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Alte sind weniger einsam

Hoffnung für unsere Zukunft macht das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin: Glaubt man den Ergebnissen einer Befragung von mehr als 1.600 älteren und 600 jüngeren Menschen, so sind über 75-jährige heute weniger einsam und oft auch geistig leistungsfähiger als noch vor 20 Jahren.

Alte Menschen sind heute weniger einsam als noch vor 20 Jahren, so das Ergebnis einer Max-Planck-Studie (Foto: Michael Simm)

Rentner in Gerona, 1983. Alte Menschen sind heute weniger einsam und geistig leistungsfähiger als noch vor 20 Jahren, so das Ergebnis einer Max-Planck-Studie (Foto: Michael Simm)

Zu entnehmen ist dies einer Pressemitteilung des Instituts, im Original wurden die Ergebnisse publiziert in einem Sonderheft der Fachzeitschrift Gerontoloy. Weil die Max-Planck-Gesellschaft für Qualität steht und die Pressemitteilung gut geschrieben ist, präsentieren wir sie hier im Wesentlichen unverändert und nur leicht gekürzt:

Wie altern wir heute und wie gelingt es vielen Menschen, auch im Alter fit und gesund zu bleiben? Diese Fragen erforscht seit 2009 die Berliner Altersstudie II (BASE-II). Beteiligt  an dem Projekt sind Psychologen, Mediziner, Ernährungs- und Sozialwissenschaftler sowie Genetiker…

Heutige 75-Jährige fühlen sich im Durchschnitt weniger einsam und schätzen ihr Leben weniger fremdbestimmt ein als 75-Jährige vor 20 Jahren. Wer sozial aktiv ist, ist zufriedener mit seinem Leben und geistig leistungsfähiger. Dabei spielt auch die Wohnsituation eine Rolle: Analysen zeigen, dass die soziale Unterstützung in der Nachbarschaft, aber auch der Zugang zu Bussen und Bahnen für das Wohlbefinden und die Gesundheit wichtig sind. „Ein Grund dafür könnte sein, dass ältere Menschen hierdurch noch lange Zeit eigenständig etwas unternehmen, Bekannte besuchen oder auch selbst zum Arzt gehen können“, sagt Gert G. Wagner, Ko-Autor und Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Von Bedeutung ist zudem, wie man seine eigene Zukunft sieht. So können sich Menschen, die erwarten, dass sie noch viele Jahre offen für Neues sein werden, neue Informationen besser einprägen als Menschen ohne diese Erwartung. „Den positiven Zusammenhang zwischen den Erwartungen an seine eigene Zukunft und der Merkfähigkeit finden wir sehr spannend“, sagt Ulman Lindenberger, Direktor des Forschungsbereichs „Entwicklungspsychologie“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB) und Leiter des psychologischen Teils von BASE-II. Es seien verschiedene Ursachen für diesen Zusammenhang denkbar, denen man in Folgeuntersuchungen nachgehen werde…

Darüber hinaus bestätigen Genomdaten, dass Gesundheitsrisiken und Erkrankungen mit genetischen Unterschieden zusammenhängen. Beispiele sind eine verringerte Knochendichte sowie das mit dem Body-Mass-Index (BMI) erfasste Übergewicht. Beide Merkmale gefährden die Gesundheit im Alter; die geringe Knochendichte erhöht zum Beispiel das Risiko für Knochenbrüche. „Für Menschen mit entsprechender Veranlagung könnte dies bedeuten, noch frühzeitiger aktiv zu werden. Allerdings stehen unsere Erkenntnisse bei der Interpretation derartiger Genombefunde im Hinblick auf die Anwendung in der Krankheitsvorbeugung noch ganz am Anfang“, sagt Lars Bertram, Professor für Genomanalytik an der Universität zu Lübeck, der das molekulargenetische Teilprojekt von BASE-II leitet.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Studie, dass der Anstieg der Lebenserwartung mit einem Zugewinn an gesunden Jahren einhergeht. Ein Datenvergleich von BASE-II und der Vorgängerstudie BASE belegt: Die geistige Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden im Alter bleiben länger erhalten. Heutige 75-Jährige sind geistig fitter und glücklicher als 75-Jährige vor 20 Jahren. „Wir gehen davon aus, dass sich die Zeit, in der ältere Menschen von gesundheitlichen Einschränkungen oder geistigen Einbußen betroffen sind, durch die verlängerte Lebenserwartung nicht einfach in die Länge zieht, sondern sich zum Ende des Lebens hin verdichtet“, sagt Denis Gerstorf, Professor für Entwicklungspsychologie am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin und Sprecher der BASE-II-Studie…

