karzinom, Magen- und bestimmte Formen von Darmkrebs, das Zervixkarzinom und eine Form von Blutkrebs, das primär mediastinale B-Zell-Lymphom.

Auch wenn die Autoren also die Bilanz der Immuncheckpoint-Inhibitoren „bescheiden“ nennen, und ihre Zahlen tatsächlich eine wichtige Grundlage für realistische Diskussionen sind, so gibt es durchaus gute Gründe, das Glas als halb voll zu betrachten.

Haslam A, Prasad V. Estimation of the Percentage of US Patients With Cancer Who Are Eligible for and Respond to Checkpoint Inhibitor Immunotherapy Drugs. JAMA Netw Open. 2019 May 3;2(5):e192535. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2019.2535.

Patienten-Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) zur Immuntherapie und deren Nebenwirkungen (pdf-Format).

Strom holt Gedächtnis zurück

Nicht zum ersten Mal ist es gelungen, mit der Methode der transkraniellen Hirnstimulation das Gedächtnis älterer Menschen vorübergehend zu verbessern. Die Arbeit, über die Laborleiter Robert M. G. Reinhart von der Boston University und sein Kollege John A. Nguyen in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience berichten, ist dennoch etwas Besonderes, denn die beiden Wissenschaftler haben bei ihren Experimenten offenbar gezielter auf das Arbeitsgedächtnis eingewirkt, als ihre Vorgänger.

Dazu analysierten sie zunächst mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) die Wechselwirkungen zweier Arten von Hirnwellen (Gamma- und Thetawellen) bei jeweils 42 älteren und jüngeren Erwachsenen. Vereinfacht gesagt war ein Ergebnis, dass das Arbeitsgedächtnis umso schlechter war, je weniger gut die beiden Arten von Hirnwellen im Schläfen- und Stirnlappen aufeinander abgestimmt waren.

Diese sogenannte Theta-Gamma-Phasen-Amplituden-Kopplung beeinflussten die Forscher, indem sie durch die Schädeldecke gezielt einen schwachen Wechselstrom schickten. Nach Sitzungen von jeweils 25 Minuten Dauer sollten die Versuchsteilnehmer dann einen Gedächtnistest absolvieren. Während ältere Probanden vor diesem Eingriff noch langsamer waren und mehr Fehler machten als ihre jungen Kollegen, erreichten sie nach der Hirnstimulation genau so gute Ergebnisse wie die (nicht stimulierten) Jungen.

Als mögliche Therapie gegen ernsthafte Gedächtnisprobleme oder gar Demenzerkrankungen eignet sich diese Methode allerdings schon deshalb nicht, weil die Wirkung nur etwa 50 Minuten lang anhielt. Den Forschern ging es vielmehr darum zu zeigen, dass der Verlust von spezifischen Verbindungen zwischen Nervenzellen in der Großhirnrinde verantwortlich sein könnte für den altersbedingten Niedergang der geistigen Leistungen. Vielleicht – so hoffen sie – könnte dies dann auch ein Ansatzpunkt für Therapien der Zukunft sein, die ohne Medikamente funktionieren.

Reinhart RMG, Nguyen JA. Working memory revived in older adults by synchronizing rhythmic brain circuits. Nat Neurosci. 2019 Apr 8. doi: 10.1038/s41593-019-0371-x.

Mammographie: Weniger Schmerzen durch „Selbstbedienung“

Aus Frankreich kommt eine Studie die helfen könnte, Frauen bei der Röntgen-Untersuchung der Brust (Mammographie) Schmerzen zu ersparen. Überraschend dabei ist, dass dies offenbar ohne Qualitätsverluste möglich ist. Ein Nachteil könnte sein, dass die Röntgenassistentinnen mehr Zeit für die Untersuchung benötigen.

Das Verfahren nennt sich „Selbst-Kompression“, was bedeutet, dass die Frauen bei einer Mammographie selbst mitwirken, wenn die Brust für die Röntgenaufnahme zwischen zwei Platten eingeklemmt wird. Hier ist ein hoher Druck nötig, um ein möglichst scharfes Bild zu bekommen. Die Einstellungen, die in der Regel von einer Röntgenassistentin vorgenommen werden, sind aber für viele Frauen schmerzhaft, und manche verzichten deshalb sogar auf die Kontrolltermine.

