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Reiche Frauen leben am längsten

Über Ungleichheit wird zu Recht viel diskutiert. Beim wertvollsten Gut – unserer Lebenserwartung – gibt es mindestens zwei Dinge, die entscheidend sind.

Reich zu sein ist das Eine. Eine Frau zu sein das Andere. Und am besten ist die Kombination aus beidem: Wie jetzt eine Studie ergab, leben die reichsten Norwegerinnen im Durchschnitt fast 16 Jahre länger als die ärmsten Norweger.

Hintergrund der Studie war eigentlich die Frage, ob soziale Ungleichheit in einem Land das Leben verkürzt. Dafür verglich man Norwegen, wo das reichste Prozent der Einwohner acht Prozent des Gesamteinkommens bezieht, mit den USA, wo die entsprechende Gruppe 20 Prozent des Gesamteinkommens auf sich vereinigt.

Jonas Minet Kinge vom Norwegischen Institut für öffentliche Gesundheit und seine Kollegen nutzten dafür die Informationen zum Haushaltseinkommen pro Person, zur Lebenserwartung und zur Todesursache aus vier miteinander vernetzten norwegischen Datenbanken. Um Verzerrungen durch Kinder zu vermeiden, die auf Kosten ihrer Eltern leben, beschränkten sie die Analyse auf Personen ab 40 Jahren.

Am längsten lebten demnach mit 86,4 Jahren jene Frauen, die zu dem einen Prozent der Top-Verdiener zählten. Frauen mit maximal 10 Prozent des Durchschnittseinkommens lebten dagegen im Schnitt 8,4 Jahre weniger, also 78 Jahre. Damit konnten sie sich aber immer noch deutlich länger des Daseins freuen als Männer in der gleichen Einkommensgruppe. Die hatten nämlich im Durchschnitt nur 70,6 Jahre zu erwarten – also 7,4 Jahre weniger als die „armen“ Frauen; 13,8 Jahre weniger als die reichen Männer und 15,8 Jahre weniger als die reichen Frauen.

Soziale Ungleichheit alleine reicht nicht aus, um die frappierenden Unterschiede zu erklären. So hatten Norweger mit geringem und mittlerem Einkommen zwar eine höhere Lebenserwartung als US-Amerikaner im gleichen Einkommensbereich. Betrachtet man jedoch die Gesamtbevölkerung, so waren die Unterschiede im Verhältnis zum Einkommen in beiden Ländern ähnlich stark ausgeprägt. Diese, in beiden Ländern ähnlich große „Schere“ spricht gegen die Annahme, dass ein staatliches Gesundheitswesen (wie in Norwegen) per se gerechter sein muss. Auch die soziale Ungleichheit der beiden Gesellschaften taugt nicht für eine Erklärung. Die lässt sich nämlich mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten messen – und da müsste Norwegen auf Platz 4 eigentlich viel besser abschneiden als die USA auf Platz 31.

Kinge JM et al.: Association of Household Income With Life Expectancy and Cause-Specific Mortality in Norway, 2005-2015. JAMA. 2019 May 13.

Eine Handvoll Gene für die Ewigkeit

Wie alt kann ein Mensch eigentlich werden? Gibt es eine natürliche Grenze oder ist etwas dran an dem ketzerischen Gedanken, dass nur die Stellung einer Handvoll „genetischer Schalter“ uns von der Unsterblichkeit trennt?

Einzeller sind praktisch unsterblich; sie teilen sich munter immer weiter, es sei denn, ein „gewaltsamer“ Tod setzt ihrem Dasein ein Ende. Alle höheren Lebewesen aber mussten sich die Vorteile teuer erkaufen, die mit dem Zusammenschluss und der Spezialisierung von ehemals uniformen Einzelzellen einhergehen. Spätestens mit der „Erfindung“ der sexuellen Vermehrung wurde auch der Tod ein Teil des Lebens.

Dies zu akzeptieren fällt vielen Menschen schwer. Dass sich die Lebenserwartung seit dem Einbruch des industriellen Zeitalters auf weit über siebzig Jahre verdoppelt hat, ließ übertriebene Erwartungen aufkommen. Damit wird auch die Altersforschung interessant: Die Etats der Wissenschaftler steigen rapide an; in der amerikanischen Pharmaindustrie investieren die Forschungsabteilungen heute fast jeden zweiten Dollar in die Erkundung und Vermeidung des Phänomens Alter.

Aus den Labors kommen faszinierende Erfolgsmeldungen. Die Lebensspanne der Fruchtfliege Drosophila melanogaster etwa konnte durch züchterische Auswahl verdoppelt werden. Michael Rose von der University of California in Irvine isolierte dazu solche Tiere, die ihre Geschlechtsreife erst relativ spät im Leben erreichten und verpaarte diese miteinander. Er wollte damit die Evolutionstheorie des Alterns testen, die besagt, dass eine Beziehung zwischen dem Eintreten der Geschlechtsreife und dem Beginn des Alterungsprozesses besteht.

Der Ausgang des Experiments scheint diese Theorie zu bestätigen. Gegenüber der amerikanischen Zeitschrift „Science“ bemerkte Rose: „Es handelt sich nicht nur um eine Verlängerung der Lebensspanne, sondern um eine tatsächliche Verschiebung des Alterungsprozesses. Ihre Fähigkeit, sich zu vermehren und zu fliegen, ist im Alter verbessert. Das ist so, als ob man 120 Jahre alt wäre und immer noch ein ordentliches Tennismatch spielen könnte.“

Auch bei der Meeresschnecke Phestilla sibogae gelang es, die normale Lebenserwartung von 60 Tagen um die Hälfte zu verlängern. Die Larven der Tiere schweben normalerweise drei Tage im Wasser; dann lassen sie sich auf dem Meeresboden nieder, ernähren sich von Korallen und entwickeln sich zu erwachsenen Tieren. Als Michael Hadfield von der Universität Hawaii die Tiere dazu zwang, einen Monat lang umher zu schwimmen, bevor er ihnen den begehrten Ruheplatz freigab, wurde hier ebenfalls die biologische Uhr angehalten – für einen Monat.

