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Weniger Nebenwirkungen der Strahlentherapie

In den Industrieländern können vier von zehn Krebskranken heute von Chirurgen und Strahlentherapeuten gerettet werden. Durch die Weiterentwicklung der Bestrahlungstechniken will man am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg diese Erfolgsquote weiter steigern. Denn noch immer sterben jährlich in Europa rund 265.000 Menschen, weil ein örtlich wachsender Tumor nicht auf Dauer in Schach gehalten werden kann.

Bei der erschreckend hohen Zahl der Betroffenen könnten selbst kleine Fortschritte in der Strahlentherapie Tausende von Menschenleben retten. Wolfgang Schlegel von der Abteilung Physik und medizinische Strahlenphysik des Krebsforschungs-Zentrums zog kürzlich eine Bilanz über die Bemühungen, die Strahlentherapie im Bereich von Kopf und Hals zu verbessern.

In Zusammenarbeit mit der Radiologischen Klinik der Universität Heidelberg sucht man nach neuen Wegen, möglichst viel Strahlung auf den Tumor zu richten, ohne dabei das umliegende gesunde Gewebe zu zerstören. Dem steht entgegen, daß die energiereichen Strahlen auf dem Weg zu den meist versteckt im Schädelinneren liegenden Geschwülsten erst die Schädeldecke passieren müssen, um anschließend zentimeterdicke Schichten gesunder Zellen zu durchqueren – oftmals an besonders strahlenempfindlichen Strukturen vorbei wie den Sehnerven oder dem Hirnstamm. Unregelmäßig geformte Tumoren erschweren die Therapie zusätzlich.

Mit großem technischem Aufwand war es der zwölfköpfigen Arbeitsgruppe in den letzten drei Jahren möglich, für 160 Patienten individuelle „dreidimensionale Behandlungspläne“ zu erstellen. Die mit Computer- und Magnetresonanz-Tomographie gewonnenen Daten über Lage, Form und Ausmaß des Tumors werden in räumliche Bilder umgesetzt. Darauf lassen sich auch Bereiche hervorheben, die durch Strahlung besonders gefährdet sind.

Im nächsten Schritt wird dann am Computer simuliert, aus welchen Richtungen bestrahlt werden muß, um ein möglichst günstiges Verhältnis von Wirkung und Nebenwirkung zu erhalten. Die Form der Strahlenbündel kann zudem durch eine verstellbare Blende genau dem Umriß des Tumors angepaßt werden. Der Therapieplan wird so lange neu berechnet, bis die optimale Einstellung gefunden wurde.

Um die Präzision auch während der eigentlichen Behandlung zu gewährleisten, hat man sich in Heidelberg einiges einfallen lassen. Die Patienten tragen dabei individuell angefertigte Gesichtsmasken aus Kunststoff, die mit einer stabilen Halterung fixiert werden. Laser helfen, den Patienten jeweils exakt zu lagern. Dadurch ist es möglich, im Verlauf von sechs Wochen dreißig Bestrahlungen mit einer Genauigkeit von einem Millimeter durchzuführen.

Durch gleichzeitige Rotation von Patient und Gerät gelingt es, eine extrem hohe Strahlendosis zu erzielen und dennoch das umliegende Gewebe zu schonen. Auch die Implantation radioaktiver Substanzen direkt ins Gehirn, die sogenannte interstitiale Bestrahlung, profitiert von diesem Prinzip. Hiermit wurden an insgesamt 350 Patienten gute Ergebnisse erzielt. Wie groß die Vorteile der Präzisionsstrahlentherapie gegenüber dem herkömmlichen Vorgehen sind, läßt sich derzeit nicht exakt ermitteln, weil es sich bei den meisten Heidelberger Patienten um schwierige Fälle handelte. Nach einer Überarbeitung der Computerverfahren und der mechanischen Komponenten durch eine medizintechnische Firma soll die Methode jedoch in Kürze allen interessierten strahlentherapeutischen Einrichtungen zur Verfügung stehen, sagte Schlegel.

Gleichzeitig fördert die Europäische Gemeinschaft die dreidimensionale Strahlentherapie. Im Rahmen des Covira-Programms werden knapp 20 Millionen Mark bereitgestellt, die auch der Entwicklung neuartiger, computergestützter Anatomieatlanten des Gehirns zugutekommen. Covira steht für „Computer Vision in Radiology“. Das Programm zielt darauf ab, den Ärzten schon vor Beginn der Behandlung eine möglichst genaue räumliche Vorstellung des Schädelinneren zu vermitteln.

Die größten Schwierigkeiten bei der Verbreitung der in Heidelberg entwickelten Methoden sieht Schlegel in der noch äußerst kleinen Anzahl von Spezialisten. Die Kostenfrage steht erst an zweiter Stelle. Gegenüber der herkömmlichen Radiotherapie sind die neuen Techniken zwar nur 10 Prozent teurer, doch sind für eine Bestrahlungseinheit schon jetzt etwa vier Millionen Mark aufzubringen.

Künftig soll die Präzisionsstrahlentherapie auch bei anderen, schwer zugänglichen Tumoren erprobt werden. In Frage kämen der Prostatakrebs oder Tumoren des Enddarms und der Lunge. Zudem hofft man, neben den bisher üblichen Photonenstrahlen bald auch Protonen und – in 10 bis 15 Jahren sogar schwere Ionen nutzen zu können.

Diese Teilchenstrahlen streuen im Gewebe weniger als Photonen. Mit den geladenen Teilchen ließen sich vor allem diejenigen Tumoren besser bekämpfen, die sich in unmittelbarer Nähe empfindlicher Organe befinden.