Für ihre Studie (Interest of Self-compression Technique on Tolerance of Mammography) haben französische Röntgenärzte um Philippe Henrot am Institut de Cancérologie de Lorraine 549 Frauen zwischen 50 und 75 Jahren nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt. Während die Frauen in der einen Gruppe wie üblich untersucht wurden, durften die Frauen der anderen Gruppe unter Anleitung der Assistenten selbst bestimmen, mit wie viel Druck die Brust für die Röntgenaufnahme zusammengepresst wurde.

Die Forscher verglichen dann als Maß für den Druck, auf welche Dicke die Brust im Durchschnitt zusammengepresst wurde – und fanden in beiden Gruppen ziemlich genau 5,2 Zentimeter. Die Andruckstärke wurde ebenfalls bestimmt. Sie war bei den Frauen, die an der Untersuchung mitwirken durften, im Durchschnitt fast ein Kilogramm höher. Die Schmerzen dagegen waren auf einer Skala von 1 bis 10 für die Selbst-Kompression mit median 2 Punkten eindeutig geringer als beim assistierten Verfahren (median 3 Punkte) . Diese Verbesserung ging nicht zu Lasten der Bildqualität: In beiden Gruppen musste etwa jede sechste Aufnahme wiederholt werden, was für die Mammographie einen normalen Wert darstellt.

Der einzige Nachteil, den die Selbst-Kompression in dieser Studie mit sich brachte, war, dass die Untersuchung länger dauerte. Etwa in jedem dritten Fall mussten nämlich die Röntgenassistentinnen einschreiten und weitere Anweisungen geben, wobei sie die Frauen meist ermutigten. In einer nachträglichen Befragung beklagten annähernd 70 Prozent der Assistentinnen den höheren Zeitbedarf. Mehr als die Hälfte antwortete mit „unentschlossen“ ob sie die Technik der Selbst-Kompression routinemäßig einsetzen würden. Ob das Verfahren eines Tages routinemäßig angeboten wird, dürfte jedoch vor allem an den Röntgenärzten liegen – und ob die Krankenkassen bereit wären, den erhöhten Aufwand zu bezahlen.

Henrot P et al.: Self-compression Technique vs Standard Compression in Mammography: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2019 Feb 4. doi:10.1001/jamainternmed.2018.7169

USA: Pharmawerbung nimmt Patienten ins Visier

Umgerechnet 8,5 Milliarden Euro haben Pharmafirmen, Gerätehersteller und Verbände im Jahr 2016 in den USA ausgegeben, um direkt bei kranken Menschen und anderen „Verbrauchern“ für ihre Produkte zu werben. Die Ausgaben für diese sogenannte „Direct-to-Consumer (DCT)“-Werbung haben sich damit in nur 20 Jahren mehr als vervierfacht. Insgesamt wurden rund 30 Milliarden Dollar ausgegeben – das entspricht 26 Milliarden Euro.

Dies ist das Ergebnis einer Analyse der Gesundheitsforscher Lisa M. Schwartz und Steven Woloshin, die im Fachblatt JAMA des US-amerikanischen Ärzteverbandes veröffentlicht wurde. Während es in Deutschland und fast allen anderen Ländern verboten ist, rezeptpflichtige Medikamente direkt beim Verbraucher zu bewerben, ist dies in den USA erlaubt. Alleine für diesen Bereich wurden im Jahr 2016 insgesamt 4,6 Millionen Anzeigen geschaltet, davon 663.000 im Fernsehen. Der Trend, so berichten Schwartz und Woloshin, geht dabei immer mehr zu besonders teuren Behandlungen wie Immuntherapien gegen Krebs und biotechnologisch hergestellten Medikamenten.

Mit 20 Milliarden Dollar waren die Werbemaßnahmen für medizinische Fachkräfte zuletzt zwar etwa doppelt so hoch wie für die DTC-Werbung. Deren Anteil ist aber von ursprünglich 12 Prozent auf 32 Prozent gewachsen. Bei den Kampagnen geht es nicht nur darum, Ärzte und Patienten vom Nutzen bestimmter Pillen, Untersuchungen oder Labortests zu überzeugen. Teilweise zielen sie auch darauf ab, die Definition bestimmter Krankheiten zu verändern, sodass mehr Personen für eine Behandlung in Frage kommen.

Unter allen Ländern der Welt haben die USA im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt mit 16,8 Prozent die zweithöchsten Gesundheitskosten. In Deutschland sind es 11,2 Prozent.

Crowdfunding statt Krankenkasse?

