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Fragwürdige Zelltransplantationen gegen ALS

Versuche, die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) mit der Transplantation von Stammzellen zu behandeln, könnten bei Patienten übertriebene Hoffnungen wecken, fürchte ich angesichts zweier wenig erfolgreicher Studien in Italien und Tschechien:

Präsentiert wurden beide Studien im Spätjahr 2016 auf der Jahrestagung der US-amerikanischen Society for Neuroscience in San Diego. Insgesamt waren 44 Patienten behandelt worden, allerdings hatte es bei keiner der beiden Studien eine Kontrollgruppe gegeben, mit der sich die erzielten „Erfolge“ hätten vergleichen lassen. Solche randomisierten und placebokontrollierten Studie sind in der Medizin der Goldstandard: Die Patienten werden einer Behandlungsgruppe zugelost und man vergleicht mit der besten verfügbaren Therapie oder einem Scheinmedikament. Dass dies bei den beiden Studien nicht gemacht wurde, mindert die Beweiskraft.

Zellen aus Fehlgeburten isoliert

Die italienische Arbeitsgruppe hatte neuronale Stammzellen aus menschlichen Embryonen gewonnen, deren Mütter eine Fehlgeburt erlitten hatten. Jedem Patient wurden drei Injektionen mit jeweils etwa 50 Millionen der neuronalen Stammzellen ins Rückenmark injiziert. Um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern, bekamen die Studienteilnehmer sechs Monate lang Medikamente zur Unterdrückung der Immunantwort.

Zwar gab es keine ernsthaften Nebenwirkungen, jedoch wurde auch der Krankheitsverlauf kaum beeinflusst. Lediglich im Zeitraum von zwei bis vier Monaten nach dem Eingriff hatten elf der 18 Patienten etwas mehr Kraft in Armen und Beinen, als man erwarten durfte. Neun der 18 Patienten waren zum Zeitpunkt der Konferenz bereits an ihrer Krankheit gestorben. Dennoch kündigte Dr. Daniele Ferrari von der Abteilung Biotechnologie und Biowissenschaften der Universität Bicocca, Mailand an, dass man eine Studie der Phase II beginnen und diesmal größere Mengen an Zellen transplantieren wolle.

Professor Eva Sykova (Foto: Martin Vlček, Kancelář Senátu – Senát Parlamentu České republiky, CC BY 3.0)

Die tschechische Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Eva Sykova vom Institut für Experimentelle Medizin ASCR in Prag hatte die Stammzellen aus den Patienten selbst gewonnen, im Labor vermehrt und dann bei einer Lumbalpunktion ins Nervenwasser injiziert. Kraft, Beweglichkeit und Gehfähigkeit der 26 Teilnehmer in dieser Studie wurden über 18 Monate hinweg verfolgt. Nach drei und nach sechs Monaten fanden die Forscher statistisch signifikante Verbesserungen sowohl auf der ALS Functional Rating Scale, als auch bei der forcierten Vitalkapazität, einem Maß für die Funktion der Lunge.

Fragwürdige Vergleiche

Da es innerhalb der Studie keine Vergleichsgruppe gab, musste man zur Bewertung den natürlichen Verlauf der Krankheit heranziehen. Dies scheint bei Zelltransplantationen gegen ALS inzwischen die Regel zu sein: Wissenschaftler der Cochrane Kollaboration hatten kürzlich die gesamte Literatur nach solchen Studien durchsucht, um deren Wirksamkeit zu beurteilen. Sie fanden aber keine mit adäquater Kontrollgruppe. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass die Verbesserungen in beiden Studien auf einem Placeboeffekt beruhen.

Experimentelle Behandlung außerhalb der Studie

Trotz der geringen Aussagekraft der bisherigen Studien erhalten offenbar schon heute ALS-Patienten auch außerhalb von Studien Zelltransplantationen. So berichtete die Gruppe von Eva Sykova, dass 25 ihrer Patienten außerhalb von Studien behandelt worden sind. Inzwischen hätten sich auch Interessenten aus dem Ausland gemeldet, sagte die Forscherin auf der Neuroscience-Tagung.

Quellen:

Syka M et al. Stem cells for treatment of Amyotrophic lateral sclerosis. Preclinical and clinical study. Abstract 45.01. Society for Neuroscience 47 Annual Meeting, San Diego, 12.11.2016.

