Im Forschungsinstitut Icrisat nahe dem indischen Hyderabad kämpfen Forscher gegen den Hunger in der Welt. Wichtigste Waffe sind dabei uns unbekannte Pflanzen wie Sorghum und Perlhirse. Sie ermöglichen – im Gegensatz zu den Hochleistungsgewächsen der grünen Revolution – auch in einer unerbittlichen Umwelt noch akzeptable Ernten für eine weiter wachsende Weltbevölkerung. 750 Millionen Menschen, die in den semiariden Tropen täglich mit primitivsten Mitteln ums Überleben kämpfen müssen, profitieren von der Arbeit des Instituts, das vorwiegend aus den Steuergeldern der wichtigsten Industrieländer finanziert wird.

Vier Pflanzenarten bilden heute die Nahrungsgrundlage für den größten Teil der Menschheit: Mais und Reis, Kartoffeln und Weizen heißen die Gewächse, die in gemäßigten Klimazonen Rekordernten bringen – dank regelmäßiger Niederschläge, dem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, dank künstlicher Bewässerung und einer weitgehend technisierten Landwirtschaft.

Dort aber, wo die Natur weniger freigebig ist, wo die Böden ebenso arm sind an Nährstoffen wie die Bauern an Geld, dort wo der Regen – wenn überhaupt – nur sporadisch fällt, sind die Menschen auf Pflanzen angewiesen, die auf europäischen Märkten nur selten zu finden sind. Die Rede ist von Sorghum und Perlhirse, von Hühner- und Taubenerbsen (Cicer arietinum und Cajanus cayan) sowie der immerhin als Snack verbreiteten Erdnuß.

Ohne diese fünf Pflanzen jedoch wären 750 Millionen Menschen in den semiariden Tropen ihrer Nahrungsgrundlage beraubt. Die semiariden Tropen (SAT) umfassen rund 20 Millionen Quadratkilometer in 50 Ländern beiderseits des Äquators, von Angola und Australien bis Zaire und Zimbabwe.

Zwar liegen die meisten SAT-Länder auf dem afrikanischen Kontinent, in einem über 1000 Kilometer breiten Gürtel um den zentralafrikanischen Regenwald, doch werden auch weite Teile Mexikos, Boliviens, Thailands und Pakistans zu dieser Landschaft gerechnet, in der erratische Regenfälle und nährstoffarme Böden den Bauern das Leben schwermachen. Diesen Bauern zu helfen ist das Hauptanliegen von Icrisat (International Crops Research Institute for the Semi-Arid Tropics), einem gewaltigen Forschungsinstitut im indischen Patancheru. „Wir arbeiten für die Ärmsten der Armen“, erklärt der leitende Direktor Dr. James Ryan. „Unser Ziel ist es, als Weltzentrum zur Verbesserung der Erträge und Qualität von Sorghum, Hirse, Hühnererbsen, Taubenerbsen und Erdnüssen zu dienen.“

Doch damit nicht genug: Icrisat soll außerdem als Genbank für diese Pflanzen fungieren, ebenso wie als Ausbildungsstätte und Koordinationszentrum für den Technologietransfer. Icrisat, das in diesem Jahr mit über 60 Millionen Mark finanziert wird, bietet hierfür ideale Voraussetzungen, denn auch Indien gehört zum größten Teil zu den semiariden Tropen.

Die rund 100 Top-Wissenschaftler der Forschungsstation werden in ihrer Arbeit von etwa 1500 Angestellten unterstützt – ein Verhältnis, das europäischen und amerikanischen Wissenschaftlern traumhaft erscheinen muß. Pflanzenzüchter und Insektenforscher, Landwirte und Botaniker, Genetiker und Mikrobiologen, Biochemiker und Virologen arbeiten hier in fachübergreifenden, problemorientierten Teams zusammen. Ziel ist es, die günstigen Eigenschaften verschiedener Rassen zu kombinieren und auch unter erschwerten Bedingungen, bei minimalem Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden, noch akzeptable Ernten zu erreichen.

Ein unverzichtbares Hilfsmittel ist dabei die Icrisat-Genbank mit ihren über 100.000 lsolaten, die in weltweiten Sammelaktionen aufgespürt oder von Forschem in den Ländern der SAT direkt nach Hyderabad geschickt wurden.

Die Genbank beherbergt in ihren Tiefkühlschränken und wohlklimatisierten Lagerräumen jeweils mehrere tausend Nachkommen einer Pflanze, die in Samenform aufbewahrt werden. In mehrjährigen Abständen wird überprüft, ob die Samen noch keimungsfähig sind. Sobald der Anteil der „toten“ Samen die 15-Prozent-Marke übersteigt, muß das jeweilige Isolat aufgezogen und bis zur Samenreife hochgepäppelt werden. Diese „Enkel“ der ursprünglich gesammelten Pflanzen wandern dann wieder in peinlich genau gekennzeichnete Plastikbüchsen oder werden in Aluminiumfolien eingeschweißt – der Kreislauf beginnt von neuem.

Der gewaltige Arbeitsaufwand macht sich bezahlt, denn versteckt im Erbgut all dieser Pflanzen finden sich die Gene, die zahllosen Ernteschädlingen – von Pilzen und Würmern über Fliegen, Käfer und Raupen bis hin zu den verschiedensten Arten von Viren – den Appetit verderben. Auch andere Eigenschaften, wie Hitze- und Kälteresistenz sowie die Fähigkeit, auch längere Dürreperioden zu überstehen, schlummern in den Kühlschränken der Genbank.