Auf der Internetplattform GoFundMe werben schwerkranke Krebspatienten um Spender für Therapien, die Krankenkassen nicht bezahlen wollen. Eine Studie in der Fachzeitschrift Lancet Oncology fand heraus, dass mehr als 13000 Menschen bereit waren, dafür zu bezahlen – obwohl die Wirkung dieser Therapien nicht bewiesen ist, und sie möglicherweise sogar das Leben verkürzen.

Dass die Arbeiten von Philosophen in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht werden, hat Seltenheitswert. Dass Professor Jeremy Snyder von der Simon Fraser University im kanadischen Burnaby es trotzdem geschafft hat, liegt an seinem Spezialgebiet: Wie Menschen die Hoffnungen anderer ausbeuten. Gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Rechtsprofessor Timothy Caulfield von der Universität Alberta hat Snyder sich deshalb auch bei GoFundMe umgesehen, der mit Abstand größten Internetplattform für das sogenannte Crowdfunding – also die Finanzierung von Erfindungen, Projekten und Kampagnen aller Art durch eine große Anzahl Menschen.

Die beiden Forscher machten ihre Stichprobe auf der englischsprachigen Hauptseite von GoFundMe am 8. Juni 2018 und durchsuchten die Inhalte nach Worten wie „Krebs“ und „Homöopathie“, um Kampagnen für eindeutig unbewiesene Krebsbehandlungen zu finden. In ihrer Momentaufnahme fanden sie 220 Kampagnen, die von 13621 Geldgebern unterstützt wurden. Die weitaus meisten Antragsteller (85 Prozent) kamen aus den USA, mehrere aus Kanada und Großbritannien, und jeweils eine Person aus Deutschland, Irland und Spanien.

Die Treffer wurden unter anderem bezüglich des erbetenen und gespendeten Geldes, der Weiterverbreitung in sozialen Medien wie Facebook und demographischer Daten der Antragsteller ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass die Antragsteller insgesamt etwas mehr als 5 Millionen Euro erbeten hatten ($ 5.795602). Dem standen 13621 Spender gegenüber, die sich verpflichtet hatten, mehr als 1,2 Millionen Euro zu zahlen ($ 1.413482) – also knapp ein Viertel der Gesamtsumme aller Anträge. Zusätzlich hatten die Besucher von GoFundMe die Kampagnen auf Facebook exakt 112353 Mal weiter verbreitet, indem sie diese teilten.

Bei 85 der 220 Patienten ruhten die Hoffnungen auf organischen Nahrungsmitteln und dem „Juicing“, also kalt gepressten Obst- und Gemüsesäften. 68 gaben an, sich mit dem Geld Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine und Kräuter kaufen zu wollen, 30 hofften auf Infusionen von Vitamin C. Andere glaubten an Sauerstoff- und Ozonkuren, an die Akupunktur, Cannabis, Naturheilkunde, nicht zugelassene Immuntherapien, „Entgiftungen“, Geistheilungen, die chinesische Medizin, Misteln, Yoga, „Magnettherapie“ und zahlreiche weitere Verfahren, die von den Autoren allesamt als Krebsbehandlungen ohne Wirkungsnachweis betrachtet werden.

Der größte Teil der Antragsteller (38 Prozent) wollte ihre alternativen Therapien zusätzlich zur Schulmedizin anwenden. Fast ein Drittel (29 Prozent) lehnten die Schulmedizin jedoch generell ab. Sie hatten Angst vor den Folgen und/oder bezweifelten deren Wirkung. Ebenfalls fast ein Drittel lobte die Alternativmedizin mit falschen Behauptungen wie „Es ist bewiesen, dass die Homöopathie/Naturmedizin außergewöhnliche Heilungen erzielt und dass zahlreiche Patienten ihr das Leben verdanken.“

Tatsächlich hatte eine Studie erst vor kurzem gezeigt, dass krebskranke Anhänger der Alternativmedizin geringere Überlebensraten haben und ein höheres Risiko, zu versterben. Die Verzweiflung unter den Antragsstellern war offenbar groß, und viele sehr krank. Dies hatten die Forscher anhand der Informationen der Webseite festgestellt, aber auch durch die Auswertung von Sterberegistern, wo die genannten Namen auftauchten. So fanden sie heraus, dass mindestens 28 Prozent – also mehr als ein Viertel – der Patienten bereits verstorben waren.

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  • Snyder J, Caulfield T. Patients‘ crowdfunding campaigns for alternative cancer treatments. Lancet Oncol. 2019 Jan;20(1):28-29. doi: 10.1016/S1470-2045(18)30950-1.