Seit langem schon bekannt ist die Tatsache, dass Zellen offensichtlich von Geburt an für eine bestimmte Anzahl von Teilungen „programmiert“ sind. Bindegewebszellen (Fibroblasten) aus einem menschlichen Embryo etwa machen in der Zellkultur ziemlich exakt 50 Teilungen durch, wobei der Zeitraum zwischen zwei Teilungen gegen Ende hin zunimmt. Schließlich sterben die Zellen ab. Entnimmt man die Fibroblasten aber einem achtzigjährigen, so wird man nur noch rund dreißig Teilungen beobachten können.

Friert man Zellen, die schon eine gewisse Anzahl von Teilungen hinter sich haben, in flüssigem Stickstoff ein und taut sie anschließend wieder auf, so laufen die verbleibenden Zellteilungen ab, als wäre nichts geschehen. Entscheidend ist also das biologische Alter, und nicht die tatsächlich verstrichene Zeit. Diese Experimente deuten auf ein „Uhrwerk“ hin, welches die Lebenszeit einer Zelle bemisst und als dessen Zeitgeber der Zellzyklus vermutet wird.

Gerät dieses Uhrwerk durcheinander, kann eine Zelllinie unsterblich werden, auch ohne dass sie sich in eine Krebszelle verwandelt. In den Laboratorien der Welt sind solche „immortalisierten Zelllinien“ längst zum unentbehrlichen Werkzeug der Wissenschaftler geworden.

Äußere Einflüsse können aber auch das Altern beschleunigen. In der Filmversion von Philip K. Dick’s Roman „Blade Runner“ etwa leidet einer der Darsteller an dem Werner-Syndrom, einer Krankheit, die leider mit Science-Fiction nichts zu tun hat. Zellen solcher Menschen altern vorzeitig; die meisten Patienten sterben schon vor ihrem fünfzigsten Lebensjahr. Ein Hoffnungsschimmer für die Betroffenen liegt darin, dass in der letzten Zeit eine ganze Reihe von biologischen Botenstoffen erkannt wurden, die man dank gentechnischer Methoden relativ preiswert und in größeren Mengen herstellen kann.

Einer dieser Botenstoffe, der, Epidermis-Wachstumsfaktor (EGF) kann zum Beispiel im Reagenzglas das Leben von Fibroblasten ganz entscheidend verlängern. Etwa 150 statt der normalen 50 Teilungen werden beobachtet, wenn EGF dem Nährmedium der Zellen zugeführt wird.

Auch dem menschlichen Wachstumshormon, das derzeit in Deutschland nur für die Behandlung bestimmter Formen des Zwergwuchses eingesetzt wird, sagen manche Experten eine große Zukunft voraus. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Substanz bei älteren Menschen zu einem Abbau von Fett und einem Zuwachs an Muskeln geführt hat. Kritiker warnen allerdings davor, diesen Stoff allzu leichtfertig einzusetzen.

Dennoch: Die Vorstellung, es gäbe bestimmte Substanzen, welche das Altern der Zellen beeinflussen, ist inzwischen gut belegt. Außer den bereits erwähnten Botenstoffen, welche den Alterungsprozess zu verzögern scheinen, gibt es offensichtlich auch Eiweiße, die eine Zelle alt machen. Verschmilzt man einen jungen, aktiven Fibroblasten mit einer Zelle, die ihre Teilungsfähigkeit bereits eingestellt hat, so wird die Vermehrung der Erbsubstanz auch in dem Zellkern gestoppt, der von dem jungen Fibroblasten stammt. Die alte Zelle enthält also mindestens eine Substanz, welche die Zellteilung blockieren kann. Alle Bemühungen, das mutmaßliche Eiweiß von der Menge der anderen Substanzen in einer Zelle abzutrennen, sind bisher gescheitert.

Mittlerweile wurden auch regelrechte „Schalter“ gefunden, deren Stellung einen deutlichen Einfluss auf die Lebensspanne haben. Die Rede ist von Signalen, die Teil unserer Erbsubstanz sind. Diese Signale sind oft äußerst kompliziert aufgebaut und bestimmen über Art und Menge der Stoffe, die von einer Zelle im Laufe ihres Daseins produziert werden. Am Biozentrum in Basel gelang es der Arbeitsgruppe um Walter Gehring kürzlich, durch die gezielte Änderung eines solchen Signals das Leben von Fliegen um bis zu 40 Prozent zu verlängern, einfach indem Elongationsfaktor in größerer Menge produziert wurde.  Dieses Eiweiß spielt eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Erbinformation in biologisch aktive Substanzen.

Trotz großer Mühen sind die erstaunlichen Resultate der Altersforschung bisher nur vereinzelte Mosaiksteinchen in einem Bild von gewaltiger Komplexität. Noch immer sind die Wissenschaftler weit davon entfernt, die Vorgänge zu durchschauen, die uns altern lassen. Typisch scheint der Seufzer des kalifornischen Gerontologen Edward Schneider: „Wenn wir schon Krebs für kompliziert gehalten haben, was sollen wir dann erst über das Altern sagen?“

(erschienen in der WELT am 17. November 1990. Letzte Aktualisierung am 12. Mai 2017)