Während Schlegel sich vom Aufbau einer derartigen „Strahlenpyramide“ erhofft, mehr Menschenleben retten zu können, gab sich sein englischer Kollege Richard Peto in Heidelberg eher skeptisch. Peto, der durch die Entwicklung neuer mathematischer Methoden zur Analyse medizinischer Studien von sich reden machte, glaubt, daß wesentlich mehr Patienten von einer Entrümpelung der deutschen Datenschutzgesetze profitieren würden als von der Weiterentwicklung der Strahlentherapie.

„Ein ausufernder Datenschutz kann lebensrettende Forschung verhindern“, meinte der streitbare Epidemiologe. Auch das Erkennen von schädlichen Umwelteinflüssen werde dadurch verzögert. Innerhalb Europas seien die Schwierigkeiten in Deutschland am größten. So könnte selbst ein Reaktorunfall, den man verheimlicht, wegen der Gesetzeslage im Zweifelsfall nicht nachgewiesen werden. Falsch verstandene ethische Richtlinien dürften daher unnötige Todesfälle zur Folge haben.

(erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 30. Dezember 1992)

Krebspatienten zur Alternativmedizin befragt

Mindestens die Hälfte aller Krebspatienten erproben im Verlauf ihrer Behandlung Methoden der Alternativmedizin. Wie Dr. Reinholf Schwarz, Leiter der Psychosozialen Nachsorge-Einrichtung der Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg auf einer Tagung des Bonner Tumorzentrums bemerkte, hat das jedoch wenig mit einem gestörten Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu tun.

Schwarz präsentierte das Ergebnis einer Befragung an insgesamt 78 Krebspatienten, von denen 44 unter Mammakarzinomen, 22 unter Morbus Hodgkin und zwölf unter Kolonkarzinomen oder Lebermetastasen litten. In den drei Gruppen hatten sich 50, 80 beziehungsweise 100 Prozent der Befragten wenigstens einmal der Alternativmedizin zugewandt. Schwarz faßt unter diesem Begriff alle Methoden zusammen, die das Ziel haben, „zu heilen oder zu bessern, ohne daß ein nach naturwissenschaftlichen Kriterien gültiger Wirksamkeitsnachweis vorliegt“.

Ein überraschendes Resultat der Umfrage: Zwischen der Compliance und dem Gebrauch alternativer Methoden bestand eine positive Korrelation. „Das heißt, die Patienten verstehen die Alternativmedizin gar nicht als Konkurrenz“ Als Motiv für die Erprobung paramedizinischer Methoden nannten die Patienten an erster Stelle die Stärkung der körpereigenen Abwehr und eine Unterstützung der Chemotherapie sowie eine Reduktion der Nebenwirkungen der Chemotherapie.

„Sich der Natur zuwenden“; „nichts versäumen wollen“ und „nicht alles der Klinik überlassen“ waren weitere Beweggründe. In der Regel erwarten die Patienten keine Heilung durch die Paramedizin, sondern eine Unterstützung der medizinischen Behandlung. Die häufige Duldung der alternativen Methoden durch die behandelnden Ärzte erklärt Schwarz als eine Manifestation der Hilflosigkeit bei ausbleibendem Behandlungserfolg.

(erschienen in der Ärzte-Zeitung am 18. Dezember 1992)

EPIC-Projekt fragt nach Krebs und Ernährung

Die Vorbereitungen für das europäische EPIC-Programm, mit dem der Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebsentstehung genauer untersucht werden soll, sind abgeschlossen. Das vor vier Jahren gestartete Projekt „European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition“ tritt damit in die zweite Phase.

In sieben Ländern Europas sollen jetzt insgesamt 400.000 Menschen in das Programm einbezogen werden. Sie werden nach den Ernährungsgewohnheiten gefragt, aber auch nach Zigarettenkonsum, sportlicher Betätigung, früheren Krankheiten, Beruf, Alter, Größe und Gewicht. Bei Frauen wird die Zahl der Kinder und der Gebrauch von Verhütungsmitteln erfaßt. Allein in Deutschland werden je 30000 Männer und Frauen im Alter zwischen 35 und 65 Jahren für das Programm rekrutiert. Die Finanzierung erfolgt durch die EG. Sie stellt jährlich vier Millionen Mark zur Verfügung, weitere sechs Millionen Mark werden von nationalen Institutionen aufgebracht.

In der Bundesrepublik beruht jeder dritte Krebstodesfall auf Tumoren der Verdauungsorgane. Daß die Ernährung dabei eine entscheidende Rolle spielt, liegt auf der Hand. Innerhalb von EPIC wird das Schicksal der 400.000 Teilnehmer in den nächsten 15 Jahren anhand der Statistiken nationaler Krebsregister verfolgt. In Deutschland und Frankreich werden die beteiligten Forscher auf die Angaben von Versicherungen zurückgreifen müssen. Diese Notmaßnahme ist erforderlich, weil in diesen Ländern eine Vielzahl von Gesetzen die Datenerfassung verhindert. Das sagte der Italiener Elio Riboli auf einer Veranstaltung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg.

Die Auswertung der Daten soll beispielsweise Aufschluß darüber geben, warum Darmkrebs in Deutschland viermal so häufig auftritt wie in Griechenland. Während bei diesem Leiden innerhalb Europas ein deutliches Nord-Süd-Gefälle zu beobachten ist, sind die Verhältnisse beim Magenkrebs gerade umgekehrt. Zwar gibt es viele Studien, die den hohen Konsum von Salz, Kohlehydraten und Alkohol für diese Tumoren verantwortlich machen. Umgekehrt senken Ballaststoffe, Gemüse, Obst oder Vitamin C das Risiko.

