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Drüsenersatz aus Stammzellen gezüchtet

Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres ist es einer Gruppe japanischer Forscher am Riken Zentrum für Entwicklungsbiologie in Kobe gelungen, aus embryonalen Stammzellen der Maus komplexes Ersatzgewebe für das Gehirn zu züchten: Nachdem das Team um den Direktor der Abteilung Neurogenese, Yoshiki Sasai, bereits im April in die Schlagzeilen geraten war, weil man eine Vorstufe der Netzhaut des Auges (Retina) geschaffen hatte, berichten die Forscher nun in der Fachzeitschrift Nature, wie sie durch die geschickte Manipulation der Kulturbedingungen die Entstehung eines Hypophysenvorderlappens gesteuert haben. Beim Menschen wie auch bei Mäusen bildet dieser Teil der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) Hormone, die das Wachstum und die Schwangerschaft steuern, sowie bestimmte euphorisierende und schmerzstillende Substanzen, die Endorphine.

 

Hormon-bildende Zellen (rot gefärbt) inmitten von Drüsengewebe, das aus embryonalen Stammzellen gezüchtet wurde. (Foto: Yoshiki Sasai, RIKEN)

Dass die Kunstgebilde aus dem Labor sich möglicherweise als Ersatzdrüse eignen, konnten die Wissenschaftler im Mausversuch beweisen: Sie verpflanzten das neu gezüchtete Gewebe in die Niere von Tieren, denen man zuvor die Hypophyse entfernt hatte. Während Mäuse ohne Hypophyse nur etwa zwei Monate überleben, rettete der Eingriff die Nager und brachte deren Hormonspiegel wieder auf fast normale Werte zurück.

 

Die japanischen Forscher gehören zu den Pionieren der Stammzellforschung, von der Optimisten sich die Zucht von Ersatzgeweben und ganzen Organen für kranke Menschen erhoffen. Dafür müssen sich jedoch viele unterschiedliche Zelltypen räumlich exakt anordnen und miteinander wechselwirken, was bisher nur mit vergleichsweise einfachen Geweben wie Knorpel gelungen ist, und mit Gefäßzellen, die man auf künstlichen Luftröhren angesiedelt hat. Im Gegensatz dazu ist das menschliche Gehirn die komplexeste Struktur im bekannten Universum. Die Entwicklung dieses Organs verstehen die Neurowissenschaftler trotz enormer Fortschritte in den vergangenen Jahrzehnten bisher nur in groben Zügen.

 

Mit der von Sasai und seinen Kollegen entwickelten Technik SFEBq (für engl. serum-free floating culture of embryoid body-like aggregates with quick re-aggregation) gelang es aber immerhin, ausgehend von embryonalen Stammzellen zunächst in Lösung schwebende Zellhäufchen zu schaffen. Stimuliert man diese Häufchen durch die Zugabe bestimmter Signalmoleküle zum jeweils richtigen Zeitpunkt, so können daraus komplexere Gewebe entstehen. Das Verdienst der Japaner ist es, solch ein „molekulares Kochrezept“ gefunden zu haben, mit dem aus embryonalen Stammzellen eine Vorstufe des Hypophysenvorderlappens heranwuchs. Im Inneren dieser sogenannten Rathke-Tasche – benannt nach dem deutschen Anatomen Martin Rathke – konnten die Hirnforscher anschließend mithilfe weiterer Wachstumsfaktoren vier verschiedene Zelltypen sprießen lassen, die jeweils unterschiedliche Hormone bildeten.

 

Dass diese Gebilde das Leben von Labormäusen retten konnten, denen man die eigene Hypophyse entfernt hatte, zeigt das Potential der Technik, freute sich Sasai: „Noch behandeln wir Hypophysendefekte, indem wir die fehlenden Hormone ersetzen. Dabei die richtige Dosis zu finden ist aber angesichts der schwankenden Konzentrationen im Körper nicht gerade einfach. Ich hoffe, dass unsere Ergebnisse zu weiteren Fortschritten der regenerativen Medizin auf diesem Gebiet führen werden.“

 

Wachstumshormon HGH – Missbrauch befürchtet

Menschliches Wachstumshormon (HGH), das noch vor wenigen Jahren aus den Hirnanhangsdrüsen (Hypophysen) verstorbener Spender gewonnen wurde, steht jetzt in ausreichender Menge zur Verfügung. Als „Somatotropin“ bietet das mit gentechnischen Methoden produzierte Hormon nicht nur Hoffnung für Klein- und Zwergwüchsige, sondern könnte auch gegen eine Vielzahl anderer Leiden zum Einsatz kommen. Mit der freien Verfügbarkeit und der zu erwartenden Preissenkung wachsen allerdings auch die Sorgen um einen Missbrauch.

