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Nobelpreis belohnt zwei Pioniere der Organtransplantation

Dem Fortschritt der Transplantationsmedizin verdanken tausende Patienten ein längeres oder lebenswerteres Dasein. Nierenkranke Menschen wurden von der Blutwäsche befreit; Patienten mit schweren Erkrankungen von Herz und Leber überlebten. Diese Entwicklung hat sich innerhalb der letzten 40 Jahre vollzogen. Das Nobel-Komitee hat jetzt zwei Forscher gewürdigt, die schon vor Jahrzehnten den Grundstein für den außerordentlichen Erfolg der Transplantations-Medizin gelegt haben: Der diesjährige Medizin-Nobelpreis wurde gestern den beiden amerikanischen Wissenschaftlern Joseph E. Murray und E. Donnall Thomas zuerkannt.

Copyright © The Nobel Foundation

Die Transplantations-Medizin hat in den letzten Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht: Waren vor 40 Jahren die Verpflanzung einer Niere oder gar von Herz oder Leber noch medizinische Utopie, so ist sie heute bereits zum Routineeingriff geworden. An diesem Fortschritt haben zahlreiche Wissenschaftler und Ärzte mitgewirkt.

Das schwedische Nobel-Komitee hat sich nun entschlossen, den diesjährigen Medizin-Nobelpreis an zwei Pioniere der Transplantationsmedizin zu vergeben: die amerikanischen Wissenschaftler Joseph E. Murray und E. Donnall Thomas. Damit ist der Medizin-Nobelpreis erstmals seit längerer Zeit wieder an zwei Forscher vergeben worden, die – als Chirurg und als Hämatologe – auch in der klinischen Medizin tätig waren. In den letzten Jahren wurden fast ausschließlich Entdeckungen von Grundlagenforschern gewürdigt, die mit Hilfe molekularbiologischer Methoden im Labor gemacht worden waren.

Wie das Karolinska-Institut in Stockholm gestern bekanntgab, wurden die beiden Forscher dafür ausgezeichnet, dass sie die Transplantation von Zellen und Organen als Behandlungsmethode eingeführt haben. Nach Ansicht des Nobel-Komitees waren die Entdeckungen der beiden Wissenschaftler „ausschlaggebend für zehntausende schwerkranker Menschen, die durch Transplantation entweder völlig geheilt wurden oder zu einem verhältnismäßig normalen Leben zurückkehren konnten, wo andere Methoden erfolglos waren“. Die Nobelpreise sind dieses Jahr mit jeweils 1,08 Millionen Mark dotiert.

Der einundsiebzigjährige Murray war bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1985 am Medizinischen Zentrum für Kinderheilkunde in Boston tätig. Am 23. Dezember 1954 gelang es ihm erstmals, einem eineiigen Zwilling die Niere seines Zwillingsbruders zu übertragen. Die Transplantation war erfolgreich, da das genetisch identische Organ von der Immunabwehr des Empfängers nicht abgestoßen wurde.

Die dramatische Operation hatte damals großes Aufsehen erregt: Der 22jährige Patient litt nach einer Scharlach-Erkrankung an chronischem Nierenversagen, als sich das Ärzteteam um Murray entschloss, die erste Nierentransplantation zu wagen. Sechs Monate nach der Transplantation wurde der Patient nach Hause entlassen. Er begann bald wieder zu arbeiten und heiratete die Krankenschwester, die ihn gepflegt hatte.

Die Idee, Organe von einem Menschen auf den anderen zu übertragen, hatte man bereits in der Antike, erfolglose Transplantationsversuche wurden schon um die Jahrhundertwende unternommen. Alexis Carrel, Nobelpreisträger von 1912, postulierte eine „biologische Kraft“, welche die Organverpflanzung aussichtslos mache.

Nachdem Murray diese Theorie schon für genetisch identische Organe widerlegt hatte, wurde im April 1958 eine Methode bekannt, die zu einer wirksamen Unterdrückung der Abwehrkräfte führte und damit die Verpflanzung nicht identischer Organe in Aussicht stellte: Die Ganzkörperbestrahlung mit anschließender Injektion von Knochenmarkszellen, die bei dieser Bestrahlung zerstört wurden. Später kamen Medikamente wie 6-Mercaptopurin und Azathioprin und schließlich Cyclosporin, die die Immunabwehr unterdrückten. Mit ihrer Hilfe gelang es, auch genetisch unterschiedliche Nieren von Verstorbenen zu verpflanzen.