Sogar die Zeit, welche die Pflanzen zum Wachstum von der Aussaat bis zur Ernte benötigen, unterliegt weitgehend dem Regime der Gene. Hühnererbsen, die in Südasien einen wichtigen Eiweißlieferanten darstellen, benötigen zwischen 75 und 150 Tage, wobei die längste Wachstumszeit häufig die größten Erträge bringt. Für die Taubenerbse, die zusätzlich noch als Windschutz, Brennstoff, Düngemittel und Viehfutter Verwendung findet, liegt die Wachstumszeit zwischen 110 und 180 Tagen.

Da beide Pflanzen erst nach der Regenperiode gesät werden, steht, besonders in trockenen Gebieten, oft nur wenig Zeit für das Wachstum der Frucht zur Verfügung. Aufgabe der Icrisat-Forscher ist es dann, für jeden Standort die „optimale“ Pflanze zu finden und der Natur gegebenenfalls durch Züchtung auf die Sprünge zu helfen.

„Jede Pflanze, die wir in die Genbank aufnehmen, wird genauestens auf ihre Eigenschaften überprüft“, erläutert Dr. Prasado Rao. Aus diesem Eignungstest gewinnen die Forscher der Genbank 30 bis 40 Meßwerte, die Aufschluß geben sollen über den optimalen Einsatz der Gewächse auf den Feldern der Welt. Auch für Versuche, bei denen günstige Eigenschaften verschiedener Wildstämme in weitverbreitete Rassen eingekreuzt werden, sind die Daten der Genbank unverzichtbar.

„Wir haben eine Politik der offenen Tür. Auf Anfrage kann jeder auf die hier registrierten Pflanzen zugreifen. Wir schicken ihm dann den Samen mit den gewünschten Eigenschaften zu“, betont Ryan die Richtlinien seines Instituts, das vorwiegend aus dem Steueraufkommen der industrialisierten Länder finanziert wird. Die Gesamtzahl der Proben, die von Hyderabad aus in die ganze Welt verschickt wurden, dürfte noch in diesem Jahr die Millionengrenze überschreiten.

Den finanziellen Nutzen dieser Aktionen kann Ryan nicht pauschal beziffern, doch zwei besonders erfolgreiche Icrisat-,“Produktionen“, die Perlhirsen ICMH 451 und WC-C75, brachten alleine den indischen Bauern einen Ertragszuwachs, dessen Wert den Jahresetat des Instituts übersteigt. Dennoch wäre es unrealistisch, auf eine zweite grüne Revolution zu hoffen, um die katastrophalen Folgen einer anhaltenden globalen Bevölkerungsexplosion zu mildern.

Zwar konnten in den sechziger Jahren mit hochgezüchteten Varietäten auf den Reisfeldern Asiens gewaltige Ertragssteigerungen erzielt werden; dies wurde jedoch erkauft durch eine starke Abhängigkeit von (teuren) Düngemitteln und (gefährlichen) Insektiziden. Nur wenn beides in reichem Maße vorhanden war, konnten die Rekordernten, die auf landschaftlichen Versuchsstationen erzielt wurden, auch in der Praxis erreicht werden. Dann kam die große Ernüchterung:

„Der unmäßige Gebrauch von Insektiziden im asiatischen Raum hat zu einer großen Anzahl von Schädlingsplagen geführt“, so Ryan. „Wir wissen, daß wir uns im Umgang mit der Natur nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben.“ Diese Einsichten haben zum Umdenken geführt. Integrierter Pflanzenbau heißt die neue Philosophie, bei der biologische und chemische Methoden der Schädlingsbekämpfung sorgfältig aufeinander abgestimmt werden.

Im Zusammenspiel von schädlingsresistenten Pflanzen, Fruchtwechsel und variablen Saat- und Erntezeiten will man die Zahl der Mitesser unter einer wirtschaftlich akzeptablen Schwelle halten. Das offensichtlich unrealistische Vorhaben, die Schädlinge komplett auszurotten, gehört somit der Vergangenheit an. Ryan glaubt auch, den Grund für diesen Sinneswandel zu kennen: „Eine zunehmend kritische Öffentlichkeit hat in der agrochemischen Industrie zu einer gewissen Nervosität geführt. Man sorgt sich um Profite und das Image. In zehn Jahren werden die Vorräte an Insektiziden erschöpft sein, die im Westen längst verboten sind, aber immer noch ihren Weg in die Entwicklungsländer finden.“

Der integrierte Pflanzenbau werde daher eine immer wichtigere Rolle bei gemeinnützigen Instituten wie Icrisat spielen, prophezeit der Direktor. Dafür aber braucht man Geld, und das, bemängelt Ryan, wird zunehmend knapper. „Die Geberländer sind ziemlich selbstzufrieden geworden. Wahrscheinlich liegt das daran, daß es in den letzten Jahren keine wirklich großen Hungersnöte gegeben hat.“

(erschienen in „DIE WELT“ am 27. Dezember 1991. ICRISAT wurde besucht auf Einladung der Welternährungsorganisation der UNO (FAO))