 

164-glasses-2@2xFachliteratur:

  • Düzel, S., Voelkle, M. C., Düzel, E., Gerstorf, D., Drewelies, J., Steinhagen-Thiessen, E., Demuth, I., & Lindenberger, U. (2016). The subjective health horizon questionnaire (SHH-Q): Assessing future time perspectives for facets of an active lifestyle. Gerontology62, 345–353. doi:10.1159/000441493, Link:  http://www.karger.com/Article/FullText/441493
  • Eckstein, N., Buchmann, N., Demuth, I., Steinhagen-Thiessen, E., Nikolov, J., Spira, D., Eckardt, R., & Norman, K. (2016). Association between metabolic syndrome and bone mineral density – Data from the Berlin Aging Study II (BASE-II). Gerontology62, 337–344. doi:10.1159/000434678, Link:  http://www.karger.com/Article/FullText/434678
  • Eibich, P., Krekel, C., Demuth, I., & Wagner, G. G. (2016). Associations between neighborhood characteristics, well-being and health vary over the life course. Gerontology62, 362–370. doi:10.1159/000438700, Link: http://www.karger.com/Article/FullText/438700
  • Gerstorf, D., Bertram, L., Lindenberger, U., Pawelec, G., Demuth, I., Steinhagen-Thiessen, E., & Wagner, G. G. (2016). Editorial. Gerontology62, 311–315. doi:10.1159/000441495. Link: http://www.karger.com/Article/Abstract/441495
  • Hülür, G., Drewelies, J., Eibich, P., Düzel, S., Demuth, I., Ghisletta, P., Steinhagen-Thiessen, E., Wagner, G. G., Lindenberger, U., & Gerstorf, D. (2016). Cohort differences in psychosocial function over 20 years: Current older adults feel less lonely and less dependent on external circumstances. Gerontology62, 354–361. doi:10.1159/000438991, Link: http://www.karger.com/Article/Abstract/438991
  • Lill, C. M., Liu, T., Norman, K., Meyer, A., Steinhagen-Thiessen, E., Demuth, I., & Bertram, L. (2016). Genetic burden analyses of phenotypes relevant to aging in the Berlin Aging Study II (BASE-II). Gerontology62, 316–322. doi:10.1159/000438900, Link: http://www.karger.com/Article/Abstract/438900

