Mindestens die Hälfte aller Krebspatienten erproben im Verlauf ihrer Behandlung Methoden der Alternativmedizin. Wie Dr. Reinholf Schwarz, Leiter der Psychosozialen Nachsorge-Einrichtung der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg auf einer Tagung des Bonner Tumorzentrums bemerkte, hat das jedoch wenig mit einem gestörten Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu tun.

Schwarz präsentierte das Ergebnis einer Befragung an insgesamt 78 Krebspatienten, von denen 44 unter Mammakarzinomen, 22 unter Morbus Hodgkin und zwölf unter Kolonkarzinomen oder Lebermetastasen litten. In den drei Gruppen hatten sich 50, 80 beziehungsweise 100 Prozent der Befragten wenigstens einmal der Alternativmedizin zugewandt. Schwarz faßt unter diesem Begriff alle Methoden zusammen, die das Ziel haben, „zu heilen oder zu bessern, ohne daß ein nach naturwissenschaftlichen Kriterien gültiger Wirksamkeitsnachweis vorliegt“.

Ein überraschendes Resultat der Umfrage: Zwischen der Compliance und dem Gebrauch alternativer Methoden bestand eine positive Korrelation. „Das heißt, die Patienten verstehen die Alternativmedizin gar nicht als Konkurrenz“ Als Motiv für die Erprobung paramedizinischer Methoden nannten die Patienten an erster Stelle die Stärkung der körpereigenen Abwehr und eine Unterstützung der Chemotherapie sowie eine Reduktion der Nebenwirkungen der Chemotherapie.

„Sich der Natur zuwenden“; „nichts versäumen wollen“ und „nicht alles der Klinik überlassen“ waren weitere Beweggründe. In der Regel erwarten die Patienten keine Heilung durch die Paramedizin, sondern eine Unterstützung der medizinischen Behandlung. Die häufige Duldung der alternativen Methoden durch die behandelnden Ärzte erklärt Schwarz als eine Manifestation der Hilflosigkeit bei ausbleibendem Behandlungserfolg.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 18. Dezember 1992)