Jendelova P et al. The effect of different applications of mesenchymal stem cells in the treatment of amyotrophic lateral sclerosis. Abstract 45.04. Society for Neuroscience 47 Annual Meeting, San Diego, 12.11.2016.

Mazzini L et al. Data from pre-clinical and completed phase I clinical studies with intraspinal injection of human neural stem cells in amyotrophic lateral sclerosis. Abstract 45.13. Society for Neuroscience 47 Annual Meeting, San Diego, 12.11.2016.

Abdul Wahid SF et al. Cell-based therapies for amyotrophic lateral sclerosis/motor neuron disease. Cochrane Database Syst Rev. 2016 Nov. 8;11:CD011742

(Überarbeitete Version eines Textes, der als Pressemitteilung geplant war, jedoch nicht veröffentlicht wurde)

Selumetinib – wirksam gegen Neurofibrome, aber nicht verfügbar

Eine seltene Erbkrankheit, die bei Kindern Nerventumore verursacht, kann offenbar mit dem Wirkstoff Selumetinib erfolgreich bekämpft werden, zeigt eine kleine Studie mit 24 Teilnehmern. Das als Neurofibromatose Typ 1 (NF1) bekannte Leiden verursacht häufig Geschulste, die nicht operiert werden können. Diese inoperablen plexiformen Neurofibrome wurden jedoch bei allen 24 Kindern in der Studie gebremst, und bei 17 von ihnen schrumpften sie sogar um 20 bis 50 Prozent.

Dr. Widemann vom US-Krebsforschungszentrum NCI leitet mehrere Studien zum Neurofibrom (Foto: NCI)

Den größten Erfolg erzielten die Wissenschaftler um Dr. Brigitte C. Widemann, Leiterin des Pediatric Oncology Branch am National Cancer Institute der USA bei einem Mädchen, das wegen sehr großer Neurofibrome an Hüfte und Unterleib ständig unter Schmerzen litt und an den Rollstuhl gefesselt war. Durch die Behandlung verringerte sich die Tumormasse fast um die Hälfte; sie musste auch keine Schmerzmedikamente mehr einnehmen und war wieder in der Lage, längere Strecken zu laufen. Wie der Webseite von Widemann zu entnehmen ist, sind nun gleich mehrere Folgestudien geplant, die den Nutzen von Selumetinib bei Kindern wie auch Erwachsenen beweisen sollen.

Die auch nach ihrem Entdecker Morbus Recklinghausen benannte Krankheit betrifft etwa jedes 3000ste Neugeborene, davon entwickeln ein Fünftel bis zur Hälfte die hier behandelten plexiformen Neurofibrome. Sie können, je nach Lage, zu Schmerzen und Entstellungen führen, zu Blindheit, geschwächten Gliedmaßen, oder auch zu Darm- und Blasenschwäche. Vielen kann durch eine Operationen geholfen werden, bei einem Viertel ist dies allerdings nicht möglich.

Prof. Victor-Felix Mautner, Leiter der Neurofibromatose-Ambulanz am Universitätsklinikum Eppendorf sprach von einer „bedeutsamen Arbeit“ für Menschen, die durch NF-1 entstellt werden. Trotz dieses Erfolges wird Selumetinib aber in Deutschland wohl auf längere Zeit nicht verfügbar sein. Die Firma AstraZeneca, die den Wirkstoff ursprünglich gegen Lungenkrebs entwickeln wollte, ist damit nämlich in einer großen Studie gescheitert. Die Folge ist, dass Selumetinib von den Behörden für die Behandlung nicht zugelassen wurde, und auch nicht für „individuelle Heilversuche“ zur Verfügung steht. „Und dies wird auch nicht so schnell passieren“, befürchtet Mautner.

(eine ausführliche Fachversion dieser Nachricht ist erschienen am 6. Januar 2017 bei Medscape)

Quelle:

Dombi E, et al.: Activity of Selumetinib in Neurofibromatosis Type 1-Related Plexiform Neurofibromas. N Engl J Med. 2016 Dec 29;375(26):2550-2560. doi: 10.1056/NEJMoa1605943.

