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Forschung betreibt vor allem die deutsche Industrie

Rund eine Milliarde Mark werden in der Bundesrepublik jährlich für die Krebsforschung aufgebracht. Bei dieser Summe handelt es sich um eine grobe Annäherung, da offizielle Zahlenangaben nicht erhältlich sind. Das liegt nicht etwa daran, dass man Zahlen für die Krebsforschung hierzulande nicht veröffentlichen will.

Vielmehr lässt sich bei einem Großteil aller Forschungsgelder nicht von vornherein sagen, zu welchen praktischen Anwendungen sie später führen werden. Das betrifft besonders die Grundlagenforschung: So kommen zum Beispiel Fortschritte auf dem Gebiet der Molekularbiologie außer der Krebsforschung unter anderem auch der Herz-Kreislauf-Forschung sowie der Arzneimittel- und Impfstoffherstellung zugute.

DKFZ-Hauptgebäude

Flagschiff der Forschung: Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. (Foto: Tobias Schwerdt)

Mit einer Milliarde Mark aber fließt in die Krebsforschung weniger als ein Fünfzigstel dessen, was Wirtschaft, Bund und Länder insgesamt für Forschung und Entwicklung ausgeben. Die Bundesregierung finanziert Krebsforschung im weitesten Sinne mit über 250 Millionen Mark, die vornehmlich über das Bundesforschungsministerium verteilt werden.

Die größten Summen werden allerdings von der Industrie ausgegeben. Allein die deutschen Pharmakonzerne lassen sich in diesem Jahr die Erforschung von Medikamenten zur Krebsbehandlung 400 Millionen Mark kosten. Hier geht es vor allem um die Verbesserung und Neuentwicklung von Wirkstoffen zur Hemmung des Zellwachstums (Zytostatika). Auch Substanzen, die an der Regulation des Immunsystems beteiligt sind, und solche mit hormonartiger Wirkung werden untersucht.

Andere Wirtschaftsbereiche forschen kräftig mit. So war vom Elektroriesen Siemens zu erfahren, dass die Neu- und Weiterentwicklung von Geräten, die vorwiegend in der Krebserkennung und -behandlung eingesetzt werden, jährlich zwischen 150 und 200 Millionen Mark verschlingt. Es handelt sich hier um Computertomographen, Mammographiegeräte sowie Systeme für Strahlentherapie und Ultraschalldiagnose.

Der Bund fördert vor allem die Grundlagenforschung: Von der Biotechnologie erwarte man sich entscheidende Hilfen für die menschliche Gesundheit. Besonders gelte dies für die weitere Aufklärung der Tumorentstehung und der Struktur-Funktionsbeziehungen in der Immunologie und Virologie, heißt es im Bundesbericht Forschung 1988.

Der größte Posten staatlicher Förderung entfällt dabei auf das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, eine der 13 Großforschungseinrichtungen des Bundes. Die Arbeit der 1200 Forscher wird im laufenden Jahr 119 Millionen Mark kosten. Es folgt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit über 35 Millionen Mark sowie die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) in Neuherberg bei München, die 22,5 Millionen für die Krebsforschung ausgibt.

Der Beitrag gemeinnütziger Vereine, die ihre Mittel aus Spenden beziehen, darf nicht unterschätzt werden. Sie springen vor allem dort in die Bresche, wo eine schnelle und unbürokratische Hilfe nötig ist. Hier ist zum Beispiel der Verein zur Förderung der Krebsforschung in Deutschland zu nennen, der 1958 gegründet wurde mit dem primären Ziel, an der Universität Heidelberg ein Krebsforschungszentrum zu errichten. Aus Spendenmitteln wurde die Betriebsstufe I des Institutes finanziert, das später zur größten Forschungseinrichtung auf diesem Gebiet in der ganzen Bundesrepublik avancierte – dem DKFZ. Dieser Initialzündung sind mittlerweile mehr als eine halbe Milliarde Mark gefolgt.

Die klinische Versorgung von Krebspatienten lässt in Deutschland nach Angaben von Experten noch manche Wünsche offen. Obwohl seit 1981 der Auf- und Ausbau von Tumorzentren und onkologischen Schwerpunkten gefördert wurde, sind personelle und sachliche Mittel weiterhin knapp. Über 20 Tumorzentren – sie sind meist den Universitäten angeschlossen – gibt es mittlerweile in der Bundesrepublik. Dennoch findet längst nicht jeder Krebspatient ein Bett in einer dieser spezialisierten Kliniken, wie Dr. Volker Budach vom Westdeutschen Tumorzentrum in Essen beklagte.

Die Kapazitäten der Universitäten würden von Problemfällen voll in Anspruch genommen; hier suchten vor allem Patienten mit Rückfällen (Rezidiven) Rat, deren Erstbehandlung in anderen Krankenhäusern oder durch den Hausarzt erfolgte. „Die Finanzierung reicht hinten und vorne nicht“, meinte der Oberarzt im Gespräch mit der WELT.

Ohne die finanzielle Unterstützung aus Drittmitteln wie DFG und Deutsche Krebshilfe wäre nicht einmal die klinische Routine möglich. Gerade die medizinische Versorgung von Tumorpatienten erfordere nämlich einen immensen Aufwand an Personal und Sachmitteln, der dem einer Intensivstation durchaus vergleichbar sei.

Lücken in der Patientenversorgung versuchen zahlreiche Gesellschaften, Organisationen und Selbsthilfegruppen zu schließen, die sich um direkte Hilfe für Tumorpatienten bemühen. Die Deutsche Krebshilfe – mittlerweile eine der größten Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik – führt ihren Kampf gegen den Krebs unter bewusstem Verzicht auf die Inanspruchnahme staatlicher Subventionen. Im vorigen Jahr setzte der Verein über 50 Millionen Mark an Spendengeldern ein.

Neben umfangreichen Forschungsprojekten ist die Organisation auf vielen anderen Gebieten tätig: Selbsthilfegruppen, alternativen Möglichkeiten der Krebsbekämpfung, Schmerztherapie. Es gibt kaum ein Gebiet, das von dem Verein nicht gefördert wird. Hilfe für den Betroffenen soll durch Information und Aufklärungsprogramme über die Bedeutung von Früherkennung und Prävention geleistet werden. Dazu bietet der Verein eine Vielzahl von Broschüren an, die für jedermann kostenlos erhältlich sind.

Eine weitere wichtige Einrichtung für Kranke und deren Angehörige ist der Krebsinformationsdienst (KID), eine telefonische Auskunftsstelle am DKFZ, die vom Bundesgesundheitsamt dieses Jahr noch mit 550 000 Mark unterstützt wird. Unter der Telefonnummer 0800 – 420 30 40 geben Experten dort werktags von sieben bis 20 Uhr Auskunft über Adressen, Therapien, Nachsorge, Prävention und Diagnostik sowie staatliche und karitative Hilfe. Mittlerweile ist es zu bestimmten Zeiten sogar möglich, die Informationen in türkischer Sprache zu erhalten. Ein fachübergreifendes Team tritt in Aktion, wenn die Anfragen nicht spontan beantwortet werden können.

(erschienen in der WELT am 21. August 1989)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Der obige Artikel war damals schwer zu recherchieren, weil es keine Statistik gibt, die Forschungsausgaben für ganz Deutschland nach Sachgebieten auflistet! Sicher scheint nur, dass die staatliche Förderung im Vergleich zu den USA beschämend niedrig ist. Und dass die jährlichen Einnahmen aus der Tabaksteuer (zuletzt ca. 14 Milliarden Euro) die Forschungsausgaben um ein Vielfaches übertreffen. Selbst der Krebsinformationsdienst – sicher eine der besten Einrichtungen auf diesem Gebiet – hatte zwischendurch Finanzierungsprobleme, die jetzt aber behoben sind. Und aus Dr. Budach ist Prof. Budach geworden 😉

Schnappschüsse per Laserblitz

„Um den Übergang der Energie von der heißen Sonne zur kalten Erde auszunutzen, breiten die Pflanzen die unermesslichen Flächen ihrer Blätter aus und zwingen die Sonnenenergie in noch unerforschter Weise, chemische Synthesen auszuführen, von denen man in unseren Laboratorien noch keine Ahnung hat.“

So fasste der große Physikochemiker Ludwig Boltzman am Anfang dieses Jahrhunderts den Stand der Forschung auf dem Gebiet der Photosynthese zusammen. In den 84 Jahren, die seit dieser Feststellung vergangen sind, haben die Wissenschaftler jedoch einiges dazugelernt. Laserblitz und Infrarotstrahlung, Computersimulation und Röntgenbeugung sind das Handwerkszeug, mit dem die Experten in die Geheimnisse dieses Prozesses eindringen.