Fundstücke: Das war der März 2011

Als gelernter Molekularbiologe und großer Fan der Neurowissenschaften war das Highlight des Monats zweifellos die Titisee-Konferenz über Neurale Schaltkreise des Boehringer Ingelheim Fonds, Stiftung für Medizinische Grundlagenforschung. Für deren Magazin „Futura“ durfte ich eine Art Vorbericht schreiben, der ins englische übersetzt wurde, dessen drei Teile ich hier bei Simmformation.de aber im deutschen Original zugänglich gemacht habe (siehe die Artikel „Gene? Neurone? Licht? …und Action!„, „Optogenetik – Ein Kochrezept“ und „Vom Labor zum Patienten„). Erschienen ist jetzt auch das Buch „Das Neueste aus der Medizin 2011 / 2012“, zu dem ich die Kapitel „Augen und Ohren“, „Atmungssystem“ sowie „Haut, Haare und Nägel“ beitragen durfte. Und in Madrid war ich beim Start der Kampagne „1Mission, 1 Million“ dabei, die auf das Vorhoffflimmern als einen bislang noch zu wenig beachteten Risikofaktor für den Schlaganfall aufmerksam machen will. Im Deutschen heißt die Kampagne „Herzenssache Schlaganfall“ und auf der zugehörigen Webseite, kann jeder für die besten Präventionsideen abstimmen (Bericht folgt). Da ich nebenher auch noch an diversen eigenen und fremden Webseiten gebastelt habe, bin ich wieder einmal froh über die Rubrik „Fundstücke des Monats“, denn so kann ich wenigstens einige der bemerkenswerten Nachrichten auflisten, die selbst ausführlich darzustellen mir nicht möglich war:

  • Bessere Chancen bei Hepatitis C: Gegen das mit dem Blut übertragene Hepatitits-C-Virus (HCV) steht voraussichtlich bald ein neuer Wirkstoff zur Verfügung. Boceprevir könnte vor allem jenen Patienten zugute kommen, bei denen die Standardbehandlung mit pegyliertem Interferon und Ribavirin nicht ausreicht, um HCV auf Dauer zu unterdrücken. Details zu der Studie, mit der diese Hoffnung bestätigt wird, sind soeben im New England Journal of Medicine erschienen. Trotz einiger Nebenwirkungen von Boceprevir war der Kommentator der Zeitschrift sehr beeindruckt und sprach davon, dass nun eine neue Ära der HCV-Therapie beginnt.
  • Länger leben mit gelber Farbe: Sehr kleine Mengen des Farbstoffes Thioflavin T verlängern das Leben – jedenfalls für den Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Während ohne Thioflavin T in der von Gordon Lithgow (Buck Institute for Research on Aging in Novato, Kalifornien) geleiteten Studie kein einziger Fadenwurm mehr als 20 Tage alt wurde, waren es mit der optimalen Dosis dieser Chemikalie mehr als 80 Prozent. Die Lebenserwartung der Tiere verlängerten die Forscher so ebenfalls um nahezu 80 Prozent. Vermutlich bindet Thioflavin T an bestimmte giftige Eiweiße und markiert diese so für die „Müllabfuhr“ der Zellen, berichtet die Nachrichtenredaktion der Zeitschrift Nature, wo auch der Originalartikel erschienen ist. Für Alzheimer-Forscher ist Thioflavin T übrigens schon länger ein nützliches Werkzeug, denn es färbt die Ablagerungen bestimmter Eiweiß-Bruchstücke (Aß), die bei der Entstehung der Krankheit eine maßgebliche Rolle spielen.
  • Nach Schlaganfall: Bessere Erholung mit dem Botenstoff Noradrenalin? Diese Vermutung hegt Dr. Christian Grefkes, Leiter der Forschungsgruppe Neuromodulation & Neurorehabilitation am Max-Planck-Institut für neurologische Forschung in Köln. Mit seinen Kollegen hat Grefkes elf Patienten untersucht und festgestellt, dass die Griffkraft der betroffenen Hand sich im Durchschnitt vervierfachte und die Betroffenen außerdem doppelt so schnell mit den Fingern klopfen konnten, nachdem sie das Medikament Reboxetin erhalten hatten, von dem man weiss, dass es die Verweildauer von Noradrenalin im Gehirn erhöht. Zitat Grefkes: „Die Befunde unserer Studie könnten sich als Startpunkt eines neuen, vielversprechenden therapeutischen Ansatzes erweisen, um Störungen in Hirnnetzwerken zu korrigieren und handmotorische Funktionen nach Schlaganfall zu verbessern“. Geplant ist nun die Testung von Reboxetin an einer größeren Patientengruppe über einen Zeitraum von mehreren Wochen, um die Nachhaltigkeit der Verbesserungseffekte zu prüfen. (Originalarbeit: Wang LE et al. Noradrenergic Enhancement Improves Motor Network Connectivity in Stroke Patients. Ann Neurol. 2010 Dec 28).
  • Lerntipps aus der Hirnforschung: Medizinstudenten könnten leichter lernen, mehr behalten und dabei auch mehr Spass haben, wenn die Lehre an den Universitäten sich mehr an wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Hirnforschung orientieren würde. Davon ist Michael Friedlander überzeugt und hat deshalb in der Zeitschrift Academic Medicine seine Vorschläge in einem Fachartikel unterbreitet.

