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Fehlendes Eiweiß wird ersetzt

Ein Durchbruch auf dem Gebiet der Gentherapie wird aus den Niederlanden vermeldet. Dort gelang es – zunächst im Tierversuch an Rhesusaffen – fremdes Erbmaterial mit Hilfe eines Mäusevirus in blutbildende Stammzellen zu übertragen. Jetzt soll diese Methoden einer geringen Zahl von Patienten zugutekommen, die von einer seltenen Immunschwäche – der ADA-Defizienz – betroffen sind.

Bei dieser Krankheit ist eines der geschätzten 100.000 Gene defekt, aus denen sich das menschliche Erbmaterial zusammensetzt. In fast jeder Körperzelle findet sich – zusammengeknäult auf mikroskopisch kleinem Raum – ein etwa 120 Zentimeter langer Faden aus rund drei Milliarden Bausteinen, das menschliche „Genom“.

Fehler im Genom sind dafür verantwortlich, daß etwa fünf Prozent aller Neugeborenen an einer mehr oder weniger ernsthaften Erbkrankheit leiden. Häufig genügt der Austausch eines einzigen Bausteines um die Betroffenen zeitlebens zu belasten. Sobald die Erbinformation geschädigt ist, wächst die Wahrscheinlichkeit, daß sich in die Produktion der Eiweiße Fehler einschleichen.

Bei Patienten mit ADA-Defizienz ist das entsprechende Eiweiß manchmal defekt, manchmal wird es auch überhaupt nicht hergestellt. Die Adenosin-Deaminase (ADA) aber ist für den Abbau giftiger Stoffe in der Zelle zuständig. Fehlt sie, so sammeln sich die Giftstoffe im Blut an. Innerhalb kurzer Zeit sterben einige der wichtigsten Zellarten im Immunsystem an dieser Vergiftung. Betroffen sind vor allem T-Zellen und B-Zellen: Die körpereigene Immunabwehr bricht zusammen. Damit sind die kleinen Patienten den Angriffen von Bakterien und Viren schutzlos ausgeliefert.

In den letzten Jahren sind bereits mehrere Anläufe unternommen worden, um die heimtückische Krankheit in den Griff zu bekommen. Beispielsweise ist es möglich, gesunde Blutzellen auf dem Wege einer Knochenmarktransplantation zu übertragen. In aller Regel scheidet diese Möglichkeit aber aus, weil es zu einem Angriff der Spenderzellen auf die Organe des Empfängers kommt (Graft-versus-host-disease) Die Erfolgsrate bei Knochenmarktransplantationen liegt bei etwa 50 Prozent. Selbst wenn ein idealer Spender gefunden wird – was nur für jeden Dritten Patienten gelingt – liegt die Erfolgsaussicht „nur“ bei 90 Prozent.

Das fehlende Eiweiß könnte im Prinzip auch direkt dem Patienten verabreicht werden, ein Verfahren, mit dem ebenfalls schon experimentiert wurde. Dabei fand man allerdings heraus, daß ADA, das direkt in die Blutbahn gespritzt wird, innerhalb von wenigen Minuten zerfällt.

Diese Schwierigkeit versuchte man dadurch zu umgehen, daß man das Eiweiß mit einer Schutzhülle aus der Substanz PEG umgab; die Lebenszeit von ADA wurde damit im Blut auf mehrere Tage verlängert. Aber auch hier gibt es schwerwiegende Probleme: Nach ein bis zwei Jahren entwickeln die Patienten Antikörper gegen das fremde ADA, dieses wird dann wie ein Krankheitserreger angegriffen, so daß die Gentherapie unter den geschilderten Methoden noch am ehesten als zukunftsträchtig erscheinen mag.

(erschienen in „DIE WELT“ am 28. August 1991)

Was wurde daraus? Abgesehen davon,dass die Zahl der menschlichen Gene heute eher auf 22.000 geschätzt wird, und nicht mehr auf 100.000: Elf weitere Jahre sollte es dauern, bis zur ersten Heilung der ADA durch eine Gentherapie, damals noch in Kombination mit einer Chemotherapie. Bald darauf wurde jedoch bei den behandelten Kindern Blutkrebs festgestellt. Weitere Arbeiten folgten, bis es zuletzt einer italienischen Arbeitsgruppe gelang, die Gentherapie so zu modifizieren, dass kein Krebs mehr ausbrach. Gemäß dem letzten Update aus dem Jahr 2017 war man hier bei allen 18 Patienten erfolgreich. Die Prozedur lag da schon 2 bis 13 Jahre hinter ihnen, und alle haben die Krankheit überlebt.

