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Ammoniumnitrat

Chemische Verbindung mit der Summenformel NH4NO3. Bedeutsam als Düngemittel (gemischt mit Kaliumchlorid) und als Bestandteil von Sprengstoffen im Bergbau. Jährlich werden aus den Ausgangsstoffen Ammoniak und Salpetersäure weltweit mehrere Millionen Tonnen produziert. Zum Einsatz als Flüssigdünger kamen beispielsweise in Deutschland im Wirtschaftsjahr 2017/18 etwa 145.000 Tonnen Ammoniumnitrat-Harnstofflösung.

In reiner Form ist Ammoniumnitrat ein farbloses, an feuchter Luft zerfließendes Salz. Es kann explosionsartig zerfallen, wenn es in abgeschlossen Räumen erhitzt wird, wodurch es wiederholt zu großen Unfällen kam. Zwei davon – in einem Werk der BASF 1921, und im Hafen von Texas City 1947 – forderten jeweils mehr als 500 Menschenleben.

Innerhalb der EU sind der Transport, die Lagerung und der Verkauf von Ammoniumnitrat durch strenge Gesetze geregelt. In Deutschland und der Schweiz fällt die Substanz sogar unter das Sprengstoffgesetz.

Das jüngste große Unglück geschah im Hafen von Beirut (Libanon) unter Bedingungen, die hierzulande undenkbar wären: Offenbar waren 2750 Tonnen des Materials 7 Jahre auf engstem Raum gelagert und – laut einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung – alle Warnungen ignoriert worden, welche die Zollbehörden an die Justizbehörde gerichtet hatten. Schweißarbeiten in einem benachbarten Hangar sollen dann ein Feuer ausgelöst haben, das übergriff und zu einer Explosion führte, die mehr als 160 Menschen tötete und über 6000 verletzte. Experten der Universität Sheffield sprachen von einer der größten, nicht-nuklearen Explosionen der Geschichte, und schätzten deren Wucht auf etwa ein Zehntel der Hiroshima-Bombe.

Da Ammoniumnitrat vergleichsweise leicht beschafft werden kann, wurde es immer wieder auch bei Bombenattentaten benutzt.

Es war der bevorzugte Sprengstoff der „Irisch-republikanischen Armee“ (IRA), die für ein unabhängiges, kommunistisches und wiedervereinigtes Irland kämpfte, ebenso wie von Aufständischen im Irak.

Für den Anschlag von Oklohoma City im Jahr 1995 hatte Timothy McVeigh ein Bombe gebaut, die 2200 Kilogramm Ammoniumnitrat und Heizöl enthielt. Es starben 168 Menschen, darunter 19 Kinder.

Besonders perfide war der Anschlag auf eine Bar und Diskothek im indonesischen Bali im Jahr 2002, bei dem ein Selbstmordattentäter zunächst eine kleinere Bombe zündete und kurz danach eine zweite, größere Bombe in einem Auto zahlreiche fliehende Menschen tötete. Es gab mehr als 200 Todesopfer.

Auch Anders Breivik hatte vor seinen Anschlägen in Norwegen Ammoniumnitrat in Form von Düngemittel gehortet. Er setzte es in einer Autobombe ein, die 8 Menschen tötete, bevor er auf der Ferieninsel Utoya 69 weitere erschoss.

Zuletzt waren im April 2017 in London 5 Männer verurteilt worden, die 600 Kilogramm gekauft und einem Bericht der BBC zufolge offenbar einen Anschlag geplant hatten, der aber vereitelt wurde.