Sportler altern langsamer

Rechtzeitig zum Neuen Jahr präsentieren deutsche Forscher neue Beweise dafür, dass Sport nicht nur fit hält, sondern womöglich auch das Altern verzögern kann. Professor Ulrich Laufs, Facharzt für Kardiologie an der Universität des Saarlandes, untersuchte zusammen mit seinen Kollegen, wie sich körperliche Betätigung auf ein Reparatursystem des Körpers auswirkt, das dem Verschleiß der Erbsubstanz in unseren Zellen entgegen wirkt. Die Wissenschaftler nahmen dafür die Telomere unter die Lupe, das sind Strukturen, die wie Schutzkappen an den Enden der zu Chromosomen zusammen geknäulten Erbsubstanz sitzen. Mit jeder Zellteilung werden die Telomere ein wenig kürzer und eine beliebte Theorie der Altersforschung besagt, dass dieser Effekt die Lebensdauer der Zellen begrenzt. Es gibt jedoch ein Enzym, das dem altersbedingten Verschleiß der Chromosomen entgegen wirkt: die Telomerase.

Als Laufs Team nun die Menge der Telomerase in den Blutgefäßen und weißen Blutkörperchen von Labormäusen verglich, machte man eine interessante Entdeckung: Tiere, die sich in einem Laufrad nach belieben austoben konnten, produzierten offensichtlich mehr Telomerase als Artgenossen, in deren Käfigen kein Laufrad hing. Um zu testen, ob diese Beobachtung auch auf Menschen zutrifft, untersuchten die Mediziner zwei Gruppen von Sportlern und verglichen deren Telomerase-Werte mit denen von gleichaltrigen Bewegungsmuffeln. Sowohl bei durchschnittlich 20 Jahre jungen Mitgliedern der Deutschen Leichtathletik-Nationalmannschaft, als auch bei Langstreckläufern im mittleren Alter, die wöchentlich etwa 80 Kilometer rannten, war die Telomerase eindeutig aktiver als bei in den Kontrollgruppen, so das Ergebnis der Untersuchung. „Das ist ein direkter Beweis für einen Anti-Aging-Effekt durch körperliche Betätigung“, kommentierte Laufs. Die Daten verbesserten das Verständnis der Schutzwirkung von Sport auf der Ebene der Moleküle und unterstrichen die Bedeutung der Bewegung für die Verringerung altersbedingter Krankheiten, ergänzte der Mediziner.

Professor Tim Spector, Genetiker und Alternsexperte am Kings College in London verwies auf zahlreiche andere Studien, die gezeigt haben, dass man kein Leistungssportler sein muss, um das Altern zu bekämpfen. In einer Untersuchung an Zwillingen hatte Spector selbst gezeigt, dass drei Stunden Sport in der Woche bereits ausreichten, um den eigenen Körper zehn Jahre jünger erscheinen zu lassen als bei gleichaltrigen Bewegungsmuffeln. Eine andere Interpretation der Ergebnisse ist allerdings ebenfalls möglich: So wäre es denkbar, dass eine vermehrte Telomerase-Aktivität lediglich eine Begleiterscheinung sportlicher Aktivität ist, nicht aber deren Folge. „Ursache und Wirkung sind in solchen Studien oftmals schwer auseinander zu halten“, räumte denn auch Spector ein. Dennoch liefere die deutsche Untersuchung weitere Beweise, dass regelmäßige Bewegung das Altern womöglich verzögert.