In der Bundesrepublik war es erst im Februar 1968 so weit: Die erste Patientin konnte die Heidelberger Rudolf-Krehl-Klinik wenige Wochen nach der Operation verlassen, nachdem ihr erstmals erfolgreich die Niere eines lebenden Spenders übertragen worden war. Die Transplantation von Nieren erwies sich als Organverpflanzung mit hoher Erfolgschance; sie ist, vor allem was die Lebensqualität anbelangt, der Blutwäsche, der sich die Nierenkranken unterziehen müssen, deutlich überlegen.

Mit der erfolgreichen Nierentransplantation war auch das Feld geöffnet für die Übertragung weiterer Organe wie Herz, Leber und Bauchspeicheldrüse und schließlich auch von Lungenflügeln. Das Hauptproblem bei der Verpflanzung von Organen besteht auch heute noch in den Abstoßungsreaktionen des Empfängers.

Mittlerweile weiß man auch mehr über die „biologische Kraft“ des Alexis Carrel. Die Zellen des menschlichen Körpers tragen nämlich auf ihrer Oberfläche Eiweißstrukturen – die sogenannten MHC-Antigene – die in hunderten verschiedener Varianten vorkommen. Das Immunsystem „lernt“ schon während seiner Entstehung, eigene von fremden Strukturen zu unterscheiden. Diese Fähigkeit unserer Abwehrzellen kann aber zum Verhängnis werden, wenn lebenswichtige Spenderorgane nicht toleriert werden, weil die Oberflächenstruktur der empfangenen Zellen sie als „feindlich“ ausweist.

Um die Immunabwehr gegen das fremde Organ zu unterdrücken, nutzten Murray und Thomas zwei medizinische Erkenntnisse: ionisierende Strahlung sowie Medikamente, die das Wachstum der Immunzellen hemmen, sind in der Lage, die Abstoßungsreaktionen des Körpers gegen fremdes Gewebe zu vermindern. Murray kombinierte eine Bestrahlung des ganzen Körpers mit der Einnahme des zellhemmenden Medikaments Azathioprin.

Thomas benutzte das Medikament Methotrexat, um auch die sogenannte Graft-versus-Host-Reaktion zu dämpfen. Bei dieser „GVH“-Reaktion sind es die Zellen des Spenders, welche die Gewebe des Empfängers angreifen. Im Transplantat finden sich nämlich immer eine Anzahl von T-Zellen, die in der fremden Umgebung des Empfängers großes Unheil anrichten können.

Thomas ist heute stellvertretender Direktor der Forschungsabteilung des Fred Hutchinson Krebsforschungszentrums in Seattle und hat auch in den letzten Jahren noch mit einer Vielzahl von Forschungsarbeiten geglänzt, die in verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Der 70-jährige beschäftigte sich auch in letzter Zeit vorwiegend mit der Transplantation von Knochenmarkzellen.

Die Übertragung dieser blutbildenden Zellen kann Blutkrebs (Leukämie), schwere Erbkrankheiten oder Störungen des Immunsystems heilen, erklärte das 50köpfige Nobelkomitee gestern in der Begründung der Preisverleihung.

Derzeit werden in den Vereinigten Staaten die ersten Versuche unternommen, gentechnisch veränderte Blutzellen zu verabreichen. An den National Institutes of Health in Bethesda setzen French Anderson, Michael Blaese und Kenneth Culver die Arbeit von Murray und Thomas fort. Im September behandelten sie ein vierjähriges Mädchen mit einer äußerst seltenen Erbkrankheit (ADA), der veränderte T-Zellen injiziert wurden. Idealerweise würde man statt T-Zellen Knochenmarkszellen benutzen, die sich im Mark des Empfängers etablieren und neue Blutzellen produzieren.

Auch diese Erkenntnis verdankt man den Arbeiten von Thomas. Darüber hinaus zeigte er, dass sich die Knochenmarkstransplantationen auch ohne chirurgischen Eingriff vornehmen lassen. Vor den entscheidenden Arbeiten von Thomas und seinen Mitarbeitern hatte man versucht, das fremde Knochenmark direkt in die Knochenhöhle einzuspritzen. Seine Technik, die heute in allen Behandlungs-Zentren angewendet wird, erwies sich als überraschend einfach: Das Knochenmark wird dazu meist aus dem Beckenknochen des Spenders gewonnen, ohne dass er stark beeinträchtigt wird oder Nebenwirkungen zu erleiden hat. Die entnommene Kochenmarkssuspension wird dann dem Empfänger in die Vene injiziert.

