Zum Hauptinhalt springen

Immuntherapie – Schützenhilfe durch körpereigene Kräfte

Krebstherapien, die das menschliche Immunsystem aktivieren sollen, haben in klinischen Versuchen erste Erfolge vorzuweisen. Sollten sich die Ergebnisse, die amerikanische Wissenschaftler jetzt vorgelegt haben, bestätigen, wäre dies ein Silberstreif am Horizont für Patienten, die unter Krebs im fortgeschrittenen Stadium leiden.

Die Forscher selbst warnen jedoch vor übertriebenen Hoffnungen, besonders angesichts der Tatsache, dass diese Richtung der Krebsforschung bisher zu zahlreichen Fehlschlägen geführt hat. Bereits seit zwanzig Jahren bemüht man sich, körpereigene Abwehrmechanismen zu stärken, die Krebszellen erkennen und ausschalten können. Wie Jean-Claude Bystryn vom Medical Center der Universität New York erklärt, hängt das Wachstum eines Krebsgeschwürs nicht alleine von dem Krebs selbst ab, sondern auch davon, ob und wie der Körper auf diese Fehlfunktion reagiert.

Die neuen Therapien zeigen erste Erfolge bei so schwierig zu handhabenden Leiden wie dem bösartigen Hautkrebs (Melanom) sowie dem Krebs des Darms und der Nieren. Während alte Behandlungsversuche sich mit der unspezifischen Anregung des Immunsystems versuchten – etwa durch Injektion des Bazillus Calmette-Guerrin (BCG), wird heute ein neuer Ansatz erprobt.

Die Tumorzellen selbst sind es, die dem Patienten bei einer Operation entnommen werden. Sie dienen dann – durch Strahlung abgetötet und mit BCG vermischt – der Aktivierung bestimmter Zellen des Immunsystems. In Verbindung mit BCG oder anderen Immunstimulantien werden die weißen Blutkörperchen (Lymphozyten) dann in die Lage versetzt, auch solche Tumorzellen zu erkennen und anzugreifen, die sie bis dahin „übersehen“ haben. Eine andere Methode erprobt Professor Volker Schirrmacher am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Durch Infektion mit Viren sollen Tumorzellen für das Immunsystem sichtbar werden.

Michael Hanna, der einen dieser Impfstoffe entwickelt hat, äußerte gegenüber dem Wissenschaftsmagazin „Science“, dass die Anzahl der Rückfälle nach der chirurgischen Entfernung eines Darmkrebses um mehr als die Hälfte verringert werden konnte. Bisher stand man der Metastasenbildung nach derartigen Eingriffen eher hilflos gegenüber. „Ich glaube, das ist sehr dramatisch“, sagte der Forscher, der seine gegenwärtigen Erfolge zum großen Teil auf Tierversuche an Meerschweinchen zurückführt. Dort gelang es schon Anfang der siebziger Jahre, Tumoren durch Injektion von BCG zu bekämpfen.

Obwohl die neuen Impfstoffe offensichtlich die Bildung von Tochtergeschwülsten verhindern können, ist noch nicht genug Zeit für ein endgültiges Urteil verstrichen. Erst wenn sich die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten verbessert, kann man wirklich von einem Erfolg sprechen.

Auch die „Krebsimpfstoffe“ haben jedoch ihre Nachteile. Um Tumorzellen aus einer bösartigen Geschwulst des Patienten zu gewinnen, ist immer ein operativer Eingriff erforderlich. Weil sich das Immunsystem nach einer solchen Operation erst einmal „erholen“ muss, kann die erste Injektion frühestens drei Wochen nach diesem Eingriff gegeben werden.

In der Zwischenzeit müssen die Zellen konserviert werden – eine Aufgabe, für die die meisten Chirurgen nicht vorbereitet sind. Beim Melanom besteht ein weiteres Problem darin, dass die primären Tumoren, aus denen die Krebszellen isoliert werden müssen, oft zu klein sind, um die erforderliche Anzahl an Zellen bereitzustellen.

Trotz aller Bedenken sind die Forscher optimistisch. Nach über zwei Jahrzehnten erfolgloser Anläufe, stehen die Chancen, doch noch eine Immuntherapie gegen den Krebs zu entwickeln, heute nicht mehr ganz so schlecht.

(erschienen in der WELT vom 16. September 1989)

Was ist daraus geworden? Langsam, aber sicher sind die Forscher voran gekommen bei der Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs. Inzwischen gibt es tatsächlich eine Impfung, die Gebärmutterhalskrebs verhindern kann, und die ersten gentechnisch hergestellten Antikörper sind im Einsatz in der Klinik. Die Wikipedia widmet dem Thema einen sehr ausführlichen Beitrag und auch ich bleibe an dem Thema dran – versprochen.

