Habe mir gerade eine Reportage von Klaus Balzer in der ARD angesehen, zur der ich unbedingt meinen Senf geben möchte. Das Ganze hatte den Titel: Der gekaufte Patient? – Wie Pharmakonzerne Verbände benutzen und lief unter dem Etikett „Die Story“. Nun ja, Geschichten erzählen ist das Eine, Journalismus – investigativer zumal – ist eine andere Sache. Warum geht´s?

Die Firma Roche - hier der Hauptsitz in Basel - unterstützt wie viele andere Pharmaunternehmen Patientenorganisationen. (Foto Wladyslaw Sojka www.soyka.photo, Lizenz Freie Kunst 1.3)

Die Firma Roche – hier der Hauptsitz in Basel – unterstützt wie viele andere Pharmaunternehmen Patientenorganisationen. (Foto Wladyslaw Sojka, Lizenz Freie Kunst 1.3)

In Selbsthilfegruppen sollen Patienten Patienten beraten, sagt der Sprecher- „und zwar unabhängig“. Dies mache die Selbsthilfegruppen so attraktiv für die Pharmaindustrie. Vorgestellt wird zunächst die „Frauenselbsthilfe nach Krebs“, die etwa 40000 Patienten erreicht. Deren (damalige) Vorsitzende Hilde Schulze mache Lobbyarbeit für bessere Krebsmedikamente. Dafür bekomme sie von den Krankenkassen und aus anderen öffentlichen Töpfen wenig Geld. Das reiche aber nicht, um zum Beispiel Kongresse mit unabhängigen Experten zu finanzieren.

Einer Patientin wurde aus der Klinik heraus die Teilnahme an einer klinischen Studie mit dem neuen, aber auch sehr teuren Wirkstoff Letrozol (Handelsname Femara) nahegelegt und sie wurde von dort an mamazone – Frauen und Forschung gegen Brustkrebs, verwiesen. „Was nicht in der Broschüre steht: mamazone erhält auch Spenden von der Pharmaindustrie.“

Man filmt auf einem Kongress von mamazone, wo binnen drei Tagen „Diplompatientinnen“ ausgebildet werden. Die Vorsitzende Ursula Goldmann-Posch räumt ein, dass Diplompatientinnen teurer sind für das gesamt Gesundheitswesen, weil sie mehr einfordern. „Gewinner dieses Drucks ist die Pharmaindustrie.“

Die Unternehmen zahlen auf der Veranstaltung Standgebühren an mamazone. Goldmann-Posch spricht von der Kooperation mit dem Pharmakonzern Roche, „eine gute Möglichkeit, unsere Stimme in einen Konzern einzubringen.“ Dafür habe mamazone in 2014 von Roche 100000 Euro bekommen, sagt der Reporter – knapp die Hälfte aller Einnahmen. In der Bilanz seien aber nur 1600 Euro direkte Spenden von der Pharmaindustrie ausgewiesen.

Sowohl die Firma Roche als auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA), dessen Mitgieder insgesamt 5,6 Millionen Euro pro Jahr an Patientenorganisationen spenden, wollen dazu nicht vor laufender Kamera Stellung nehmen.

Spätestens ab hier verlässt die Reportage meines Erachtens den Boden einer soliden Berichterstattung zugunsten einer Vorabverurteilung. Kritisiert wird beispielsweise, dass die Patienten auf der VfA-Webseite „vor allem auf Arzneimittelstudien verwiesen werden, die ausschließlich von der Industrie finanziert werden“. Man „vergisst“ aber zu erwähnen, dass aus öffentlichen Mitteln fast keine derartige Studien bezahlt werden, und dass es den Krankenkassen nur in Ausnahmen erlaubt ist, solche Studien zu unternehmen.

Statt nun aber die Politik zu kritisieren, die mit ihren Weichenstellungen diese vermeintliche Schieflage erst geschaffen hat, geht es munter weiter mit dem Pharma-Bashing: 70000 Patienteninitiativen gibt es in Deutschland, hat Reporter Klaus Balzer herausgefunden und fragt: „machen diese sich abhängig?“. Das scheint mir ziemlich unwahrscheinlich, zumal eine einfache Rechnung ergibt, dass jede dieser Initiativen im Durchschnitt gerade einmal 80 Euro pro Jahr erhält (5,6 Millionen durch 70000).

Am Institut für Qualitätssicherung im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln spricht man mit Klaus Koch, den ich als früheren Kollegen schätze und der sich seit Jahren mit der Problematik beschäftigt. Ja, dies sei gängige Praxis und Teil des Marketings, bestätigt er. Zitiert wird eine Untersuchung des IQWiG, wonach neue Medikamente zu 60 % „keine neue Wirksamkeit gegenüber Alten hätten“. Wir lernen, dass die Pharmakonzerne sich schon sehr früh Gedanken machen, wie sie ihre Produkte vermarkten und zu welchen Gruppen sie dafür Kontakt aufnehmen müssen.

