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Rekombinante Hefe

Weltweit zum ersten Mal wird in Großbritannien die Herstellung eines gentechnisch veränderten Organismus als Lebensmittelzusatz erlaubt. Es handelt sich dabei um die Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae), die zum Gären des Teiges unerlässlich ist.

Die Hefe erhielt zwei genetische Schalter (Promotoren) aus einem eng verwandten Stamm, es wurden also keine neuen Gene eingeführt. Durch die neuen Promotoren wird die Hefe befähigt, den Zucker Maltose schneller aufzunehmen und abzubauen. Bei dieser Reaktion wird Kohlendioxid freigesetzt, was den Teig lockert und zum schnelleren Aufgehen des Gemisches führt.

Die Hefe wurde von der zuständigen Genehmigungsbehörde als sicher eingestuft, weil der Austausch von genetischem Material innerhalb der gleichen Art stattgefunden habe. Für Brot, das mit Hilfe der genetisch veränderten Hefe hergestellt wird, soll es aus diesem Grund auch keine besondere Kennzeichnungspflicht geben.

(erschienen in der WELT am 12. Mai 1990)

Quelle: Aldhous, P. Modified yeast fine for food. Nature 344;386 (1990)

Was ist daraus geworden? Gentechnisch veränderte Organismen – sowohl Mikroorganismen als auch Pflanzen und Tiere – gibt es mittlerweile in Hunderten von Arten. Sie werden unter anderem zur Herstellung von Medikamenten und biologisch aktiven Molekülen genutzt, als Futter für Nutztiere und als Nahrungsmittel für den Menschen.

Medikamente aus Schweden für die ganze Welt

Schwedens Arzneimittelhersteller haben Weltruf. Die Arzneimittelexporte lagen 1988 bei 1,8 Milliarden Mark, die Zuwachsrate gegenüber 1987 erreichte 23 Prozent. Zusammen mit der Biotechnologie gehören pharmazeutische Präparate damit zu den expansivsten Teilgebieten innerhalb der Chemiebranche. Die Gewinne werden bemerkenswerterweise zum größten Teil außerhalb Schwedens erwirtschaftet. Vor allem die Bundesrepublik bildet hier einen wichtigen Markt und ist gleichzeitig Sitz verschiedener Tochterunternehmen der Schweden.

Flagge SchwedenEine Belegschaft von fast 7000 Angestellten macht die Astra AB mit ihren Tochtergesellschaften Draco und Hässle zum größten Pharmakonzern Skandinaviens. Die Gesamteinnahmen im abgelaufenen Geschäftsjahr betrugen über zwei Milliarden Mark. Dabei setzt die Astra offensichtlich stark auf Forschung und Entwicklung neuer Produkte. Jeder vierte Mitarbeiter ist auf diesem Sektor tätig, die Kosten hierfür beliefen sich 1988 auf rund 400 Millionen Mark.

Medikamente zur Behandlung von Herz- und Kreislaufkrankheiten (Seloken®) und gegen Atemwegserkrankungen sowie Lokalbetäubungsmittel (Xylocain®, Scandicain®) machen den größten Teil der Einkünfte des Konzerns aus, die zu 82 Prozent von außerhalb Schwedens stammen. Hauptabnehmer ist die Bundesrepublik Deutschland, gefolgt von Schweden, Japan und den USA.

Die in Uppsala beheimatete Pharmacia steht, was Umsatz und Zahl der Mitarbeiter angeht, nach der Astra an zweiter Stelle. 5700 Angestellte erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Umsatz von 1,2 Milliarden Mark; der Forschungsetat betrug über 300 Millionen. Hauptanteilseigner ist der Volvo-Konzern, der 29 Prozent der Aktien hält und zu 46 Prozent stimmberechtigt ist.

Nach dem Erwerb der Firmen Leo, Ferrosan und LKD im Jahr 1986 hat das Unternehmen jetzt eine Produktpalette, die von Therapeutika über ophthalmologische und diagnostische Erzeugnisse bis zur Biotechnologie reicht. In diesen Sektor fallen auch die Aufreinigung von Eiweißstoffen und Zellkultursysteme.