So erkennt man einen Experten

Ob Corona oder Klima, Gentechnik oder Atomkraftwerke – ständig treffe ich auf Facebook, Twitter und in den Medien auf Leute, die als Experten auftreten, obwohl sie offensichtlich keine Ahnung haben. Das frustriert mich nicht nur als Wissenschaftsjournalist, ich sehe darin auch eine echte Gefahr für unsere Gesellschaft. Deshalb habe ich heute mal zur Abwechslung einen kleinen Ratgeber geschrieben, wie man echte Experten von den Großmäulern unterscheiden kann. Bitte nicht missverstehen: Jeder darf und soll seine Meinung frei äußern dürfen; von mir aus auch Verschwörungstheorien und harte verbale Attacken. Nur sollte man dann eben auch bereit sein, sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinanderzusetzen. Und damit klar kommen, dass man als Depp dasteht, wenn man offensichtlich Blödsinn erzählt hat.

Also woran erkennt man nun, wer Ahnung hat? Zunächst sollte man schauen, welche Ausbildung die fragliche Person genossen hat, wie viel Erfahrung sie mit dem Thema hat, und ob sie auf dem betreffenden Fachgebiet einen Abschluss hat. Niemand käme auf die Idee, sich von seinem Frisör den Blinddarm ´rausnehmen zu lassen, und die Bremsen meines Autos würde ich lieber in einer Kfz-Werkstatt reparieren lassen, als beim Heilpraktiker.

Wissenschaft wird an Hochschulen gelehrt, und da gibt es natürlich mehr oder weniger gute. Natürlich kann man behaupten, hier oder dort dies oder jenes studiert zu haben. Das kann aber auch jeder Studienabbrecher, und bewiesen ist damit doch eher, dass man es nicht geschafft hat. Erst wer die mehrjährige Ausbildung samt Prüfungen übersteht bekommt einen Titel, und der ist dann geschützt (ausführlich erklärt in der Wikipedia).

Ich möchte mich hier auf die Naturwissenschaften und die Medizin konzentrieren. Da steht auf der untersten Stufe in Deutschland der Bachelor der Wissenschaft (B.Sc., Bachelor of Science) oder des Ingenieurswesens (B. Eng., Bachelor of Engineering). Etwa drei, manchmal auch vier Jahre muss man dafür investieren. Die nächste Stufe (früher der einzige unterhalb des Dr.) ist das Diplom. Laut Wikipedia an einer Fachhochschule oft in 3 Jahren zu erwerben, an einer „richtigen“ Universität netto in 4 – 5 Jahren. Ich habe für meinen Dipl.-Biol. 7 Jahre gebraucht – denkt, was ihr wollt. Das Diplom ist heute Voraussetzung für einen Master wie z.B. den „Master of Science“ (M. Sc.). Der frisst auch noch ´mal 1 oder 2 Jahre Lebenszeit. Von da ab sind es dann nur noch 3, 4, oder 5 Jahre für einen Doktor-Titel wie z.B. den für Naturwissenschaften (Dr. rer. nat) oder für Medizin (Dr. med.). Der Professor schließlich ist kein akademischer Grad, sondern der Ausweis dafür, dass man an einer Hochschule/Uni lehren darf.

Das ist natürlich nur ein erster Anhaltspunkt. Natürlich gibt es gute und schlechte, fleißige und faule Bachelors, Doktoren und Professoren und ebenso schwankend ist auch die Qualität der Master-, Diplom- und Doktorarbeiten. Wie gut, dass es ein wunderbares und noch dazu kostenloses Instrument gibt, um die wissenschaftliche Leistung einer Person abzuschätzen. Es nennt sich PubMed, und dahinter verbirgt sich die weltweit größte Sammlung von Literaturzitaten in der Biomedizin. Etwa 30 Millionen Einträge hat der aus amerikanischen Steuergeldern finanzierte, englischsprachige Service. Jeder Eintrag listet den oder die Autoren, den Titel, und die Fachzeitschrift, wo die Arbeit erschienen ist, meist auch eine kurze Zusammenfassung, sowie einen Link zur Originalveröffentlichung (die dann allerdings oftmals Geld kostet, wenn man sie in voller Länge lesen möchte). Gibt man in das Suchfeld zum Beispiel „coronavirus“ ein, so sieht man Folgendes:

Die Suche nach dem Begriff „coronavirus“ liefert mehr als 20000 Einträge

Ganz oben auf der Ergebnisseite steht die Zahl der Treffer (20083). Die Grafik auf der linken Seite zeigt, wann diese Publikationen erschienen sind, und wie viele pro Jahr. Mit den Kästchen darunter kann man die Suche weiter einengen – zum Beispiel auf vollständige Texte, die kostenlos verfügbar sind („Free full text“ anklicken).