Modell eines Somatotropin-Moleküls (Quelle: Wikipedia)

In der Bundesrepublik Deutschland werden nach Schätzungen zwischen 1000 und 2000 Kinder mit dem Medikament behandelt, weltweit sind es über 20000. Ohne HGH würden die Jungen etwa 140 Zentimeter, die Mädchen nur 130 Zentimeter „groß“ werden. Mit einer kurzfristigen Behandlung allerdings ist es nicht getan: Im Schnitt dauert eine HGH-Mangeltherapie zehn Jahre. Die kleinen Patienten oder deren Eltern müssen das Hormon während dieser Zeit fast täglich injizieren. Die Gesamtkosten einer solchen Behandlung belaufen sich auf 200000 bis 300000 Mark.

Doch inzwischen gibt es auch andere, nicht medizinische Beweggründe für eine Behandlung. „Größe wird mit Schönheit und Erfolg gleichgesetzt“, sagt Professor Michael Ranke von der Universitätskinderklinik in Tübingen. Großwüchsige Personen seien im Geschäftsleben und im gesellschaftlichen Umgang erfolgreicher. Auch Ranke wurde bereits mehrfach mit dem Wunsch nach möglichst großwüchsigen Kindern konfrontiert. Der Mediziner erinnert sich an einen Jungen, dem er eine Körpergröße von 1,68 Metern vorhersagte. Das war den Eltern nicht genug. „Aber er will Flieger in der NASA werden, da muss er mindestens noch zehn Zentimeter größer werden“, so wurde der Wunsch nach einer HGH-Behandlung begründet.

Derzeit allerdings darf HGH in der Bundesrepublik nur bei „hypophysärem Minderwuchs in der Wachstumsphase“ eingesetzt werden, wie Dr. Walter Elsässer vom Bundesgesundheitsamt (BGA) in Berlin mitteilte. Dies, obwohl in anderen Ländern mit HGH gute Ergebnisse bei der Behandlung einer ganzen Reihe von Wachstumsstörungen erzielt wurden. Eine kürzlich im „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte Studie zeigt die Wirkung des Hormons auch auf den Stoffwechsel bei Erwachsenen: Die meisten Probanden hatten die Fähigkeit zur Produktion von HGH vollständig verloren, nachdem Tumoren der Hirnanhangsdrüse behandelt worden waren. Das fehlende Hormon wurde sechs Monate lang durch tägliche Injektionen ersetzt. Danach hatte sich die Zusammensetzung des Körpergewebes drastisch verändert. Einem Zuwachs der Muskelmasse von 20 Prozent stand ein ebenso deutlicher Abbau des Fettgewebes gegenüber. Auch der Cholesterinspiegel des Blutes verringerte sich deutlich.

Schon lange wird gemutmaßt, dass so mancher Spitzensportler seine Muskelpakete dem HGH verdankt. Im Gegensatz zu einer anderen Hormonklasse, den Steroiden, kann HGH mit den üblichen Dopingtests nicht nachgewiesen werden. Experten warnen aber davor, dass der Muskelzuwachs langfristig durch gesundheitliche Schäden erkauft werden könnte. Herzkrankheiten, Zucker, Arthritis und Gelenkschäden sind als Folge unmäßiger HGH-Einnahme zu befürchten.

Obwohl Professor Ranke derart zweifelhafte Motive ablehnt, sieht er doch eine große Zukunft für das gentechnische Wachstumshormon. So lässt sich zum Beispiel die Wundheilung durch HGH wesentlich beschleunigen. Auch um dem Knochenabbau gegenzusteuern, der besonders bei Frauen nach den Wechseljahren einsetzt, wird sein Einsatz erwogen.

(erschienen in der WELT am 11. Februar 1990, aktualisiert am 2. März 2017)

Originalliteratur:

Salomon F, Cuneo RC, Hesp R, Sönksen PH. The effects of treatment with recombinant human growth hormone on body composition and metabolism in adults with growth hormone deficiency. N Engl J Med. 1989 Dec 28;321(26):1797-803

Was wurde daraus? Gentechnisch hergestelltes HGH kennt man inzwischen auch als Somatotropin. Neben dem Kleinwuchs im eigentlichen Sinne wird es heute auch bei der Behandlung des Ullrich-Turner-Syndrom, des Prader-Willi-Syndrom, bei chronischer Niereninsuffizienz oder bei Kleinwuchs infolge einer intrauterinen Wachstumsverzögerung eingesetzt. In der Doping-Szene und von manchen Bodybuildern wird Somatotropin eingesetzt, obwohl es verboten ist und schwere Gesundheitsschäden hervorrufen kann. Inzwischen steht allerdings ein Test zur Verfügung, der Doping nachweist, indem er gentechisch hergestelltes HGH in der Blutbahn von körpereigenem unterscheidet.