Inwieweit aber Fleisch, Fett oder ein hoher Kaloriengehalt der Nahrung die Krebsentstehung begünstigt, ist unter Experten umstritten. Auch beim Brustkrebs könnte falsche Ernährung eine Rolle spielen. Andererseits steht auch der nach den Wechseljahren drastisch geänderte Hormonhaushalt im Verdacht, die Krebsentstehung zu begünstigen.

Im Rahmen von EPIC werden aber nicht nur Fragebogen ausgefüllt. Die Studie läßt grundsätzlich auch Untersuchungen des Erbguts, der Blutfettwerte oder anderer Stoffwechseldaten zu. Aus Blutproben werden Plasma und Serum, rote und weiße Blutzellen isoliert und bei minus 180 Grad in flüssigem Stickstoff konserviert.

Mit Hilfe molekularbiologischer Untersuchungsmethoden kann dann eventuell nach Jahrzehnten noch festgestellt werden, ob defekte Erbanlagen, Mikroorganismen, Umweltgifte oder andere Faktoren bei der Entstehung bestimmter Krebserkrankungen eine Rolle spielen. Von jeder Probe verbleibt eine Hälfte am Untersuchungsort, die andere Hälfte wird bei der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) in Lyon aufbewahrt, die für die Koordination des Epic-Programms zuständig ist.

(erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 16. Dezember 1992, nachgedruckt in der „Kulturchronik“ 2/1993. Ein weiterer Bericht erschien der Pharmazeutischen Zeitung am 18. Februar 1993)

Beschleunigter Abschied von den Ozonkillern

Vertreter von 91 Nationen haben in der vergangenen Woche den Ausstieg aus der Anwendung und Produktion der ozonzerstörenden Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) beschlossen – und zwar bereits zum Ende des Jahres 1995 und damit fünf Jahre früher als bisher vorgesehen.

Was sich zunächst wie ein großer Erfolg anhört, ist beim näheren Hinsehen eine Vereinbarung mit zahlreichen Lücken. Ursprünglich hatte Bundesumweltminister Klaus Töpfer bis 1995 ein weltweites Verbot der FCKW angestrebt – in Kopenhagen wurde den Entwicklungsländern jedoch eine Übergangsfrist bis zum Jahr 2010 eingeräumt. Ursprünglich sollten in den strikten Ausstiegsplan auch die weniger gefährlichen, sogenannten teilhalogenierten FCKW (H-FCKW) einbezogen werden, stattdessen sind H-FCKW noch bis zum Jahr 2030 erlaubt; bis 2004 muß der Einsatz von H-FCKW um ein Drittel gesenkt werden. Nicht zuletzt fiel auch das Schädlingsbekämpfungsmittel Methylbromid durch das Ausstiegsraster. Die ebenfalls ozonzerstörende Substanz erhielt in Kopenhagen kein Zeitlimit verpaßt. Die Produktionsmengen – derzeit jährlich rund 20 000 t – sollen vielmehr ab 1995 auf das Niveau von 1991 eingefroren werden.

Entsprechend enttäuschend fielen die Kommentare aus. „Unzureichend und unbefriedigend“ beurteilte Bundesumweltminister Töpfer nach seiner Rückkehr die Ergebnisse von Kopenhagen. „Die H-FCKW sind kein wirklicher Ersatz, ihr Verbot muß beschleunigt werden“, bemängelte er, vor allem weil H-FCKW als Treibhausgase zur Erwärmung der Erdatmosphäre beitragen. Vertreter der Umweltschutzorganisation Greenpeace sprachen von einem „eleganten Scheitern“ der Konferenz, als „halbherzig und unverantwortlich“ kritisierte die SPD in einer Stellungnahme die Kopenhagener Beschlüsse.

Wie schnell ein Ende der FCKW-Produktion realisierbar ist, hängt nicht zuletzt von den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln ab. Bis zum Jahr 2010 müssen die Industrienationen voraussichtlich mehrere Milliarden Dollar bereitstellen, um den Übergang zu ozonfreundlichen Technologien zu fördern. Aus einem „Interim Multilateralen Fonds“, der im Juni 1990 in London eröffnet worden war, wurden den Entwicklungsländern für die Jahre 1991 bis 1993 insgesamt 240 Mio. Dollar zugesagt. Weitere 350 bis 500 Mio. Dollar sollen 1994 bis 1996 folgen. Harte Kritik übte allerdings der Generalsekretär der UNO-Umweltorganisation UNEP, Mostafa Tolba, an der schlechten Zahlungsmoral: Eine ganze Reihe von Industriestaaten seien ihren Verpflichtungen für 1991 noch immer nicht nachgekommen.

Der Weltverbrauch von FCKW, der 1987 noch über 1 Mio. t lag, hat seit der Verabschiedung des Montrealer Protokolls zum Schutz der Ozonschicht um 40 % abgenommen. In Deutschland, forciert durch die FCKW-Halon-Verbotsverordnung, nach Angaben des Bundesumweltministeriums gar um 60 %. Noch im Laufe des kommenden Jahres will die Industrie in Deutschland „nahezu vollständig“ aus Verbrauch und Produktion von FCKW aussteigen, heißt es in einer Vereinbarung zwischen einheimischen Herstellern, Anwendern und dem Bundesumweltminister.