Guten Appetit!

Nur wenige Gourmets können sich wohl mit dem Gedanken anfreunden, Nigerianische Riesenratten oder Schwarze Leguane zu verspeisen. Dennoch – nach einem Vorschlag des amerikanischen National Research Council (NRC) sollen insgesamt 40 Arten exotischer Tiere und kleinwüchsige Formen „gewöhnlicher“ Kühe, Schweine und Schafe künftig einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung leisten.

Der – ernstgemeinte – Vorstoß erwartet bei einer Umstellung der Ernährung auf kleine Haustiere eine bessere Versorgung der Menschen in der Dritten Welt. Die Expertengruppe des NRC verweist auf das rasche Bevölkerungswachstum: „Haustiere für Entwicklungsländer sollten kleiner und handlicher werden; derzeit brauchen sie einfach zuviel Platz und verursachen zu hohe Kosten.“

Die Kommission begründet ihren Vorstoß damit, daß sämtliche Tiere auf der Liste relativ billig in Anschaffung und Unterhalt sind („Science“, Band 253, S. 378). Mit einer Tonne Heu etwa kann entweder eine einzige Kuh ernährt werden oder aber 300 Kaninchen. Ein weiterer Vorteil liegt in der sprichwörtlichen Vermehrungsrate der Kleinsäuger.

Neben Leguan und Riesenratte werden auch die nur 60 Zentimeter große Mexikanische Minikuh, das elf Kilogramm schwere Sudanesische Zwergschaf und die nepalesische Terai-Ziege als Kandidaten für den erweiterten Speiseplan der Dritten Welt genannt. Weitere Leckereien aus der Familie der Nagetiere: Pampashasen, Agutis, Viscachas und Pakas, allesamt Bewohner des südamerikanischen Kontinents.

(erschienen in DIE WELT am 24. August 1991)

Ein Gentest beseitigt alle Zweifel

Erstmals haben Wissenschaftler jetzt die Identität eines Mordopfers mit genetischen Methoden festgestellt. Wie das Wissenschaftsmagazin „Nature“ jüngst vermeldete, isolierten englische Forscher genetisches Material aus den Knochen eines Mädchens, das 1981 im Alter von 15 Jahren ermordet wurde. Die Leiche wurde zwar erst acht Jahre später gefunden, dennoch gelang es Alec Jeffreys von der Universität Leicester mit molekularbiologischen Methoden einen „DNA-Fingerabdruck“ zu ermitteln.

Bei dieser Methode wird die Tatsache genutzt, daß keine zwei Menschen völlig identisches Erbmaterial tragen – eineiige Zwillinge ausgenommen. Daher entstehen beim Zerteilen des Erbmaterials im Labor Bruchstücke charakteristischer Länge, die sich nach mehreren Arbeitsgängen in Form eines Bandenmusters darstellen lassen, ähnlich der Strichcodes, die sich auf Buchrückseiten, Milchtüten und Konservenbüchsen befinden.

Weil das Erbmaterial von Vater und Mutter kurz nach der Befruchtung der Eizelle nach festen „Spielregeln“ gemischt wird, lassen sich aus den Strichmustern – dem genetischen Fingerabdruck – auch Verwandschaftsverhältnisse ableiten. In Großbritannien wurde die Methode deshalb auch als Beweismittel bei Vaterschaftsklagen und für Einwanderungsanträge zugelassen, bei denen die Immigranten auf angebliche Familienangehörige mit britischer Staatsbürgerschaft verwiesen.

Im Fall der ermordeten 15jährigen, deren Leiche in einen Teppich eingewickelt war, hatte man bereits Anhand der Zähne einen recht konkreten Verdacht auf deren Identität. Die mutmaßlichen Eltern hatten sich dann bereit erklärt, einen Vergleich ihrer genetischen Fingerabdrücke mit dem des Mordopfers vornehmen zu lassen.

Jeffreys und seine Kollegen Erika Hagelberg und Ian Gray isolierten dann aus einem fünf Gramm schweren Stück eines Oberschenkelknochens wenige tausendstel Gramm Erbmaterial, das im Labor untersucht wurde. Dabei zeigte sich, daß der weitaus größte Teil der gefundenen Erbsubstanz aus bodenlebenden Pilzen und Bakterien stammte.