Eine Tochtergesellschaft der Staatsholding Procordia ist die Kabi Vitrum AB. Die Kabi gehört zu den führenden Unternehmen bei der Infusionstherapie und der klinischen Ernährung. Medikamente. die injiziert werden, bilden ebenfalls einen wichtigen Sektor der Firma. Mit rund 3600 Angestellten wurde 1988 ein Verkaufserlös von umgerechnet über einer Milliarde Mark erzielt. Rund 150 Millionen flossen in die Erforschung und Entwicklung neuer Produkte.

Kabi vertreibt mehrere Substanzen zur Auflösung von Blutgerinnseln und zur Hemmung der Blutgerinnung. Hierher gehört der aus Bakterien gewonnene Eiweißstoff Streptokinase ebenso wie der komplexe Zucker Heparin. Bahnbrechend war die weltweit erstmalige Produktion eines menschlichen Wachstumshormons mit Hilfe der Gentechnik. Zuvor musste das Hormon aus den Hirnanhangdrüsen Verstorbener Spender gewonnen werden, wobei es in seltenen Fällen zu tödlich verlaufenen Viruserkrankungen kam. Durch die Fusion mit der 700 Mann starken Pharmazeutikfirma Pfrimmer in Erlangen avancierte der schwedische Pharmariese auch in der Bundesrepublik in den Kreis der wichtigsten Unternehmen auf dem Krankenhaussektor.

(erschienen in der WELT am 3. Oktober 1989)

Schlamperei im Labor bringt Forscher in Verruf

Ungenauigkeiten bei der Auswertung von „genetischen Fingerabdrücken“ werfen Schatten auf ein molekularbiologisches Verfahren, das in der Gerichtsmedizin immer breitere Anwendung findet. Weil keine zwei Personen exakt gleiches Erbmaterial besitzen (eineiige Zwillinge ausgenommen), ist es möglich, durch präzise Analyse der Erbsubstanz (DNA) die Identität eines Menschen zweifelsfrei festzulegen. Dem Engländer Alec Jeffreys gelang es vor vier Jahren, diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen. Seitdem wird über Schuld und Unschuld eines Angeklagten immer häufiger anhand der Aussagen von Experten entschieden, die verschiedene DNA-Muster gegeneinander vergleichen.

Alec Jeffreys Wikipedia
Alec Jeffreys erfand das „DNA-Fingerprinting“ (Foto: Morpheus.Tpvipin [CC BY-SA 2.0] via Wikimedia Commons) 

Findet man am Ort eines Verbrechens noch Spuren des Täters wie etwa Blut, Haare oder Sperma, so kann man auch aus kleinsten Mengen dieser Zellen noch das Erbmaterial isolieren und mit dem von Verdächtigen vergleichen. In den Vereinigten Staaten wird diese Praxis jetzt in Frage gestellt, weil Mitarbeiter der privaten Firma Lifecodes die technisch schwierigen Untersuchungen nicht mit der nötigen Sorgfalt vorgenommen haben.

In einem in der Rechtsprechung bisher einmaligen Vorgang haben Wissenschaftler, die als Sachverständige für beide Parteien in einem Mordprozess tätig waren, eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Insgesamt seien die DNA-Daten in diesem Fall wissenschaftlich nicht verlässlich genug, um zu einer sicheren Aussage zu kommen, heißt es dort. Vorausgegangen war dieser Erklärung ein gerichtsmedizinischer Bericht der Firma Lifecodes an die Staatsanwältin des Bezirks Bronx (New York). Blut, das auf der Uhr des Verdächtigen Jose Castro gefunden wurde, hätte das gleiche DNA-Muster wie das Erbmaterial von Vilma Pons, einem der beiden Mordopfer. Dieses Muster käme in der Bevölkerung nur einmal unter knapp 200 Millionen Menschen vor.

Peter Neufeld, Anwalt der Verteidigung, war über diese Art der Beweisführung besorgt: In der Wissenschaft gebe es bisher scheinbar keine Übereinstimmung über die Art und Weise, in der der Test durchzuführen sei. Alles deutet darauf hin, dass die Mitarbeiter der privaten Firma ihre Analysen nicht mit Kontrollversuchen absicherten, wie sie in der Wissenschaft allgemein üblich sind. Bei der Beurteilung der Identität der genetischen Fingerabdrücke gingen sie von anderen Voraussetzungen aus als bei der späteren Berechnung, wie häufig solch ein Muster zu erwarten wäre – ebenfalls eine Vorgehensweise, die einer kritischen Überprüfung nicht stand hält.