Mit den Beschlüssen von Kopenhagen ist das FCKW-Problem aber noch lange nicht aus der Welt. „Das Maximum der Ozonschichtzerstörung wird erst um das Jahr 2005 erreicht werden“, prognostiziert Prof. Paul Crutzen vom Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. Mittlerweile schwindet nicht nur über der Antarktis, sondern auch über Europa und Nordamerika der vor gesundheitsschädlichen UV-Strahlen schützende Ozonschild. Für die Winter- und Frühlingsmonate wurde laut Crutzen in den 80er Jahren ein Rückgang von etwa 8% registriert. „Wenn dieser Trend sich fortsetzt, müssen wir mit einer weiteren Abnahme um 10 % bis 15 % rechnen.“

Auch der Atmosphärenchemiker ist mit den Ergebnissen aus Kopenhagen nicht so recht zufrieden. „Ich ärgere mich, daß alles so lange dauert.“ Dafür sind nach Ansicht Crutzens nicht nur die Politiker verantwortlich. „Auch die Industrie hätte schneller reagieren können“, kritisiert er, „und beispielsweise die Forschung in nennenswertem Umfang unterstützen müssen.“

(mein erster Artikel für die VDI-Nachrichten, erschienen am 4. Dezember 1992)

Polymerase-Kettenreaktion: Eine Idee für 300 Millionen

Selten hat eine Technik der Wissenschaft so schnell auf die Sprünge geholfen wie im Falle der Polymerasekettenreaktion . Die zündende Idee, welche es ermöglichte, Erbinformationen gezielt und praktisch nach Belieben zu vermehren, kam dem Amerikaner Dr. Kary Mullis auf der Fahrt ins Wochenende an einem lauen Maienabend im Jahr 1983. Nun erhielt er dafür den Robert-Koch-Preis.

Schon 1985 hatte Mullis seine Idee in die Praxis umgesetzt. Im letzten Jahr zahlte Hoffmann-La Roche dann die Rekordsumme von 300 Millionen Dollar für „alle Rechte und Patente, für alle bekannten und noch unbekannten Anwendungen“ der Polymerasekettenreaktion (PCR) an Mullis‘ ehemaligen Arbeitgeber, die kalifornische Cetus Corporation.

Die Investition wird sich rentieren, denn der PCR erschließen sich ständig neue Märkte. Von der Archäologie über die Diagnose von Erbschäden und Krankheitserregern bis zur Überwachung im Umweltschutz reichen die Anwendungen.

Auch anläßlich der Verleihung des diesjährigen Robert-Koch-Preises am 2. November in Bonn machte Mullis klar, daß das Potential der PCR noch lange nicht ausgereizt ist. Weil sich mit Hilfe der Technik, die dem zelleigenen Kopiermechanismus für DNA ähnelt, einzelne Abschnitte des Erbguts nach Belieben vermehren lassen, können Krankheitserreger auch dort nachgewiesen werden, wo serologische Methoden versagen.

Bei der Untersuchung HIV-positiver Säuglinge von HIV-positiven Müttern etwa reicht ein Antikörper-Test allein nicht aus, um zu überprüfen, ob das Kind infiziert ist oder nicht. Die PCR dagegen kann das Virus direkt nachweisen und liefert eine frühzeitige Antwort. Die Nachweisgrenze liegt etwa bei einer infizierten Zelle unter 100 000.

Der HIV-Nachweis durch die Polymerasekettenreaktion ist aber kein Einzelfall. So gelang es, bakterielle Krankheitserreger wie Bordetella pertussis, Legionella pneumophila, Heliobacter pylori, Mycobakterien und Chlamydien in asymptomatischen Trägern aufzuspüren. Auch Viren wie Hepatitis B und C, Papilloma- und Herpesviren, einzellige Erreger wie Toxoplasma gondii, Pneumocystis carinii und Entamoeba histolytica oder Pilzinfektionen durch Candida albicans und Cryptococcus neoformans wurden schon mit Hilfe der PCR entdeckt.

In naher Zukunft werden standardisierte Kits erwartet, welche die Nachweiszeiten gegenüber den gebräuchlichen Zellkulturmethoden um ein Vielfaches verkürzen sollen. In der forensischen Medizin steht der PCR ebenfalls eine große Zukunft bevor: Am Tatort verbliebene Haare, Blutspuren oder Spermien dienen in den USA immer häufiger als Beweismittel in Gerichtsverfahren. Bestimmte Teilabschnitte der DNA, die über Jahre hinweg intakt bleiben kann, werden dafür vervielfältigt und mit der DNA der Verdächtigen verglichen.

In Großbritannien wird das Verfahren inzwischen regelmäßig bei Vaterschaftsklagen und Einwanderungsverfahren eingesetzt, denn verwandtschaftliche Beziehungen können ebenfalls nachgewiesen werden. Auch nach Flugzeugabstürzen könnte sich die PCR als die Methode der Wahl zur Identifikation der Leichname erweisen. Viele Opfer von Mördern, Kriegsverbrechern und totalitären Machthabern müßten nicht länger unerkannt bleiben.

„Die beispiellose Sensitivität der PCR hat allerdings auch ihre Schattenseiten“, beklagte Mullis, der als Sachverständiger mehrfach Gerichtsprozessen beiwohnte.

Zum einen muß sichergestellt sein, daß die Analyse in einem fachlich kompetenten Labor vorgenommen wird, weil sonst möglicherweise das Erbmaterial des Laboranten und nicht das des Täters zum Vergleich herangezogen wird. Außerdem sei es generell problematisch, eine Methode als Beweismittel zuzulassen, deren Grundlagen weder Angeklagter noch Kläger, weder Richter noch Jury verstünden.