Zystische Fibrose – Die Folge von drei fehlenden Bausteinen

Das Gen, welches für die häufigste angeborene Stoffwechselkrankheit verantwortlich ist, wurde jetzt von amerikanischen und kanadischen Forschern lokalisiert. Von der Mukoviszidose (oder Zystische Fibrose, ZF) ist in der Bundesrepublik etwa jedes zweitausendste Neugeborene betroffen. Die meisten Patienten sterben noch vor dem Erreichen des 30. Lebensjahres. Die Betroffenen leiden unter einem stark verdickten Schleim, besonders in den Lungen, der sie für Infektionen überaus anfällig macht. Die daraus resultierende Zerstörung des Lungengewebes ist es, die dann meist zum Tode führt.

Die Entdeckung des ZF-Gens kann die Diagnose der Krankheit – auch vor der Geburt – entscheidend verbessern. Dies könnte die Anzahl an Neuerkrankungen deutlich verringern. Etwa jeder zwanzigste ist Träger eines defekten Mukoviszidose-Gens, ohne selbst an der Krankheit zu leiden. Die gemeinsamen Kinder zweier Träger jedoch sind in einem Viertel aller Fälle betroffen. Die Anzahl der ZF-Patienten wird in der Bundesrepublik auf etwa 2500 bis 4000 geschätzt. Dazu kommen pro Jahr etwa 300 bis 600 Neuerkrankungen, wie Dr. Doris Staab von der Universitätskinderklinik in Bonn mitteilte.

Die Arbeiten, die von Tsui Lap-Chee (Toronto Hospital für kranke Kinder) und Francis Collins (Howard Hughes Medical Institute an der Universität Michigan) geleitet wurden, sind der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen durchaus vergleichbar. Obwohl es sich bei dem gefundenen „molekularen Bauplan“ um ein recht großes Gen handelt, bildet es nur etwa ein zwölftausendstel des gesamten menschlichen Erbgutes. 250000 Bausteine bilden das gesamte ZF-Gen. 24 kürzere Abschnitte müssen zunächst von der zellulären Maschinerie in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt werden, bevor die Eiweißfabriken der Zelle, die Ribosomen, nach dieser Anleitung den korrespondierenden Eiweißstoff herstellen können. Wie sich bei näherer Untersuchung des CF-Gens herausstellte, fehlen bei 70 Prozent der Mukoviszidosepatienten ganze drei der Viertelmillion Bausteine. Die Arbeit der Wissenschaftler wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass über das Eiweißprodukt (Protein), welches nach diesem Bauplan angefertigt wird, bis dato nur Spekulationen kursierten.

Seit 30 Jahren versteht man es, die Sprache der Gene in die Sprache der Eiweiße zu übersetzen. Man weiß daher, dass den drei fehlenden Bausteinen im Erbmaterial (der DNA) ein fehlender Baustein im resultierenden Protein entsprechen muss. Darüber hinaus erlauben es die Gesetzmäßigkeiten, die sich bei der Vielzahl derartiger Vergleiche ergeben haben, Aussagen über die Eigenschaften dieses Eiweißstoffes zu machen.

Demnach steckt das ZF-Protein in der Zellhülle und bildet einen Kanal, durch den Chloridionen aus dem Zellinneren heraustransportiert werden. Offensichtlich lässt sich das defekte Protein nicht mehr regulieren, weil eine wichtige Region des Proteins, an der normalerweise Adenosintriphosphat (ATP) gebunden wird, zerstört wird. ATP stellt die Energie für viele zelluläre Funktionen zur Verfügung. Diese Erkenntnisse begründen die Hoffnung, jetzt gezielt Medikamente gegen die grausame Krankheit entwickeln zu können.

Vom Gen zum defekten Protein: So entsteht das CF-Eiweiß (von Kuebi = Armin Kübelbeck [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons)

Vom Gen zum defekten Protein: So entsteht das CF-Eiweiß (von Kuebi = Armin Kübelbeck [CC BY-SA 3.0] via Wikimedia Commons)

Die Suche nach dem ZF-Gen war von einem starken Konkurrenzdenken angetrieben worden, häufig kam es zu Streitigkeiten zwischen den Forscherteams, die sich an diesem Wettlauf beteiligt hatten. Abgesehen davon, dass die Sieger in diesem Wettstreit mit einer großzügigen finanziellen Unterstützung weiterer Forschungsvorhaben rechnen können, sind große Profite aus der Vermarktung der gewonnen Erkenntnisse zu erwarten: Es eröffnet sich jetzt die Möglichkeit, Reihenuntersuchungen durchzuführen, mit denen die Träger defekter ZF-Gene identifiziert werden könnten. Die Kosten hierfür würden sich jährlich auf mehrere hundert Millionen Mark belaufen.

(erschienen in der WELT am 11. September 1989)

Wa59-info@2xs ist daraus geworden? Inzwischen kennt man fast 2000 (!) Mutationen, die eine Mukoviszidose verursachen können. Es gibt es die ersten spezifischen Medikamente und die Lebenserwartung der Patienten ist weiter angestiegen. Ein Test für Neugeborene, der in vielen Ländern bereits Standard ist, wird in Deutschland aber nur bei 15 Prozent aller Babies angewandt. Auch deshalb werden mehr als 40 Prozent aller Betroffenen im ersten Lebensjahr noch nicht erkannt.