Der Fall Castro sei sicher nicht typisch für den Umgang mit der neuen Technologie, meint der Molekularbiologe Richard Roberts, der Zeuge der Anklage war. „Kein Biologe bezweifelt die potentielle Macht der DNA-Typisierung“, sagt auch Eric Lander, der ebenso wie Roberts an der gemeinsamen Stellungnahme der Experten beteiligt war. Was der Gerichtsmedizin fehle, seien vielmehr angemessene Richtlinien, wie derartige Experimente durchzuführen sind. Die Nationale Akademie der Wissenschaften versucht zurzeit, 300000 Dollar aufzubringen, um eine entsprechende Studie zu finanzieren. Auch das FBI hat sich der Problematik angenommen und ist dabei, eigene Standards zu entwickeln.

Unabhängig von dem Urteil, das in den nächsten Tagen gefällt werden soll, ist die Wiederaufnahme bereits abgeschlossener Verfahren zu erwarten. Auch die Anklage hat mittlerweile eingeräumt, dass die DNA-Analyse in diesem Fall nicht zulässig ist.

Während die genetischen Fingerabdrücke in den USA schon über hundert Mal als Beweismittel dienten, wurde das Verfahren hierzulande erst in zwei Fällen benutzt. Wie Dr. Wolfgang Steinke vom Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden auf Anfrage mitteilte, ist man der Auffassung, das Verfahren sei reif zur Anwendung auch durch deutsche Polizeilabors. Die Landeskriminalämter in Baden- Württemberg und Berlin sowie das BKA arbeiten seit etwa zweieinhalb Jahren mit der Technik und haben beim Test mit Spurenmaterial die Zuverlässigkeit des Verfahrens unter Beweis gestellt, so Steinke. Die Innenministerkonferenz hat der Arbeitsgemeinschaft „Recht der Polizei“ mittlerweile den Auftrag erteilt, das Konzept der Kriminalämter zur Durchführung des „Fingerprinting“ zu überprüfen.

(erschienen in der WELT am 16. August 1989)
59-info@2xWas ist daraus geworden? Der Fall Castro hat die Glaubwürdigkeit von DNA-Beweisen vor Gericht erschüttert und die Tendenz verstärkt, dem DNA-Fingerprinting mehr Gewicht bei der Entlastung eines Angeklagten zuzusprechen, als bei dessen Verurteilung. Im Fall Castro entschied das Gericht, dass die Blutspuren auf Castros Uhr nur als Beweis gewertet durften, dass es nicht Castros Blut war, jedoch nicht um zu zeigen, dass es sich um das Blut eines Opfers handelte. Außerdem empfahl das Gericht zukünftig strengere Protokolle und eine bessere Dokumentation bei der Untersuchung der DNA-Fingerabdrücke. Ob Castro schlussendlich verurteilt wurde, habe ich übrigens trotz heftigster Googelei nicht heraus gefunden.

Patentverbot in der EG für Tiere und Pflanzen?

Anders als in den USA soll es innerhalb der EG auch weiterhin verboten bleiben, Patente für Tiere und Pflanzen zu vergeben. Im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), das auch für die Bundesrepublik Gültigkeit besitzt, ist es dagegen möglich, Mikroorganismen wie Hefen, Bakterien und Viren sowie deren Produkte unter Patentschutz stellen zu lassen.

Auch die Verfahren, mit denen die Mikroorganismen verändert werden können, sind demnach prinzipiell schützbar. Dies berichteten gestern der Abgeordnete des Europaparlamentes Willie Rothley (SPD) und der Bundestagsabgeordnete Heinz Seesing (CDU) vor der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn.

Gerade erst 14 Monate ist es her, dass in den USA eine gentechnisch veränderte Maus patentiert wurde, die als Modell für die Entstehung von Brustkrebs dienen soll. Inzwischen wurde in den Vereinigten Staaten eine große Anzahl von Patentanträgen gestellt.

