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Deutschland ist Weltmeister – in Wehleidigkeit

Das war mal wieder ein gefundenes Fressen – für die Nachrichtenagenturen ebenso wie für die Zeitungen, die sich auf eine Pressemitteilung der Techniker Krankenkasse gestürzt haben: Fast alle Patienten (95 Prozent) seien mit ihren Ärzten zufrieden, hallte es durch den Blätterwald und durch das Internet. Allenfalls mehr Informationen hätte Otto Normalpatient gerne von seinem Arzt und er möchte stärker in die ärztlichen Entscheidungen einbezogen werden.

Weitaus interessanter fand ich aber ganz andere Ergebnisse der angeblich repräsentativen Umfrage, die telefonisch mit 1000 gesetzlich Versicherten durchgeführt wurde. Ich schreibe angeblich repräsentativ, denn die privat Versicherten hat man offensichtlich ignoriert und deren Verhalten in punkto Gesundheit unterscheidet sich bekanntlich deutlich von dem gesetzlich versicherter Menschen. Jetzt aber genug der Vorrede und weiter mit dem für mich wirklich Erstaunlichen an dieser Untersuchung:

  • 45 Prozent der Befragten waren innerhalb der letzten vier Wochen beim Arzt
  • 90 Prozent waren im letzten halben Jahr beim Arzt, und jetzt kommt´s:
  • nahezu jeder Zweite hielt sich für chronisch krank, bei den über 60-Jährigen waren es sogar zwei Drittel

Mehr Arztbesuche pro Kopf als jedes andere Land: Sind wir ein Volk von Heulsusen?

Oh je, oh je. Geht es uns wirklich so schlecht? Ein klares „Nein“ ist die Antwort, den die Schätzungen für den Anteil „echter“ chronisch Kranker an der Bevölkerung liegt laut statistischem Bundesamt bei 28 Prozent und aus den Versichertendaten der Techniker Krankenkasse ergibt sich „nur“ ein Wert von 20 Prozent. Als „chronisch“, das sei nebenbei bemerkt, gelten Krankheiten, die sich langsam entwickeln oder lange (mehr als vier Wochen) anhalten. Das jeder zweite sich für chronisch krank hält, findet der Vorstandsvorsitzende der TK, Norbert Klusen übrigens bedenklich: „Und es lässt auch Rückschlüsse auf die Erwartungshaltung der Menschen gegenüber unserem Gesundheitswesen zu“.

Dem kann ich nur zustimmen und schließe aus dieser Umfrage, dass die Deutschen offensichtlich ganz besonders wehleidig sind. Eine weitere Zahl aus der Umfrage bestätigt meinen Verdacht: Mit 18 Arztbesuchen pro Jahr liegen wir weltweit an der Spitze.

Quellen:

Weitere Informationen:

Parkinson: Pessimisten erkranken häufiger

Auf der Suche nach den Ursachen der Parkinson-Krankheit haben Wissenschaftler der Mayo-Klinik im amerikanischen Rochester eine überraschende Entdeckung gemacht: Pessimisten und andauernd ängstliche Menschen tragen ein um 40 Prozent höheres Risiko, an dem Leiden zu erkranken, als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Wie das Forscherteam um den Nervenarzt James Bower jetzt auf der Jahrestagung der US-Neurologen in Miami berichtete, fand man diesen Zusammenhang beim Rückblick auf Persönlichkeitsdaten, die Anfang der 60er Jahre an fast 5000 gesunden Einwohnern des US-Bundesstaates Minnesota gewonnen worden waren. Insgesamt 128 unter ihnen waren in den Jahrzehnten nach der Erhebung an Parkinson erkrankt – wobei die „Schüttellähmung“ stark gehäuft bei jenen Personen auftrat, die man damals anhand einer psychologischen Bewertungsskala als besonders ängstlich oder pessimistisch eingestuft hatte.

„Wir haben einen klaren und deutlichen Zusammenhang gefunden zwischen einer ängstlichen oder pessimistischen Persönlichkeit und dem zukünftigen Auftreten der Parkinson-Krankheit“, sagte Bower. „Eine Erklärung für diesen Zusammenhang haben wir aber nicht gefunden“. Eine Möglichkeit sei es, daß Angst und Pessimismus über einen noch nicht bekannten Mechanismus das Entstehen des Leidens fördern. Ebenso wäre es möglich, daß bestimmte, noch nicht identifizierte Erbanlagen oder nicht-erbliche Risikofaktoren gleichermaßen eine ängstliche Persönlichkeit fördern, wie auch das Krankheitsrisiko erhöhen.