Singapur – Facelift für Chinatown

Die asiatische Schweiz, so wird Singapur, der Stadtstaat an der Südspitze der malaysischen Halbinsel, oft genannt. Und in der Tat ging manch einem Asienliebhaber das Streben nach Sauberkeit und Modernisierung in der Vergangenheit zu weit. Ganze Straßenzüge fielen den Abrissbirnen und Spitzhacken der Städteplaner zum Opfer. und mussten – wie im geschäftigen Chinatown – oft eintönig-farblosen Mietskasernen weichen.

Bugis Street, „der berüchtigte Ess- und Anbändelplatz“, wie sich die Touristenbehörde verschämt ausdrückt, wurde von der ultramodernen U-Bahn des Inselstaates verdrängt. Die Liste der Sünden ließe sich fortsetzen.

Chinatown Singapur

Der Lack ist ab: Straßenzug in Chinatown vor der Renovierung (eigenes Bild)

Doch alle, die schon befürchtet hatten, dass Singapurs Charme bald gänzlich von Luxushotels und gigantischen Einkaufszentren ruiniert sei, dürfen aufatmen: Eine Milliarde Mark werden von staatlicher Seite investiert, um die Einzigartigkeit von Chinatown, Little India und Arab Street zu neuem Leben zu erwecken. Dazu soll dann noch ein doppelt so hoher Betrag von privaten Investoren kommen.

„Komm zurück, Bugis Street – alles ist vergessen“ heißt das dann in den Mitteilungen des Tourist Promotion Board. Christopher Carlisle hat, als Angehöriger des britischen Militärs, die wilden Zeiten selbst noch erlebt. Heute berät er die Behörden, sorgt dafür, dass die Terrakottaziegel auf den Dächern, die Pilaster aus flaschengrüner Keramik, die Falttüren und venezianischen Fenster den Originalen gleichen. Bauschutt von benachbarten Häusern birgt noch manches Teil, das hilft, den neuen Gebäuden die Ausstrahlung ihrer Vorläufer zu übertragen.

Die Straßenhändler, die mit ihren transportablen Essständen chinesische, malaysische und indische Gaumenfreuden anboten, werden ebenso wieder eingeladen wie die Künstler jeglicher Couleur, für deren frühmorgendliche Darbietungen auch gleich eine neue Bühne bereitgestellt wird.

Den deutlichsten Beweis für den Willen der Regierung, die alte Atmosphäre neu entstehen zu lassen, hat der Besucher in Tanjong Pagar vor Augen. In diesem Viertel Chinatowns findet er, bedrängt von Hochhauskomplexen, einige der besten Beispiele für die einheimische Vorkriegsarchitektur, leider oft in einem sehr desolaten Zustand: Putz bröckelt von den Fassaden, quadratmeterweise fehlen auf den Dächern die Ziegel. Fensterläden hängen, notdürftig fixiert, in den Öffnungen der Gebäude.

Das soll sich jetzt ändern: unter der Leitung einer eigens für den Zweck gegründeten Behörde wandeln die Ruinen sich zu schmucken Geschäfts- und Wohnhäusern, zu Büros und Restaurants. Mit Strohhüten vor der sengenden Hitze geschützt, leisten die Männer und Frauen auf den Baustellen ganze Arbeit. Oft bleiben nur die Fassaden stehen; neue Decken werden eingezogen, moderne Installationen montiert, auch Gehwege neu angelegt, um die erhofften Besucherströme von dem regen Verkehr abzuschirmen.

Schon sind die ersten Häuser fertiggestellt und warten auf den Einzug der chinesischen Handwerker, die hier neben Idolen für die Tempel der Stadt auch Masken und Puppen, Löwen- und Drachenköpfe schnitzen werden.

Aber erst, wenn außer den Touristen auch die Singvögel in ihren Bambuskäfigen, die Naturheiler mit ihrem Arsenal an geheimnisvollen Pulvern und Extrakten und die Stinkfrüchte (Durians), das Lieblingsobst der Chinesen, wieder eingekehrt sind, wird man wissen, ob das Projekt der Regierung Erfolg gehabt hat.

Bei den Restaurierungsarbeiten darf natürlich das Kolonialhotel Raffles nicht fehlen. Mehr als 100 Millionen Mark wird es kosten, dem Kronjuwel unter Singapurs Attraktionen einen face-lift zu verpassen. Die Zimmer des Hotels, das schon für den Schriftsteller Sommerset Maugham „für all das Märchenhafte des exotischen Ostens“ stand, sollen in 104 Suiten, eingerichtet im Stile der Kolonialzeit, umgewandelt werden. Teakholzböden, vier Meter hohe Decken und die traditionellen Deckenventilatoren sollen den Besucher in die zwanziger Jahre zurückversetzen. Auch Erweiterungen, wie ein dreigeschossiger Ballsaal, sind geplant, denen Hunderte von Möbelstücken aus der Gründerzeit des Hauses ebenso wie Tafelsilber und chinesisches Porzellan zu neuen Ehren kommen werden.

Mitte 1991 wird es dann so weit sein, dass Hotelgäste und Touristen wieder ihren Gin Sling im erweiterten, palmenbestandenen Hotelgarten genießen können.

(erschienen in der WELT am 8. September 1989)