Spinale Muskelatrophie: Hoffnung durch Antisense-Technik

Mithilfe einer neuartigen genetischen Technik ist es Wissenschaftlern erstmals gelungen, das Fortschreiten der Spinalen Muskelatrophie (SMA) bei Säuglingen und Kleinkindern zu verlangsamen – einer fatalen und bislang kaum aufzuhaltenden neurodegenerativen Erkrankung. „Dies ist eine vielversprechende Behandlungsmethode für die häufigste genetische Todesursache im Kindesalter“, so Prof. Christine Klein, Leiterin des Instituts für Neurogenetik an der Universität Lübeck und Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Darüber hinaus könne man davon ausgehen, dass die hier genutzte Methode der Antisense-Technik auch für andere Erkrankungen und Indikationen angepasst werden und dort ebenfalls erfolgreich sein könnte.

Den Beweis, dass die Antisense-Technik funktionieren kann, haben nordamerikanische Neurologen mit einer Studie erbracht, über die sie in der Fachzeitschrift The Lancet berichten. Insgesamt 20 Säuglinge, die zwischen der dritten Lebenswoche und dem sechsten Lebensmonat an der Spinalen Muskelatrophie erkrankt waren, haben Richard S. Finkel vom Nemours Children´s Hospital und seine Kollegen behandelt.

Ursache der Erkrankung war in allen Fällen ein fehlendes bzw. defektes Gen für einen Nerven-Schutzfaktor (Survival Motor Neuron 1, SMN1). Ohne dieses Eiweiß gehen die Motoneuronen des Rückenmarks und des Hirnstammes zugrunde, die die Bewegungen einschließlich des Schluckens und des Atmens kontrollieren. Die Folgen sind fatal: Nicht einmal ein Viertel der Kinder überlebte bislang ohne künstliche Beatmung die Diagnose um mehr als zwei Jahre.

Vor diesem Hintergrund erhielten alle Teilnehmer den Wirkstoff Nusinersen in Form mehrerer Injektionen ins Nervenwasser des Rückenmarks. Zwar verstarben vier der 20 Babys trotz der Behandlung. Zum Zeitpunkt des Berichtes aber waren 16 noch am Leben. 13 von ihnen konnten ohne fremde Hilfe atmen, und bei 14 hatte sich die Muskelfunktion gebessert. Teilweise konnten diese Kleinkinder nun den Kopf aufrecht halten, greifen, stehen und sogar laufen. Solche Veränderungen hatte man bislang bei unbehandelten Kindern mit dieser Form von SMA nicht beobachtet. „Eine Heilung bedeutet das nicht“, sagt Prof. Klein, „aber die Therapie scheint wirksam zu sein.“

Die Neurologin hebt hervor, dass der molekulare Mechanismus der Methode wie geplant funktioniert hat: Nusinersen ist ein synthetisch hergestelltes Molekül, das spezifisch konstruiert wurde um ein Ersatzgen für SMN1 zu aktivieren, das fast baugleiche SMN2. Es könnte theoretisch ebenfalls den Nerven-Schutzfaktor liefern, der die Motoneuronen am Leben hält. Allerdings enthält SMN2 einen „Webfehler“, der die Übersetzung der Erbinformation in das rettende Eiweiß um 75 bis 90 Prozent verringert.

Diesen Webfehler konnte Nusinersen offenbar beheben. Das von Wissenschaftlern der Firma Ionis hergestellte synthetische Molekül heftet sich an einer genau vorausberechneten Stelle an ein Zwischenprodukt (Boten-RNS), welches die in SMN2 enthaltenen Erbinformationen an die Eiweißfabriken der Zellen übermittelt. Nusinersen verhindert dadurch, dass aus der SMN2-Boten-RNS ein Abschnitt entfernt wird und die Erbinformation unbrauchbar wird. Die Menge korrekt übersetzter Boten-RNS stieg um das 2,6-fache auf einen Anteil von 50 bis 69 %. Durch Messungen der Eiweißkonzentration im Rückenmark konnten die Forscher schließlich noch zeigen, dass die in dieser Studie behandelten Kinder um durchschnittlich 63,7 % Prozent mehr SMN-Protein bildeten, als unbehandelte Kinder.