In der Archäologie und der Paläontologie bietet die PCR die faszinierende Möglichkeit, uraltes Erbmaterial zu untersuchen, das sich zum Beispiel aus Mumien oder tiefgefrorenen Mammutresten, aus fossilen Knochen oder Überbleibseln ausgestorbener Tierarten gewinnen läßt, die in Museen aufbewahrt werden. Kürzlich wurden sogar erste Meldungen bekannt, wonach es gelungen ist, DNA aus vierzig Millionen Jahre alten Insekten zu untersuchen, die in Bernstein eingeschlossen waren.

In naher Zukunft könnte DNA als weltweiter Herkunftsnachweis für Produkte aller Art zum Einsatz kommen. Man will sich dabei die Tatsache zunutze machen, daß jegliche Information – ähnlich wie beim Morse-Code – durch die Reihenfolge der vier verschiedenen DNA-Bausteine darstellbar wäre. An einem standardisierten Codierungssystem wird bereits gearbeitet.

Ein bestimmter, synthetisch hergestellter DNA-Abschnitt könnte dann mit PCR vervielfältigt und – in extremer Verdünnung – zum Beispiel in das Öl von Supertankern gegeben werden. Die Verursacher von Verschmutzungen ließen sich endlich zweifelsfrei nachweisen, denn auf der DNA wäre – nach Vervielfältigung mit der Polymerasekettenreaktion – für jedermann nachzulesen, aus welchem Tanker das Öl stammt.

(erschienen in der Pharmazeutischen Zeitung am 26. November 1992)

Was wurde daraus? Im Jahr darauf erhielt Mullis den Nobelpreis für Chemie, und bis auf den Herkunftsnachweis per DNA-Markierung ist die PCR bei allen genannten Anwendungen im Einsatz. Auch die Wikipedia bescheinigt ihr, eine der wichtigsten Methoden der Molekularbiologie zu sein. Mullis, der für seine 300-Million-Idee von seinem Arbeitgeber lediglich $ 10.000 bekommen hatte, starb 2019 mit 74 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Zuvor hatte er seinen Ruf als Exzentriker noch unterstrichen, indem er den Zusammenhang zwischen dem Immunschwächevirus HIV und der Entstehung von AIDS bestritt, den Konsens zum Klimawandel ablehnte und über angebliche Begegnungen mit Außerirdischen berichtete…

Biologischer Sekundenkleber

Noch keine 20 Jahre ist es her, daß ein körpereigener „Klebstoff“ an der Universitätsklinik Wien den ersten Patienten vor dem Tod rettete: Bei einer Herzoperation traten massive Blutungen aus einer Gefäßprothese auf. Die Blutgerinnung war gestört, die Arzte scheinbar hilflos. Dann erinnerte man sich, daß im gleichen Krankenhaus mit „Fibrinkleber“ experimentiert wurde. In einem verzweifelten letzten Versuch gelang es, die Prothese abzudichten. Der Patient konnte gerettet werden.

Heute ist Fibrinkleber aus der Medizin nicht mehr wegzudenken – von der Schönheitsoperation über die Behandlung innerer Blutungen bis zur Versorgung großflächiger Verbrennungen. Auf einem Kongreß in Wien überboten sich kürzlich rund 600 Teilnehmer mit immer neuen Vorschlägen zur Verwendung des biologischen Allzweckkleisters.

Daß der menschliche Körper kleinere Blutungen selbständig stillen kann, daß Wunden verschlossen werden und mitunter sogar Knochenbrüche kaum Spuren hinterlassen, verdanken wir der Bildung des Eiweißes Fibrin in der letzten Phase der Blutgerinnung. Mehrere Proteine müssen am Ort des Geschehens sein, um aus dem im Blut gelösten Vorläufermolekül Fibrinogen ein engmaschiges Netz von mikroskopisch kleinen Fibrinfasern entstehen zu lassen. In dieses Netz lagern sich Blutplättchen ein. Das Gerinnsel verklebt die Wundfläche und wird schließlich durch nachwachsendes Gewebe ersetzt.

Der natürliche Vorgang wird bei der Fibrinklebung nachvollzogen. Wie beim Zwei-Komponenten-Kleber werden die Reaktionspartner in getrennten Behältern angeliefert: die Proteine Fibrinogen, Aprotinin und Gerinnungsfaktor XIII in der einen Spritze, Thrombin und Kalziumionen in der anderen.

In Sekundenschnelle reagieren diese Substanzen miteinander und bringen die Blutung zum Stillstand. Gerade Unfallopfer mit schweren inneren Verletzungen profitieren von der schnellen Wirkung des Präparates. Bei Rissen an Milz und Leber oder Schäden an der Bauchspeicheldrüse ist die Klebung oft die einzige Möglichkeit, um das empfindliche Gewebe zu erhalten. Denn nur erfahrene Chirurgen sind in der Lage, die Blutungen mit Nadel und Faden zum Stillstand zu bringen.

Bei Milzverletzungen mußte in der Vergangenheit häufig das Organ entfernt werden, weil der Blutfluß nicht gestoppt werden konnte. Da die Milz eine wichtige Rolle für die Immunabwehr spielt, starben vor allem Kinder und Jugendliche nicht selten an bakteriellen Infektionen. Für Professor Hans-Werner Waclawiczek, Salzburg, ist der Einsatz des Bioklebers „die effizienteste und einfachste Methode der Milzerhaltung“.

