Die von einigen Experten angekündigte massenhafte Zerstörung wichtiger Daten durch den Computervirus „Michelangelo“ blieb gestern weitgehend aus. Gleichwohl schätzte der Präsident des amerikanischen Industrieverbandes Computerviren, daß weltweit mindestens 10000 IBM-kompatible Rechner Opfer des Virus wurden. Dieser Zahl stehen etwa fünf Millionen PC gegenüber, die ,,Michelangelo“ hätte befallen können.

1992 machte erstmals ein Computervirus Schlagzeilen: Mein Bericht über Michelangelo auf Seite 1.

Zuvor hatten der Hamburger Professor Klaus Brunnstein vom Virus Test Center der Universität und Klaus Fischer (Universität Karlsruhe) vor den Folgen des Computervirus gewarnt, der darauf programmiert ist, am 6. März, dem Geburtstag des Renaissancekünstlers Michelangelo, loszuschlagen. Das Virusprogramm, das nach Erkenntnissen von Interpol in Taiwan seinen Ursprung hat, sollte an diesem Schlüsseldatum auf jedem infizierten Computer nach dem Einschalten sämtliche Dateien überschreiben und damit unbrauchbar machen.

Allein in Hamburg gab es nach der Warnung innerhalb weniger Tage 15000 Anfragen besorgter PC-Benutzer. In beiden deutschen Notfallzentren wurden bis Donnerstagabend fast 1000 Infektionen gemeldet und anschließend beseitigt. Am Freitag kam es dann doch zu rund 50 Fällen, in denen der Virus Computerdaten beschädigte. In einem Fall waren 75 Rechner einer Firma im Ruhrgebiet betroffen.

Ähnlich war die Situation in den meisten westlichen Ländern. In Südafrika dagegen hinterließ der Virus verheerende Zerstörungen bei rund 1000 Firmen und privaten Anwendern. Nach Auskunft des Unternehmens Computer Help Line wurden vor allem Apotheken geschädigt, ,,bei denen trotz unserer Warnung niemand Vorkehrungen getroffen hat“. In Japan hat der Virus nach Angaben des Software-Hauses Lonrho International die Rechner von mindestens fünf Firmen angegriffen, darunter ein Industriekonzern und ein Computerhändler.

Aus Australien und Neuseeland wurden nur vereinzelte Infektionen ohne nennenswerte Schäden gemeldet. Die Zahl der neugierigen Reporter, so hieß es, habe die Zahl der Opfer bei weitem überschritten.

Brunnstein macht die breite Berichterstattung dafür verantwortlich, daß der 6. März für die meisten Computerbesitzer glimpflich verlief. Ein Sprecher des Hamburger Chaos Computer Clubs beschuldigte dagegen die Hersteller von Anti-Viren-Programmen, im Vorfeld der Hannover Computer-Messe CeBIT eine Kampagne geführt zu haben mit dem Ziel, die Verkaufszahlen zu erhöhen.

Der Absatz der Programme, die zwischen 50 und 800 Mark kosten und ständig durch neue Versionen ersetzt werden müssen, stieg in den letzten Tagen sprunghaft an. Die Fachzeitschrift „PC Professionell“ etwa stellte in ihrer Februar-Ausgabe 19 Anti-Viren-Pakete vor, weist aber ausdrücklich darauf hin, daß beim ausschließlichen Gebrauch von Originalsoftware für nicht vernetzte PC keinerlei Gefahr besteht.

Schutz vor „Michelangelo“ hätte auch eine billigere Methode gebracht: Um einen Anschlag am Geburtstag des Namensgebers zu vermeiden, hätte es genügt, die Uhr des Rechners auf den 7. März vorzustellen.

(erschienen auf Seite 1 in „DIE WELT“ am 7. März 1992)

Was ist daraus geworden? Laut Wikipedia war Michelangelo der erste Computervirus, der die Aufmerksamkeit der Medien erlangte. Ausführlich werden dort auch technische Einzelheiten diskutiert und die Frage erörtert, ob es eine vorsätzliche Panikmache gab. Bis 1998 habe es noch einige wenige Meldungen gegeben, danach „war es endgültig ruhig um Michelangelo“.