In Kombination mit einer weiteren molekularbiologischen Technik, der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), gelang es den Forschern dennoch, die menschliche Erbsubstanz gezielt zu vermehren. Die PCR, die 1990 sogar den Titel „Reaktion des Jahres“ erlangte, basiert auf einem Eiweiß, das in allen Organismen vorkommt und dort der Vermehrung der Erbsubstanz vor der Zellteilung dient.

Beim Vergleich des Bandenmusters der mutmaßlichen Eltern mit dem Mordopfer wurden schließlich gleich sechs DNA-Bruchstücke gleicher Länge gefunden. Die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Ergebnis auf Zufall basieren könnte, wird von den Forschern mit höchstens eins zu 5000 beziffert. Damit scheint es auch es auch vorstellbar, den Verbleib ungezählter Menschen zu klären, die etwa in verschiedenen Militärdiktaturen Südamerikas verschwanden. In den letzten Jahren waren dort mehrfach Massengräber entdeckt worden.

Quelle: Hagelberg, E., Gray, I. & Jeffreys, A. Identification of the skeletal remains of a murder victim by DNA analysis. Nature 352, 427–429 (1991).

(erschienen in „DIE WELT“ am 16. August 1991)

Klimastudien in der Polarnacht

Nach langer, unfreiwilliger Unterbrechung unterhält Deutschland jetzt wieder eine Forschungsstation in der Arktis. Die in Ny-Ålesund auf der norwegischen Insel Spitzbergen gelegene, nach dem Pionier der deutschen Polarforschung, Carl Koldewey, benannte Station wurde am vergangenen Samstag offiziell eröffnet.

Deutsche Forschungsstation in der Arktis eröffnet

Ny-Ålesund befindet sich auf 79 Grad nördlicher Breite und war bis vor wenigen Jahren die nördlichste Bergwerkssiedlung der Welt. Heute sind in die alten Gebäude vorwiegend norwegische, britische, japanische und deutsche Wissenschaftler eingezogen. Sie nutzen die günstige Lage- der Nordpol ist nur runde 1500 Kilometer entfernt – für eine Reihe von Untersuchungen, die von der Erforschung der Lufthülle und dem Verhalten der Gletscher bis zu Studien an der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt reichen.

Die Carl-Koldewey-Station, die vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven (AWI) unterhalten wird, besteht aus einem zweigeschossigen Stationsgebäude, dem „Blauen Haus“ mit vier Wohn-, drei Arbeitsräumen und einem Tagungsraum. Angegliedert sind ferner Laborräume für chemische und geophysikalische Untersuchungen sowie mehrere Laborcontainer für das Ozonerforschungsprogramm des AWI.

Die Arktis sei der Schlüssel zum Verständnis der globalen Umweltveränderungen, betonte der Parlamentarische Staatsseketär im Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bernd Neumann, anläßlich der Eröffnungszeremonie. „Modellrechnungen zeigen, daß der Temperaturanstieg aufgrund des Treibhauseffektes in der Arktis zwei- bis dreimal höher ist als in Mitteleuropa. Die Schädigung der Ozonschicht ist außerdem in den Polarregionen am stärksten ausgeprägt.“

Professor Gotthilf Hempel, Direktor des AWI, bezeichnete die Eröffnung der Station als einen „Meilenstein in der Geschichte der deutschen Arktisforschung“. Zwar hatten sich bereits 1881 im Rahmen des Ersten Polarjahres die ersten deutschen Forscher in die Arktis gewagt und auch die von Alfred Wegener 1930 in Grönland errichtete „Eismitte-Station“ hatte für einiges Aufsehen gesorgt. An die Aktivitäten des „anderen Deutschland“ erinnern noch heute die Überreste einer Forschungsstation, die 1958 anläßlich des Ersten Geophysikalischen Jahres in der Nähe von Ny-Ålesund errichtet wurde.

Erstmals existiert jetzt aber eine Basis, von der aus kontinuierliche Untersuchungen deutscher Wissenschaftler möglich sind. De facto allerdings ist die Carl-Koldewey-Station schon seit Oktober 1990 in Betrieb; damals hatten die beiden ersten deutschen Überwinterer des AWI, Dr. Wolfgang Breitschuh und Detlef Kittler, ihre Arbeit aufgenommen und während der mehrmonatigen Finsternis der Polarnacht die ersten meteorologischen und luftchemischen Messungen angestellt.