Ein weiterer Vorteil der Fibrinklebung: Mit der vielseitigen Technik kommt der Arzt leichter an schwer zugängliche Stellen. Neben „Reparaturen“ an Milz und Bauchspeicheldrüse werden in letzter Zeit immer häufiger Blutungen im Magen-Darm-Bereich erfolgreich behandelt, wie Dr. Richard Salm, Freiburg, berichtete. „Weniger Patienten mußten operiert, die Sterberate konnte gesenkt werden.“

Wichtiges Hilfsmittel sind dabei endoskopische Instrumente. Sie erlauben es, durch dünne Kanülen zu operieren, ohne Brustkorb oder Bauchdecke zu öffnen. Nach einem kleinen Einschnitt in die Haut können etwa winzige Skalpelle, Scheren, Zangen oder Pinzetten in den Körper eingeführt werden – oder eben die zwei Komponenten des Fibrinklebers. Eine ausgefeilte Optik erlaubt es den Spezialisten, ihre Kunstgriffe auf dem Bildschirm zu überwachen.

Für den Patienten ist die sanfte Technik von doppeltem Nutzen: Er hat weniger Schmerzen und ist schneller wieder auf den Beinen als nach einem großen Eingriff. Die hohen Kosten für das Präparat, das aus Blutkonserven gewonnen wird, dürften durch kürzere Krankenhausaufenthalte und seltenere Komplikationen aufgewogen werden.

Quelle: Symposium Update and Future Trends in Fibrin Sealing in Surgical and Non-surgical Fields, Wien, November 1992. Besucht auf Einladung der Firma Immuno.

(erschienen in „DIE WELT“ am 25. November 1992. Von diesem Symposium sind zwei weitere Berichte erschienen: einer in der Ärzte-Zeitung, und einer in der Pharmazeutischen Zeitung)

Ein Gesetz gegen die Gentechnik

Zwei Jahre hatte ich als Redakteur in der Wissenschaftsredaktion der WELT gearbeitet; nun war es Zeit aufzubrechen und neue Ufer zu erkunden. Meinem ehemaligen Chefredakteur Manfred Schell habe ich die Eintrittskarte zum Fernsehen zu verdanken, sowie Bodo Hauser, der mir als absolutem Neuling vertraute und ein Top-Team zur Seite stellte. Gestaunt habe ich vor allem über den gewaltigen Aufwand und die vielen Spezialisten, die für solch einen Beitrag nötig waren. Da ich nur noch eine Videokassette behalten hatte und das Umwandeln mir zu aufwändig schien, habe ich es vom TV abgefilmt und bitte, den etwas unprofessionellen Clip zu entschuldigen…

 

Der Computer in der Westentasche

Nachdem ich mich als Redakteur bei der „WELT“ verabschiedet hatte, taten sich mir als Freier Journalist zahlreiche neue Möglichkeiten auf. So kann ich auch mal auf die Computermesse Orgatech und durfte meinen Spieltrieb an diversen Testgeräten ausleben.

Vorbei sind die Zeiten, in denen zukunftsorientierte Manager ihre Weltanschauung nur mit einer gewaltigen Kraftanstrengung zur Schau stellen konnten. „Tragbare“ Computer von der Größe eines Reisekoffers, noch vor wenigen Jahren Blickfang in VIP-Lounges und Konferenzzimmern, sind heute nur noch Grund zur Heiterkeit, kuriose Museumsstücke im besten Fall.

Was trägt der Mann von Welt stattdessen? Personal Organizer, Palmtop Computer und Subnotebooks sind gefragt – Elektronenhirne im Taschenbuchformat, deren Rechenkraft die klobigen Vorläufer im Vergleich wie Dinosaurier erscheinen läßt: zu schwer, zu groß, zu langsam.

In immer schnellerer Folge erscheinen jetzt auch auf dem europäischen Markt erschwingliche Kleinstcomputer. Verpackt auf engstem Raum und im gefälligen Design, übertreffen die Winzlinge häufig die Anforderungen der Käufer an mobile Rechenkraft. Die als „persönliche Datenbanken“ oder „elektronische Organisatoren“ angepriesenen Geräte der Firmen Atari, Casio oder Sharp etwa bieten ab circa 300 Mark eine Schreibmaschinentastatur und einen „Bildschirm“ von der Größe einer Visitenkarte – bei einem Gewicht von 200 Gramm.

Daumendick und im Format eines Briefumschlages übertreffen die Computerzwerge jeden noch so raffinierten Terminkalender. Neben Taschenrechner und Weltzeituhr (mit Wecker, versteht sich) finden sich Adreßdatenbank, Telefonverzeichnis, Terminplaner und Notizbuchfunktion als Mindestausstattung. Ab etwa 400 Mark bieten die Modelle die Möglichkeit, Speicherkarten hinzuzukaufen. Sie erweitern nochmals die Möglichkeiten der Westentaschensekretäre und bieten zum Beispiel professionelle Tabellenkalkulation, mehrsprachige Wörterbücher, perfektes Zeitmanagement, Datenaustausch mit dem heimischen Computer oder die Bibel im Volltext mit Suchfunktion.

Textverarbeitung mit Komfort zeichnet den Psion Serie 3 aus, der zum Preis von 895 Mark erhältlich ist. In Form und Größe einem Brillenetui nicht unähnlich, wiegt das Gerät ganze 220 Gramm. Zwei handelsübliche Nickel-Cadmium-Batterien liefern genug Strom für mehrere Wochen, beim Austausch sorgt eine Sicherungsbatterie dafür, daß gespeicherte Daten nicht verlorengehen.