Die Nebenwirkungen des Verfahrens wurden von den Patienten gut toleriert, sodass die genetische Therapie von Prof. Klein als „in akzeptabler Weise sicher“ eingestuft wird. Eine weitere, noch nicht veröffentlichte Studie mit Nusinersen bei älteren Patienten mit SMA war ebenfalls erfolgreich, teilte die Hersteller-Firma Ionis mit. Und unmittelbar vor Weihnachten gab die US-Zulassungsbehörde FDA bekannt, dass Nusinersen unter dem Handelsnamen Spinraza für die Behandlung der SMA sowohl bei Säuglingen als auch bei Erwachsenen zugelassen wurde (Inzwischen liegt auch eine Zulassung der europäischen Arzenimittelbehörde EMA vor).

„Als das weckt begründete Hoffnung auf die so lange erwartete Wende in der translationalen Anwendung von Erkenntnissen aus der Molekulargenetik von der reinen Diagnostik hin zu klinisch-therapeutischen Anwendungen im Sinne einer personalisierten Medizin“, so Prof. Klein. Die Antisense-Technik könne auch auf andere Erkrankungen angepasst werden, erwartet die DGN-Vizepräsidentin.

Während bei SMA die Übersetzung eines „schwachen“ Gens gefördert wird, ließe sich stattdessen auch das Ablesen schädlicher Gene verhindern. Im Tierversuch ist dies beispielsweise bei Mäusen schon gelungen, die als Modell für die Huntington´sche Krankheit dienten. Aber auch in klinischen Studien wurde und wird die Antisense-Technik bereits erprobt, beispielsweise gegen die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Rheuma, Asthma, Morbus Crohn sowie eine Vielzahl von Krebserkrankungen.

(Vorlage für eine Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie vom 5. Januar 2017)

Quellen:

Impfstoff gegen Ebola

Schon im kommenden Jahr könnte ein hochwirksamer Impfstoff gegen das gefürchtete Ebola-Virus in den besonders gefährdeten Ländern Afrikas zur Verfügung stehen. Grund für diesen Optimismus ist der Ausgang mehrerer Studien mit fast 6000 Menschen, die vorwiegend in Guinea in direkten oder indirekten Kontakt mit Ebola-Infizierten Personen gekommen waren, und die den neuen Impfstoff „rVSV-ZEBOV“ bekommen hatten.

In der Fachzeitschrift The Lancet berichten Forscher um die WHO-Angestellte Dr. Ana Maria Henao-Restrepo über Einzelheiten: Demnach wurden die Teilnehmer der Studie nach dem Losverfahren entweder sofort geimpft, oder mit einer Verzögerung von drei Wochen. In der ersten Gruppe waren nach zehn Tagen keine Viren mehr festzustellen, in der zweiten Gruppe erkrankten dagegen 23 Menschen an der Seuche. Knapp drei Monate lang schauten die Forscher auch nach möglichen Nebenwirkungen von rVSV-ZEBOV. Dabei kam es zu einem Fall von extrem hohem Fieber und einer Überempfindlichkeitsreaktion, die beide glimpflich ausgingen. Ansonsten traten lediglich milde Nebenwirkungen auf Kopfweh, Müdigkeit und Muskelschmerzen.

„Beim nächsten Mal gewappnet“ – WHO-Direktorin Kieny (Foto: WHO)

Der Impfstoff, der auf einem gentechnisch veränderten Virus (VSV) basiert, war zuvor an Affen getestet worden, wo er Neuinfektionen zu 100 Prozent verhindern konnte. Bei bereits infizierten Tieren verhinderte rVSV-ZEBOV den Ausbruch der Krankheit immerhin in jedem zweiten Fall. rVSV-ZEBOV wirkt möglicherweise nicht gegen alle Stämme des Ebola-Virus gleich gut. Besonders effektiv verhindert der Impfstoff aber den Ausbruch der Zaire-Variante von Ebola, die mit einer Sterblichkeit von bis zu 90 Prozent zu den tödlichsten Infektionskrankheiten überhaupt zählt.

Die Globale Impfallianz GAVI hat fünf Millionen Dollar zugesagt, um einen Vorrat von 300.000 Dosen des Impfstoffes anzulegen. „Wenn die nächste Epidemie kommt, werden wir gewappnet sein“, sagt die Studienleiterin Dr. Marie-Paule Kieny, Stellvertretende Generaldirektorin für Gesundheitssystem und Innovation der WHO in Genf.

(eine ausführliche Fachversion dieser Nachricht ist erschienen am 4. Januar 2017 bei Medscape)

Quellen: