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Sich regen? Von wegen!

Eine, vom Nationalen Krebsinstitut mitfinanzierte, Langzeitstudie zeigt, dass US-Amerikaner unverändert lange auf ihrem Hintern sitzen. Damit verbringen sie sechs bis acht Stunden täglich – eine Zeitspanne, die sich zwischen 2001 und 2016 kaum verändert hat.

Herausgefunden hat dies ein Team um die Epidemiologin Dr. Lin Yang von der Forschungsstelle Cancer Epidemiology and Prevention Research, CancerControl Alberta (Kanada). Sie wertete die Daten aus einer regelmäßig stattfinden landesweiten Umfrage aus, dem National Health and Nutrition Examination Survey. Unter den fast 52000 Studienteilnehmern waren 10359 Kinder, 9639 Jugendliche und 31898 Erwachsene. Die Daten beruhten allerdings nicht wie heute üblich auf der Auswertung von Fitnessarmbändern, sondern auf der Selbsteinschätzung der Befragten.

Dabei kam heraus, dass im letzten Erfassungszeitraum 2015/2016 unter den Kindern 62 Prozent täglich mindestens zwei Stunden Fernsehsendungen oder Videos anschauten.  Unter den Jugendlichen war dieser Anteil mit 59 Prozent und bei Erwachsenen mit 65 Prozent ähnlich groß, und bei den Rentnern ab 65 Jahren lag er sogar bei 85 Prozent.

Im Vergleich der Jahre seit 2001 hatte es bei den Kindern zwar eine leichte Abnahme gegeben (um 3,4 Prozentpunkte), dafür schauten die Senioren im Schnitt aber 3,5 Prozent länger, sodass die Gesamtbilanz unverändert blieb.

In allen Altersgruppen zugenommen hat der Anteil derjenigen, die täglich außerhalb der Arbeit oder Schule für mindestens eine Stunde am Computer saßen. Bei Kindern stieg dieser Anteil von 43 auf 56 Prozent, bei Jugendlichen von 53 auf 57 Prozent, und bei Erwachsenen gar von 29 auf 50 Prozent.

Experten und Fachgesellschaften haben wiederholt vor den Gefahren des zu langen Sitzens gewarnt („Sitzen ist das neue Rauchen“). Klar ist, dass zu wenig Bewegung insbesondere das Risiko für Herzkrankheiten erhöht. Genutzt haben die Appelle jedoch wenig. Im Gegenteil lief der Trend – zumindest in den USA – im vergangenen Jahrzehnt in die falsche Richtung. Als die Forscher für die aktuelle Erhebung die Gesamtsitzzeiten in den Jahren 2007 bis 2016 verglichen, fanden sie bei den Jugendlichen eine Zunahme von 7 auf 8,2 Stunden täglich und für Erwachsene von 5,5 auf 6,4 Stunden täglich. Selbst diese Zahlen könnten das wahre Ausmaß der „Sitzepidemie“ noch unterschätzen. Für die aktuelle Auswertung hatte man nämlich weder die Zeit am Telefon noch das Lesen von Büchern berücksichtigt.

Yang L et al.: Trends in Sedentary Behavior Among the US Population, 2001-2016. JAMA. 2019 Apr 23;321(16):1587-1597. doi: 10.1001/jama.2019.3636.

Deutsche Herzchirurgen kritisieren Focus-Rangliste

Äußerst kritisch beurteilen deutsche Herzchirurgen den Versuch des neuen Nachrichtenmagazins „Focus“, eine Rangliste der 500 besten Ärzte Deutschlands zu erstellen. „Der Schluß, daß ein Chirurg, der 3000 Operationen im Jahr durchführt, besser ist als sein Kollege mit jährlich 700 Operationen, ist nicht gestattet“, sagte Professor Dr. Peter Satter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie auf deren 22. Jahrestagung in Bonn. Dieser Aussage schloß sich Professor Dr. Rainer Körfer, Direktor am Herzzentrum Nordrhein-Westfalen in Bad Oeynhausen, an. Körfer war von „Focus“ zum zweitbesten Herzchirurgen Deutschlands gekürt worden.

Allenfalls könne man davon ausgehen, daß mindestens 200 Eingriffe nötig seien, um die erforderliche Routine aufrecht zu erhalten. Untersuchungen über die Sterblichkeit nach Bypass-Operationen hatten in den USA eine Streubreite von 1,5 bis 7,5 Prozent sowie eine direkte Beziehung zwischen der Zahl der Eingriffe und der Sterblichkeit ergeben. Unter 150 Operationen pro Jahr stieg die Mortalität signifikant an.

„Solche Mini-Operationen sind in der Bundesrepublik aufgrund der Krankenhausbedarfsplanung nicht möglich, und wir hoffen, daß es so bleibt“, sagte Satter. Trotz der Gründung einer Bundesarbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung in der Herzchirurgie vor über zwei Jahren konnten die Vertreter des Ärztestandes keine eigenen Daten vorlegen. Im vergangenen Jahr hatten sich 31 von 57 erfaßten Kliniken an der Erhebung beteiligt und 13.603 Datensätze übermittelt.

Man sei, so Satter, noch damit beschäftigt, qualitätsbezogene Merkmale zu finden und zu definieren. Für den Vizepräsidenten der DGTHG, Professor Dr. Fritz Hehrlein, steht dennoch fest, daß „die deutsche Herzchirurgie in allen Punkten so gut und einigen Punkten besser ist als die in den USA.“

Die aktuellen Leistungszahlen der deutschen Herzchirurgie präsentierte Professor Dr. Peter Kalmar: „Die gute Nachricht lautet: Die Zahl der Herzoperationen hat im Jahr 1992 erneut zugenommen“, sagte der diesjährige Tagungsleiter. An 57 Zentren fanden 59.159 Eingriffe statt, davon 48.953 mit der Herz-Lungen-Maschine. Im Verhältnis zu 1991 sei dies ein Zuwachs um fast 8000 Herzoperationen insgesamt; Herz-Lungen-Maschinen seien 6000 mal häufiger eingesetzt worden als im Vorjahr. Keine Veränderung habe es dagegen bei der Zahl der Patienten auf der Warteliste gegeben, die nun schon im dritten Jahr bei fast 13.000 liege.

Zwischen Anmeldung und Operation vergingen im Schnitt drei Monate. Knapp die Hälfte der Patienten müsse nicht länger als zwei Monate warten, eine Frist, die laut Kalmar im Wesentlichen durch die Operationsvorbereitungen bedingt ist. Dies sei in den meisten Fällen medizinisch vertretbar.

Der Direktor der THG-Klinik am Hamburger Universitäts-Krankenhaus Eppendorf sieht jedoch ein Problem in dem Ost-West-Gefälle innerhalb Deutschlands. Während in den alten Bundesländern 680 Operationen pro Jahr und eine Million Einwohner durchgeführt wurden, waren es im Osten nur 338. Ursache sei der gravierende Mangel an herzchirurgischen Zentren in den neuen Ländern. Auch in Baden-Württemberg und Bayern fänden relativ wenige Eingriffe statt, hier liege das jedoch am Pflegenotstand.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 4. März 1993)

Wenn Herzen aus dem Takt geraten

Die Frage, wie dem „elektrischen Unfall“ Herzinfarkt am besten beizukommen ist, wird von Experten heftig diskutiert. Auf einer Tagung über Herzrhythmusstörungen in Königswinter bei Bonn bemühen sich Kardiologen zurzeit, die beste Behandlungsmethode zu ermitteln.

Allein in der Bundesrepublik sterben jährlich etwa 360000 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wie der Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Bonn, Professor Berndt Lüderitz, erklärte, ist unter den Patienten eine zunehmende Medikamentenverdrossenheit zu beobachten. Arzneimittel gegen Herzrhythmusstörungen (Antiarrhythmika) sind kompliziert zu handhaben, da die Erkrankung verschiedene Ursachen haben kann. Außerdem können diese Medikamente die Erregungsleitung im Herzen an mehreren Stellen beeinflussen. In letzter Zeit seien Nebenwirkungen vermehrt beobachtet worden, sagte Lüderitz.

Der Trend geht von den Medikamenten weg

„Ein Beweis dafür, dass Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen lebensverlängernd wirken, steht bisher noch aus“, bemerkte der Mediziner. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Herzschrittmacher seine lebensverlängernde Wirkung bereits unter Beweis gestellt hat. Wie zu erfahren war, wird das Bundesgesundheitsamt den Einsatz von Antiarrhythmika voraussichtlich gegen Ende des Jahres stark einschränken.

Trotzdem werden Antiarrhythmika auch weiterhin ihren Platz bei der Therapie von Herzkrankheiten haben und vor allem in Notfällen eingesetzt werden. Ziel der rund 250 Kardiologen, die sich in Bonn versammelt haben, wird es sein, den Stellenwert der verschiedenen Behandlungsformen zu ermitteln. Dieses Unternehmen wird auch vom Forschungsministerium unterstützt: Von einer großen Langzeitstudie erhofft man sich darüber Aufschluss, ob Elektroschockgeräte (Defibrillatoren) oder Medikamente besser geeignet sind, den plötzlichen Herztod zu verhindern.

Außer Defibrillatoren stehen den Kardiologen eine Reihe weiterer Möglichkeiten offen, Herzrhythmusstörungen ohne Medikamente zu behandeln: So wurden Herzschrittmacher entwickelt, die nicht nur auf ein Aussetzen des Herzschlages, sondern auch auf seine Beschleunigung reagieren. Auch die Lasertechnik leistet mittlerweile einen wertvollen Beitrag zur Chirurgie des Herzens.

Lüderitz betonte, dass trotz medizinischer Fortschritte die größten Erfolge durch eine vernünftige Lebensweise zu erzielen wären. So hat eine konsequente, teilweise auch aggressive Gesundheitsaufklärung in den Vereinigten Staaten die Zahl der Herztoten deutlich vermindert.

(erschienen in der WELT am 14. September 1990, letzte Aktualisierung 21. März 2017)

Was ist daraus geworden? Im Standardwerk „Innere Medizin“ von Gerd Herold (Ausgabe 2012) stehen die Antiarrythmika zwar immer noch vor Elektrotherapie und Katheterablation sowie chirurgischen Eingriffen, allerdings wird drauf hingewiesen, dass Nutzen und Nebenwirkungen dieser Medikamentenklasse gegeneinander abgewogen werden müssten. Erneut wird hier betont, dass hinsichtlich der Sterblichkeit die Therapie mit Antiarrhythmika keinen Vorteil bringt, und dass die beiden Studien CAST und SWORD sogar eine Verschlechterung der Prognose für Postinfarktpatienten gezeigt hätten.