Ein weiteres Argument für mehr Bewegung lieferten derweil schwedische Wissenschaftler der Universität von Göteborg. Wie sie kürzlich in der Fachzeitschrift PNAS berichteten, haben sie die „Herzgesundheit“ von 1,2 Millionen Rekruten verfolgt, die in den Jahren 1950 bis 1976 zum Dienst in der schwedischen Armee einberufen wurden. Durch den Abgleich verschiedener Datenbanken konnten die Forscher zeigen, dass diejenigen, die sich auf einem Standfahrrad bei der Musterung als besonders fit erwiesen hatten, im späteren Leben im Durchschnitt intelligenter waren als ihre Altersgenossen. Gleichzeitig hatten diejenigen, die schon früh im Leben mehr Ausdauer bewiesen, später eine bessere Ausbildung vorzuweisen und sie erreichten ein größeres soziales Ansehen als die ehemals schlaffen Schweden. Die wenig überraschende Schlussfolgerung der Wissenschaftler lautet: „Sport könnte ein wichtiges Instrument für öffentliche Gesundheitsinitiativen sein, um die Erziehung und das Denkvermögen zu optimieren und um Krankheiten zu vermeiden.“

Quellen:

Kein Wunschdenken: Alter Körper – frischer Geist

Wer so wie ich ständig über Alzheimer und anderer Gedächtniskrankheiten (Demenzen) schreibt, könnte leicht verzweifeln: Fast jede Veröffentlichung zu diesem Thema verweist auf die mehr als eine Million alter Menschen, die bereits heute in Deutschland an Alzheimer leiden. Ohne einen echten Durchbruch bei der Entwicklung neuer Arzneien sagen Statistiker eine Verdoppelung dieser Zahl in naher Zukunft voraus. Und schon bei meiner ersten Geschichte zu diesem Thema (vor nunmehr 20 Jahren) sagte mir der damals hierzulande führende Forscher, Professor Konrad Beyreuther, resignierend: „Wenn wir alt genug werden, kriegen wir alle Alzheimer“. Da kommt mir eine Geschichte mit dem Titel „Alter Köper – frischer Geist“ gerade recht, die ich dem Magazin amPuls Online der Universität Freiburg entnehme. Vier von fünf Senioren beiben demnach von der gefürchteten Krankheit verschont.

Professor Michael Hüll, Demenz-Experte am dortigen Klinikum sieht die Sache positiv und betont: Das Nachlassen des Gedächtnisses jenseits der 60 muss nicht sein. Bei bestimmten Fähigkeiten nimmt die Leistung sogar zu. „80 Prozent der über 80-jährigen haben keine Demenz“, sagt Hüll, Demenz-Experte des Universitätsklinikums Freiburg, wenn er auf die Gefahren der Altersdemenz angesprochen wird. Keinesfalls will er, dass diese ernsthafte Krankheit unterschätzt wird.

Doch vier von fünf Menschen werden im hohen Alter keine größeren Probleme mit dem Merken von Neuem, Erinnern von Erlebtem und Wiedererkennen vertrauter Gesichter haben. „Beim normalen Altern verliert der Mensch keine Nervenzellen“, sagt der Leiter der Sprechstunde für Gedächtnisstörungen. Die Zusammenhänge zwischen Alter und Gedächtnis seien nämlich weniger beunruhigend, aber deutlich komplizierter, als allgemein angenommen. Mit dem Alter macht der Körper Veränderungen durch, die sich auf manche Fähigkeiten positiv, auf andere negativ auswirken. So sind Sportler in den meisten Disziplinen mit 25, spätestens 30 Jahren auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Danach nehmen Kraft und Ausdauer aber auch die Reaktionsgeschwindigkeit nachweisbar ab. „Wenn Michael Schuhmacher mit 40 Jahren doch nicht wieder Rennen fahren will, wird das auch an seiner Reaktionsfähigkeit liegen“, ist sich Gedächtnis-Experte Hüll sicher. Während die Fähigkeit zu hören und zu sehen abnimmt, können wir nicht mehr so schnell so viele Informationen aufnehmen und verarbeiten wie in jungen Jahren. Die Folge: Das Gehirn hat es schwerer, die zum Teil unvollständigen Informationen zu verarbeiten. Der Mensch reagiert langsamer, braucht mehr Zeit um Sachverhalte zu erkennen – er wird aber nicht unbedingt vergesslicher.