Seit dem 1. Juli dieses Jahres werden von Dr. Roland Neuber und Thorsten Schmitt tägliche Ballonaufstiege meteorologischer Sonden durchgeführt, die Druck, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit messen. Die Daten werden an den norwegischen Meteorologischen Dienst weitergeleitet und von dort in das Welt-Wetternetz eingespeist. Für die unteren Luftschichten, in denen die Ballonsonden keine guten Meßwerte der Windgeschwindigkeit erreichen, wurden bis zum November letzten Jahres Untersuchungen mit einem akustischen Meßsystem angestellt, das aus drei schwenkbaren Schalltrichtern besteht.

Dieses Sodar (Sonar Detection and Ranging) erlaubt es, kurze Schallsignale stark gebündelt in die Atmosphäre zu entsenden. Der aus Höhen bis zu 500 Metern reflektierte Schall wird dann mit empfindlichen Mikrophonen gemessen. Aus den empfangenen Signalen können Windgeschwindigkeit und Windrichtung, aber auch Turbulenzen vom Boden aus bestimmt werden. Zum Leidwesen der Wissenschaftler ist die Anlage seit November 1990 wegen eines technischen Defektes außer Betrieb.

Mehr Glück hatten die Forscher mit der Luftchemie; wie Neuber erklärte, füllen vor allem die Ozonmessungen mit einem gepulsten Laser (Lidar) eine Lücke im weltweiten Meßnetz. Anders als die Messungen der benachbarten norwegischen Forschungsstation, ergibt sich mit dem Lidar ein recht genaues Bild der Ozonverteilung in verschiedenen Luftschichten von 15 bis 40 Kilometern Höhe.

In diesen Regionen spielt sich auch die Entstehung des arktischen Ozon1ochs ab, das erst im letzten Jahr nachgewiesen wurde. Durch eine technische Finesse des Geräts ist Neuber in der Lage, Messungen auch am Tage durchzuführen, was unter der Mitternachtssonne einen unschätzbaren Vorteil gegenüber „gewöhnlichen“ Lidars darstellt.

In wenigen Tagen werden in der neuen Forschungsstation auch die ersten Biologen eintreffen. Sie wollen die Makroalgen des Königsfjordes untersuchen und der Frage nachgehen, in welchem Umfang die Pflanzen Bromverbindungen in die Atmosphäre abgeben.

(erschienen in „DIE WELT“ am 14. August 1991)

Ende des Traums vom Fliegen

Vorbei sind die Zeiten, da man guten Gewissens in den – mehr oder weniger – wohlverdienten Urlaub fliegen konnte. Auch Geschäftsleute, die derzeit noch auf Kurzstrecken wie Köln-Frankfurt durch die Lüfte schweben, müssen sich auf kritische Fragen ihrer umweltbewußten Zeitgenossen gefaßt machen.

Der Traum vom Fliegen? Klimaforscher und Umweltschützer sind skeptisch: „Der Flugverkehr ist bereits heute ein spürbarer Faktor im Klimageschehen der Atmosphäre“, erklärte Professor Ulrich Schuhmann am Mittwoch auf einem Seminar des Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in Frankfurt.

Schuhmann, der sich bei der Deutschen Forschungsanstalt für Luft und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen von Berufs wegen mit der Auswirkung des Luftverkehrs auf die Umwelt befaßt, präsentierte eine Studie, wonach jährlich rund 1700 Milliarden „Passagierkilometer“ zurückgelegt werden, Tendenz steigend.

Die Zahl, welche sich aus der Multiplikation der Flugpassagiere mit den zurückgelegten Kilometern ergibt, belegt, daß das Linienflugzeug längst zum Massenverkehrsmittel geworden ist. Bei jährlichen Zuwachsraten von annähernd sechs Prozent wird sich der zivile Flugverkehr bis zum Jahr 2005 verdoppeln.

Die Treibstoffmengen, die dabei verbrannt werden, sprechen ebenfalls für sich: 176000 Tonnen Kerosin jährlich, wobei der Anteil der Militärs auf etwa ein Viertel veranschlagt wird. 20 Mal mehr Treibstoff wird allerdings für den Verkehr insgesamt verbraucht, wobei Kraftfahrzeuge den weitaus größten Anteil haben. Die neuesten Zahlen der Deutschen Lufthansa belegen, daß Flugpassagiere noch verhältnismäßig sparsam unterwegs sind: Im Durchschnitt benötigen sie 6,2 Liter Kerosin für 100 Reisekilometer.