Vor rund drei Milliarden Jahren wurde die Photosynthese „erfunden“ und damit die Voraussetzung für die Entwicklung höheren Lebens auf unserem Planeten geschaffen. Unvorstellbare Energiemengen werden von photosynthetischen Bakterien, Algen und grünen Pflanzen in Form von Sonnenlicht aufgenommen.

Diese Energie wird benutzt, um jährlich mehr als zehn Milliarden Tonnen Kohlenstoff in organische Moleküle einzubauen. Der Sauerstoff der Luft, ohne den wir alle zugrunde gehen müssten, ist ein „Abfallprodukt“ dieser Reaktion. Die Nahrung, die wir zu uns nehmen, stammt letztlich ebenso aus dieser „wichtigsten Reaktion der Welt“ wie die fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas.

Kein Wunder also, dass die Forschung sich für die Vorgänge interessiert, mit denen der Sonnenschein in nutzbare Energie überführt wird. Einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis dieser Reaktion lieferten deutsche Wissenschaftler, denen es gelang, die Struktur und Funktion des photosynthetischen Reaktionszentrums am Purpurbakterium Rhodopseudomonas aufzuklären.

Hartmut Michel, Johann Deisenhofer und Robert Huber erhielten im vorigen Jahr den Nobelpreis für Chemie, weil sie in dem ungeheuer komplexen Molekül die räumliche Anordnung einiger 10000 Atome zueinander mit dem Verfahren der Röntgenstrukturanalyse feststellen konnten.

Dass dieser Erfolg keinen Einzelfall darstellt, zeigt die deutsche Beteiligung an internationalen Fachkonferenzen. Bald jeder dritte Teilnehmer kommt dort mittlerweile aus der Bundesrepublik. Neben München und Berlin wird auch in Freiburg intensiv an den Mechanismen der Photosynthese geforscht.

Am Institut für Biophysik und Strahlenbiologie gilt das Hauptinteresse den sogenannten Primärreaktionen, bei denen die Lichtenergie dazu benutzt wird, um eine Trennung elektrischer Ladungen herbeizuführen. Wie bei einer Batterie können die einmal getrennten Ladungen später wieder in der Sekundärreaktion vereint werden. Die dabei freiwerdende gespeicherte Energie treibt dann die Stoffwechselvorgänge in den Zellen an.

Photosynthese - Wikipedia

Eine Reaktion, von der alles Leben auf der Erde abhängt: Die Photosynthese (Quelle: Lanzi via Wikimedia Commons)

Die Primärreaktion, die hier unter Leitung von Prof. Werner Mäntele untersucht wird, läuft mit kaum fassbarer Geschwindigkeit ab. Entsprechend groß ist auch der experimentelle Aufwand, den die Forscher betreiben müssen, um die einzelnen Schritte der Reaktion noch auflösen zu können. Laser geben Lichtblitze von einigen milliardstel Sekunden Dauer ab. Die Ereignisse, die damit in den Biomolekülen ausgelöst werden, können mit Hilfe der Infrarotspektroskopie exakt erfasst werden, obwohl sie in weniger als einer millionstel Sekunde ablaufen.

Die Präzisionsgeräte werden vom benachbarten Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik zugeliefert und dann in der hauseigenen Werkstatt an die speziellen Bedürfnisse der Biophysiker angepasst. Selbst die Computersoftware, die komplexe Messungen erst ermöglicht, wurde von der sechsköpfigen Arbeitsgruppe selbst entwickelt. Stolz präsentiert Prof. Mäntele eine Granitplatte, die auf mehrere Autoreifen gelagert ist. Das komplette System hat ihn drei Flaschen Wein gekostet und schützt die etwa 100000 Mark teuren Laser genauso zuverlässig vor unerwünschten Schwingungen, wie die kommerziellen Gegenstücke, die zum Stückpreis von 15 000 Mark zu haben sind.

Mäntele erläutert die Vorteile der Infrarotspektroskopie (lRS) gegenüber der Röntgenstrukturanalyse von Proteinkristallen, wie sie die letztjährigen Träger des Chemienobelpreises angewandt haben: Während die Auswertung von Beugungsmustern, die beim Beschießen der Kristalle mit Röntgenstrahlen entstehen, nur eine Momentaufnahme des photosynthetischen Reaktionszentrums vermittelt, kann die IRS den Weg der Ladungsträger durch das Molekül verfolgen.

Die ständige Weiterentwicklung und Verfeinerung der Technik, die hier schon seit 1982 angewandt wird, erlaubt es, auch noch die kleinsten Bewegungen in dem Riesenmolekül zu verfolgen. Die Änderung einer einzelnen Bindung – einer sogenannten Wasserstoffbrücke – nach der Aufnahme von Lichtenergie konnte so nachgewiesen werden.

In dem Reaktionszentrum dient ein umfangreiches Eiweißgerüst dazu, eine Anzahl von Farbstoffmolekülen (Pigmenten) so auszurichten, dass nach dem „Einfangen“ eines Lichtteilchens zwei Ladungen unterschiedlichen Vorzeichens entstehen. Der Trick der Natur besteht nun darin, das negativ geladene Teilchen so schnell vom Ort des Geschehens zu entfernen, dass die Wiedervereinigung mit der zurückbleibenden positiven Ladung unterbleibt.

Wie ein Schalter wirkt dabei eines der Pigmente und zwingt das Eiweißgerüst etwa 200Picosekunden lang“ (fünf milliardstel Sekunden also) in eine Form, die diesen Elektronentransport ermöglicht. Dann ist die „Hauptarbeit“ bei der Photosynthese geleistet.

Dies weiß man, weil es gelang, die Abstände einzelner Atome zueinander während dieses Vorganges zu beobachten. Das negative Teilchen ist anschließend jenseits einer zellulären „Trennwand“ gespeichert. Später wird es kontrolliert wieder mit einem positiven Teilchen vereinigt. Dabei wird etwa 50 Prozent der ursprünglichen Energie des Lichtteilchens als nutzbare Energie frei.

Mittlerweile weiß man, dass sich viele der Erkenntnisse, die man an einfachen Bakterien gewonnen hat, auch auf höherstehende Lebewesen übertragen lassen. Diese sind allerdings noch komplizierter und leistungsfähiger. So haben die grünen Pflanzen und die Algen gleich zwei Reaktionszentren, die sich gegenseitig ergänzen. Das Photosystem II ist dabei dem der Bakterien sehr ähnlich. Die Ladungstrennung verläuft in vergleichbaren Zeiträumen, und auch die beteiligten Moleküle zeigen nur geringfüge Unterschiede zu denen der Purpurbakterien.

Beim Photosystem I dagegen tappt man noch weitgehend im Dunkeln, hier sind noch nicht einmal alle Moleküle bekannt, die an der Umsetzung der Lichtenergie beteiligt sind. Röntgenfähige Kristalle, die Prof. Horst Tobias Witt von der TU Berlin hergestellt hat, könnten aber in naher Zukunft zu einem Durchbruch führen.

Mit seinen bisherigen Ergebnissen lassen sich aber noch keine einzelnen Atome lokalisieren. Strukturen, die vier Milliardstel Zentimeter (Ångström) auseinander liegen, kann Witt derzeit schon erkennen. Bei einer Auflösung unter drei Ångström wird es möglich, die Positionen einzelner Atome zu errechnen. Dann wäre das letzte große Geheimnis der Photosynthese gelüftet. Denkbar wäre es dann beispielsweise, neuartige Schaltelemente für die Mikroelektronik zu fertigen, aufgebaut nach dem Muster der photosynthetischen Pigmente. Diese würden es ermöglichen, noch kleinere und schnellere Computer zu konstruieren. Im Moment sind derartige Überlegungen, wie sie von amerikanischen Wissenschaftlern angestellt werden, allerdings noch Zukunftsmusik.