Die wichtigen Stammzellen aus denen alle Blutzellen entstehen, finden – dies konnte Thomas zeigen – selbständig ihren Weg in das Knochenmark. Schon nach zwei bis drei Wochen werden die ersten Blutzellen gebildet. Das kranke Knochenmark wird zuvor durch Ganzkörperbestrahlung und Medikamente abgetötet.

Thomas, der verheiratet ist und drei Kinder hat, wurde am 15. März 1920 in Mart (Texas) geboren. Murray wurde am 1. April 1919 in Milford (Massachusetts) geboren. Der Wissenschaftler, der als Hobbys Badminton und Tennis angibt, ist verheiratet und hat sechs Kinder.

(geschrieben mit meiner damaligen Kollegin Dr. Annette Tuffs, erschienen in der WELT am 9. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung 14. April 2017)

Was ist daraus geworden? Beide Mediziner sind inzwischen verstorben, doch ihr Erbe wirkt fort. So wurden in 2014 – dem letzten Jahr, für das ich Zahlen finden konnte – weltweit fast 120000 Organe verpflanzt. Darunter waren ca. 80000 Nieren, 26000 Lebern, 6500 Herzen, 4700 Lungen und 2300 Bauchspeicheldrüsen. Der Bedarf ist allerdings nach Schätzungen noch immer etwa zehn mal so hoch. In Deutschland wird im internationalen Vergleich eher wenig transplantiert, obwohl mittlerweile jeder dritte einen Organspendeausweis trägt. Die Zahlen gehen seit 2010 zurück. Schuld sei die mangelnde Meldebereitschaft vieler Krankenhäuser, sagte Wolfgang Fleig, der Medizinische Vorstand des Universitätsklinikums in Leipzig, gegenüber dem Nachrichtenmagazin Focus.

Organhandel nicht akzeptabel

Der kommerzielle Handel mit Nieren von lebenden Spendern ist nicht nur aus ethischen und moralischen, sondern auch aus praktischen Gründen nicht akzeptabel. Zu diesem Schluss kommt eine Forschergruppe aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Oman.

Die Mediziner werteten die Daten von 130 arabischen Patienten aus, die Nieren lebender Spender im indischen Bombay über Makler für einen Stückpreis von etwa 5000 Mark erworben hatten. Die Organempfänger ließen sich die gekauften Nieren dann – häufig gegen den Rat ihrer Ärzte und ohne Unterstützung durch eine heimische Dialysestation – vor Ort einpflanzen.

Von den 122 Patienten, welche die Operation überlebten, starben 24 innerhalb eines Jahres. Die Haupttodesursache waren Infektionen, die sich die Organempfänger in Indien zugezogen hatten. Die Patienten waren ohne ausreichende medizinische Unterlagen zurück in ihre Heimat geschickt worden, zum Teil setzten Abstoßungsreaktionen schon auf der Rückreise ein.

Unter normalen Umständen wären bei Nierentransplantationen innerhalb eines Jahres keine Todesfälle zu erwarten gewesen. Gegenwärtig bereitet die Bundesregierung ein Gesetz gegen Organhandel vor.

(erschienen in der WELT vom 6. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung am 13. April 2017.)

Quelle: Salahudeen AK, Woods HF, Pingle A, Nur-El-Huda Suleyman M, Shakuntala K, Nandakumar M, Yahya TM, Daar AS. High mortality among recipients of bought living-unrelated donor kidneys. Lancet. 1990 Sep 22;336(8717):725-8.

Impfstoff gegen Borreliose gesucht

Bestenfalls lästig und schlimmstenfalls gesundheitsgefährdend können Zecken für den Menschen sein. Wer häufig durch den Wald streift, hat sicher schon mit den kleinen Blutsaugern Bekanntschaft schließen müssen, die sich an der Unterseite von Gräsern, Farnen und niedrigen Sträuchern finden.

Wenn sich die Räuber erst einmal festgebissen haben, droht außer dem penetranten Juckreiz auch noch eine Infektion mit dem schraubenförmigen Bakterium Borrelia burgdorferi. Diese Mikroorganismen werden nämlich mit dem Speichel in die Wunde abgesondert und können eine ernste Krankheit hervorrufen.