Auch ein flüchtiger Blick auf die Schadstoffbilanz läßt die Airlines in einem günstigen Licht erscheinen: Nach einer Untersuchung des TÜV Rheinland betragen die Emissionen durch Zivilflugzeuge nur einen kleinen Bruchteil dessen, was im Verkehr insgesamt in die Luft geblasen wird. 0,7 Prozent lautet der Wert für Kohlenmonoxid, 0,8 Prozent für Kohlenwasserstoffe, und auch bei den Stickoxiden macht der Anteil der Luftfahrt nur ein Sechzigste! der verkehrsgebundenen Belastungen aus.

Dennoch ist Vorsicht geboten. Die Verweilzeit der Schadstoffe wächst mit der Höhe, in der diese Substanzen entstehen. In bodennahen Schichten werden sie durch eine Vielzahl chemischer Reaktionen in etwa zwei Tagen umgewandelt; in zehn Kilometer Höhe muß man schon mit 30 Tagen rechnen.

In der darüber liegenden Luftschicht, die von der Concord ebenso durchflogen wird wie von einer Unzahl Militärjets, wird die Verweilzeit sogar in Jahren gemessen. Bedenklich ist auch, daß Stickoxide und Wasserdampf, der ebenfalls bei der Verbrennung entsteht, in den höheren Luftschichten normalerweise nur als Spurengase vorhanden sind. Das bedeutet, daß die Freisetzung dieser Gase die Zusammensetzung der Luft in diesen Schichten deutlich verändern kann.

Die komplexe Chemie der Atmosphäre führt dann zu einem scheinbar widersprüchlichen Verhalten der Stickoxide (NOx): In hohen Konzentrationen fördert NOx die Bildung von Ozon. Dies führt dazu, daß am Boden und bis in eine Höhe von etwa 15 Kilometern das für uns giftige Gas deutlich zugenommen hat. In niedrigen Konzentrationen fördern Stickoxide dagegen den Abbau von Ozon (O3), ein Vorgang, der schon seit geraumer Zeit in der hochliegenden Stratosphäre beobachtet wird. Diese Reaktion hat mit dazu beigetragen, daß der Vorrat an O3, welches in der Stratosphäre als Schutzschild vor krebserregenden UV-Strahlen wirkt, ständig abnimmt.

Als klimabildender Faktor könnte jedoch der von Flugzeugen abgegebene Wasserdampf noch weit drastischere Folgen haben. Wasserdampf spielt im Haushalt der Natur unter allen Treibhausgasen die wichtigste Rolle. Die zusätzlichen Wassertropfen aus den Triebwerken unserer Passagierjets entfalten ihre Wirkung vorwiegend als Kondensationskeime für die Bildung von Eiswolken (Cirruswolken). „Die Bewölkungszunahme aufgrund des Luftverkehrs ist heute bereits sichtbar“, erklärte Schuhmann, der diese Behauptung auch mit eindrucksvollen Satellitenaufnahmen belegen konnte.

Einige der gemessenen Kondensstreifen erreichten dabei Längen von bis zu 200 Kilometern bei einer Breite von zehn Kilometern. Die zusätzliche Bewölkung zwischen Frankfurt und Genua, gemessen an insgesamt 142 Tagen, betrug im Schnitt 0,4 Prozent.

„Diese Wolken aber haben einen weitaus größeren Einfluß auf den Treibhauseffekt als das Kohlendioxid“, betonte Schuhmann. Anders als „dicke“ Wolken können Cirruswolken die Temperatur am Boden erhöhen, weil sie für Sonnenlicht durchlässig sind, die von der Erde zurückgestrahlte Wärme aber nur zum Teil in den Weltraum entlassen. Modellrechnungen für die untersuchte Region gehen daher davon aus, daß die Temperatur dort im Mittel um 0,4 Grad Celsius erhöht wird.

Trotz dieses deutlichen Effekts war sich Schuhmann mit den anderen anwesenden Experten einig, daß die Diskussion um die ökologischen Auswirkungen des Flugverkehrs andere Probleme nicht verdrängen dürfe. Höchste Priorität sollte demnach ein weltweites Verbot der Fluorchlorkohlenwasserstoffe haben, die als Treibgase und Kühlmittel Verwendung finden. Sehr dringend sei auch die Verminderung der CO2-Massen aus Verbrennungsvorgängen, dann folge die Reduktion der Schadstoffe aus dem Verkehr am Boden, dann erst der Flugverkehr.

(erschienen in „DIE WELT“ am 9. August 1991)