(erschienen in der WELT am 19. August 1989)

Viele Tüftler erfinden je nach Saison

Fragen kostet nichts, zumindest für „Erfinder, Erwerbslose und Studenten“, die ihre Einfälle in gewinnbringende Patente ummünzen wollen. Darauf haben Experten gestern bei einem Pressegespräch im Bonner Bundesforschungsministerium (BMFT) hingewiesen.

Heinz Riesenhuber

Einer der besten Forschungsminister, die wir je hatten: Dr. Heinz Riesenhuber (Foto-AG Gymnasium Melle [CC BY-SA 4.0] via Wikimedia Commons)

Kreativität und Innovationsbereitschaft bestimmen ganz wesentlich die Zukunftschancen einer Industrienation, so Forschungsminister Heinz Riesenhuber. Vor allem den freien Erfindern steht in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Einrichtungen zur Verfügung, die Schutz und gewinnbringende Verwertung zündender Ideen erleichtern sollen. Trotzdem kommt der überwiegende Anteil der rund 35 000 Patente, die letztes Jahr hierzulande angemeldet wurden, aus der Industrie.

Tüftler und Bastler sollten sich von den 40 000 Mark, die der weltweite Schutz einer Erfindung kostet, nicht abschrecken lassen. Wie Hans-Jochen Bischof von der Patentstelle der deutschen Forschung erklärte, können Erfindern finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Im Rahmen eines Fördervertrages werde dabei ein zinsloses Darlehen gewährt, das nur bei späterer Vermarktung des Patents zurückgezahlt werden muss.

Eine kostenlose Erfinderberatung bietet zum Beispiel das Innovations- und Patent-Centrum (IPC) in Hamburg, dessen rund drei Millionen Patentschriften umfassender Bestand wöchentlich um etwa 2600 wächst. Auch Computerdatenbanken können abgefragt werden, erklärte Andrea Koch. Damit wird es möglich, mit der Datenflut Schritt zu halten, die sich etwa alle fünf Jahre verdoppelt. Die Ingenieurin wies darauf hin, dass die Bedeutung von Patenten als beste Quelle für technisches Wissen überhaupt von den privaten Erfindern meist übersehen werde.

Ein großer bayerischer Elektrokonzern dagegen hat alleine acht Mitarbeiter abgestellt, die bei der deutschen Patentschriften-Auslegestelle (PAS) in Nürnberg die Patentanträge sichten, wenn sie nach 18monatiger Frist offengelegt werden. Lothar Wild, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft deutscher PAS, berichtete aus seinen Patent-Erfahrungen. Etwa zwei- bis dreimal im Jahr werde das Perpetuum mobile „erfunden“. Auch unterliegt die Kreativität wohl saisonalen Schwankungen: Im Frühjahr werden viele Tüftler der Umweltprobleme gewahr – wie etwa der Vertreibung von Weinbergschnecken auf das Nachbargrundstück.

Dagegen kreisten in den Wintermonaten die Gedanken mehr darum, wie die Freizeit möglichst fortschrittlich zu verbringen sei. Dennoch gebe es keine unsinnigen Patente. Als Beispiel erwähnte Wild eine Bergsteigerhilfe in Form eines Rucksacks, die 1925 trotz ihrer eher zweifelhaften Tauglichkeit patentiert worden sei. Mittlerweile ist das damals patentierte Prinzip im Rahmen der Mondlandungen zu Ehren gekommen.

(erschienen in der WELT am 18. August 1989)

Schlamperei im Labor bringt Forscher in Verruf

Ungenauigkeiten bei der Auswertung von „genetischen Fingerabdrücken“ werfen Schatten auf ein molekularbiologisches Verfahren, das in der Gerichtsmedizin immer breitere Anwendung findet. Weil keine zwei Personen exakt gleiches Erbmaterial besitzen (eineiige Zwillinge ausgenommen), ist es möglich, durch präzise Analyse der Erbsubstanz (DNA) die Identität eines Menschen zweifelsfrei festzulegen. Dem Engländer Alec Jeffreys gelang es vor vier Jahren, diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen. Seitdem wird über Schuld und Unschuld eines Angeklagten immer häufiger anhand der Aussagen von Experten entschieden, die verschiedene DNA-Muster gegeneinander vergleichen.

Alec Jeffreys Wikipedia
Alec Jeffreys erfand das „DNA-Fingerprinting“ (Foto: Morpheus.Tpvipin [CC BY-SA 2.0] via Wikimedia Commons) 

Findet man am Ort eines Verbrechens noch Spuren des Täters wie etwa Blut, Haare oder Sperma, so kann man auch aus kleinsten Mengen dieser Zellen noch das Erbmaterial isolieren und mit dem von Verdächtigen vergleichen. In den Vereinigten Staaten wird diese Praxis jetzt in Frage gestellt, weil Mitarbeiter der privaten Firma Lifecodes die technisch schwierigen Untersuchungen nicht mit der nötigen Sorgfalt vorgenommen haben.

In einem in der Rechtsprechung bisher einmaligen Vorgang haben Wissenschaftler, die als Sachverständige für beide Parteien in einem Mordprozess tätig waren, eine gemeinsame Erklärung abgegeben. Insgesamt seien die DNA-Daten in diesem Fall wissenschaftlich nicht verlässlich genug, um zu einer sicheren Aussage zu kommen, heißt es dort. Vorausgegangen war dieser Erklärung ein gerichtsmedizinischer Bericht der Firma Lifecodes an die Staatsanwältin des Bezirks Bronx (New York). Blut, das auf der Uhr des Verdächtigen Jose Castro gefunden wurde, hätte das gleiche DNA-Muster wie das Erbmaterial von Vilma Pons, einem der beiden Mordopfer. Dieses Muster käme in der Bevölkerung nur einmal unter knapp 200 Millionen Menschen vor.

Peter Neufeld, Anwalt der Verteidigung, war über diese Art der Beweisführung besorgt: In der Wissenschaft gebe es bisher scheinbar keine Übereinstimmung über die Art und Weise, in der der Test durchzuführen sei. Alles deutet darauf hin, dass die Mitarbeiter der privaten Firma ihre Analysen nicht mit Kontrollversuchen absicherten, wie sie in der Wissenschaft allgemein üblich sind. Bei der Beurteilung der Identität der genetischen Fingerabdrücke gingen sie von anderen Voraussetzungen aus als bei der späteren Berechnung, wie häufig solch ein Muster zu erwarten wäre – ebenfalls eine Vorgehensweise, die einer kritischen Überprüfung nicht stand hält.

Der Fall Castro sei sicher nicht typisch für den Umgang mit der neuen Technologie, meint der Molekularbiologe Richard Roberts, der Zeuge der Anklage war. „Kein Biologe bezweifelt die potentielle Macht der DNA-Typisierung“, sagt auch Eric Lander, der ebenso wie Roberts an der gemeinsamen Stellungnahme der Experten beteiligt war. Was der Gerichtsmedizin fehle, seien vielmehr angemessene Richtlinien, wie derartige Experimente durchzuführen sind. Die Nationale Akademie der Wissenschaften versucht zurzeit, 300000 Dollar aufzubringen, um eine entsprechende Studie zu finanzieren. Auch das FBI hat sich der Problematik angenommen und ist dabei, eigene Standards zu entwickeln.

Unabhängig von dem Urteil, das in den nächsten Tagen gefällt werden soll, ist die Wiederaufnahme bereits abgeschlossener Verfahren zu erwarten. Auch die Anklage hat mittlerweile eingeräumt, dass die DNA-Analyse in diesem Fall nicht zulässig ist.

Während die genetischen Fingerabdrücke in den USA schon über hundert Mal als Beweismittel dienten, wurde das Verfahren hierzulande erst in zwei Fällen benutzt. Wie Dr. Wolfgang Steinke vom Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden auf Anfrage mitteilte, ist man der Auffassung, das Verfahren sei reif zur Anwendung auch durch deutsche Polizeilabors. Die Landeskriminalämter in Baden- Württemberg und Berlin sowie das BKA arbeiten seit etwa zweieinhalb Jahren mit der Technik und haben beim Test mit Spurenmaterial die Zuverlässigkeit des Verfahrens unter Beweis gestellt, so Steinke. Die Innenministerkonferenz hat der Arbeitsgemeinschaft „Recht der Polizei“ mittlerweile den Auftrag erteilt, das Konzept der Kriminalämter zur Durchführung des „Fingerprinting“ zu überprüfen.