Von der Parkinson-Krankheit ist etwa jeder 100ste über 65 Jahren betroffen. Bei diesen Personen sind meist über viele Jahre hinweg sehr kleine, spezialisierte Ansammlungen von Nervenzellen an der Basis des Großhirns abgestorben. Diese sogenannten Basalganglien produzieren den Botenstoff Dopamin, den das Gehirn zum Auslösen und Koordinieren von Bewegungen braucht. Anfänglich können Ärzte den Dopaminmangel noch mit einer Reihe von Medikamenten bekämpfen, doch läßt deren Wirkung nach einigen Jahren nach. Dann zittern die Patienten immer häufiger oder sie werden steif und erstarren. In 80 bis 90 Prozent aller Fälle können die Ärzte keinen Auslöser für die Erkrankung benennen. Beim überwiegenden Rest scheint das Krankheitsbild Folge der Rückbildung verschiedener Hirnstrukturen, etwa nach Schädelverletzungen, Schlaganfall, durch Drogen oder Giftstoffe. Auch manche Medikamente können als Nebenwirkung Parkinson-ähnliche Symptome hervorrufen. Nur in sehr wenigen Familien tritt das Leiden gehäuft auf, woraus Forscher auf die Beteiligung einer ganzen Reihe von Erbanlagen schließen.

Mit der jetzt in Miami vorgestellten Untersuchung erweitert sich nun womöglich das Spektrum der bekannten Risikofaktoren für die Parkinson-Erkrankung um bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. Allerdings betonte Studienleiter Bower auch, daß das Parkinson-Risiko selbst bei krankhaft ängstlichen Personen noch verhältnismäßig gering sei. „Unter 1000 angstgestörten Menschen im Alter von 40 Jahren werden etwa 27 an Parkinson erkranken – gegenüber etwa 17 von 1000 Menschen in der Gesamtbevölkerung.“ Noch völlig offen ist, ob eine Behandlung ängstlicher und pessimistischer Menschen – etwa mit Medikamenten aus der Klasse der Anti-Depressiva – das Risiko für die Parkinsonkrankheit vermindern kann. Diese wichtige Frage wolle man als nächstes untersuchen, so Bower.

Quellen:

  • Pressemitteilung der Majo Clinic, American Academy of Neurology

Weitere Informationen:

Kongressbericht: Society for Neuroscience 2003

Stagnation an allen Fronten; die viel beschworenen Grenzen des Wachstums – sie scheinen hierzulande auch in vielen Bereichen der Forschung erreicht. Nicht so in den Vereinigten Staaten, wo gerade im kalifornischen San Diego das weltweit größte Treffen von Neurowissenschaftlern stattfand. Mit gut 30 000 Teilnehmern erbrachte die Jahrestagung der „Society for Neuroscience“ einen neuen Rekord; die Zahl der Präsentationen lag bei 13500. Von der Grundlagenforschung an Grashüpfern, Fruchtfliegen, Hummern und anderem Getier reichte das Spektrum der Themen über klinisch-therapeutisch orientierte Beiträge  bis hin zu den kleinen und großen Problemen der Menschheit, wie der Frage, ob wir einen freien Willen besitzen oder woran „Mann“ einen echten weiblichen Orgamus erkennt