Der Datenspeicher selbst ist mit 256 Kilobytes vergleichsweise großzügig ausgelegt; er bietet Platz für etwa 120 getippte DIN-A4-Seiten und kann gegen Aufpreis fast verzehnfacht werden. Anschauliche Symbole und eine Menüsteuerung, wie sie sonst nur „richtige“ Computer bieten, erleichtern den Umgang mit dem vielseitigen Zwerg, der neben Datenbank und Terminkalender eine ausgeklügelte Weltzeituhr und sogar eine Programmiersprache bietet.

Der Clou aber ist die Textverarbeitung, bei der zahlreiche Funktionen dem Programm Word des Marktführers Microsoft nachempfunden sind. Nur die schwergängige Tastatur trübt das Schreibvergnügen, dafür ist aber der Austausch von Dokumenten mit den geläufigsten Textverarbeitungsprogrammen möglich. Das hierfür nötige Spezialkabel kostet stolze 245 Mark, dank der mitgelieferten Software kann der Psion Serie 3 jedoch auch an ein Modem angeschlossen werden und erlangt  damit die Fähigkeit, seine Dateien über das Telefonnetz um die gesamte Welt zu schicken.

Eine Nummer größer – und somit auch für Menschen mit weniger grazilen Fingern geeignet – ist der Olivetti Quaderno, ein vollwertiger Computer im DIN-A5-Format mit italienischem Design und japanischer Technik. Bei nur einem Kilo Gewicht bietet der Quaderno 20 Megabytes Speicherkapazität (das Achtzigfache des Psion). Der Preis beträgt 2099 Mark.

Dafür kommt der Quaderno aber auch als erster Computer seiner Klasse einen vollen Arbeitstag lang ohne Netzstrom und schwergewichtige Reserveakkus aus. Sechs Nickel-Cadmium-Zellen genügen für die Reise. Anders als herkömmliche Laptops ist der Italiener sofort einsatzbereit, weil Funktionen wie Textverarbeitung, Taschenrechner, Tagebuch, Telefonverzeichnis und Datentransfer im Preis bereits enthalten sind.

Mit einer Sprachaufnahmefunktion gibt Olivetti der Konkurrenz schließlich vollends das Nachsehen: Durch ein eingebautes Mikrofon können Zitate, Adressen oder komplexe Sachverhalte blitzschnell gespeichert und anschließend mit Textdateien verbunden werden. Lediglich die verblüfften Gesichter der neidischen Geschäftspartner kann der Quaderno noch nicht dokumentieren.

(erschienen im WELT-Report zur Messe Orgatec am 22. Oktober 1992)

Wertvollen Daten drohen viele Gefahren

Computerviren und Softwareklau, Leichtsinn und Sabotage, Bedienungsfehler und Stromausfall – den wertvollen Daten der Firma drohen ungezählte Gefahren. Niemand kann die Verluste beziffern, die der deutschen Volkswirtschaft entstehen, weil mühsam zusammengetragene Informationen von einer Minute zur anderen vernichtet werden. Der Gießener Wirtschaftsingenieur Bernd Schrum erwartet für das laufende Jahr Schäden von mindestens rund 230 Millionen Mark alleine durch auftretende Computerviren

Ein Sprecher des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden munkelt von einer „hohen Dunkelziffer“, Ministerien und Bundesämter wollen sich auf Ratespiele gar nicht erst einlassen. Sicher ist, daß der Wert von Informationen jedweder Art drastisch unterstützt wird, wenn diese erst einmal in elektronischer Form gespeichert sind.

Die Arbeitskosten, um ein Megabyte an Daten in den Computer einzugeben, veranschlagt eine Studie des Innenministeriums mit 3500 Mark. Moderne Bürorechner dürften im Schnitt die zehnfache Datenmenge gespeichert haben, es lohnt sich also durchaus, über geeignete Schutzmaßnahmen nachzudenken.

Allzu oft wird dann aber mit Kanonen auf Spatzen geschossen, statt den gesunden Menschenverstand zu gebrauchen. Die meisten Computer beispielsweise sind abschließbar, die wenigsten Anwender aber machen von beiliegenden Schlüsseln Gebrauch. Austauschbare Festplatten können nach getaner Arbeit wie moderne Autoradios mit einem Griff entfernt und anschließend sicher verwahrt werden. Für ein paar hundert Mark kann dann jeder Mitarbeiter seinen privaten Datenspeicher mit nach Hause nehmen.

Schutz vor allzu neugierigen Mitarbeitern, die beispielsweise die Mittagspause der Sekretärin nutzen wollen, um sich über die Gehälter der Kollegen zu informieren, bieten auch Paßwörter. Ohne deren Kenntnis kann die entsprechende Datei nicht aufgerufen werden, bestenfalls bekommt der Spion einen wirren Buchstabensalat auf der Mattscheibe zu sehen, mit dem er nichts anfangen kann.

Immer wieder aber werden so leicht zu erratende Paßwörter wie der Name der Freundin oder das Kennzeichen des eigenen Autos gewählt. Auch ein Ausdruck wie „QW3H(=XV“ ist nicht sicher, wenn der Anwender eine gleichlautende Notiz unter die Tastatur des Computers klebt.

Nicht immer sind Computerviren oder finstere Gestalten am Werk, wenn Daten verlorengehen. Gerade Anfänger löschen Dateien nicht selten versehentlich oder überschreiben ganze Festplatten und müssen anschließend die verlorenen Texte und Zahlen in schweißtreibender Arbeit neu eingeben. Dies, obwohl jedes Handbuch geradezu verzweifelte Bitten enthält, der Anwender möge in regelmäßigen Abständen Sicherheitskopien seiner Daten anfertigen.