(erschienen in der WELT am 16. August 1989)
59-info@2xWas ist daraus geworden? Der Fall Castro hat die Glaubwürdigkeit von DNA-Beweisen vor Gericht erschüttert und die Tendenz verstärkt, dem DNA-Fingerprinting mehr Gewicht bei der Entlastung eines Angeklagten zuzusprechen, als bei dessen Verurteilung. Im Fall Castro entschied das Gericht, dass die Blutspuren auf Castros Uhr nur als Beweis gewertet durften, dass es nicht Castros Blut war, jedoch nicht um zu zeigen, dass es sich um das Blut eines Opfers handelte. Außerdem empfahl das Gericht zukünftig strengere Protokolle und eine bessere Dokumentation bei der Untersuchung der DNA-Fingerabdrücke. Ob Castro schlussendlich verurteilt wurde, habe ich übrigens trotz heftigster Googelei nicht heraus gefunden.

Singapurs Bohrer fühlen deutschen Ärzten auf den Zahn

Bislang galt Singapur lediglich als Durchgangsstation für Fernreisende, als Tummelplatz für den guten und teuren Einkauf. Nun gibt es ein neues Angebot in dem südostasiatischen Stadtstaat: Billigpreise in Praxen und Dentallabors locken immer mehr ,,Medizintouristen“ an.

Die Praxis, in der sich Hans-Peter Schürmann am Ende noch seinen Zahnstein entfernen lässt, unterscheidet sich wenig von deutschen Behandlungszimmern. Mund auf – und schon ertönt das vertraute Schleifgeräusch eines schwäbischen Markenproduktes. Der größte Teil der Ausrüstung, die Dr. Henry Lee Thian Lin hier verwendet, stammt aus der Bundesrepublik. Ungewöhnlich ist aber der Ort der Behandlung: Singapur, der Stadtstaat im Herzen Südostasiens.

Wie viele seiner Kollegen ist Thian Lin guter Hoffnung, dass „Zahntouristen“ aus Deutschland die Dienste der hiesigen Dentisten bald häufiger in Anspruch nehmen werden. Nachdem bei Zahnbehandlungen in der Bundesrepublik seit Anfang des Jahres nur noch maximal 60 Prozent der anfallenden Kosten von der Krankenkasse bezahlt werden, erscheint manchem der Besuch bei ausländischen Zahnärzten als billigere Alternative. Oft sind die Lohn- und Nebenkosten im Vergleich zur Bundesrepublik so niedrig, dass bei größeren Eingriffen auch nach Abzug der Reisekosten noch gespart werden kann. In Kürze sollen daher die ersten Pauschalreisen nach Singapur angeboten werden, bei denen einer zahnmedizinischen Behandlung ein Urlaub in Tropenparadiesen folgen soll.

Singapur hat sich mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern zu einer modernen Metropole entwickelt. Die hohe durchschnittliche Lebenserwartung von 74 Jahren (75 Jahre in der Bundesrepublik) und die niedrige Kindersterblichkeit (etwa 0,9 gegenüber 0,8 Prozent hierzulande) sind Indikatoren für die Qualität des Gesundheitswesens Singapurs, das von vielen Reisenden vor allem als günstige Einkaufsgelegenheit bei einem Zwischenstopp angesehen wird.

Im Gesundheitsministerium gibt Dr. Lim Kheng Ann, Direktor der zahnmedizinischen Abteilung, Auskunft über seine Arbeit. Das Ministerium wacht über die Einhaltung der professionellen und ethischen Richtlinien unter den knapp 700 registrierten Zahnärzten Singapurs. Kheng Ann weist darauf hin, dass Singapur den ärmeren Nachbarn wie Malaysia und Indonesien Hilfestellung bei der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses gibt. Ziel dieser Förderung sei es, durch Wissenstransfer den Standard der gesundheitlichen Versorgung in Südostasien auf das Niveau Singapurs anzuheben. Auch der Welt-Dentalkongress, der hier im nächsten Jahr stattfinden wird, bezeugt, dass Singapur Anschluss an die westlichen Industrienationen gefunden hat.

Die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung ist ebenfalls ausgezeichnet, wie ein Besuch der National University of Singapore verdeutlicht. Auf dem grünbewachsenen Gelände, das große Ähnlichkeit mit einem amerikanischen Campus zeigt, erhalten die meisten der hiesigen Zahnärzte ihre Ausbildung. Die Szenen in den Behandlungsräumen erscheinen vertraut: Vom Kleinkind bis zum Greise gibt es auch in Asien nur wenige, die einen Besuch beim Zahnarzt als angenehm empfinden, Wer aber erwartet, hier seine Klischees über unhygienische Verhältnisse oder altertümliche Behandlungsmethoden bestätigt zu bekommen, erlebt eine angenehme Überraschung: Ob U-Bahn oder Zahnlabor – in Singapur herrscht fast schon sterile Sauberkeit.

Das Ausbildungsniveau an der Universität könne mit den besten deutschen Zahnkliniken konkurrieren, meint Professor Loh Hong Sai, Dekan der Fakultät für Zahnheilkunde. „Singapur bietet einen qualitativ hochwertigen Service zu sehr attraktiven Preisen.“ Etwa ein Drittel ihrer Positionen hält die Fakultät für ausländische Bewerber offen, um einen regen Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

Von der Möglichkeit, in Singapur zu famulieren, machen mehrere deutsche Studenten Gebrauch. Auch sie sind voll des Lobes über die angebotenen Leistungen. Die Universität sei besser ausgestattet als Europas größte Zahnklinik in Münster, sagt Elisabeth Weber, die dort im neunten Semester Zahnmedizin studiert. Ihre Kommilitonin Delia van den Bosch pflichtet ihr bei: Die Vorlesungen fänden in einem sehr kleinen Kreis von nur sechs bis zehn Personen statt und hätten – im Gegensatz zu den Lehrveranstaltungen in der Bundesrepublik – eher Tutoriumscharakter. Knapp 500 Mark zahlen die beiden für ihren achtwöchigen Gastaufenthalt an der Universität.

Die günstigen Rahmenbedingungen wollen sich Frank S. Gerold und Rainer C. Scherer zunutze machen. Die beiden Deutschen haben mit dem „Eurasia Dental Labor“ das größte und modernste Dentalzentrum Südostasiens gegründet. 26 Techniker mit durchschnittlich acht Jahren Berufserfahrung arbeiten hier unter der Leitung des Zahntechnikers Scherer. Konzentriert sitzen sie vor Kauwerkzeugen aller Art, arbeiten mit Pinsel, Spatel und anderem Feingerät, bis das Aufbiss dem strengen Auge Scherers genügt. Die Verständigung läuft in englischer Sprache ab, die hier als kleinster gemeinsamer Nenner von Chinesen, Malaysiern und Indem gleichermaßen beherrscht wird.

Geschäftsführer Gerold rechnet vor, wie die konkurrenzlosen Niedrigpreise zustande kommen, mit denen die Dentaltouristen nach Singapur gelockt werden sollen: Zahntechnikerstunden werden in Singapur mit etwa fünf Mark vergütet. Auch die Gehälter der mehr als 60 singapurischen Vertragszahnärzte, die mit dem Eurasia Dental Labor zusammenarbeiten, liegen erheblich unter denen ihrer deutschen Kollegen. Eine Kooperation mit örtlichen Partnern sichert dem Unternehmen den sogenannten „Pionier-Status“. Im Klartext bedeutet das eine dreijährige Steuerbefreiung.

Etwa 40 deutsche Patienten haben sich hier bereits einen Zahnersatz anfertigen lassen – zu Kosten, die etwa bei einem Drittel dessen liegen, was in der Bundesrepublik zu entrichten wäre. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass die deutschen Krankenkassen (mit Ausnahme der Beihilfe zum öffentlich-rechtlichen Dienst) für eine Behandlung in Nicht-EG-Staaten keinerlei Kosten übernehmen, so rechnet sich der weite Weg nach Südostasien (14 Stunden reine Flugzeit) doch bei größeren Eingriffen.

In Zusammenarbeit mit einem deutschen Reiseunternehmen wollen Gerold und Scherer das Geschäft weiter ausbauen. Der typische Zahntourist soll von September an mit einem kompletten Heil- und Kostenplan – ausgestellt von seinem einheimischen Zahnarzt – die Reise nach Singapur antreten. Im Gruppentarif sind Flug und zehntägiger Aufenthalt in einem Vier-Sterne-Hotel ab 2300 Mark zu haben.

Innerhalb dieses Zeitraums nehmen Vertragszahnärzte wie Dr. Lin einen Gebissabdruck und passen nach erfolgter Laborarbeit den Zahnersatz an. In der Zwischenzeit hat der Patient Gelegenheit, an Ausflugsfahrten teilzunehmen oder die pompösen Einkaufszentren der Millionenstadt zu besuchen. Falls gewünscht, können die Reisenden bei einem Anschlussaufenthalt die kulinarischen Köstlichkeiten Südostasiens mit neuem Biss erproben oder einen entspannenden Badeurlaub an tropischen Stränden verbringen.

Bedenken bezüglich der Nachsorge, wie sie vor allem vom Bundesverband der Deutschen Zahnärzte vorgebracht werden, sollen durch bisher 18 Vertragszahnärzte ausgeräumt werden, die für das Eurasia Dental Labor in der Bundesrepublik arbeiten. Hierbei anfallende Kosten werden von einer Versicherung abgedeckt – auch die ist im Reisepreis inbegriffen.

(erschienen in der WELT am 15. August 1989)

„Oostzee“: Nach Unfall schärfere Vorschriften?

Der Frachter „Oostzee„, auf dem es nach einem Seeunfall zur Freisetzung der krebserzeugenden Chemikalie Epichlorhydrin kam, wird nach erfolgter Entsorgung heute von Brunsbüttel aus seine Rückreise nach Rotterdam antreten. Über mögliche Konsequenzen der jüngsten Serie von Giftfrachtunfällen berichteten Expertengestern vor der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn. Wie Ministerialdirektor Christoph Hinz vom Bundesministerium für Verkehr mitteilte, werde sein Haus eine Überprüfung einleiten, um festzustellen, ob internationale Gefahrgutvorschriften eingehalten worden seien, und diese gegebenenfalls verschärft werden müssten.

Bei Beachtung der Vorschriften zum Transport von Epichlorhydrin wäre der Unfall nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen gewesen. Die Weltschifffahrtsorganisation, so Hinz, befasse sich zurzeit mit einem Übereinkommen für den Transport von Chemikalien als Massengut auf dem Seeweg, wie es für Öl bereits existiert.

Als Ursache des Unglücks, bei dem keine Menschen zu Schaden kamen, nannte Günter Hollmann, Mitglied des Krisenstabes „Oostzee“, die unsachgemäße Lagerung der Giftfässer, die entgegen den Vorschriften direkt auf dem Schiffsboden aufgestellt worden waren. Auch seien die Fässer nicht richtig gestapelt gewesen. Leergefäße sind bei schwerem Seegangzusammengedrückt worden und hatten dadurch das Verrutschen der Ladung ermöglicht.

Michael Hegenauer vom Verband der Chemischen Industrie hält eine Erweiterung der Gesetze zum Gefahrguttransport auf See nicht für nötig. Christoph Thies, der für Greenpeace als zeitweiliger Beobachter im Krisenstab war, betonte hingegen, das Beispiel Oostzee habe gezeigt, dass derartige Ereignisse prinzipiell nicht beherrschbar seien. Er plädierte dafür, durch eine Erhöhung der Transportkosten die Gefahrgüter auf kürzere und ungefährlichere Wege zu zwingen. Nur so könne erreicht werden, dass die Käufer solcher Güter sich nach dem nächstgelegenen Hersteller richteten und nicht nach dem billigsten.

(erschienen in der WELT am 9. August 1989)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Unter den vielen Unfällen auf See sorgte dieser für besondere Aufregung, obwohl zumindest unmittelbar keine Menschen zu Schade kamen. Unter anderem berichteten damals auch der Spiegel und die Zeit. Zehn Jahre später wurden mehrere Krebserkrankungen und Todesfälle mit der Katastrophe in Verbindung gebracht, heißt es in einem Artikel der WELT. Laut einem Rückblick von Eige Wiese, der 2014 im Hamburger Abendblatt erschienen ist, hat die schleswig-holsteinische Landesregierung mittlerweile in Zusammenhang mit der „Oostzee“ allein 17 anerkannte Dienstunfälle bei Polizisten eingeräumt. Die Witwen zweier Wasserschutzbeamten, die an seltenen Krebserkrankungen verstorben waren, hätten jahrelang auf Entschädigung geklagt. Um auf ähnliche Katastrophen künftig besser vorbereitet zu sein, hatte das Verkehrsministerium seinerzeit den Auftrag zur Konstruktion spezieller Bergungsschiffe erteilt, auf denen vor allem die Rettungsmannschaften bei ihrer Arbeit besser geschützt sind. Vier solcher Schiffe sind mittlerweile im Dienst. Außerdem, berichtet Wiese, hätten 13 Feuerwehren in norddeutschen Küstenländern spezielle Teams für die Bekämpfung solcher Unfälle gebildet, die alle die gleiche Ausbildung erhalten haben und die gleichen Geräte benutzen.

„Cosmic Space“ und „Ecstacy“ – Bunte Pillen, die töten können

Auch die Rauschgiftmafia bereitet sich auf den europäischen Binnenmarkt von 1993 vor. Die Dealer sind beim Kampf um Marktanteile nicht zimperlich. Neue synthetische Drogen und Mixturen sind aufgetaucht, die wie Heroin und Kokain mit brutalen Methoden verbreitet werden. Obwohl 1988 mehr Rauschgift beschlagnahmt wurde als je zuvor, steigt die Zahl der Todesopfer weiter an. Über neue Trends am Drogenmarkt berichteten jetzt Experten aus verschiedenen Fachgebieten auf einer Pressekonferenz in Frankfurt.

Noch nie wurde in der Bundesrepublik so viel Rauschgift beschlagnahmt wie im letzten Jahr. Über 1000 Kilogramm der „harten“ Drogen (vor allem Kokain und Heroin) stellten die Behörden sicher, dazu mehr als elf Tonnen Cannabis. Trotz dieser Erfolge der Fahnder ist der Marktpreis gerade für die besonders gefährlichen Suchtstoffe Kokain und Heroin gegenüber 1987 um fast die Hälfte gesunken – ein klares Zeichen dafür, dass den Süchtigen mehr „Stoff“ zur Verfügung steht als je zuvor.

Ecstasy - Wikipedia

Beschlagnahmte Ecstasy-Pillen (Quelle: Wikipedia)

Über neue Trends beim Drogenkonsum unterrichteten Fachleute kürzlich auf einer Pressekonferenz am Frankfurter Flughafen. Während die Bereitschaft von Jugendlichen, illegale Drogen einzunehmen, leicht abnimmt, weisen alle Indikatoren zum Drogengebrauch bei gefährdeten Personen nach oben, wie Dr. Walter Kindermann von der Frankfurter Projektgruppe Rauschmittelfragen betonte. Traurige Bilanz für das erste Halbjahr 1989: Mit fast 500 Drogentoten steht zu erwarten, dass die bisherige Höchstzahl an Suchtopfern aus dem letzten Jahr (673 für ganz 1988) nochmals übertroffen wird.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sieht in dieser bedrohlichen Entwicklung die Auswirkungen des Angebotsdrucks der internationalen Rauschgifthändler-Organisationen auf den gesamten europäischen Markt. „Die Überschwemmung des europäischen Marktes infolge des Preisverfalls in den USA hat zu einer hohen Verfügbarkeit von Rauschgiften mit außerordentlichem Reinheitsgrad bei niedrigen Preisen geführt. Dadurch wurde nicht nur die hohe Todesrate bei den Abhängigen mitverursacht, sondern auch die Nachfrage gefährlich belebt.“

In der Frankfurter Drogenberatung beschäftigt man sich vorwiegend mit denjenigen Abhängigen, deren „Leit“-Droge Heroin ist. Der gleichzeitige Missbrauch verschiedener Psychopharmaka führt bei diesem Personenkreis zu „Mischintoxikationen“, die zu einer desolaten Verfassung der Süchtigen beitragen, erklärte Kindermann. Dazu kommen dann bei vielen Infektionen mit dem Immunschwäche-Virus (HIV), Beschaffungskriminalität und Obdachlosigkeit. Eine zu geringe Zahl an Therapieplätzen führt bei Ausstiegswilligen zu mehrmonatigen Wartezeiten. Auch fehlen ärztlich und psychosozial betreute Entzugsplätze speziell im Raum Frankfurt.

Durch den europaweiten Abbau der Grenzkontrollen wird die Situation sich weiter verschlimmern.  Den internationalen Drogensyndikaten öffnen sich neue Märkte. Schon jetzt versuchen die Dealer mit neuen Angeboten und Kombinationen verschiedener Drogen die kaufkräftigen Europäer in Abhängigkeit zu bringen. Über 1000 Drogenmillionäre sind nicht zimperlich, wenn es darum geht, sich einen Marktanteil zu sichern. Die Verbreitung der Rauschgifte ist dabei nicht nur raffinierter, sondern auch brutaler geworden.

Günter Speckmann, Zolloberamtsrat i. R. verfolgt die Hamburger Drogenszene schon seit über 20 Jahren. Er berichtete von den Praktiken der Dealer, die auch mit neuen synthetischen Drogen handeln. Diese tragen so exotische Namen wie „Ecstasy“, „Cadillac“ oder „Cosmic-space“. Schon eine einzige der bunten Pillen kann tödlich sein, da beim Zusammenmischen dieser „Designer-drugs“ oft Kombinationen mit fataler Wirkung entstehen.

Auch Cannabis-Zigaretten, die in Thailand fabrikmäßig hergestellt werden und äußerlich von  handelsüblichen Zigaretten kaum zu unterscheiden sind, sind auf dem Vormarsch. Aus Hongkong  kommen Wegwerffeuerzeuge, die im unteren Drittel mit einem starken Betäubungsmittel gefüllt sind. Diese Ware wird mit einer Spritze entnommen und ist als Ersatzstoff für Heroin sehr begehrt. Die synthetische Droge LSD („Speed“) wurde bis vor kurzem noch auf Löschpapier aufgetropft. Beim Kauen wird das LSD wieder aus dem Papier gelöst. Jetzt ist das Speed in Form von Gelatineplättchen auf dem Markt aufgetaucht, die auf der Zunge zergehen.

Besonders gefährlich sind die „Mini-hits“ genannten Heroinportionen, die beim Haschisch-Kauf von Dealern kostenlos mit angeboten werden. Das Heroin wird dann beim Drehen eines Joints zugemischt – meist ohne dass die Betroffenen wissen, was sie da eigentlich rauchen. Einige wenige dieser „Super-joints“ führen bereits zur totalen Heroinabhängigkeit.

Erwartungen, dass die Angst, sich beim Fixen mit dem Aids-Virus zu infizieren, zu einem Absatzrückgang beim Heroin führen könnte, haben sich zerschlagen. Die einzige Konsequenz der Fixer: Heroin wird jetzt wieder vermehrt geraucht statt gespritzt. Dieses Verhalten findet seinen Niederschlag in dem hierzulande vergleichsweise niedrigen Prozentsatz an HIV-infizierten Süchtigen: Bei 13 bis 14 Prozent der Drogentoten konnte das Aids-Virus im Blut nachgewiesen werden. Dagegen sind mehr als die Hälfte der 200000 Fixer in New York City von dem Erreger befallen.

Die Aufmerksamkeit der Experten erstreckt sich aber nicht nur auf die illegale Drogenszene. Dies machte der Rechtsmediziner Professor Joachim Gerchow mit einem Hinweis auf den gesellschaftlich tolerierten Drogenkonsum klar. Das legale Suchtmittel Alkohol fordere alleine in Bundesrepublik etwa 30 000 Menschenleben jährlich. Kindermann sprach in diesem Zusammenhang sogar von einer „Drei-Klassen-Suchtgesellschaft“. Neben den illegalen Drogen, die im Brennpunkt des Medieninteresses stehen, warnte er vor der zunehmenden Medikamentenabhängigkeit („Sucht auf Rezept“) und der „billigen Sucht im Supermarkt“, die es auch Kindern leicht mache, an Alkohol oder Zigaretten heranzukommen.

(erschienen in der WELT am 14. Juli 1989)

59-info@2xWas ist daraus geworden? Tatsächlich ging die Zahl der Drogentoten in 1989 auf mehr als 1000 steil nach oben. Im Jahr 2000 waren es dann sogar doppelt so viele (2030). Seitdem ist die Zahl der Todesopfer durch harte Drogen wieder gesunken – im letzten Berichtsjahr 2014 waren es 1032, wie diese Grafik zeigt.

Alzheimer – Das Bild rundet sich immer mehr ab

Weltweit arbeiten sich Wissenschaftler immer näher an die Ursache der Alzheimer´schen Krankheit (AK) heran. Nach vorsichtigen Schätzungen leiden alleine in der Bundesrepublik rund 600000 Menschen unter dieser Form des frühzeitigen geistigen und körperlichen Zerfalls. Noch weit vor Aids ist die Krankheit, die meist erst bei Menschen in höherem Alter auftritt, die vierthäufigste Todesursache in den westlichen Industrieländern.

Die Untersuchung der Gehirne Verstorbener ergibt immer wieder das gleiche Bild: Im Inneren der Nervenzellen finden sich Bündel von Proteinfasern (Fibrillen) und in den Zellzwischenräumen sind sogenannte senile Plaques zu sehen. Den Kern dieser unlöslichen Ablagerungen bildet ein Eiweißstoff, der inzwischen als ß-Amyloid bezeichnet wird. Umhüllt wird dieser Kern von abgestorbenen Stützzellen des Nervengewebes und von degenerierten Nervenendigungen. Bis zu 6000 dieser Plaques finden sich in befallenen Hirnregionen auf nur einem Quadratmillimeter.

Alzheimer-Fibrillen unter dem Mikroskop - Wikipedia

Alzheimer-Fibrillen aus dem Hippocampus unter dem Mikroskop (Foto: Patho via Wikimedia Commons [CC BY-SA 3.0])

Schon lange bemühen sich Forscher in den USA, in Australien und in Europa darum, die Rolle des ß-Amyloids bei der Entstehung der Krankheit zu entschlüsseln. Der Arbeitsgruppe um Professor Konrad Beyreuther vom Zentrum für Molekulare Biologie in Heidelberg (ZMBH) gelang es vor einigen Jahren, das ß-Amyloid aus den Plaques herauszulösen. Der Weg war damit frei, um sich mit gentechnischen Methoden auf die Suche nach jenem Abschnitt des menschlichen Erbgutes zu machen, der die  Bauanleitung für diesen Eiweißstoff enthält.

Dabei ergab sich Überraschendes: Das ß-Amyloid ist nur ein verhältnismäßig kleines Bruchstück eines viel größeren Vorläufermoleküls. Vieles spricht dafür, dass diesem Vorläufer eine wichtige Funktion im Gehirn zukommt. Man weiß jetzt, dass es in die Hülle (Membran) der Nervenzellen eingebettet ist. Besonders häufig ist es in den Synapsen zu finden jenen Schaltstellen, an denen elektrische Impulse von einer Zelle an die nächste übertragen werden. Dort könnte das Amyloidprotein, so wird zur Zeit vermutet, von außen kommende Signale in das Zellinnere weiterleiten oder bei der Verständigung der Zellen untereinander eine Rolle spielen.

Mit der Isolierung des Gens machte man eine interessante Entdeckung: Die Erbanlagen für den  Vorläufer des ß-Amyloids finden sich auf Chromosom 21. Genau dieses Chromosom aber ist bei der recht weit verbreiteten Erbkrankheit des Down-Syndroms („Mongolismus“) dreimal vorhanden und nicht in nur zwei Kopien, wie bei gesunden Körperzellen. Bei Patienten mit Down-Syndrom treten ähnliche Erscheinungen wie bei der AK auf, allerdings bereits im Alter von 35 bis 40 Jahren: Im Gehirngewebe mongoloider Patienten finden sich auch die amyloiden Ablagerungen. So glaubte man zunächst, die Krankheit auf überzählige Kopien des Gens zurückführen zu können.

Dies erwies sich aber als verfrühte Hoffnung. Offensichtlich ist das Gen für den Vorläufer der ß-Amyloids bei den allermeisten AK-Patienten genau so häufig vorhanden wie bei Gesunden. Die Suche ging daher weiter und richtete sich jetzt vor allem auf die Frage, ob irgendwelche anderen Stoffe in der Zelle das Amyloid-Gen beeinflussen könnten.

Als Prof. Beyreuther die dem Gen übergeordneten Kontrollregionen auf der DNA näher untersuchte, fand er Bindungsstellen für mindestens sieben verschiedene Botenstoffe. Unter anderem können an dieser „regulatorischen Region“ Hormone, Onkoproteine – sie spielen bei der Krebsentstehung eine Rolle – und Hitzeschockproteine andocken. Letztere werden beim Menschen durch Stress, falsche Ernährung und Durchblutungsstörungen aktiviert.

Ein Wechselspiel zwischen diesen und anderen Faktoren bestimmt dann offenbar, wieviel von dem Amyloid produziert wird. Beyreuther hofft, dass man in naher Zukunft lernt, diese Botenstoffe mit geeigneten Medikamenten zu beeinflussen. Dann könnte man die Produktion des Amyloidproteins drosseln.

Ist ein Übermaß an Amyloid aber schon genug um die Entwicklung der AK in Gang zu setzen?  Gentechnisch veränderte Mäuse sollen helfen, diese Frage zu klären. Im Reagenzglas vertauschten die Forscher die regulatorische Region des Amyloid-Gens mit einem fremden Stück Erbgut. So wurde ein Schalter konstruiert, den – man nach Belieben „An“ und „Aus“ stellen konnte;. Die Bauanleitung für das Amyloidprotein wurde dann in Mäuse übertragen. Durch Nahrungszusätze konnten die Wissenschaftler jetzt den Befehl zur vermehrten Produktion des Eiweißstoffes geben.

Ergebnis: Selbst wenn diese „transgenen“ Mäuse künstlich angeregt werden, fünf bis zehn Mal soviel Vorläufer des ß-Amyloids herzustellen wie ihre unveränderten Artgenossen, zeigt sich kein Effekt. Von Plaques und anderen Veränderungen des Gehirns, wie sie für die AK typisch sind, war nichts zu sehen. Für Konrad Beyreuthers Arbeitsgruppe war das ein ganz klarer Hinweis darauf, dass schon ein „Primärschaden“ vorliegen muss: Ein Übermaß an Amyloidprotein alleine kann die Krankheit nicht auslösen, wenn das Gehirn nicht vorher schon geschädigt wurde.

Neue Forschungsmöglichkeiten eröffnet eine Entwicklung, über die Sarah-Jane Richards und ihre Kollegen (Universität Cambridge) im vergangenen Monat auf einer Konferenz in Seattle berichteten. Ihnen gelang es erstmals, ein Tiermodell für die Alzheimer´sche Krankheit zu schaffen. Die Forscher transplantierten das Nervengewebe embryonaler Mäuse, die vom Down-Syndrom betroffen waren, in das Gehirn von gesunden (erwachsenen) Artgenossen. Nach mehreren Monaten konnte man bei den Empfängermäusen die senilen Plaques und Neurofibrillenbündel finden, die für Down Syndrom und AK charakteristisch sind.

Die Ablagerungen waren nicht nur im transplantierten Gewebe selbst, sondern auch in den direkt angrenzenden Hirnregionen der Tiere zu sehen. Alles deutet darauf hin, das mit dem Transplantat auch der gesuchte „Primärschaden“ übertragen wurde, den es nun in weiteren Experimenten einzugrenzen gilt.

Neben der spontan auftretenden Form der AK gibt es auch eine erbliche Form, die beim Menschen als „familiäre Alzheimer´sche Krankheit“ (fAK) bekannt ist und etwa ein Zehntel aller AK-Fälle ausmacht. Das Gen, das für diese Form verantwortlich ist, liegt in der Nähe des Amyloid-Gens und bewirkt, dass die Betroffenen wesentlich früher erkranken als bei der spontanen Form. Wenn es den Forschern gelingen würde, auch dieses Gen noch aus der Riesenmenge anderer Erbanlagen herauszufischen, könnte man weitere Hinweise gewinnen, welche Vorgänge der Ablagerung von ß-Amyloid vorangehen.

„Das Bild rundet sich immer mehr ab, es wird spannend“ fasst Beyreuther die jüngsten Fortschritte  auf diesem Gebiet zusammen. Allzu hohe Erwartungen will er jedoch nicht aufkommen lassen. „Wir wissen, wo wir hingehen müssen, aber das Problem ist nicht in einem halben Jahr zu lösen.“ Dreißig Jahre etwa dauert es, bis die AK zur fatalen Hirnschrumpfung fortgeschritten ist. Es wäre daher bereits ein Erfolg der Forschung, wenn es gelingt, den Krankheitsprozess zu verlangsamen. Die AK zu heilen, wird dagegen erst ein sekundäres Ziel sein.

(erschienen in der WELT am 1. Juli 1989)

Malaria – Mit einem Cocktail gegen die Verwandlungskünstler

Plasmodien, die einzelligen Erreger der Malaria, haben eine Vielzahl von Mechanismen entwickelt, mit denen sie der Immunabwehr des Menschen immer wieder entkommen.

Die Parasiten verstecken sich im menschlichen Organismus innerhalb von Zellen. Als „Sporozoiten“, die mit der Speichelflüssigkeit der weiblichen Anophelesmücke in die Blutbahn gelangen, erreichen sie innerhalb von nur 30 Minuten die Leber. Jeder einzelne Sporozoit, der hier eindringt, produziert bis zu 40000 Nachkommen, „Merozoiten“ genannt, die dann ausschwärmen und binnen zehn Minuten die ersten roten Blutkörperchen (Erythrozyten) befallen.

Malaria-Zyklus - Wikipedia

Komplizierter Zyklus: So vermehren sich Plasmodien, die Erreger der Malaria. (Von Chb, Wikipedia)

 

Die Nachkommen dieser Blutstadien befallen dann in regelrechten Angriffswellen immer neue Erythrozyten und lösen damit die Fieberschübe aus, die mit der Malaria einhergehen. Innerhalb einer Woche vollendet sich der fatale Kreislauf, wenn – bei einem erneuten Stich – geschlechtliche Formen des Parasiten in die Mücke gelangen, um dort den Lebenszyklus abzuschließen.

Dem Immunsystem bleibt also wenig Zeit, seine Abwehrwaffen zu mobilisieren. Außerdem deutet vieles darauf hin, dass die Plasmodien gelernt haben, nur solche Oberflächenstrukturen zu präsentieren, die sich die körpereigene Abwehr nicht „merken“ kann. Die Zellen des Immunsystems erkennen nicht die kompletten Eiweiße, wie sie auf der Hülle des Parasiten vorkommen, sondern immer nur kurze Bereiche (Epitope).

Ein Großteil der Forschung konzentriert sich heute darauf, diejenigen Epitope zu finden, die das Immunsystem optimal stimulieren. Dazu werden die Eiweißstrukturen auf den Parasiten durchgemustert und in einzelne Bruchstücke zerlegt. Computervorhersagen sollen dabei helfen, besonders markante (immunogene) Epitope zu finden. Diese können dann im Labor nachgebaut oder mit gentechnischen Mitteln vervielfältigt werden.

Obwohl die B-Zellen des Immunsystems bei der Infektion Antikörper in großen Mengen produzieren, ist der betroffene Mensch dennoch nicht geschützt. Durch Anregung der T-Zellen hoffen viele Wissenschaftler, die noch ungenutzten Kräfte der menschlichen Immunabwehr wecken zu können. T-Zellen zerfallen in mehrere Untergruppen, von denen z. B. die ‚Killerzellen in der Lage sind, von Erregern infizierte Zellen zu zerstören. Ihren Einsatzbefehl hierfür bekommen sie von den T-Helferzellen.

Die Helferzellen können die Bruchstücke des Parasiten aber nicht alleine erkennen. Fresszellen (Makrophagen) fallen über die Parasiten her, kurz danach tauchen die Bruchstücke (Antigene) der Eindringlinge wieder an deren Oberfläche auf. Die Bruchstücke hängen dabei an einer Eiweißstruktur, die von den Experten kurz MHC-Antigene genannt wird. Die Kombination aus MHC-Antigen und fremdem Antigen dient schließlich als Signal für die Helferzellen, die Fresszellen zu aktivieren.