Hirnakrobatik stärkt Leib und Seele

Dass Sport gesund ist, mag eine Binsenweisheit sein. Relativ neu ist dagegen die Erkenntnis, dass dabei weniger die objektiv messbare Anstrengung zählt – etwa die gestemmten Kilogramm oder die Zahl der gelaufenen Runden im Stadion. Was die Muskeln wirklich „beeindruckt“ ist vielmehr die Stärke des Signals zur Kontrolle der willkürlichen Bewegungen, erläuterte Guang Yue vom Lerner Research Institute der Cleveland Clinic Foundation. In einem seiner Versuche bat Yue 36 gesunde Rentner, den Beugemuskel des Ellbogen anzuspannen. Mit 30 Prozent der maximalen Kraftanstrengung übte ein Teil der Senioren dies nebenher beim Fernsehen. Eine zweite Gruppe von Versuchsteilnehmern trainierte ebenfalls mit 30 Prozent ihrer Maximalkraft, stellten sich dabei aber vor, die Muskeln zu starken Kontraktionen zu zwingen. Nach 12 Wochen hatte sich die Kraft der fernsehenden Alten mit einem durchschnittlichen Zuwachs von drei Prozent kaum verändert. Für das „Kopftraining“ aber registrierte Yue beachtliche 15 Prozent Kraftzuwachs.. Nur bei der zweiten Gruppe fanden die Forscher eine bedeutende Zunahme in der Stärke jener Hirnstromkurven, die mit Bewegungen zusammen hängen. „Entscheidend ist wohl nicht die objektiv messbare Anstrengung“, folgert Yue. Dieser Mechanismus erkläre vermutlich  auch den Erfolg des „mentalen Trainings“. Schon seit Jahrzehnten bereiten sich viele Sportler auf Wettkämpfe vor, indem sie mit geschlossenen Augen sich die Rennstrecke vorstellen und sämtliche Bewegungsabläufe im Geiste durchexerzieren.
Yues Erkenntnisse könnten nicht nur dazu beitragen, alten Menschen die Verletzungsgefahr durch schwere und schnell bewegliche Geräte verringern zu ersparen. Auch Reha-Patienten aller Alterstufen sollen davon profitieren. „Die Kombination aus leichter Physiotherapie und mentalem Training, könnte die Genesung beschleunigen“, hofft der Hirnforscher, der seine Untersuchungen nun auch auf Schlaganfallpatienten ausweiten will.

Training soll vor Lähmung schützen

An Mäusen hat Yues Kollege Carl W. Cotman von der University of California Irvine die Auswirkungen körperlichen Trainings auf die Genesung nach Lähmungen untersucht. Tiere, die in den drei Wochen vor einer Verletzung des Rückenmarks nach belieben auf einem Laufband rennen durften, erholten sich dabei sehr viel besser als Artgenossen ohne solch ein „Sportgerät“, fand der Direktor des Institute for Brain Aging and Dementia heraus. Acht Wochen nach einem Schnitt ins Rückenmark konnten die trainierten Mäuse besser laufen; ihre Schritte waren gleichmäßiger und besser koordiniert als bei untrainierten Tieren. Eines der Moleküle, die dabei als Bindeglied zwischen Training und einer verbesserten Erholung dienen, ist der Brain Derived Neurotrophic Factor (BDNF). Er kann verletzte Nervenzellen am Leben halten und das Wachstum von Neuronen fördern. In Cotmans jüngstem Experiment zeigte sich, dass Ratten nach einer Woche Training in der Hirnregion des Hippocampus mehr BDNF bilden als unbewegliche Tiere.

BDNF ist aber auch deshalb interessant, weil der Wachstumsfaktor Depressionen entgegen zu wirken scheint. Fest steht jedenfalls, das BDNF bei depressiven Patienten in niedrigeren Konzentrationen vorliegt, als bei Gesunden. „Je mehr wir über solche Verbindungen wissen, umso leichter werden wir den Genesungsprozeß steuern können“, lautet Cotmans Vorhersage. Solch eine Therapie der Zukunft werde aus einer Kombination von spezifischen, auf das Hirn wirkenden Arzeimitteln und darauf abgestimmten körperlichen Übungen bestehen, spekuliert der Hirnforscher.

Erste Ansätze dazu gibt es bereits, berichtete in New Orleans Tracy Greer vom University of Texas Southwestern Medical Center. Dort hatten Ärzte 17 Menschen mit leichten bis mittelschweren Depressionen behandelt, ohne jedoch die Krankheit mit Antidepressiva vollständig heilen zu können. Alle Studienteilnehmer litten weiterhin an schlechtem Schlaf oder Antriebslosigkeit; sie waren leicht gereizt oder grundlos traurig. All diese Symptome besserten sich statistisch signifikant im Laufe eines zwölfwöchigen Trainingsprogramms, das die Ärzte jeweils genau auf die Fähigkeiten der Patienten abstimmten. Ob Laufband oder Zirkeltraining, Radfahren oder Schwimmen – immer wurden die Übungen so gestaltet, dass die Patienten mindestens eine halbe Stunde täglich ins Schwitzen kamen. „Der Erfolg legt nahe, dass die Kombination aus Antidepressiva und ärztlich angeordneten Übungsprogrammen auch bei schweren Depressionen erfolgreich sein könnte“, sagte Greer. Eine Studie mit einer großen Zahl von Patienten an mehreren US-Kliniken solle diese Vermutung überprüfen und klären, ob Sport bei Depressiven besser wirkt als die Gabe eines zweiten Medikamentes.