Kombiprogramm hält Senioren länger fit

Wie kann man die Selbstständigkeit von Senioren erhalten, die noch in ihrer eigenen Wohnung leben, aber schon Probleme mit Alltagsaktivitäten haben, wie zum Beispiel kochen, das Bett oder die Wäsche zu machen? Diese Frage haben sich Forscher und Ärzte an der Johns-Hopkins-Universität im US-amerikanischen Baltimore gestellt. Das Besondere daran ist, dass das Team um Professor Sarah L. Szanton sich nicht mit gut gemeinten Ratschlägen begnügte, sondern die Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen systematisch ausgetestet und bewiesen hat.

In einer sogenannten randomisierten klinischen Studie verteilten sie 300, meist weibliche, Senioren ab 65 Jahren nach dem Zufallsprinzip auf 2 Gruppen. Beide Gruppen bekamen innerhalb von 5 Monaten 10 Mal Besuch. Während jedoch in der einen Gruppe lediglich ein Forschungsassistent vorbei schaute, der mit den Senioren darüber sprach, welche Aktivitäten sie gerne lernen oder ausüben möchten, bekam die andere Gruppe Besuch von bis zu 3 Spezialisten, die sich untereinander über die beste Vorgehensweise abstimmten: Ein Ergotherapeut, eine Krankenschwester, und ein Handwerker.

Das Programm trägt den Namen “Community Aging in Place—Advancing Better Living for Elders”, was sich etwa mit “Altern daheim – für ein besseres Leben der Senioren“ übersetzen lässt und mit CAPABLE (englisch für „fähig“) abgekürzt wird. Zuerst prüft der Ergotherapeut dabei, unter welchen Einschränkungen die Betroffenen leiden, welche Ziele sie haben, und inwiefern die Wohnungseinrichtung dabei hinderlich ist. Die Krankenschwester fragt nach Beschwerden wie Schmerzen, Depressionen, den eingenommen Medikamenten sowie Kraft und Balance. Gemeinsam wird dann überlegt, wie man den Senioren helfen kann, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen – einschließlich von Reparaturen im Haus und baulichen Veränderungen, die das Leben erleichtern sollen.

Gemessen wurde das Ergebnis auf einer Skala, die die Fähigkeit beschreibt, Aktivitäten des täglichen Lebens (engl. Activities of daily live, ADL) zu bewältigen. Die Schwere der so erfassten Behinderungen verringerte sich dabei in der intensiv betreuten Gruppe um 30 %. Jeweils etwa 80 Prozent der Senioren in dieser Gruppe sagten auf Nachfrage, ihr Leben sei jetzt leichter geworden, sie könnten sich jetzt besser um sich selbst kümmern, und sie hätten mehr Vertrauen darin, die täglichen Aufgaben zu meistern. In der Vergleichsgruppe hatten dagegen nur etwa halb so viele Senioren (etwa 40 %) entsprechende Verbesserungen bemerkt.

Gekostet hat das „Rundum-Paket“ etwas weniger als € 2500 pro Teilnehmer. Darin eingeschlossen waren die Reparaturen und Veränderungen der Wohnung, die man auf etwa € 1100 Euro begrenzt hatte. Finanziert wurde die Studie von den US-Nationalen Gesundheitsinstituten (National Institutes of Health, NIH).

Begeistert kommentieren die beiden Altersmediziner Marlon J.R. Aliberti und Kenneth E. Covinsky die der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine erschienene Studie: CAPABLE sei ein innovatives Programm, um die Behinderungen und Einschränkungen bei älteren Menschen mit niedrigem Einkommen zu verringern. Außerdem rechnen sie vor, dass CAPABLE zumindest in den USA auch helfen könnte, die Kosten für das Gesundheitswesen zu senken. Ein Platz in einem Pflegeheim wird dort nämlich mit umgerechnet etwa € 4400 Euro pro Monat veranschlagt. Man würde also fast das Doppelte der Programmkosten einsparen, wenn es damit gelänge, die Einweisung um durchschnittlich auch nur einen Monat zu verzögern.

Quellen:

  • Szanton SL et al.: Effect of a Biobehavioral Environmental Approach on Disability Among Low-Income Older Adults: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2019 Jan 7. doi: 10.1001/jamainternmed.2018.6026.
  • Aliberti MJR, Covinsky KE. Home Modifications to Reduce Disability in Older Adults With Functional Disability. JAMA Intern Med. 2019 Jan 7. doi: 10.1001/jamainternmed.2018.6414.