Dr. Jutta Scheiderbauer begründet für die Selbsthilfegruppe TIMS (Trierer Informationsstelle Multiple Sklerose), warum man keine Kooperationen mit der Pharmaindustrie betreibt: „man sollte sich nicht in Verdacht bringen.“ Eine direkte Bestechung sieht sie nicht, befürchtet aber einen Gewöhnungseffekt.

Befragt wird auch die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) die ihre Zusammenarbeit verteidigt und auf die hauseigenen Leitlinien verweist: Unterstützung wird angenommen, ein Mitspracherecht gibt es aber nicht. Der Anteil der Unterstützung am Gesamtbudget der Gesellschaft liegt demnach bei 1 – 1,8 Prozent für die Jahre 2012- 2014.

Auch ein Patient mit Myasthenie dient zur Illustration des Verdachts: Hans Rohn von der Deutschen Myasthenie Gesellschaft (DMG). Aus eigener Erfahrung spricht er über die Nebenwirkungen der vielen Medikamente, die er einnehmen muss. Jetzt lautet der Vorwurf, die Pharmaindustre entwickle zu wenige Medikamente gegen Krankheiten wie die Myasthenie, weil nur wenige Menschen daran leiden und damit kein Geld zu verdienen wäre. Auf den Veranstaltungen der DMG liegen auch Informationsmaterialen über neue bzw. (noch) nicht zugelassen Medikamente aus und solche, die über klinische Studien informieren.

Bin ich der Einzige, dem diese Aneinandereihung widersprüchlich erscheint? Jedenfalls hat die DMG ein Konzept erstellt, wonach ihre Patienten ohne Einfluss der Industrie in Zusammenarbeit mit ausgewählten Kliniken an Studien mitwirken sollen – und ich bin gespannt, zu welchem Ergebnis diese Initiative führen wird.

Am Schluss steht das Fazit: „Geld von der Industrie zu nehmen macht es schwer, unabhängig zu bleiben.“ Die Frauenselbsthilfe nach Krebs unter Hilde Schulte hat deshalb die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie aufgekündigt. Deren Dachverband, die Deutsche Krebshilfe, lehnt derartige Kooperationen ohnehin an.

Europaweit könnte der Trend jedoch in eine andere Richtung gehen. Die European Patients´ Academy on Therapeutic Innovation (EUPATI) mit Sitz in Bern wird nur etwa zur Hälfte aus Steuern finanziert, die andere Hälfte – nämlich 5 Millionen Euro kommen wiederum von der Industrie. Und das ist gut so, befindet David Hans-U. Haerry. Der ist nicht nur Mitglied eines Verbandes von AIDS-Betroffenen, sondern wird auch noch von EUPATI bezahlt, stellt der Sprecher fest.

Haerry erklärt, dass die Pharmaindustrie nunmal diejenigen seien, die einen Wirkstoff am schnellsten zum marktreifen Medikament entwickeln könnten. Auch dass diese Zusammenarbeit es den Patienten erleichtert, in klinische Studien aufgenommen zu werden, sei absolut richtig.

Ja aber… kommt es erneut aus dem Off: Auch neue, zugelassene Medikamente seien in zwei Drittel aller Fälle nicht besser, als schon vorhandene. Das ist bedauerlich, denke ich mir. Solange man aber nicht im Voraus weiß, welches Drittel der Arzneien nicht nur neu und teuer ist, sondern auch noch besser als der Standard, ist der Einwurf wenig hilfreich.

Fast schon im Abspann höre ich: „Forschung ist ja nicht grundsätzlich schlecht für den Patienten. Es geht auch nicht um eine pauschale Verurteilung.“ Eine Selbstverpflichtung, die Zahlungen offenzulegen sei aber nicht genug, moralisiert der Sprecher noch aus dem Off, und dann sind sie vorbei die 45 Minuten Reportage, von der ich mir neue Erkenntnisse erhofft hatte. Vergeblich.

Denn immer wieder schoß mir bei dieser Reportage die Frage durch den Kopf: „Ja und?“. Warum sollten Pharmafirmen denn nicht mit den Patienten reden? Wer hat denn die aktuellsten Informationen über die neusten Medikamente? Und welchen konkreten Beweis gibt es dafür, dass irgendjemand bestochen wurde oder durch den Informationsaustausch zu Schaden gekommen wäre?

Nein, liebe Kollegen, kritisieren alleine genügt mir nicht. Es fehlen mir Ideen, wie man das System besser machen kann und ich würde mir wünschen, dass ihr mit meinen Zwangsgebühren einen ganz alltäglichen Interessenkonflikt nicht ohne harte Beweise zu einem Skandal hochstilisiert. Das Ganze lief ja unter dem Etikett „Die Story im Ersten“ und das war leider ein ganz schön dünne Story. Eurer Forderung im letzten Satz des Films stimme ich dennoch zu: „Das Mindeste wäre es, dass jeder Patient in einer Initiative erfährt, wer sie mitfinanziert.“