Der Versuch einem Gespräch zu folgen kann zum Beispiel schlicht am schlechten Hören scheitern. Beobachter denken hingegen, dass viele Einzelheiten vergessen wurden. „Große Schriftsteller haben ihre besten Werke meistens im Alter geschrieben“, nennt Hüll den Gegenpol zur abnehmenden körperlichen Leistungsfähigkeit. Während diese sinkt, und mit ihr die Möglichkeit Informationen schnell zu verarbeiten, reifen im Alter soziale Fähigkeiten und das Verständnis für Zusammenhänge erst richtig heran.

Altersweisheit ist daher kein bloßes Gerücht. „Welt- und Erfahrungswissen können zusammen mit einer zunehmenden sprachlichen Gewandtheit die Abnahme unserer Verarbeitungsgeschwindigkeit kompensieren“, ist sich der Experte sicher. Bei der Frage, wie sich das Gehirn nun bis ins hohe Alter fit halten lässt, scheiden sich jedoch die Geister. Ein Patentrezept gibt es ohne Zweifel nicht. Dafür mehren sich Hinweise, was sich positiv auf die Gedächtnisleistung auswirken kann. „Das Gehirn lässt sich nicht trainieren wie ein Muskel“, sagt Experte Hüll. Aber vielfältige Anregungen von Geburt an steigern sehr wahrscheinlich die Chance, auch im hohen Alter geistig fit zu sein. Viele Sozialkontakte und vielfältige Interessen halten das Denkorgan am Laufen.

Die besten Grundlagen für die „graue Masse“ legen sich dabei in jungen Jahren: „Eine gute schulische und berufliche Ausbildung gibt Hirnreserven im Alter“, so Hüll. Auch wichtig: Es gibt Hinweise, dass die sogenannte „mediterrane Ernährung“ mit wenig Fleisch und regelmäßigem Fischkonsum sich auf den Erhalt unseres Denk-Organs auswirkt. Andererseits gibt es Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit einer Demenz steigern. Wenig körperliche Bewegung, einseitige Ernährung oder Depressionen mitsamt sozialer Zurückgezogenheit gelten unter Experten als Risiko-Faktoren. Die meisten dieser Faktoren lassen sich durch unsere Lebensführung beeinflussen. Eine Garantie gegen Alzheimer ist das sicher nicht, aber doch ein erneuter handfester Hinweis, dass jeder selbst etwas tun kann, um seine Gefährdung zu verringern.

Weitere Informationen:

Immunarznei verlängert das Mäuse-Leben

Das Medikament Rapamycin schützt nicht nur menschliche Organempfänger vor der lebensbedrohlichen Abstoßungsreaktion ihres Immunsystems, in Tierversuchen verlängert dieser Wirkstoff außerdem deutlich das Leben gesunder Mäuse.Wie das Wissenschaftsmagazin Nature online berichtet, hatte man zwar zuvor schon zeigen können, dass Rapamycin bei Hefepilzen, Fadenwürmern und Fruchtfliegen lebensverlängernd wirkt. Nun aber konnte ein Team um David Harrison am Jackson Laboratory in Bar Habor (Maine, USA) beweisen, dass diese Substanz auch bei Säugetieren den Tod hinaus zögert. Die Lebensverlängerung betrug zwar nur relativ bescheidene 14 Prozent für die Mäuseweibchen und neun Prozent für die Männchen, dennoch dürften die US-Wissenschaftler neue Hoffnungen wecken auf Pillen, die eines Tages auch dem Menschen ein längeres Leben bescheren könnten.