Traurig, aber wahr: Auch Computer altem. In den (kleingedruckten) technischen Daten findet sich ein sogenannter MTBF-Wert. Er gibt an, wie viele Stunden es im Durchschnitt dauert, bis etwa ein Datenspeicher zum ersten Mal seinen Dienst versagt. Die vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren sind so zahlreich, daß deren Abwehr mittlerweile zum profitablen Geschäft geworden ist.

Einschlägige Programme zur Virusabwehr oder für die blitzschnelle Datensicherung überschwemmen den Markt. Consultingfirmen schießen wie Pilze aus dem Boden, und ein kürzlich ins Leben gerufenes „Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik“ ernährt immerhin fast 300 Angestellte. Dort empfiehlt Christoph Schlinkert das „IT-Sicherheitshandbuch“, ein wenig prosaisches Werk, das zum Preis von 45 Mark über die Bundesdruckerei in Bonn zu beziehen ist.

(erschienen im WELT-Report zur Orgatec am 22. Oktober 1992)

Schutz vor Hepatitis A

Ein Impfstoff gegen das Hepatitis-A-Virus wird in Kürze auch in der Bundesrepublik erhältlich sein. Nach Angaben der Herstellerfirma wird damit erstmals ein langanhaltender Schutz vor dieser infektiösen Variante der Leberentzündung möglich. Von besonderem Interesse dürfte der neue Impfstoff für die drei Millionen Tropenreisenden sein, die Deutschland alljährlich mit Reiseziel Afrika oder Asien verlassen.

Denn obwohl das Hepatitis-A-Virus (HAV) weltweit verbreitet ist, besteht doch ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Während hierzulande nur etwa jeder zwanzigste Jugendliche Kontakt mit dem Virus hatte, haben in den Tropen und Subtropen 90 Prozent aller Zehnjährigen bereits eine Infektion durchgemacht.

Die Bedeutung dieser Zahlen erläuterte Dr. Thomas Weinke vom Institut für Mikrobiologie der FU Berlin anläßlich eines Symposiums der Firma SmithKline Beecham im französischen Roquebrune. Obwohl die Anzahl der Hepatitis-A-Infektionen in der Bundesrepublik seit Jahren rückläufig ist (1989 wurden noch 5007 Fälle gemeldet), dürfe die Krankheit nicht unterschätzt werden.

Denn nur diejenigen sind vor der Erkrankung geschützt, die bereits eine Infektion hinter sich haben. Das hat die nur scheinbar paradoxe Folge, daß Einwohner von Ländern mit hohem Hygienestandard bei Reisen in die Tropen besonders gefährdet sind.

Verseuchtes Wasser, das mit menschlichen Fäkalien kontaminiert wurde, kann die Viruspartikel enthalten. Mit einem Durchmesser von etwa 30 Milliardstel Millimetern können sie nur durch aufwendige Filteranlagen beseitigt werden, die aber auch in Hotels der gehobenen Kategorie häufig nicht vorhanden sind. Weitere Infektionsquellen sind Eiswürfel oder auch Obst, Gemüse und Salate sowie nicht ausreichend gekochte Meeresfrüchte.

Etwa jeder tausendste Reisende in ein Entwicklungsland bringt nach Weinkes Angaben eine Hepatitis-A-Infektion mit nach Hause. Rucksack- und Abenteuerreisende haben dabei naturgemäß das größte Risiko. Was folgt, ist eine bis zu zwölf Wochen anhaltende Krankheit, die mit Arbeitsunfähigkeit und oft längerem Klinikaufenthalt einhergeht.

Fieber, Schwindelgefühl, Müdigkeit und Erbrechen sind die äußeren Anzeichen, ein Gewichtsverlust von fünf Kilogramm nicht selten. Dann erst setzt die Verfärbung der Haut ein, der die „infektiöse Gelbsucht“ ihren Namen verdankt.

Mit dem neuen Impfstoff stehen Urlaubern und Geschäftsreisenden jetzt zwei Möglichkeiten zur Verfügung, sich vor dem Hepatitis-A-Virus zu schützen: Bisher üblich war die „passive Impfung“, bei der kurz vor dem Abflug etwa fünf Milliliter Flüssigkeit in den Allerwertesten gespritzt werden. Die darin enthaltenen Antikörper stammen aus dem Blut von Tausenden von Spendern und sind nicht nur gegen das Hepatitis-A-Virus selbst gerichtet, sondern auch gegen eine Vielzahl anderer Krankheitserreger. Die Abwehrkraft soll dadurch insgesamt heraufgesetzt werden. Nachteil der circa 50 Mark teuren passiven Impfung ist die relativ große Flüssigkeitsmenge, die zu Schmerzen im Gesäß führen kann; auch hält die Wirkung nur etwa drei Monate vor, dann hat der Köper das fremde Eiweiß weitgehend abgebaut.

Der neue Impfstoff enthält dagegen Bestandteile abgetöteter Viren, die seit kurzem in ausreichender Menge aus Zellkulturen gewonnen werden können. Hier muß dreimal mit jeweils einem Milliliter geimpft werden. Zum Preis von voraussichtlich 180 Mark erhält man dafür einen zehn Jahre währenden Schutz.

Der Abstand zwischen dem ersten und dem dritten, „Schuß“‘ muß aber mindestens sechs Monate betragen. Das neue Produkt dürfte daher vor allem für Geschäftsreisende von Interesse sein, die sich häufiger in den Tropen aufhalten.

(Erschienen in „DIE WELT“ im September(?) 1992. Das Symposium in Roquebrun wurde besucht auf Einladung der Firma SmithKline Beecham)