Balance-Akt der Hormone

Die Liste der Beschwerden ist lang: Hit­zewallungen und Herzklopfen, Schweiß­ausbrüche und Schlafstörungen, Kopf­schmerzen und Reizbarkeit zählen noch zu den harmloseren Problemen. Doch damit nicht genug. Wie eine schlecht gelaunte Di­va scheint die Natur ihre schützende Hand zurückzuziehen, kaum daß die weibliche Hälfte der Menschheit ihren Beitrag zur Arterhaltung geleistet hat: Knochenschwund und ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen begleiten die radikale Umstellung des Hormon­haushaltes, die sich hinter dem Wörtchen „Menopause“ ver­birgt.

„Das ist ein riesengroßes Gesundheits­problem“, erklärt Dr. Ursula-Friederike Habenicht. Ein Problem, mit dem sich die Reproduktionsbiologin nicht ein­fach abfinden will. „Ich empfände es als verantwortungslos, untätig zu bleiben, wenn ich Leiden verhindern kann“,  lautet ihre Kampfansage. Für diejenigen, die beispielsweise wegen einer Osteoporose einen Oberschenkel­halsbruch oder eine Wirbelfraktur mit all ihren Folgen erdulden müssen sei der Hinweis auf den „natürlichen Lauf der Dinge“ wenig trostreich. In der Forschungsabteilung Fertilitätskontrolle und Hormontherapie der Schering AG leistet Dr. Habenicht deshalb in dop­peltem Sinne Knochenarbeit.

An den nur scheinbar toten Knochen nämlich hinterläßt der mit der Meno­pause verbundene Rückgang an Sexualhormonen deutliche Spuren. Nach dieser letzten, vom Eierstock gesteuerten, Regelblutung wird die Produktion von Östrogen eingestellt. Dadurch beschleunigt sich der Abbau der Knochen­substanz, der schon nach dem 30 Lebensjahr einsetzt: „Jede vierte Frau jen­seits der Wechseljahre leidet unter Osteopo­rose. Mir kommt es vor allem darauf an, diesen Frauen eine Therapie anzubieten“, betont der Dr. Matthias Bräutigam. Die Suche nach neuen Ansätzen im Kampf gegen den Knochen­schwund hat für den Abteilungsleiter deshalb höchste Priorität.

Zwar läßt sich der Abbauprozeß durch die tägliche Einnahme östrogenhaltiger Arzneimittel verlangsamen, doch wächst bei alleiniger Gabe des Hormons das Risiko für eine Krebserkrankung der Gebärmutterschleim­haut. Ein zweites Hormon aus der Familie der Gestagene sorgt daher in modernen Präparaten für den Schutz der gefährdeten Zellen und macht das zweischneidige Schwert Östrogen zu einer potenten Waffe gegen den Knochenabbau. Doch auch die bisher gebräuchlichen Kombinationen aus Östrogen und Gestagenen bieten keine per­fekte Lösung: Über Jahre hinweg kann es zu monatlichen „Entzugsblutungen“ kom­men, die von vielen Frauen nicht akzeptiert werden. Wenn sich auch diese Nebenwir­kung noch durch die Aus­wahl und ge­schickte Kombination verschie­dener Bo­tenstoffe vermeiden ließe, wäre das größte Hindernis für eine breite An­wendung der Hormoner­satztherapie über­wunden.

Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. „Selbst bei den ´klassischen´ Hormo­nen, den Östrogenen, weiß man bis heute nicht genau, wo sie am Knochen angreifen, was sie da tun und wie sie das Zusammen­spiel der Zellen beeinflußen“, stellt Dr. Ha­benicht nüchtern fest. Neu ins Spiel kom­men jetzt zusätzlich die Gestagene. Hier gibt es Hinweise, daß sie den Knochen womöglich auch alleine schützen können. Die verwirrende Vielfalt dieser Substanz­klasse erschwert die Suche der zehnköpfi­gen Arbeitsgruppe in der Berliner Zentrale der Schering AG allerdings beträchtlich. „Knochenversuche bedeuten Knochenarbeit und man muß viel Geduld mitbringen.“

Dr. Habenicht weiß, wovon sie redet, denn kaum ein Experiment in ihrem Labor nimmt weniger als drei Monate in An­spruch. An weiblichen Ratten muß zunächst die Zufuhr an schützenden Geschlechts­hormonen unterbro­chen und so ein Verlust der Knochenmasse eingeleitet werden. Dies geschieht durch die operative Entfernung der Gebärmutter. Anschließend werden den Tieren verschiedene Testsubstanzen gespritzt – je nach Versuch meist eines der vielen Gesta­gene mit oder ohne Östrogen, wobei zu­sätzlich noch die Konzentrationen der Hormone variiert werden.