Wie Seesing berichtete, werde sich der Rechtsausschuss des Bundestages demnächst mit der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Schutz biotechnologischer Verfahren befassen. Sie soll neue Entwicklungen in der Biologie mit dem geltenden Patentrecht in Einklang bringen.

Der Rechtsausschuss will es auf nationaler Ebene beim derzeitigen Patentrecht belassen, so Seesing. Der Ausschuss hat die Bundesregierung aufgefordert, sicherzustellen, dass bei einer Neuordnung innerhalb der EG das Verbot der Patentierung von Pflanzensorten und Tierrassen bestehen bleibe.

Für den 21. Juni kündigte Seesing einen umfangreichen Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie an, der dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden soll. Mit dem Dokument wird die Beratung des Ausschusses über den Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ abgeschlossen, in dem die Kommission vorgeschlagen hatte zu prüfen, ob eine Erweiterung des Patentschutzes für Pflanzen und Tiere nötig ist.

Rothley befürwortete, die Pflanzensorten eher im Rahmen des Sortenschutzrechtes, Tiere dagegen im Patentrecht zu behandeln.

(erschienen in der WELT am 14. Juni 1989)

Wieder Furcht und Zittern lernen

Im Rahmen einer VHS-Vortragsreihe war am Montagabend Professor Günter Altner, Vorstandssprecher des Freiburger Öko-Instituts im Kulturhaus zu Gast. Das Thema des gelernten Biologen und Theologen: Die Gentechnologie als Herausforderung für die christliche Weltanschauung.

Ca. 70 Zuhörer jeglichen Alters zeugten von dem Interesse der Öffentlichkeit an dem recht komplexen Thema, das jedoch, wie Prof. Altner schnell klarmachte, jeden angeht. Die Gentechnologie habe die Absicht, durch mehr oder weniger gezielten Eingriff ins Erbgut der verschiedensten Organismen diesen zu neuen Leistungen zu verhelfen, wozu auch die Produktion neuer Stoffe gehöre.

Zu Eingang seines Vortrages bemühte sich Altner, dem Publikum die Grundlagen der neuen Technologie nahe zu bringen, indem er in groben Zügen eine Vorstellung vermittelte, wie man sich denn diese Erbanlagen vorzustellen habe.

Auch für die Übersetzung des genetischen Codes, der Erbsprache also, in Eiweißstrukturen, die letztlich die Merkmale und die Entwicklung alles Lebendigen bestimmen, fand Altner einen recht anschaulichen Vergleich.

Damit war dann der Boden bereitet für eine Schilderung der vielfältigen Nutzungsziele, die gegenwärtig auf diesem Gebiet verfolgt werden. Dabei wurde immer wieder klar, welch zweischneidiges Schwert der Menschheit mit dieser Technologie in die Hand gegeben ist: Einerseits werden Mikroorganismen heute schon dazu benutzt, Insulin für Zuckerkranke zu produzieren – billiger und reiner als dies mit der bisherigen Methode der Gewinnung aus den Drüsen von Schlachttieren zu machen ist -, andererseits haben aber auch militärische Kreise die Gentechnologie entdeckt und damit die Möglichkeit, biologische Waffen noch bösartiger zu machen, als sie dies ohnehin schon sind.

In der Pflanzenzucht ließe sich erhöhte Fruchtbarkeit bei Kulturpflanzen ebenso erreichen wie größere Widerstandsfähigkeit gegen extreme Umweltbedingungen und verminderter Bedarf an Düngemitteln. Während diese Projekte, die für Entwicklungsländer von Wert sein könnten, noch in der Entwicklung sind, sind herbizidresistente Kulturpflanzen schon produktionsreif.

Der Einsatz dieser Pflanzen würde zu einem erhöhten Einsatz an Pflanzengiften führen. Dies, so Altner, müsse als fragwürdig bezeichnet werden und könne ökologisch nicht verantwortet werden.

Schließlich die Anwendung am Menschen: Die Möglichkeit der pränatalen Diagnose, also der Vorhersage von Erbschäden bei Embryonen berge die Gefahr in sich, dass in Zukunft schon bei geringen Abweichungen von der Norm eine Abtreibung eingeleitet werde. Die sich bereits abzeichnende Möglichkeit der Gentherapie d.h. der Reparatur von Erbdefekten am menschlichen Keim erfordert Experimente am Embryo. Altner unterstrich in Anbetracht dieser Entwicklungen die Bedeutung einer informierten Öffentlichkeit.