Bemerkenswert ist, dass die Alternsforscher ihren Versuchstieren Rapamycin erst spät im Leben ins Futter gaben. Die Mäuse waren zu diesem Zeitpunkt bereits 600 Tage alt, was laut Harrison ungefähr 60 Jahren beim Menschen entspricht. Im Gegensatz zu manchen früheren Studien, deren „vielversprechende“ Ergebnisse von der Presse gefeiert wurden, wurde die aktuelle Untersuchung nicht von einer Pharmafirma finanziert, sondern von einer staatlichen Einrichtung, dem US-Nationalen Institute on Aging (NIA) in Bethesda bei Washington. Im Rahmen eines so genannten Interventions-Testprogrammes (ITP) kann dort jeder Wissenschaftler Substanzen zum Prüfen vorschlagen, von denen er sich eine lebensverlängernde Wirkung verspricht. Bei Bewilligung lässt das ITP diese Wirkstoff-Kandidaten dann gleichzeitig an drei verschiedenen Orten mit normalen Labormäusen prüfen, um Irrtümer durch zufällige Schwankungen möglichst auszuschließen.

Unter den bereits getesteten Substanzen ist Rapamycin die erste, die eindeutig an allen drei Zentren sowohl bei männlichen, als auch bei weiblichen Mäusen lebensverlängernd wirkte. Bislang gibt es nur eine wissenschaftlich bewiesene Methode, mit der das Leben von Säugetieren verlängert werden kann: Strenges Fasten, beziehungsweise Nahrungsentzug im Labor. Dennoch warnen die Alternsforscher im Labor von Matt Kaeberlein and Brian Kennedy von der Universität von Washington in Seattle in einem begleitenden Kommentar vor der vorschnellen Einnahme von Rapamycin:  „Auch gesunde Menschen sollten nicht versuchen, damit das Altern zu verzögern“, erklären sie. Schon die mögliche Unterdrückung des Immunsystems durch die – im übrigen rezeptpflichtige – Arznei sei Grund genug, davon die Finger zu lassen.  „Vorerst bleibt die Lebensverlängerung beim Menschen Science-Fiction-Schreibern vorbehalten. Aber die Ergebnisse von Harrison und seinen Kollegen nähren den Optimismus, dass selbst im fortgeschrittenen Alter noch Zeit bleibt, den Kurs zu ändern.“

Nachtrag vom 8.7.09: Dass strenges Fasten – auf wissenschaftlich „kalorische Restriktion“ – auch bei höheren Säugetieren lebensverlängernd wirkt, bestätigt eine Studie in der Fachzeitschrift Science, die heute vorab veröffentlicht wurde: Ricki Colman und Kollegen hatten demnach Rhesusaffen ab einem Alter zwischen sieben und vierzehn Jahren die Nahrungsrationen um 30 Prozent gekürzt. In den zwanzig Jahren der Studie starben von diesen Tieren gerade einmal 13 Prozent, in einer Kontrollgruppe, die nach belieben fressen durfte, waren es dagegen mit 37 Prozent fast drei Mal so viele.

Quellen:

  • Harrison DE et al. Rapamycin fed late in life extends lifespan in genetically heterogeneous mice. doi:10.1038/nature08221
  • Kaeberlein M, Kennedy BK A midlife logevity drug? doi:10.1038/nature08246
  • Colman RJ et al. Caloric Restriction Delays Disease Onset and Mortality in Rhesus Monkeys. Science Band 325, Seiten  201-04 vom 10. Juli 2009