Schraubenförmige Bakterien der Art Borrelia burgdorferi sind die Auslöser der Lyme-Borreliose (Foto: CDC via Wikimedia Commons)

Es handelt sich dabei um die Lyme-Borreliose, die weit verbreitet, schwierig zu erkennen und auch nicht immer wirksam zu behandeln ist. Eine Hautrötung, die sich ringförmig um die BisssteIle ausbreitet, ist ein erstes Warnzeichen. Wochen danach kann es zu Fieberschüben, Kopfweh und Gelenkschmerzen kommen; in schweren Fällen können Hirnhautentzündungen resultieren, oder der Erreger kann auf den Herzmuskel übergreifen. Noch nach Jahren kann die Borreliose Schmerzen in Gelenken hervorrufen oder Herzrhythmus-Störungen verursachen.

Untersuchungen an Freiwilligen haben ergeben, dass rund drei Prozent aller Bundesbürger schon einmal eine Borrelien-Infektion durchgemacht haben. Forscher des Max-Planck-Institutes für Immunbiologie in Freiburg gehen deshalb davon aus, dass mancher vermeintliche Rheumatiker in Wahrheit von den Mikroorganismen befallen ist. Unter der Leitung von Dr. Markus Simon befasst sich darum eine eigene Arbeitsgruppe mit dieser Problematik und versucht einen Impfstoff herzustellen, der den Menschen vor der tückischen Krankheit schützen soll.

Wie die Max-Planck-Gesellschaft mitteilte, gelang es Simon und seinem Mitarbeiter Ulrich Scheible nach vierjähriger Forschung, hier einen entscheidenden Schritt voranzukommen. Die Wissenschaftler konnten feststellen, welche Oberflächenstrukturen auf den Borreliose-Erregern eine lohnende Zielscheibe für das Immunsystem darstellen. Aus einer Vielzahl von möglichen Eiweißen gelang es ihnen, zwei Kandidaten zu isolieren, mit denen sich bei Mäusen ein Impfschutz hervorrufen lies.

Da die kleinen Nager gewöhnlich nicht an Borreliose erkranken, musste man auf immundefiziente Mäuse zurückgreifen, denen die weißen Blutzellen fehlen. Antikörper gegen die beiden aussichtsreichen Eiweiße konnten in den immungeschwächten Tieren eine Infektion vermeiden. Beim Menschen ließe sich, wenn alles gutgeht, eine Immunantwort erreichen, indem man die gentechnisch hergestellten Eiweiße verabreicht. Diese harmlosen Bruchstücke würden dann zur Bildung von Antikörpern und spezifischen Immunzellen führen. Bei einem Eindringen der Bakterien in die Wunde könnten diese dann sehr schnell unschädlich gemacht werden.

Ein Impfstoff gegen die Lyme-Borreliose wäre der zweite „Schlag“ gegen Infektionskrankheiten, die durch Zecken übertragen werden: Vor wenigen Jahren gelang es, einen Impfschutz gegen die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) zu entwickeln,

Diese schwere, manchmal tödliche Hirnhautentzündung wird durch ein Virus hervorgerufen. Beide Impfstoffe werden die Zecken zwar auch weiterhin nicht von ihrem blutsaugenden Geschäft abhalten, sie könnten aber dazu führen, dass Menschen dann nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen werden.

(erschienen in der WELT vom 2. Oktober 1990. Letzte Aktualisierung 13. April 2017)

Was ist daraus geworden? An diesem Erreger beißen Forscher sich noch immer die Zähne aus. Die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes für Europa sei schwierig, so das Robert-Koch-Institut im Jahr 2007. Vorübergehend war zwar ein Impfstoff in den USA verfügbar, allerdings sind die dortigen Erreger nicht mit denen in Europa identisch und der Hersteller hat sein Produkt laut Wikipedia „aus kommerziellen Gründen“ wieder vom Markt genommen. Auch die Angst, wegen vermeintlicher Nebenwirkungen verklagt zu werden, spielte dabei eine Rolle, suggeriert ein Artikel aus dem „Laborjournal“.  Forscher der Valneva Austria GmbH haben dennoch einen neuen Impfstoffkandidaten entwickelt, und prüfen ihn derzeit in einer Phase I-Studie.