Letztendlich sei es der gesunde Menschenverstand der Bürger, der darüber zu entscheiden habe, inwieweit man das Potential, das in dieser Technik stecke nutzen wolle bzw. wo man Grenzen zu ziehen habe. Angesichts des Wettlaufs der Industrienationen trotz einer Fülle von ungeklärten Fragen erinnerte Altner an den Ausspruch des Philosophen Hans Jonas, dem in diesem Jahr der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde: „Wir müssen wieder Furcht und Zittern lernen und, selbst ohne Gott, die Scheu vor dem Heiligen“. Der Mensch müsse mehr Ehrfurcht vor dem Leben zeigen und die Zusammenhänge der Natur als etwas wertvolles begreifen. Altner erklärte, er halte eine Denkpause für nötig.

Die Risikoforschung sei noch nicht weit genug fortgeschritten. Die Förderung der Gentechnologie durch öffentliche Mittel solle eingestellt werden. An gesetzliche Maßnahmen wurde ein Verbot der Freisetzung genetisch veränderter Organismen ebenso gefordert wie ein totales Verbot biologischer Waffen auf internationaler Ebene. Der Schutz des menschlichen Keimes müsse gesetzlich verankert werden.

Dies bedeute jedoch kein totales Nein gegenüber der Gentechnologie angesichts der Heilungschancen, die mit bestimmten Gebieten verbunden seien.

In der sich anschließenden Diskussion wurde immer wieder die Frage laut, wie man auf die gegenwärtige Entwicklung Einfluss nehmen könne. Auch wurde Skepsis laut gegenüber einseitigen Maßnahmen in der Bundesrepublik. Wie Tschernobyl gezeigt habe, seien auch die schärfsten Sicherheitsmaßnahmen angesichts grenzüberschreitender Umweltkatastrophen nutzlos.

Demgegenüber brachte Altner seine Überzeugung zum Ausdruck, dass durch eine breitangelegte Diskussion in der Öffentlichkeit durchaus genug Druck auf die Parlamente ausgeübt werden könne, um verantwortliche Politiker zum Handeln zu bewegen. Auch habe man die ethische Verpflichtung, moralisch nicht vertretbare Entwicklungen zu verhindern, wobei der Blick auf den Nachbarn erst an zweiter Stelle stehen dürfe.

Anhaltender Beifall am Ende der Veranstaltung zeugte davon, dass Prof. Altners Appell an das Verantwortungsgefühl und den gesunden Menschenverstand an diesem Abend auf offene Ohren gestoßen war.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung, 6. November 1987)

Nur kontrollierte Gen-Forschung nützt

Das Wieslocher Jugendzentrum „Loch Ness“ hatte hochrangige Vertreter aller politischen Parteien in das Wieslocher Bürgerhaus eingeladen, um dort im Rahmen einer Podiumsdiskussion die verschiedenen Standpunkte zu erörtern.

Ebenfalls eingeladen war Ruben Scheller, Dipl. Biologe und Autor des Buches „Das Gen-Geschäft„, dem die Aufgabe zufiel, das Publikum in kurz gedrängter Form mit den Grundlagen dieser jungen Technologie vertraut zu machen. Vor den ca. 70, meist jugendlichen Zuhörern machte Scheller klar, welche ungeheuren Möglichkeiten dem Menschen durch Nutzung der Gentechnologie zur Verfügung stünden. Durch die Fähigkeit, Erbinformationen, die in Form von chemischen Molekülen festgelegt sind, aus den verschiedensten Organismen zu gewinnen, erhält der Mensch Zugriff auf die unvorstellbare Vielfalt an biologischen Substanzen die von Tieren, Pflanzen und Bakterien produziert werden. Da die Art und Weise, wie diese Erbinformationen in Biomoleküle übersetzt werden im Prinzip bei allen Organismen gleich ist, ist es heute möglich, Teile der Erbinformation – Gene genannt – zwischen verschiedenen Arten auszutauschen

Ein prominentes Beispiel für die Anwendung dieser Technik ist die Produktion von menschlichem Insulin in Bakterien, die im Begriff ist, die Gewinnung von Rinderinsulin aus den Drüsen von Schlachttieren zu ersetzen. Scheller machte klar, dass die Genmanipulation auch die Schaffung  neuer Lebensformen ermöglicht. Der Mensch wird zur formenden Kraft in der Evolution bis hin zu der Möglichkeit, seine eigenen Erbinformationen und damit sich selbst zu verändern.

Scheller bemängelte jedoch das Fehlen einer breiten Diskussion über Möglichkeiten und Gefahren  der Gentechnologie vor der Umsetzung in die Praxis. Als Beispiele für den Missbrauch dieser Technik nannte er die Entwicklung von Herbizid-resistenten Kulturpflanzen, was den Verbrauch an Pflanzengiften enorm steigern würde, sowie Forschungen an biologischen Waffen, die im Auftrag der Bundeswehr in der tierärztlichen Hochschule in Hannover statt fänden.

Für die SPD ergriff nun Gert Weisskirchen (MdB) das Wort. Er bezeichnete die Gentechnologie als ein Beispiel dafür, was Forschung alles bedeuten könne: Der Kampf gegen Krebs, Hunger oder AIDS wurden als Beispiele genannt. Forschung könne sehr positiv sein, wenn sie kontrolliert und in einem verantwortlichen Rahmen ablaufe. Mit dem Wissen wüchsen jedoch auch die Chancen der Manipulation und des Missbrauches.

Die Politik stünde dieser Entwicklung recht machtlos gegenüber, da die Freiheit der Wissenschaft gemäß Art. 5 des Grundgesetzes garantiert sei. Weisskirchen verwies jedoch auf die Enquete-Kommission des Bundestages, die sich neben anderen Richtlinien darauf geeinigt habe, keine Eingriffe in die menschliche Keimbahn zu erlauben und einen gesetzlichen Rahmen für die Gentechnologie zu schaffen.

Gert Schwander (MdL) der die Position der baden-württembergischen Grünen vertrat sagte, hinter der Gentechnologie stehe das Bestreben die Sprache des Lebens zu verstehen und das Ziel, das Stottern in dieser Sprache – die Erbkrankheiten – zu beseitigen. Obwohl er ursprünglich die Gentechnologie generell ablehnte, glaube er jetzt, dass deren Einsatz die einzige Chance bei der Bekämpfung von AIDS darstelle. Nach Schwandner favorisieren die Grünen im Landtag das dänische Modell eines generellen Verbotes der Gentechnologie, wobei Ausnahmen in bestimmten Fällen möglich sein sollen.

Michael Sieber (MdL), der für die CDU Fraktion im Landtag sprach, wollte keinerlei Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Er persönlich lehne auch die Embryonenforschung insgesamt ab, jedoch gebe es hierfür zur Zeit keine Mehrheit in der Partei. Auch lehne die CDU die Leihmutterschaft und die künstliche Befruchtung mit fremden Spendersamen ab. Das Recht des Kindes müsse hier im Vordergrund stehen. Er sehe aber nichts unrechtes darin, etwa einem kinderlosen Ehepaar durch Vereinigung deren Keimzellen im Reagenzglas die Elternschaft zu ermöglichen.

In der anschließenden Diskussion mit nur geringer Publikumsbeteiligung wurden seitens Schwandners und Schellers Zweifel laut, ob derzeit bestehende Gesetze die Manipulation menschlicher Embryonen verhindern können. Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer darin, dass die Gentechnologie nicht dazu dienen dürfe, das Leben an unlebenswerte Verhältnisse anzupassen.

Für Überraschung sorgte Scheller gegen Ende der Diskussion mit einer vorbereiteten Resolution, in der Verteidigungsminister Wörner aufgefordert wurde, auf jede weitere Finanzierung biotechnischer Projekte zu militärischen Zwecken zu verzichten. Abschließend brachten die Diskussionsteilnehmer die Hoffnung zum Ausdruck, daß sich die öffentliche Diskussion um Chancen und Risiken dieser Technologie vertiefen möge und boten ihre Teilnahme an einer evt. Folgeveranstaltung an, bei der dann auch Forscher, die auf diesem Gebiet arbeiten, zu Wort kommen sollten.

(erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung, 30. September 1987)