Erschwert wird die Suche der Wissenschaftler nach den „besten“ Epitopen dadurch, dass es vermutlich Hunderte verschiedener MHC-Moleküle gibt. Sie kennzeichnen körpereigenes Gewebe und sind auch für die Abstoßungsreaktionen nach Transplantationen verantwortlich. Es gilt also, Epitope zu finden, die mit möglichst vielen MHC-Antigenen eine Bindung eingehen können.

Ein zusätzliches Problem besteht darin, dass die Sporozoiten auf dem Weg in die Leber einen Teil ihrer Hülle abwerfen. Antikörper, die an diese Hülle binden, können dem Parasiten daher nichts anhaben. Die Merozoiten, die die Leber verlassen, erscheinen sogar in völlig neuer Verkleidung. Ein Impfstoff wird also aus einem „Cocktail“ bestehen und eine Vielzahl von Epitopen enthalten müssen, die für die verschiedenen Entwicklungsstufen des Parasiten charakteristisch sind.

Man wird sich dabei bemühen, vor allem solche Oberflächenstrukturen anzugreifen, die für die Plasmodien lebenswichtig sind. Infrage kämen etwa Bruchstücke der Eiweiße, mit denen die Erreger an Leberzellen und rote Blutkörperchen binden.

Hier taucht ein weiteres Problem für die Forscher auf: Zwischen den vielen verschiedenen Malariastämmen, die in den betroffenen Ländern vorkommen, existieren wiederum Unterschiede in den Oberflächen-Proteinen. Ein Impfstoff müsste aber gegen Erreger-Stämme auf der ganzen Welt wirksam sein.

(erschienen in der WELT am 28 Juni 1989)

59-info@2xWas daraus geworden ist: Die Vorstellung eines Impfstoffes, der so wie bei vielen Kinderkrankheiten mit einer Spritze 100-prozentigen Schutz verleiht, hat sich bei der Malaria als reines Wunschdenken erwiesen. Schon auf der Wissenschaftspressekonferenz in Bonn, die diesem Bericht zugrunde lag, waren durchaus kritische Töne zu hören, etwa von Professor Hanns Seitz, damals Direktor am Institut für Medizinische Parasitologie der Universität Bonn. „Mehr als ein Jahrzehnt intensiver Forsschung lassen erkennen, dass die Immunologen sich mit ihren Prognosen verschätzt haben, und dass ihre Voraussagen zu optimistisch waren“, sagte Seitz damals meiner Kollegin Dr. Vera Zylka.

Es gibt aber auch gute Nachrichten: Die Zahl der Toten ist von jährlich ca. drei Millionen auf etwa 600000 gesunken, seit die Weltgesundheitsorganisation und Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation begonnen haben, den Erreger mit Insektiziden und Moskitonetzen in Schach zu halten. Und im Juli 2015 hat die Europäishe Arzneimittelbehörde dann die Zulassung eines Impfstoffes empfohlen, der für Babys in Risikogebieten gedacht ist und der in Studien zwischen 27 und 48 Prozent der Erkrankungen verhindern konnte, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Folgt die EU-Kommission der behördlichen Empfehlung, wäre „Mosquirix“ der erste zugelassene Malaria-Impfstoff überhaupt.

 

Wie eine Prise Salz dem Kropf vorbeugt

Am Wochenende trat eine veränderte Vorschrift über den Jodgehalt von Speisesalz in Kraft. Die Erlaubnis, Jodsalz auch in industriell gefertigten Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsverpflegung einzusetzen, schafft die Grundlage, den Kropf nun auch in der Bundesrepublik wirkungsvoll zu bekämpfen.

Endlich sind Vorschläge des Arbeitskreises Jodmangel berücksichtigt worden: Die Änderung der Verordnung über jodiertes Speisesalz schafft jetzt die Voraussetzungen, den Anteil des lebenswichtigen Spurenstoffes Jod in der Nahrung zu erhöhen. Aufgrund dieser Maßnahme erwarten die Mediziner, dass der hohe Anteil an Jodmangelkrankheiten – Vergrößerung und Funktionsstörungen der Schilddrüse – langfristig zurückgedrängt werden kann.

Obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Aufnahme von täglich mindestens 150 Mikrogramm (millionstel Gramm) Jod empfiehlt, liegt die durchschnittliche Menge, die Erwachsene im Bundesgebiet zu sich nehmen nur bei etwa 70-80 Mikrogramm am Tag. Die Folge dieser Unterversorgung wird im europäischen Vergleich sichtbar: Die Bundesrepublik weißt unter ihren Nachbarländern die bei weitem höchste Kropfbildungsrate auf.

Sechs bis acht Millionen Menschen leiden hierzulande an dieser krankhaften Vergrößerung der Schilddrüse. 80000 Operation pro Jahr als direkte Folge des Jodmangels bilden im internationalen Vergleich die einsame Spitze, wie Professor Peter Scriba vom Arbeitskreis Jodmangel gestern in Bonn mitteilte. Die Kosten in Höhe von fast einer Milliarde Mark, die jährlich durch Diagnose und Behandlung der jodbedingten Mangelkrankheiten entstehen, wären allein durch die Beseitigung des Joddefizits in der Bevölkerung zu vermeiden.

Durch die neue „Verordnung über jodiertes Speisesalz“ des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) wird nun die Voraussetzung geschaffen, diesen Nährstoffmangel auf breiter Basis zu beheben. Der Einsatz von Jod bei der industriellen Herstellung von Lebensmitteln und in der Gemeinschaftsverpflegung – zum Beispiel Kantinen, Bundeswehr, Altersheime – war bisher nicht erlaubt. Hierzulande hatte man die Verwendung von Jodsalz immer sehr restriktiv gehandhabt: War jodiertes Kochsalz im Nachbarland Schweiz die Regel, so wurde es in der Bundesrepublik nur in Ausnahmefallen benutzt.

Vor acht Jahren ermöglichte der Gesetzgeber dann Jodkonzentrationen von 20 Milligramm pro Kilogramm Kochsalz. Die freiwillige Verwendung des Speisesalzes mit Jodzusatz im privaten Haushalt brachte jedoch nicht den gewünschten Effekt.

Da die Verwendung von Jodsalz die betreffenden Lebensmittel automatisch unter die Diätverordnung fallen ließ, waren mit der industriellen Herstellung und der Verwendung in Großküchen besondere Auflagen verbunden. Das Jodsalz wurde deswegen bei der Produktion von Lebensmitteln und Fertiggerichten praktisch nicht verwendet. Der Anteil an gewerblich vorgefertigten Lebensmitteln und Fertiggerichten liegt aber bei etwa 80 Prozent der Gesamtnahrungsaufnahme – der Verbrauch an jodiertem Speisesalz im Privathaushalt ist dagegen nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Der Arbeitskreis Jodmangel, der sich aus Medizinern, Ernährungswissenschaftlern und Lebensmittelchemikern zusammensetzt, erhofft sich nun einen Rückgang der Kropfhäufigkeit auf unter drei Prozent. Wie der Sprecher der Vereinigung, Professor Dieter Hötzel betonte, sei ein gesundheitliches Risiko durch die Jodsalzprophylaxe nicht zu erwarten, da mit den neuen Maßnahmen nur ein Mangel an einem Spurenelement ausgeglichen wird, das uns die Natur nicht in ausreichenden Mengen bereitstellt.

(erschienen in der WELT am 27. Juni 1989)

Was ist daraus geworden? Offe59-info@2xnbar hat die neue Verordnung ihren Zweck erfüllt. Die Jodversorgung der deutschen Bevölkerung ist von damals durchschnittlich 70 – 80 Mikrogramm auf etwa 110 – 120 Mikrogramm im Jahr 2003 gestiegen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Damit liegt man nun im mittleren unteren Bereich der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geforderten Zufuhr. Auch der Arbeitskreis Jodmangel bestätigt, dass Deutschland kein Jodmangelgebiet mehr ist. Dennoch sei die Versorgung nicht optimal, auch weil viele Herzpatienten ermahnt werden, ihre Salzzufuhr zu drosseln. Das neue Motto des Arbeitskreises lautet deshalb: „Wenn Salz, dann Jodsalz“.