Eine Pille gegen die Angst

Eine Domäne der Verhaltenstherapie sind bislang Panikattacken, ausgelöst beispielsweise durch Phobien oder die Erinnerung an ein traumatisches Ereignis. Die Behandlungsdauer allerdings ließe sich womöglich durch die einmalige Gabe einer Pille drastisch verkürzen, berichtete Michael Davis von der Emory University School of Medicine.

In einer Pilotstudie mit 28 Patienten reduzierte der als Tuberkulose-Arznei erhältliche Wirkstoff D-Cycloserin (DCS) die Zahl der nötigen Sitzungen für von Höhenangst geplagte Patienten auf ein Viertel. DCS löscht offensichtlich nicht einfach die Gedächtnisinhalte; es fördert vielmehr einen als „fear extinction“ bezeichneten natürlichen Mechanismus der Angstauslöschung, indem es direkt auf den NMDA-Rezeptor wirkt, der bei diesen Prozessen eine Schlüsselrolle spielt. Nachdem die Probanden entweder DCS oder ein Placebo erhalten hatten, nahmen sie an zwei therapeutischen Sitzungen teil, bei denen sie spezielle Brillen und Ohrhörer tragen mussten. Ein Computer simulierte dann eine Fahrt in einem gläseren Aufzug an der Außenseite eines Hotels und überspielte diese höchst realistischen Szenen in die Brillen. Eine Woche und drei Monate nach diesen Übungen waren die Empfänger des Scheinmedikamentes bei den virtuellen Übungen noch fast genau so ängstlich wie zuvor. Die 17 Patienten, die eine DCS-Pille bekommen hatten, waren demgegenüber ebenso gut wie eine Kontrollgruppe mit acht Sitzungen, aber ohne Pille.

Nach Abschluss der Versuchsreihe wagten sich die Empfänger des Medikamentes doppelt so häufig in Aufzüge wie die Kontrollgruppe und sie fuhren mit dem Auto auch sehr viel häufiger über hohe Brücken oder steile Bergstraßen, die sie zuvor gescheut hatten.

„Das ist eine besonders schöne Überraschung,“ sagte Mark Bouton, Psychologyprofessor an der University of Vermont. Beim alleinigen Verhaltenstraining werde nämlich oftmals nur eine Form der Angst überwunden, in verwandten Situation stünden die Patienten dann wieder vor dem gleichen Problem.

Das (vorerst) letzte Rätsel – der weibliche Orgasmus

Bereits im Vorjahr hatte Gert Holstege reichlich Schlagzeilen gemacht, weil er eine Hirnaktivierungsstudie zum Orgasmus nicht bei Ratten und Mäusen, sondern bei gesunden Männern durchführte. Nun hat der Niederländer das Phänomen mit einem Positronen-Emissions-Tomographen auch bei Frauen untersucht. Auch die Frage, woran Mann den Unterschied erkennt zwischen einem echten und einem vorgetäuschten sexuellen Höhepunkt ist nun geklärt.
Dank der helfenden Hand ihrer Partner erreichten alle acht Versuchsteilnehmerinnen ihren Höhepunkt innerhalb eines vorgegebenen Zeitfensters von 40 Sekunden. Zu diesem Zeitpunkt registrierte der PET-Scanner dann die Regionen im Gehirn, die besonders viel Energie in Form eines radioaktiven Zuckers verbrauchten. Zusätzlich wurden die Frauen aufgefordert, vor Beginn der Stimulationsphase einen Orgasmus vorzutäuschen und auch diesen Moment dokumentierte Holstege mit einer PET-Aufnahme. Die Unterschiede zwischen beiden Zuständen waren eindeutig: So aktivierte der vorgetäuschte Höhepunkt verschiedene Motorareale der Großhirnrinde. An den echten, durch Blutdruckmessungen und Herzaktivität bestätigten, weiblichen Höhepunkten blieb dieser hochentwickelte Hirnteil dagegen still. Statt dessen war vor allem das ventrale Tegmentum (VTA) aktiv, das im obersten Teil des Hirnstammes liegt und die benachbarte Bereich, die periaquäduktale graue Masse. Damit ist die Neugier des Anatomieprofessors allerdings noch längst nicht gestillt. Als nächstes will er untersuchen, wie der Botenstoff Dopamin sich beim sexuellen Höhepunkt im VTA anreichert und in der anschließenden Entspannungsphase neu verteilt. Vermutlich wird er gegen Ende des Jahres auch über dieses neuronale Korrelat des menschlichen Sexualverhaltens auf der Neuroscience-Tagung berichten.

[Vorlage für einen Kongressbericht in “Der Neurologe & Psychiater”]

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