Erste Anhaltspunkte, daß mit dem Kno­chen überhaupt etwas passiert, finden sich auch mit den modernsten Untersuchungs­methoden frühestens nach 14 Tagen. Nach zwei weiteren Wochen sind die Verände­rungen zwar ausreichend für eine erste vor­sichtige Bewertung, sichtbar werden sie aber erst nach einer aufwendigen „Zubereitung“ des Knochens. Erneut ver­streicht ein Monat, bis unter dem Einfluß von Farbstoffen und Fixiermitteln die Hauptdarsteller ihre Masken fallen lassen: Osteoblasten, verantwortlich für den Auf­bau des Knochens, heben sich jetzt deutlich von ihren Gegenspielern, den Osteoklasten ab. Wie auf dem Luftbild einer Großstadt kann das Auge des Experten Neubaugebiete von Abrißregionen unterscheiden, wenn der präparierte Knochen erst einmal in hauch­dünnen Scheibchen unter dem Mikroskop liegt.

Doch damit nicht genug. Um aus den bunten Bildern harte Daten zu extra­hieren, muß das Gesehene auch noch genau ver­messen werden. Erst wenn  – ein Vierteljahr nach Beginn des Experimentes – die nackten Zahlenkolonnen vorliegen, wird klar, ob die geteste Hormonkombination wirklich einen Vor­teil gegenüber den bekannten Mi­schung­en verspricht.

Ergänzt werden die histologischen Arbei­ten seit kurzem auch durch moleku­larbiolo­gische Methoden und Beobachtungen an Zellkulturen. So weiß man, daß die Östro­gene ihrerseits bestimmte Botenstoffe wie Interleukin-1 kontrollieren können, mögli­cherweise auch den Tumor Nekrose Faktor TNF-. Das aus Biologen, Medizinern und Pharmakologen zusammengesetzte Sche­ring-Team ist dieser Spur nachgegangen und hat versucht, die Effekte der Östrogene durch Antikörper und Rezeptorenblocker nachzuahmen. „Es ist uns gelungen, weiter hinten in der Befehlskaskade einzugreifen“, vermeldet Bräutigam. Der Pharmakologe ist allerdings skeptisch, ob sich aus diesem Fortschritt eine Therapie entwickeln läßt, denn eine langjährige Behandlung mit den getesteten Molekülen würde sich vermutlich auch auf das menschliche Immunsystem auswirken.

Immer wieder tun sich vor den Wissen­schaftlern Abgründe der Ahnungslo­sigkeit auf. „Ein Knochen ist ein enorm kompli­zier­tes Organ. Wir sind dabei, kleine Stein­chen des Mosaiks zu sammeln, aber wir ha­ben das komplette Bild noch nicht zu­sam­men“, lautet die bescheidene Bilanz von Dr. Habenicht, die neben ihrer Laborarbeit als Privatdozentin an der Freien Universität Berlin tätig ist.

Glücklicherweise helfen die meisten Arz­neimittel auch ohne detailierte Kenntnisse über deren Wirkungsmechanismus. Der Gynäkologe Dr. Vladimir Hanes kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen. „Es ist überhaupt keine Frage: Östrogen beugt der Osteoporose vor, egal wie es verabreicht wird, sobald eine Konzentration von 30-40 Pikogramm pro Milliliter Serum erreicht wird.“ Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Klinischen Entwick­lung Fertilitätskontrolle und Hormonthera­pie will Hanes diesen handfesten Vorteil ei­ner möglichst großen Anzahl von Frauen zugänglich machen.

Neben all den Schmerzen, die durch vor­beugende Maßnahmen vermieden werden könnten, nennt der gebürtige Slowake auch wirtschaftliche Gründe, die für einen Ersatz der fehlenden Hormone sprechen. So zäh­len Oberschen­kelhals- und Unterarmbrüche, Hüft- und Wirbelfrakturen besonders bei älteren Menschen zu den häufigsten Folgen der Osteoporose. Nach oft wochenlangem Krankenhausaufenthalt wird ein großer Teil dieser Patienten pflegebedürftig – die Ko­sten dafür schlagen weltweit mit jährlich sieben Milliarden Dollar zu Buche. Die Tendenz ist weiter steigend, denn der Anteil an über Sechzigjährigen unter der Gesamt­bevölke­rung wird von gegenwärtig zehn Prozent bis zum Jahr 2020 auf ein Viertel anwachsen.