Aber woher weiß ich jetzt, ob beispielsweise Professor Christian Drosten wirklich Ahnung von Coronaviren hat, oder nur ein Poser ist? Dazu gibt man den Nachnamen ein, gefolgt von dem ersten Buchstaben des Vornamens. Also „Drosten C“. Auf Anhieb liefert mir diese einfache Suche 381 Ergebnisse! PubMed selbst hat die Treffer nach Wichtigkeit sortiert und hat oben eine Veröffentlichung platziert, die noch keine 6 Wochen alt ist. Wer sich auskennt sieht auch, dass sie in einem der renommiertesten Medizinjournale erschienen ist, dem New England Journal of Medicine, und noch dazu ist sie kostenlos.

Eindrucksvoll: Die Publikationsliste von Prof. Christian Drosten auf PubMed.

Natürlich sind nicht alle Facharbeiten, die Drosten bisher geschrieben hat, über das Coronavirus. Um nur diese zu sehen, verfeinern wir unsere Suche. Das geht ganz einfach mit der Formel „drosten c AND coronavirus“. Es bleiben noch immer 146 Veröffentlichungen übrig, was uns beweist, dass wir hier einen echten Experten vor uns haben.

Weil wir gerade dabei sind, checken wir nach dem gleichen Prinzip noch einen weiteren bekannten deutschen Mikrobiologen, Professor Alexander S. Kekulé.  Ich sehe 32 Veröffentlichungen, ein paar zum Zika-Virus, einen über Ebola, aber keinen einzigen über Coronaviren. Dann schon lieber Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts und zusammen mit Drosten derzeit wohl der einflussreichste Wissenschaftler, der die Bundesregierung in Sachen Coronavirus berät. Dem wird zwar von Kritikern gerne vorgehalten, dass er ja „nur“ ein Veterinärmediziner sei, aber auch Wieler hat eine beeindruckende Publikationsliste mit 241 Einträgen, wenn auch nur 3 zu Coronaviren.

Weil ich mich so geärgert habe jetzt noch ein Mann, der definitiv kein Experte für Coronaviren ist: Dr. Wolfgang Wodarg. Der durfte sich 10. März 2020 in der ZDF-Sendung Frontal21 über die Quarantänemaßnahmen und Verbotsregelungen verbreiten, bezeichnete dies als „Panikmache“ und erklärte, für Coronaviren bräuchte es keine besonderen Schutzvorkehrungen oder Tests. Ein positiver Corona-Befund habe keine klinische Bedeutung.

Leider kein Experte für Coronaviren: Dr. Wolfgang Wodarg, der im ZDF von Panikmache sprach.

Wodarg hat genau 2 Publikationen auf PubMed vorzuweisen, eine aus dem Jahr 1989 und eine von 2015. Keiner dieser Beiträge hat auch nur im entferntesten mit Viren zu tun, und ich habe mich einmal mehr gefragt, was das eigentlich für Leute sind, die beim öffentlich-rechlichen Rundfunk derartige Beiträge zu verantworten haben.

Nachwort: Natürlich können auch Experten irren. Um die Corona-Krise zu überwinden braucht es nicht nur Virologen und Epidemiologen, Ärzte und Pfleger, sondern auch Spezialisten auf vielen anderen Gebieten. Die Guten erkennt man oft daran, dass sie sich ihrer Grenzen bewusst sind. An Sätzen wie: „Das weiß ich nicht“, „das ist nicht mein Fachgebiet“, oder „dazu kann ich nichts sagen“. Es sind Sätze, die ich gerne öfter hören würde.