„Das wichtigste aber ist die Erkenntnis, daß man mit Östradiol und anderen Östro­genen nach der Menopause nicht nur der Osteoporose vorbeugen, sondern auch das Risiko von Herz-Kreislauferkankungen senken kann“, lenkt Hanes das Augenmerk auf eine Reihe großer epidemiologischer Studien. Vor die­ser häufigsten Todesursache überhaupt sind Frauen bis zu den Wechsel­jahren verhält­nismäßig gut geschützt – Infarkte und Schlaganfälle werden weitaus seltener re­gistriert als unter der männlichen Bevölke­rung. Nach der Menopause aber holen die Frauen die Männer ein oder überholen sie sogar.

Und wieder spielen fehlende Östrogene die entscheidende Rolle: Die weiblichen Geschlechtshormone können nämlich die „bösen“ Bluttfette Cholesterol und LDL re­duzieren, den Gehalt an „gutem“ HDL da­gegen erhöhen. Darüber hinaus deuten neueren Untersuchngen auf einen direkten schützenden Effekt der Östrogene auf die Blutgefäße hin. Das Resultat: Frauen, die über mehrere Jahre Östrogene einnehmen, haben um 50 Prozent weniger Infarkte und Schlaganfälle. Auch die Sterb­lichkeit ist gegenüber der Normalbevölke­rung fast um die Hälfte reduziert. „Das ist wirklich toll“ begeistert sich Hanes.

Dennoch gibt es auch Probleme. Die größte Sorge lau­tet, daß die langjäh­rige Einnahme von Östrogen das Brustkrebs-Risiko erhöhen könnte. Aller­dings widersprechen sich die vorliegenden Studien in ihren Aussagen. Gera­dezu paradox scheint das Ergebnis der neuesten und sorgfältigsten Untersu­chungen: Demnach wird Brustkrebs zwar etwas häufiger diagnostiziert bei Frauen die Östrogen erhalten; diese Patientinnen haben aber eine bessere Prognose als ihre Lei­densgenossinen, die kein Östrogen ein­nahmen. Dies mag damit zusammenhängen, daß sich der Brustkrebs bei den östrogenbe­handelten Frauen fast immer als gutartig erweist. Möglicherweise läßt sich das überraschende Resultat aber auch damit erklären, daß die ärztliche Überwa­chung während einer Hormonersatztherapie engmaschiger ist als bei unbe­handelten Frauen – der Brustkrebs würde also gar nicht häufiger auftreten, sondern nur seltener übersehen.

„Unter dem Strich ist der Nutzen einer Hormonersatztherapie so groß, daß man dies fast jeder Frau empfehlen kann“, versi­chert Hanes. Diese Erkennt­nis hat sich je­doch längst noch nicht überall durchgesetzt: Selbst in den Vereinigten Staaten, wo offener über die Wechseljahre und ihre Folgen gespro­chen wird, als in den meisten anderen Län­dern, nehmen lediglich 15 Prozent der me­nopausalen Frauen den Schutz der Hormo­ne in Anspruch. Im Vor­dergrund steht da­bei die kurzfristige Be­handlung klimakteri­scher Symptome wie Hitzewallungen und Reizbarkeit mit Östrogenen.

Noch weitaus seltener verschreiben euro­päische Ärzte ihren Patientinnen eine Hor­monersatztherapie. In südlichen Ländern oder auch in Japan werden Klimakteriums­beschwerden kaum als behandlungsbedürf­tig angesehen. Wer unter diesen Umständen einer langjährigen Prävention durch die täg­liche Einnahme eines Hormonpräparates das Wort reden will, muß schon eine be­sondere Überzeugungskraft mitbringen. Oder ein Medikament ohne Nebenwir­kungen.

Langsam tastet man sich bei Schering an dieses Ziel heran. Von seinem Büro im 9. Stock der Berliner Zentrale bewahrt Hanes den dafür nötigen Überblick. Der ständige Strom der Daten aus den unter ihm liegen­den Labo­ratorien soll schließlich möglichst vielen Frauen zugute kommen. Klinische Prüfungen in Zusammenarbeit mit deutschen und britischen Universitäten werden von hier aus geplant und koordiniert.

Die Fortschritte sind beachtlich. Präparate wie das auf dem deutschen Markt erhältli­che „Climen“ bie­ten schon heute Schutz vor Knochenabbau, Herzinfarkt und Schlaganfall und verhin­dern dabei gleichzeitig Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut. Erreicht wird dies durch die feine Balance zwischen einem Östrogen (Estradiolvalerat) und einem Ges­tagen (Cyproteronacetat). Bei die­ser „sequentiellen“ Darreichungsform ent­halten die Pillen in den ersten elf  Tagen des Monats ausschließlich Östrogen; für zehn weitere Tage kommt dann noch das Gestagen hinzu; schließlich folgt eine einwöchige Pause.

Als störend werden jedoch besonders von älteren Frauen die monatlichen Entzugsblu­tungen empfunden, mit denen unter dieser Behandlung in vier von fünf Fällen gerechnet werden muß. Dies mag gegenüber dem beträchtlichen Nutzen der Hormonsubstitution als geringfügiges Manko erscheinen, zeigt aber gleichzeitig den Weg für weitere Verbesserungen. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, daß die als lästig empfundenen Blutungen in etwa 75 Prozent aller Fälle gänzlich vermieden werden könnten, wenn die Einnahme der Hormone in einen anderen „Rhythmus“ erfolgt. Im Gespräch ist deshalb die „kontinuierlich-kombinierte“ Einnahme, bei der Östrogen und eine minimale Menge Gestagen täglich in einer Pille geschluckt werden.

Doch selbst damit will Hanes sich nicht zufrieden geben: „Erst wenn wir ein Präpa­rat haben, das die Blutungen bei gleicher Wirksamkeit und Sicherheit 100-prozentig verhindert, ist das Optimum erreicht.“ Zu einem neuen Hoffnungsträger scheinen sich die Anti-Gestagene zu entwicklen. Die von findigen Chemikern synthetisierten Sub­stanzen konkurrieren mit ihren natür­lichen Verwandten – den Gestagenen – nicht nur um die gleichen Bindungs­stellen auf der Zelloberfläche. Sie scheinen außerdem auch selbst in die Rolle eines Rezeptors schlüpfen zu können. Die Erfindung der Anti-Gesta­gene habe „eine wahre Revolution auf dem Ge­biet der Endokrinologie“ ausgelöst, be­geistert sich Hanes. Ständig werden neue Wirkungen dieser Laborprodukte auf das komplizierte Geflecht hormoneller Befehls­ketten entdeckt. Erprobt werden die Anti-Gestagene derzeit gegen den Brustkrebs und gegen die als Myome bekannten, gutar­tigen Geschwülste der Gebärmutter, die be­vor­zugt um die Menopause eintreten. Weil Substanzen wie das bei Schering entwic­kelte Onapriston auch den Gebärmutterhals erweitern können, besteht außer­dem eine gute Chance, die Komplikationsrate bei schwierigen Gebur­ten zu senken und gleichzeitig die Schmer­zen werdender Mütter ohne Angst vor Nebenwirkungen zu lindern. Prinzipiell können Anti-Gestagene aber auch dazu genutzt werden, einen früh­zeitigen Schwangerschaftsabbruch herbei­zu­führen. Hanes legt deshalb großen Wert auf die Feststellung, daß Schering diese Forschungsrichtung nicht unterstützt.

Statt dessen geht man lieber der Frage nach, wie sich jener Ba­lanceakt der Hor­mone noch perfekter gestalten läßt, von dem die Lebensqualität postme­nopausaler Frauen in entscheidender Weise beeinflußt wird. In vier bis fünf Jahren, so rechnet Hanes, wird sich zeigen, ob das Zusammen­spiel der vielversprechen­den Newcomer mit den altbewährten Östrogenen endlich den ersehnten Durch­bruch bringt. Für Frauen jenseits der Wech­seljahre bestünde dann die Möglichkeit, den Launen der Natur ein Schnippchen zu schlagen. Unter dem Schutz einer Hormonersatztherapie ohne Nebenwirkungen hätten sie einen Grund mehr, auch das Lebensdrittel nach der Me­nopause in vollen Zügen zu genießen.

(Entwurf für einen Beitrag, der in redigierter Form im Schering Forschungsmagazin 1994 erschienen ist.)